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Veröffentlicht am 17.05.2024

Anders als erwartet

Martha und die Ihren
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MARTHA UND DIE IHREN
Lukas Hartmann


Martha und ihre fünf Geschwister, die alle vor dem Ersten Weltkrieg geboren wurden, wachsen in armen Verhältnissen auf. Als dann ihr Vater einen schweren Unfall hat, ...

MARTHA UND DIE IHREN
Lukas Hartmann


Martha und ihre fünf Geschwister, die alle vor dem Ersten Weltkrieg geboren wurden, wachsen in armen Verhältnissen auf. Als dann ihr Vater einen schweren Unfall hat, erst bettlägerig wird und kurz darauf stirbt, kann die Mutter ihre sechs Kinder nicht mehr ernähren. Die sozialen Zuschüsse in der Schweiz wären nicht genug, selbst wenn die Mutter einen Job als Büglerin annähme.
Die Verwaltung lässt nicht lange auf sich warten und nimmt der Mutter alle Kinder weg - sie werden zu sogenannten „Verdingkinder", was nichts anderes bedeutet, als das sie bei fremden Familien aufwachsen, fremderzogen und ihren Lebensunterhalt selbst erarbeiten müssen. Martha wird ihre Mutter nur drei weitere Male in ihrem Leben treffen und ihre Geschwister nie wieder sehen.
Doch das weiß sie zu diesem Zeitpunkt nicht.
Martha, die zweitjüngste, kommt zu einer gläubigen Familie mit vielen Kindern. Für die Arbeiten, die keiner machen möchte, ist sie zukünftig verantwortlich. Am Tisch ist die Schale mit Essen meist leer, bevor sie bei Martha ankommt. Liebe oder ein freundliches Wort erfährt sie nicht.
Obwohl sie Klassenbeste ist, wird ihr die höhere Schule verwehrt, doch Martha ist zäh und mit Fleiß und Ehrgeiz schafft sie es später zu einem bescheidenen Wohlstand.
Martha hat es nie gelernt, Gefühle oder Schwächen zu zeigen. Umarmungen, Lob oder Liebkosungen waren ihr ganzes Leben Fremdwörter und so prägt diese soziale Inkompetenz nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer zwei Söhne …

Die Verdingkinder sind ein schwarzer Fleck in der Schweizer Geschichte.
Oft wurden Kinder zu Unrecht den Eltern weggenommen. Scheidungen oder Arbeitslosigkeit reichte aus, dass Eltern ihr Kinder nie wieder sahen.
Die Kinder wurden als billige Arbeitskraft ausgebeutet, oft seelisch und körperlich missbraucht. Bis in die späten 1960er-Jahre gab es in der Schweiz Verdingkinder.

Ich habe das Buch gerne gelesen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Marthas Zeit als Verdingkind ausführlicher beschrieben gewesen wäre. Ihren Part fand ich besonders berührend, während mich der narzisstische und pedantische Sohn eher auf die Palme trieb.
Der Schreibstil war eher sachlich kühl, was durchaus zum Inhalt passt. Herzlichen Dank Lukas Hartmann für einen tiefen Einblick in seine Familienchronik mit Großmutter Martha.
3½ / 5

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Veröffentlicht am 15.05.2024

Highlight

Windstärke 17
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WINDSTÄRKE 17
Caroline Wahl

Wir sind zurück in der Welt von Tilda und Ida, die wir bereits in Caroline Wahls Debüt „22 Bahnen“ kennenlernen durften.
Dieses Mal steht die junge Erwachsene Ida, die kleine ...

WINDSTÄRKE 17
Caroline Wahl

Wir sind zurück in der Welt von Tilda und Ida, die wir bereits in Caroline Wahls Debüt „22 Bahnen“ kennenlernen durften.
Dieses Mal steht die junge Erwachsene Ida, die kleine Schwester Tildas, im Vordergrund:

Ida macht sich große Vorwürfe, an dem Tod ihrer Mutter schuld zu sein.
Ihre Mutter war seit langem Alkoholikerin, doch in der letzten Zeit ging es ihr bedeutend schlechter. Statt Trost zu spenden, reiste Ida mit ihrer Freundin nach Prag. Als sie nach Hause kam, lag ihre Mutter tot im Bett. Sie hatte sich mit einer Überdosis umgebracht.
Ihr war es nicht möglich, Tilda auf Mutters Beerdigung zu begleiten und alleine der Gedanke daran, dass sie keinen Abschied von ihrer Mutter nahm und keine Stärke zeigte, macht jetzt alles nur noch schlimmer.

