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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.03.2024

Empathische Einblicke

Nachbarn
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Diane Olivers Kurzgeschichtenband "Nachbarn" ist eine Sammlung von Geschichten, die nicht nur die sozialen Umstände ihrer Zeit einfangen, sondern auch zeitlose Fragen über Identität und Vorurteile aufwerfen. ...

Diane Olivers Kurzgeschichtenband "Nachbarn" ist eine Sammlung von Geschichten, die nicht nur die sozialen Umstände ihrer Zeit einfangen, sondern auch zeitlose Fragen über Identität und Vorurteile aufwerfen. Mit einem einfühlsamen und empathischen Schreibstil zeigt Oliver die Welt verschiedener Charaktere, vor allem Frauen, die mit den Herausforderungen und Konflikten der amerikanischen Gesellschaft der 50er und 60er Jahre konfrontiert sind. Die Autorin zeigt eine bemerkenswerte Vielfalt an Perspektiven und schafft es dabei, die komplexen Dynamiken zwischen Rasse, Klasse und Geschlecht zu erkunden.

Jede Geschichte in "Nachbarn" zeichnet sich durch genaue und einfühlsame Beobachtungen aus, die Empathie für unterschiedlichste Situationen ermöglichen. Von der Entscheidung einer Familie, ihren Sohn auf eine weiße Schule zu schicken, bis hin zu einem Paar, das durch rassistische Übergriffe zur Flucht in den Wald getrieben wird, werden die Leserinnen und Leser mit einer Bandbreite von menschlichen Erfahrungen konfrontiert.

Besonders bemerkenswert ist, dass diese Sammlung von Geschichten von einer Autorin stammt, die erst Anfang 20 war. Diane Oliver zeigt eine reife Herangehensweise an ihre Themen, die weit über ihr Alter hinausgeht. "Nachbarn" ist nicht nur eine eindringliche Darstellung der amerikanischen Geschichte, sondern gewährt Einblicke in die menschliche Natur und unsere Beziehungen zueinander.

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Veröffentlicht am 16.03.2024

Wild poetisch

Zuleika
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"Zuleika" ist ein faszinierendes, wildes und poetisches Versepos, das den Leser in eine fiktive Welt des römischen Londons um 200 n. d. Z. entführt. Die ungewöhnliche Erzählform in Versen, die eine Mischung ...

"Zuleika" ist ein faszinierendes, wildes und poetisches Versepos, das den Leser in eine fiktive Welt des römischen Londons um 200 n. d. Z. entführt. Die ungewöhnliche Erzählform in Versen, die eine Mischung aus Slang, aktuellen Anspielungen, hochgestochener Sprache der Oberschicht und Latein ist, macht beim Lesen großen Spaß und wirkt trotz der großen Künstlichkeit erstaunlich leichtfüßig und authentisch. Ich bin mir sicher, dass die Übersetzerin hier ganze Arbeit geleistet hat. Tipp: Ich musste tatsächlich ab und zu lateinische Vokabeln nachschlagen, Grundkenntnisse des Lateinischen schaden also bei der Lektüre definitiv nicht. Dennoch ist der Mix aus Altem und Aktuellem der für mich faszinierendste Aspekt des Romans.

Die Hauptfigur, Zuleika, ist eine fesselnde Protagonistin, die als Schwarzes Mädchen in den Straßen des multikulturellen Londons lebt. Als ihr Vater sie im Alter von elf Jahren an einen reichen Patrizier verheiratet, lernt sie zwar finanzielle Sicherheit kennen, sie fühlt sich aber bald eingesperrt und beginnt, inspiriert durch die Lektüre der griechischen Klassiker, selbst zu schreiben - die Versuche sind eher naiv, aber durch diesen Kontrast wirkt die Erzählweise des Romans dann noch einmal umso interessanter. Den Kontakt zum Leben jenseits der Konventionen verliert Zuleika durch ihre Freundinnen nicht, besonders gut hat mir hier die queere Figur der Venus gefallen. Und schließlich findet Zuleika durch die Begegnung mit dem römischen Kaiser auch noch Leidenschaft - doch wie lange wird die Affäre gut gehen?

