Hunger Games trifft Spartacus
Nevernight - Das SpielWie bereits im ersten Band, so sticht auch in der Fortsetzung der besondere Schreibstil hervor, der einerseits die Gegenwart beschreibt, aber auch auf Ereignisse in der Vergangenheit eingeht. So erleben ...
Wie bereits im ersten Band, so sticht auch in der Fortsetzung der besondere Schreibstil hervor, der einerseits die Gegenwart beschreibt, aber auch auf Ereignisse in der Vergangenheit eingeht. So erleben wir Mia als Auftragsmörderin der Roten Kirche, aber auch als Gladiatii in der Staffel ihrer Domina. Denn Mias Plan, Duomo und Scaeva zu töten sieht vor, ihnen beim Venatus Magni – den Großen Spielen – als Siegerin gegenüberzustehen und sie dort zu töten. Doch anstatt von Leonides gekauft zu werden, den alle für den Favoriten halten, wird Mia von dessen Tochter Leona erworben, die ihrem Vater mit einer eigenen Siegerstaffel Konkurrenz machen möchte. Die Chancen stehen damit schlecht für die rachedürstige Assassine, denn Leona hat noch nicht annähernd genug Siegeskränze gewonnen, um sich für das Venatus Magnis zu qualifizieren. Mia und ihre Gladiatii Genossen müssen nun erst einmal andere Kämpfe gewinnen und überleben, um ihr Haus zu den Spielen zu bringen.
„Sanguii e Gloria! – Blut und Ruhm“ S. 139
Nachdem das Setting im ersten Band ein bisschen an einen Schulalltag denken lässt, so kommen einem im zweiten Band eher Eindrücke á la Hunger Games und Spartacus in den Sinn. Mias Ausbildung in Leonas Staffel gleicht in keinster Weise der feinen und leisen Art zu töten, die ihr in der Roten Kirche beigebracht wurde. Auf dem Sand gibt es keine Tricks und keine Fallen, sondern nur Blut und Ruhm. Es geht um die Unterhaltung der Zuschauer und dafür sollen die Krieger auf spektakuläre Weise fallen. Die Arenen werden dafür mit einer besonderen Technik ausgestattet, die sehr an die Hungerspiele erinnert und den Sand zu phantasievollen Kampfplätzen umgestaltet.
Die Kämpfe und Arenen haben mir sehr gut gefallen und waren richtig kreativ. Es war spannend und pulshochtreibend und ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich beim Lesen die Luft anhielt.
Mia muss sich aber nicht nur auf dem Sand beweisen, sondern auch ihre neuen Ausbilder von sich überzeugen. Zudem hat sie es dieses Mal nicht mit Akolythen zu tun, sondern mit ausgebildeten Gladiatoren. Sie leben zusammen, essen zusammen und kämpfen zusammen. Mia betrachtet die Gruppe bald als Freunde und hadert mit ihren Racheplänen. Das ist auch einer der Grundkonflikte des Buches, denn Mia stellt sich immer öfter die Frage, wie weit sie bereit ist, für ihre Rache zu gehen. Ein weiterer Konflikt ist Ashlinn Järnheim, die Akolythin, die die Rote Kirche verraten und Tric getötet hat. Ich habe anfangs sehr mit mir gekämpft, weil ich Ash den Mord an Tric nicht verzeihen kann und ihr deshalb den Auftritt im Buch nicht gönnte. Meinetwegen konnte das Mädchen in der Hölle schmoren… Aber nach und nach – während sie mit Mia zusammenarbeitete – lernte ich, darüber hinwegzusehen und ich muss zugeben, dass sie gut in die Handlung passt. [Ich hasse sie aber trotzdem und verzeihe ihr nie!]
„Als Bibliothekar hat man das Problem, dass es ein paar Lektionen gibt, die man nicht aus Büchern lernen kann. Und als Assassine hat man das Problem, dass es ein paar Geheimnisse gibt, die man nicht lösen kann, indem man wild auf sie einsticht.“ S. 124
Charakterlich hat sich Mia sehr entwickelt. Sie wirkt noch kälter und härter als im ersten Teil, noch furchtloser, jetzt, da zwei Begleiter in ihrem Schatten leben, die sich von ihrer Angst ernähren.
Mias Zwiespalt mit ihrer Rache macht sie zu einem äußerst facettenreichen Charakter. Einerseits wird sie vom Erzähler als eiskalte Mörderin beschrieben, was auch passt, denn wenn es um ihre Rache geht, kennt Mia keine Gnade. Die treibt sie an und mit dieser rechtfertigt sie alle (Fehl-) Entscheidungen. Gleichzeitig verspürt sie jedoch Mitleid, Empathie und Zuneigung. Sie fühlt sich mit den anderen Gladiatoren verbunden, missbilligt die Sklaverei und zögert bei dem Gedanken, Unschuldige zu töten. Letzteres war ja auch der Grund, warum sie die Abschlussprüfung der Roten Kirche nicht bestanden hat. Mias moralische Grundhaltung ist somit schwierig einzuschätzen und Jay Kristoff schafft es immer wieder, dass der Leser an ihr zweifelt.
Ein Highlight für mich waren die Schattenbegleiter. Nach dem Tod von Lord Cassius hat sich Eclipse an Mia gebunden, was dem eigensinnigen Herrn Freundlich natürlich überhaupt nicht passt. Die beiden Schattenwesen sind wahrlich wie Hund (naja Wolf) und Katz. Sie streiten sich die ganze Zeit und haben kein nettes Wort füreinander übrig. Ich fand die beiden zum Schreien komisch und konnte oft nur noch die Augen verdrehen, weil sie sich wie Kinder angegangen sind.
Was mich etwas gestört hat, war der bereits erwähnte Erzählstil bzw. der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Wo dieser für mich im ersten Band noch Sinn ergab und Mias Kindheitstrauma aufarbeitete, so sehe ich in der Fortsetzung keinen triftigen Grund, warum die Handlung nicht chronologisch erzählt wurde. Ich hatte ständig das Gefühl, aus den Szenen gerissen zu werden, was meiner Meinung nach nicht nötig war, da die Ereignisse höchsten ein paar Monate umfassen. Doch trotz dieses kleinen Mankos überzeugt der Spannungsbogen des Buches, der mit den letzten Seiten noch einmal richtig an Fahrt aufgenommen hat.
„Die Angst ist ein Feigling.“ S 171
FAZIT
Nevernight: Das Spiel versucht einerseits die Handlung aus dem ersten Band aufzugreifen, fügt mit den Gladiatorenkämpfen aber auch einen völlig neuen Handlungsstrang dazu. Mia ist nun keine stille Assassine mehr, sondern kämpft in lauten Arenen um Blut und Ruhm. Ihre Rache treibt sie weiterhin an, doch es wird immer deutlicher, dass sie ein Gewissen besitzt – mag sie es auch noch so sehr leugnen. Der Schreibstil ist gewohnt ironisch und anspruchsvoll, was mir dieses Mal besser gefallen hat als noch im ersten Teil. Wahrscheinlich habe ich mich inzwischen daran gewöhnt. Für mich ist das Buch definitiv ein Lieblingsbuch und übertrifft seinen Vorgänger!