Ida packt ihren kleinen Hartschalenkoffer und verlässt die Wohnung - für immer. Tilda hat ihr ein Zugticket nach Hamburg geschickt, wo sie selbst mit Viktor und den Zwillingen seit einigen Jahren lebt. Aber Ida kann es nicht - Tilda sehen, ihr gestehen, dass sie einfach die Wohnung gekündigt hat, dass sie ihr Studium nicht fortsetzen wird - sie kann den vielen Fragen Tildas nicht standhalten.
Also sucht sie einen Zug heraus, der am weitesten fährt und landet mit ihrem Klumpen voll Wut und Trauer im Bauch auf der Insel Rügen. Als sie nach einigen Tagen einen Job in der Kneipe „Robbe“ antritt, lernt sie den freundlichen Wirt und dessen Frau Marianne kennen, die Ida bei sich aufnehmen und sich rührend um sie kümmern. Und dann verliebt sie sich auch noch in Leif, den coolen DJ aus Hamburg. Alles könnte jetzt ganz toll werden, wenn ihr doch nur nicht das ganz normale Leben über den Weg laufen würde, welches gerne mal ein paar Haken schlägt und Rückschläge parat hat …

Wow, wow, wow, was für ein tolles Buch! Ich habe mit Ida geweint und gelacht und das Buch mit einer Gänsehaut zugeklappt - das passiert mir nicht oft.
Ich mochte bereits "22 Bahnen" von der Autorin sehr, aber dieses Buch hat mich von der ersten Seite an begeistert und ich habe es förmlich weginhaliert.
Dieser außergewöhnlich fantastische Schreibstil von Caroline Wahl ist einfach beeindruckend und hat einen hohen Wiedererkennungswert.
Jetzt muss nur noch die Geschichte der Mutter erzählt werden!

Fazit:
Ein Buch voller Emotionen. Jahreshighlight! Riesen Leseempfehlung von mir!
5+/ 5

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Veröffentlicht am 15.05.2024

Wiedersehen in North Bath

Von guten Eltern
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VON GUTEN ELTERN
Richard Russo

Wir sind zurück in North Bath, welches gerade von seinem langjährigen ewigen Konkurrenten Schuyler Springs eingemeindet wurde. Wobei „eingemeindet" eine schöne Beschreibung ...

VON GUTEN ELTERN
Richard Russo

Wir sind zurück in North Bath, welches gerade von seinem langjährigen ewigen Konkurrenten Schuyler Springs eingemeindet wurde. Wobei „eingemeindet" eine schöne Beschreibung ist, denn eigentlich fühlt es sich so an, als hätte Schuyler North Bath förmlich verschluckt: Die Verwaltung, wie das Rathaus, die Müllabfuhr und auch die Polizei wurden in North Bath schlicht abgeschafft - was wiederum in der bereits seit Jahren kränkelnden Kleinstadt einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hat.
Einige Lehrer und Polizisten durften sich in Schuyler bewerben und so kam es dazu, das unsere alte Bekannte Charice aus North Bath den Posten des Chiefs in Schuyler erhalten hat. Die alteingesessenen Polizisten aus Schuyler sind dementsprechend wenig begeistert - sie fühlen sich übergangen und eine schwarze Frau als Vorgesetzten wollten sie schon gar nicht.
Und genau in dieser unruhigen Zeit findet man in dem verkommenen alten Hotel, was seit Jahren leer steht, eine verweste Leiche.