Die Geschichte von Zuleika ist geprägt von Widerspenstigkeit, Schlagfertigkeit und wilder Schönheit. Die Autorin hat es geschafft, eine Inter Welt zu erschaffen, die mich sprachlich als auch inhaltlich in ihren Bann gezogen hat und der man die Freude der Autorin am Schreiben anmerkt. Das war mein erster Roman der Autorin, aber definitiv nicht mein letzter!

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Veröffentlicht am 08.03.2024

Niedrigschwellig

Mit Kindern über Diskriminierungen sprechen
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Das Sachbuch "Mit Kindern über Diskriminierungen sprechen" ist eine wertvolle Ressource für alle erziehenden Menschen, die das wichtige Thema der Diskriminierung mit Kindern ansprechen möchten. Die Autorinnen ...

Das Sachbuch "Mit Kindern über Diskriminierungen sprechen" ist eine wertvolle Ressource für alle erziehenden Menschen, die das wichtige Thema der Diskriminierung mit Kindern ansprechen möchten. Die Autorinnen bieten gemeinsam mit Expert:innen wie Raúl Krauthausen und Melodie Michelberger praktische Ratschläge und Strategien, um Kinder und Jugendliche für Vorurteile, Abwertung und Ausgrenzung zu sensibilisieren und sie davor zu schützen.

Damit das Sachbuch vielfältig unterstützt, ist die Vielfalt der behandelten Diskriminierungsformen, von Gewichtsdiskriminierung über Rassismus und Antisemitismus bis hin zu Diskriminierung aufgrund von Religion oder Behinderung, ebenfalls groß. Durch diese breite Perspektive erhält man einen Überblick, wobei jedes Kapitel auch allgemeine Tipps zur Verfügung stellt. Am besten haben mir die zahlreichen Empfehlungen zu Kinder- und Jugendbüchern am Ende jedes Kapitels gefallen, die dabei unterstützen, diese schwierigen Themen auf eine altersgerechte Weise anzusprechen.

Die Erklärungen im Buch sind einführend, weshalb sie mir teilweise zu unkonkret und oberflächlich waren. Für Leserinnen und Leser mit bereits vorhandenem Wissen über Diskriminierung mag dies dazu führen, dass sie weniger Neues erfahren. Dennoch ist wichtig zu betonen, dass die niedrigschwellige Erklärung der verschiedenen Diskriminierungsformen es auch Menschen mit weniger Vorkenntnissen ermöglicht, sich dem Thema anzunähern.

Insgesamt ist "Mit Kindern über Diskriminierungen sprechen" ein wichtiger Leitfaden für erziehende Menschen. Es bleibt zu hoffen, dass viele Erziehende dieses Buch lesen und die darin enthaltenen Ratschläge und Strategien aktiv in ihrer Erziehung umsetzen, sei es zu Hause, in der Kita oder in der Schule.

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Veröffentlicht am 02.03.2024

Emotional packend

Leute von früher
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Marlene ist Ende zwanzig und hat soeben ihr Studium in Hamburg beendet, wo sie sich ein Leben mit guten Freunden und losen Partnerschaften aufgebaut hat. Um die Entscheidung, was sie nach dem Studium aus ...

Marlene ist Ende zwanzig und hat soeben ihr Studium in Hamburg beendet, wo sie sich ein Leben mit guten Freunden und losen Partnerschaften aufgebaut hat. Um die Entscheidung, was sie nach dem Studium aus ihrem Leben machen will, noch ein wenig aufzuschieben, wird sie Saisonarbeiterin im historischen Erlebnisdorf auf der Insel Strand im nordfriesischen Wattenmeer, wo die Zeit scheinbar stillzustehen scheint.

