Profilbild von Lesemaus-Hamburg

Lesemaus-Hamburg

Lesejury Star
offline

Lesemaus-Hamburg ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lesemaus-Hamburg über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.09.2024

Auf der Suche nach Identität ...

Verlassene Nester
0

VERLASSENE NESTER
Patricia Hempel

Sommer 1992, Elbe-Grenzgebiet:
Der 13-jährigen Pilly stehen lange Sommerferien bevor. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden wird sie nicht in den Urlaub fahren. Ihr ...

VERLASSENE NESTER
Patricia Hempel

Sommer 1992, Elbe-Grenzgebiet:
Der 13-jährigen Pilly stehen lange Sommerferien bevor. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden wird sie nicht in den Urlaub fahren. Ihr Vater verbringt die Nachmittage in der Dorfkneipe – nur jeden zweiten Mittwoch kocht er für sie ein Mittagessen. Von Pillys Mutter fehlt jede Spur, vermutlich hat sie sich über die Grenze abgesetzt, um dem tristen Grau des Wohnkomplexes zwischen Kaserne und stillgelegtem Betonwerk zu entkommen.

Aus Langeweile fühlt sie sich zu zwei älteren Mädchen hingezogen, die ein altes Betonrohr auf einem Spielplatz als ihren Rückzugsort nutzen. Zunächst darf sie der „Hund“ der Mädchen sein, später wird sie hier ihre erste Zigarette rauchen.

Der einzige Halt, den Pilly erhält, kommt von ihren zwei lieben Tanten, den Schwestern ihrer Mutter. Diese versuchen jedoch gerade, auf der Welle mitzusurfen, die der Mauerfall mit sich gebracht hat, und probieren, ihre kleine Immobilie – die Fischbude am See mit der schlechten Wasserqualität – an die „gierigen“ Wessis zu verkaufen.

Und dann ist da noch Frau Klinge, die ehemalige Lehrerin ihres Vaters, die immer ein offenes Ohr für Pilly hat und gemeinsam mit ihr die Hausaufgaben macht. Dass diese ältere Dame ein Geheimnis hütet, weiß Pilly nicht.

In einer eindringlichen, leicht verwobenen und distanzierten Sprache schildert die Autorin das Leben und die Atmosphäre unmittelbar nach dem Mauerfall. Es ist eine Suche nach Identität und einer neuen Zukunft, da die Menschen nach der Wiedervereinigung in einer trostlosen Existenz ohne Arbeit und Perspektiven zurückblieben.

Berührt hat mich Pilly, die die Demütigungen der sogenannten Freundinnen über sich ergehen ließ, nur um Anschluss zu finden. Das Ende hat mir mein Herz gebrochen.
3½/ 5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.09.2024

Ein Wohlfühlbuch

Leonard und Paul
0

LEONARD UND PAUL
Rónán Hession

Leonards Mutter ist vor Kurzem verstorben und der Verlust lastet schwer auf ihm, da sie für ihn sowohl Familie als auch seine engste Freundin war. Bis zu ihrem Tod lebte ...

LEONARD UND PAUL
Rónán Hession

Leonards Mutter ist vor Kurzem verstorben und der Verlust lastet schwer auf ihm, da sie für ihn sowohl Familie als auch seine engste Freundin war. Bis zu ihrem Tod lebte er mit ihr zusammen, und es genügte ihm, die Abende und Wochenenden in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Leonard arbeitet tagsüber als Ghostwriter und verfasst Kinder-Enzyklopädien, doch auch bei der Arbeit hat er kaum Kontakt zu seinen Kollegen. Sein einziger Freund ist Paul, der ebenfalls noch bei seinen pensionierten Eltern lebt und von ihnen finanziell unterstützt wird. Paul arbeitet nur zweimal im Monat als Aushilfsbriefträger.

Das große Highlight der beiden Männer besteht darin, sich am Wochenende zu treffen und gemeinsam Gesellschaftsspiele zu spielen. Die langen Gesprächspausen, die dabei entstehen, stören sie nicht. Ausgehen, Partys oder Reisen sind für die beiden Männer unwichtig. Zwar sind sie dem weiblichen Geschlecht gegenüber nicht abgeneigt, doch ein Kuss oder ein intimerer Kontakt hat sich in ihrem Leben noch nie ergeben.

Ihr ruhiges Leben gerät ins Wanken, als Leonard eine Kollegin mit Kind kennenlernt und Pauls Schwester Grace ihrem Bruder kurz vor ihrer eigenen Hochzeit eindringlich ins Gewissen redet, damit er endlich Verantwortung für sein Leben übernimmt.

Ein weiterer Handlungsstrang dreht sich um die Vorbereitung von Graces Hochzeit und ihre liebevollen Eltern, Helen und Peter, die wegen ihres erwachsenen Sohnes Paul auf eigene Aktivitäten wie Reisen und Ausflüge verzichten, da sie ihn nicht allein lassen möchten.