Peter Sullivan sieht sich nach dem Tod seines Vaters für gewisse Leute in Bath verantwortlich. Und als wenn das noch nicht genug Beschäftigung wäre, taucht auch noch sein Sohn Thomas in Bath auf. Ihn hatte Peter seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen und was sich zu Beginn als ganz harmlos anfühlt, wächst schnell zu einem riesen Problem heran.
Aber natürlich treffen wir auch unsere alten, etwas skurrilen Bekannten aus der kleinen Stadt wieder. Ich könnte euch jetzt berichten, wie es diesen Personen in der Zwischenzeit ergangen ist, außerdem könnte ich noch etwas über Rassismus und Polizeigewalt erzählen, aber lest das Buch doch einfach am besten selbst.

Da ist er: Der dritte Band, der uns erneut in das Upstate New York schickt.
Ich denke, dass man dieses Buch auch lesen kann, ohne die vorherigen zwei Bücher gelesen zu haben - vieles wird zu Beginn wiederholt - dennoch empfehle ich euch natürlich die chronologische Reihenfolge einzuhalten (die Bücher sind einfach zu gut, um weggelassen zu werden).
Auch wenn dieses Buch kleinere Längen hat, habe ich es gerne gelesen. Leider muss ich aber sagen, dass ich Sully mit seinem trockenen und leicht zynischen Humor schmerzlich vermisst habe.
Insgesamt bleibt dieser Band hinter seinen Vorgängern, ich hätte es aber auch nicht missen wollen.
4 -/ 5

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Veröffentlicht am 07.05.2024

Einfach toll!

Ein einfaches Leben
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EIN EINFACHES LEBEN
Min Jin Lee

1910:
Sunja ist die Tochter eines einfachen Fischers und dessen Frau im von Japan annektierten Korea. Als diese korrupten neuen Herrscher wieder einmal die Pachten und ...

EIN EINFACHES LEBEN
Min Jin Lee

1910:
Sunja ist die Tochter eines einfachen Fischers und dessen Frau im von Japan annektierten Korea. Als diese korrupten neuen Herrscher wieder einmal die Pachten und die Steuern erhöhten, nahmen die Eheleute Logiergäste auf, um die zusätzlichen Abgaben zu leisten. Drei Männer, die am Tage schliefen und nachts arbeiteten und drei weitere, die dann arbeiteten, wenn die anderen schliefen. Die Eltern arbeiteten hart und waren fleißig.
Als der Vater starb, gab es nur noch Sunja und ihre Mutter. So gut es ging, versuchten sie die Lücke, die ihr Vater gerissen hatte, zu stopfen.

Eines Tages wurde Sunja auf dem Markt von vier jungen Japanern bedrängt. Wenn ihr nicht der angesehene Händler Hansu zur Hilfe gekommen wäre, hätte dieser Marktbesuch für sie ein schlechtes Ende genommen.
Sunja und Hansu kommen sich näher und verlieben sich ineinander. Erst als Sunja ihm glücklich eröffnet, dass sie ein Kind von ihm erwartet, erfährt sie, dass Hansu bereits eine japanische Frau und drei Töchter in Osaka hat. Hanus Angebot, seine koreanische Geliebte zu werden, ihr ein Haus zu kaufen und für alle Kosten aufzukommen, lehnt sie ab - lieber nimmt sie die Schande in Kauf, zukünftig im Dorf ignoriert zu werden.

Der Zufall kommt ihr zu Hilfe, indem ein weiterer Logiergast namens Pastor Isak, der sich auf dem Wege nach Osaka befindet, um Unterkunft bittet. Dieser Mann erkrankt in der ersten Nacht an Typhus. Aufopferungsvoll pflegen Sunja und ihre Mutter ihn gesund.
Als dieser wieder genesen ist, bittet er um Sunjas Hand. Nach der Hochzeit reisen sie gemeinsam nach Osaka, wo es nicht so wird, wie sie es sich erhofft haben.