Die detaillierte Beschreibung von Kleidung, Handwerk und Bräuchen auf der Insel lässt den Leser tief in die Atmosphäre eintauchen und wirkt sehr authentisch. Besonders gelungen ist die Darstellung des Erlebnisdorfes, das reiche Touristen anlockt und gleichzeitig das Leben der Saisonkräfte, wie Marlene, in einfachen Verhältnissen bestimmt. Diese Kluft zwischen Schein und Realität bildet einen zentralen Konflikt im Roman. Protagonistin Marlene, eine junge Frau am Scheideweg zwischen Vergangenheit und Zukunft, wird zum Spiegelbild der ambivalenten Welt von Strand.

Die Begegnung zwischen Marlene und Janne, einer Inselbewohnerin mit einem geheimnisvollen Hintergrund, ist dann der Ausgangspunkt für eine Liebesgeschichte, die zugleich von Geheimnissen und düsteren Ereignissen durchzogen ist. Höller gelingt es, die Spannung zu steigern, indem für Marlene zunächst undurchschaubare Dinge auf der Insel passieren und sie zugleich Verliebtheit und Nähe mit Janne ganz neu entdecken kann.

Besonders gefallen hat mir Höllers melancholischer und poetischer Schreibstil, der mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen hat. Sie entfaltet in ihrem Roman eine glaubwürdige Kulisse, in der Tradition und Moderne aufeinandertreffen - ich empfehle unbedingt, die Geschichte der Insel Strand im Verlauf des Romans einmal nachzuschlagen, ohne hier zu viel verraten zu wollen. Das emotional mitreißende Ende machte den Roman für mich schließlich zu dem, was Kafka als „Axt […] für das gefrorene Meer in uns“ bezeichnet hat. Große Empfehlung!

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Veröffentlicht am 26.02.2024

Genialer Roman

Yellowface
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"Yellowface" ist ein Roman, der nicht nur wahnsinnig fesselnd und sowohl gut geschrieben als auch passend übersetzt ist, sondern auch auf intelligente Weise mit aktuellen Diskursen spielt. Der Sog dieses ...

"Yellowface" ist ein Roman, der nicht nur wahnsinnig fesselnd und sowohl gut geschrieben als auch passend übersetzt ist, sondern auch auf intelligente Weise mit aktuellen Diskursen spielt. Der Sog dieses Romans hat mich wie so viele andere Leser:innen nach wenigen Seiten erfasst. Alles beginnt damit, dass June Hayward das Manuskript der plötzlich verstorbenen Athena Liu stiehlt und die Geschichte des chinesischen Arbeiterkorps unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht. Und schon beginnt sich die Empörungsspirale des Internets über kulturelle Aneignung und geistigen Diebstahl zu drehen - wird man June aber tatsächlich auf die Schliche kommen?

Besonders beeindruckend ist, wie der Roman subtil mit verschiedenen gesellschaftlichen Diskursen jongliert. Da wird sich mal ganz nebenbei darüber lustig gemacht, wie eine alte weiße Autorin sich rühmt, in ihrer Romantasy subalterne Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Spivaks „Can the subaltern speak?“ also völlig verdreht. Auch die Beschreibung der linken Studentin, die natürlich auch noch einen BDS-Pin angesteckt hat, war treffend übertrieben - um dann als Leserin mit Junes Kommentar „Ich meine, wir sind hier alle Liberale. Aber mal ehrlich“ die eigenen Vorurteile vorgeführt zu bekommen. Herrlich!

Ein weiterer Aspekt, der den Roman so lesenswert macht, ist die Entwicklung der Protagonistin June im Strudel von öffentlicher Empörung und digitalem Pranger auf social media. Zwar erscheinen ihre Ansichten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Diebstahl des fremden Manuskripts, als moralisch verwerflich. Doch im Verlauf des Romans werden auch ihre Gedanken und Überlegungen, insbesondere die Frage nach der Möglichkeit, in der Literatur andere Perspektiven einzunehmen und Empathie zu zeigen, als durchaus bedenkenswert dargestellt. Gleichzeitig wird dann aber immer wieder deutlich, wie wenig June in der Lage ist, ihre Privilegien zu reflektieren.

Insgesamt ist "Yellowface" ein Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Die gelungene Verknüpfung von spannender Handlung, intelligenten Diskursen und ambivalenten Charakteren macht diesen Roman zu einem echten Highlight.

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