Unsere Protagonisten sind sanftmütige ‚Nerds‘ – freundlich zu jedem und äußerst gut erzogen. Das Wort ‚sanftmütig‘ taucht in der Geschichte selbst auf, und genau so habe ich das Buch auch empfunden: sanftmütig, nett. Dem Sprecher des Hörbuchs, Florenz Schmidt, habe ich gerne zugehört, doch frage ich mich, wie Protagonisten ohne Ecken und Kanten einer Geschichte Spannung oder Pepp verleihen können?
Insgesamt war es für mich ein ruhiges, unaufgeregtes Wohlfühlbuch, das vielleicht für den einen oder anderen noch ein paar Tipps für die möglicherweise anstehende Hochzeit bereithält, denn die Hochzeitsplanung und viele andere Details wurden minutiös ausgearbeitet.

Fazit:

Eine sanftmütige Geschichte. Ein Lesetipp für alle, die mal eine Pause von den vielen toxischen Beziehungsgeschichten und traurigen Büchern brauchen.
3/ 5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.09.2024

Ein wohlfühlbuch

Leonard und Paul
0

LEONARD UND PAUL
Rónán Hession

Leonards Mutter ist vor Kurzem verstorben und der Verlust lastet schwer auf ihm, da sie für ihn sowohl Familie als auch seine engste Freundin war. Bis zu ihrem Tod lebte ...

LEONARD UND PAUL
Rónán Hession

Leonards Mutter ist vor Kurzem verstorben und der Verlust lastet schwer auf ihm, da sie für ihn sowohl Familie als auch seine engste Freundin war. Bis zu ihrem Tod lebte er mit ihr zusammen, und es genügte ihm, die Abende und Wochenenden in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Leonard arbeitet tagsüber als Ghostwriter und verfasst Kinder-Enzyklopädien, doch auch bei der Arbeit hat er kaum Kontakt zu seinen Kollegen. Sein einziger Freund ist Paul, der ebenfalls noch bei seinen pensionierten Eltern lebt und von ihnen finanziell unterstützt wird. Paul arbeitet nur zweimal im Monat als Aushilfsbriefträger.

Das große Highlight der beiden Männer besteht darin, sich am Wochenende zu treffen und gemeinsam Gesellschaftsspiele zu spielen. Die langen Gesprächspausen, die dabei entstehen, stören sie nicht. Ausgehen, Partys oder Reisen sind für die beiden Männer unwichtig. Zwar sind sie dem weiblichen Geschlecht gegenüber nicht abgeneigt, doch ein Kuss oder ein intimerer Kontakt hat sich in ihrem Leben noch nie ergeben.

Ihr ruhiges Leben gerät ins Wanken, als Leonard eine Kollegin mit Kind kennenlernt und Pauls Schwester Grace ihrem Bruder kurz vor ihrer eigenen Hochzeit eindringlich ins Gewissen redet, damit er endlich Verantwortung für sein Leben übernimmt.

Ein weiterer Handlungsstrang dreht sich um die Vorbereitung von Graces Hochzeit und ihre liebevollen Eltern, Helen und Peter, die wegen ihres erwachsenen Sohnes Paul auf eigene Aktivitäten wie Reisen und Ausflüge verzichten, da sie ihn nicht allein lassen möchten.

Unsere Protagonisten sind sanftmütige ‚Nerds‘ – freundlich zu jedem und äußerst gut erzogen. Das Wort ‚sanftmütig‘ taucht in der Geschichte selbst auf, und genau so habe ich das Buch auch empfunden: sanftmütig, nett. Dem Sprecher des Hörbuchs, Florenz Schmidt, habe ich gerne zugehört, doch frage ich mich, wie Protagonisten ohne Ecken und Kanten einer Geschichte Spannung oder Pepp verleihen können?
Insgesamt war es für mich ein ruhiges, unaufgeregtes Wohlfühlbuch, das vielleicht für den einen oder anderen noch ein paar Tipps für die möglicherweise anstehende Hochzeit bereithält, denn die Hochzeitsplanung und viele andere Details wurden minutiös ausgearbeitet.

Fazit:

Eine sanftmütige Geschichte. Ein Lesetipp für alle, die mal eine Pause von den vielen toxischen Beziehungsgeschichten und traurigen Büchern brauchen.
3/ 5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.09.2024

Ein herrliches Familienchaos

Eigentlich bin ich nicht so
0

Kennt ihr das auch? Ihr wollt eigentlich nichts sagen, aber plötzlich platzt es einfach aus euch heraus? Oder ihr reagiert über, ohne wirklich einen Grund zu haben, und verletzt dabei ausgerechnet die ...

Kennt ihr das auch? Ihr wollt eigentlich nichts sagen, aber plötzlich platzt es einfach aus euch heraus? Oder ihr reagiert über, ohne wirklich einen Grund zu haben, und verletzt dabei ausgerechnet die Person, die euch am meisten bedeutet? Ihr sagt Nein, obwohl ihr eigentlich Ja sagen wolltet?