Min Jin Lee schickt uns nach Japan, wo wir Zeuge werden, wie koreanische Einwanderer behandelt werden:

„Niemand vermietet gern an Koreaner. Als Pastor haben sie Gelegenheit, zu sehen, wie die Koreaner hier leben. Es ist unvorstellbar: zwölf in einem Raum, der für zwei geeignet ist, Männer und Familien, die schichtweise schlafen. Schweine und Hühner im Haus. Kein fließend Wasser. Keine Heizung. Die Japaner halten die Koreaner für schmutzig, aber die Koreaner können nicht anders, als im Schmutz leben. Ich habe Adlige aus Seoul gesehen, die nichts mehr hatten, kein Geld für die Badeanstalt, nur in Lumpen gekleidet und barfuß, und sie bekommen nicht einmal Arbeit als Träger auf dem Markt. Sie haben keine Möglichkeiten, Unterkunft zu finden. Selbst diejenigen, die Arbeit und Geld haben, finden keine Wohnung.“ (S. 146)

Wir begleiten fünf Generationen, die mit Ausgrenzung und Diskriminierung zu tun haben, und das, obwohl sie in Japan geboren wurden und seit mehreren Jahrzehnten dort leben.
Wunderbar ist auch beschrieben, wie sich die Rolle der Frau - vermeintlich das schwächste Glied der Familie, jedoch am Ende der Fels in der Brandung - verändert hat, während die Rolle des Mannes bis heute stagniert.

Nachdem ich „Gratisessen für Millionäre" von Min Jin Lee im letzten Jahr verschlungen habe, wollte ich unbedingt ein weiteres Buch von ihr lesen.
Diese Geschichte hat die Autorin fast dreißig Jahre begleitet, wurde diverse Male umgeschrieben und erschien erstmals auf Deutsch 2018 im dtv-Verlag.
Für mich ist dieses Buch eine ganz besondere Perle und wird in meine Highlights einziehen. Ein Buch, das man trotz des Tiefgangs einfach so weg liest, dabei einen tiefen Eindruck in die Familienaufstellung der Koreaner erhält und zusätzlich einen umfangreichen historischen Einblick erfährt.

Fazit:
Grandios, eindringlich, einfach toll!
5+/ 5

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Er ist ein Meister der Erzählkunst!

Ein Mann der Tat
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EIN MANN DER TAT
Richard Russo

Wie auch im letzten Buch „Ein grundzufriedener Mann“ schickt uns Richard Russo nach North Bath, Upstate New York, wo wir erneut die „etwas speziellen“ Einwohner der Kleinstadt ...

EIN MANN DER TAT
Richard Russo

Wie auch im letzten Buch „Ein grundzufriedener Mann“ schickt uns Richard Russo nach North Bath, Upstate New York, wo wir erneut die „etwas speziellen“ Einwohner der Kleinstadt treffen.

10 Jahre ist es her, dass Sully seine 3er Wette gewonnen hat. Erst dachte er, dass es ein einmaliger warmer Regen sei, doch dann hielt die Glückssträhne an und bescherte weitere Geldregen.

Eine Glückssträhne zu besitzen kann in Bath jedoch nicht jeder von sich behaupten:
Carls Firma ist mittlerweile bankrott, seine Frau ist ihm davongelaufen und gerade hat er eine Prostata Operation hinter sich, die ihm wiederum sein bestes Stück "außer Gefecht“ gesetzt hat.
Derweil beschäftigt sich Chief Raymer mit ganz anderen Dingen: Er trägt stets einen Garagenöffner mit sich herum - immer in der Hoffnung, die dazu passende Garage zu finden, die sich mit diesem öffnen lässt. Erst dann weiß er, mit wem ihn seine Ehefrau betrogen hat.
Janeys gewalttätiger Ex ist aus dem Gefängnis entlassen und will nicht begreifen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben will.
Ach, ich könnte euch jetzt noch etwas von Schlangen, Grabschändung, Ehebruch, Blitzeinschlägen, Scheidungen und einem abgerissenen Ohr erzählen, aber liest dieses Buch doch am besten selbst!

Russo ist ein Meister der Erzählkunst.
Mit leicht sarkastischen Humor und unglaublich detailverliebt beschreibt er das Leben in einer Kleinstadt.
Ich habe mich ein weiteres Mal bestens unterhalten gefühlt und kann es kaum erwarten, bis der neue Russo „Von guten Eltern“ am 15. Mai erscheint, in dem ich hoffentlich Sully und Co in North Bath erneut treffen werde.

Große Leseempfehlung für diejenigen, die große Erzählkunst schätzen.

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