EIGENTLICH BIN ICH NICHT SO
Marie Aubert

Es ist das Wochenende, an dem Linnea in Norwegen ihre Konfirmation feiert. Die Eltern haben einen Catering-Service organisiert. Tischkarten wurden liebevoll gebastelt, Linnea hat eine neue Tracht bekommen, und die Kirschbäume stehen in voller Blüte.
Es könnte ein perfekter Tag werden, wenn nicht …

… Vater Bård nach Linneas Konfirmation die Familie verlassen wollte.
… Bårds Schwester Hanne, die extra mit ihrer Lebensgefährtin angereist ist, durch die vielen Erinnerungen an früher ihr altes Trauma wiedererlebt – damals wurde sie vom ganzen Dorf als „die Dicke“ gemobbt.
… Linnea sich nicht mit ihrer besten Freundin zerstritten hätte und jetzt fürchten müsste, dass diese während der Konfirmation, auf der sie bedient, all ihre anvertrauten Geheimnisse ausplaudern könnte.
… Mutter Ellen es zumindest schaffen würde, die schmutzige Wäsche vom Badezimmerboden zu räumen, damit die Gäste nicht darüber stolpern, wenn sie die Toilette benutzen.

Nur Großvater Nils scheint die Ruhe selbst zu sein. Doch seine gelassene Art treibt die Familie noch weiter auseinander.

Was für eine schöne Geschichte! Marie Aubert hat ein wundervolles Familienporträt des alltäglichen Chaos geschaffen. Ich bin nur so durch die Seiten geflogen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie das Chaos endet.
Leider war das kleine, feine Buch mit nur 200 Seiten viel zu schnell vorbei. Gerne hätte ich noch länger am schön gedeckten Tisch gesessen, den Familienproblemen gelauscht und ein weiteres Stück der leckeren Torte genossen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.09.2024

Tiefgreifender gesellschaftsroman

Das erste Licht des Sommers
0

Das erste Licht des Sommers
Daniela Raimondi

Raimondi erzählt auf vielschichtige Weise die Geschichte einer Familie über drei Generationen hinweg.

Im Zentrum der Handlung stehen Norma und ihre Familie.

Im ...

Das erste Licht des Sommers
Daniela Raimondi

Raimondi erzählt auf vielschichtige Weise die Geschichte einer Familie über drei Generationen hinweg.

Im Zentrum der Handlung stehen Norma und ihre Familie.

Im ersten Teil der Geschichte wird Normas Kindheit in den 1950er Jahren in der ländlichen Provinz Italiens beschrieben. Sie verbringt viel Zeit mit ihrer Cousine Donata und lernt ihren Jugendfreund Elia kennen, den sie jedoch später aus den Augen verliert. Der zweite Teil wechselt zu Normas und Elias Erwachsenenleben in London. Der Stil wird hier lebendiger, wodurch die Beziehung der beiden intensiver und greifbarer wirkt. Im letzten Teil kehren Norma und die Handlung nach Italien zurück, um sich den Ursprüngen der Familie in Stellata zu widmen.

Die Geschichte rückt neben der Liebesgeschichte mit Elia vor allem die Frauen und ihre Kämpfe in den Mittelpunkt – Mütter und Töchter, die versuchen, ihren eigenen Weg zu finden. Diese Konflikte sind besonders bei Norma, ihrer Mutter Elsa, aber auch bei anderen Frauen der Familie, wie der Großmutter Neve oder der Cousine Maria Luz, präsent und prägen das Generationenporträt entscheidend.

Normas Lebensweg, der sich über fast sieben Jahrzehnte erstreckt, wird mit viel Feingefühl erzählt. Besonders die Beziehung zu ihrer emotional distanzierten Mutter Elsa wird eindrucksvoll geschildert. Trotz der Kälte, die Elsa ihrer Tochter entgegenbringt, begleitet Norma sie bis zu ihrem Tod – eine bewegende Darstellung von Liebe und Pflichtgefühl.

Die Autorin verknüpft geschickt die persönlichen Erlebnisse der Figuren mit den politischen und historischen Entwicklungen sowie den Zwängen, denen italienische Frauen in dieser Zeit ausgesetzt waren.

Obwohl ich Raimondis Vorgänger "An den Ufern von Stellata" gelesen und gemocht habe, fiel es mir anfangs schwer, in das Buch hineinzufinden. Zudem erschien mir die Handlung stellenweise überladen. Doch nachdem ich mich eingelesen hatte, fesselte mich die besondere Liebesgeschichte zwischen Norma und Elia mit ihren Schilderungen in London und Brasilien.

Trotz dieser kleinen Kritikpunkte habe ich das Buch gerne gelesen und möchte es euch als einen tiefgehenden Gesellschaftsroman empfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere