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Veröffentlicht am 02.02.2024

Die ungenutzte Macht der Worte

Babel
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“Babel” stammt aus der Feder von Rebecca F. Kuang. Ich habe es als Hörbuch, gesprochen von Moritz Pliquet, auf audible gehört. Beworben wird das Werk als epische Fantasy, verglichen mit Harry Potter, gelobt ...

“Babel” stammt aus der Feder von Rebecca F. Kuang. Ich habe es als Hörbuch, gesprochen von Moritz Pliquet, auf audible gehört. Beworben wird das Werk als epische Fantasy, verglichen mit Harry Potter, gelobt für seine vielfältige und scharfe Gesellschafts- und Kolonialismuskritik, ausgezeichnet mit diversen renommierten Preisen. Die Erwartungen waren hoch. Die eigene Leseerfahrung fiel zwiegespalten und etwas ernüchternd aus.

Die Geschichte spielt in den 1830er Jahren, grösstenteils in England, speziell in Oxford. In Kuangs Version der Geschichte existiert aber das Silberwerken - eine Form von Magie, die mit einer Kombination von Sprache und Silber funktioniert. Erzählt wird die Geschichte von Robin Swift, einem Jungen aus Kanton, der seine Familie an die Cholera verloren hat und von einem englischen Professor nach England eingeladen wird. Dort erhält er die nötige Bildung, um anschliessend in oxfordschen Babel, dem Sprachinstitut der Krone des Empires, seine Ausbildung anzutreten. Als Ausländer und somit chinesischer Muttersprachler ist er, genau wie seine Jahrgangsfreunde, sowohl besonders wertvoll, als auch eine Kuriosität im Herzen der Kolonialmacht. Und schon bald gerät Robin in den Irrgarten sich widerstreitender Loyalitäten und Moralvorstellungen.

Eingehen möchte ich hier zuerst auf den Fantasy Aspekt - denn schon hier fangen meine gemischten Gefühle an. Einerseits hat Kuang es hier meiner Meinung nach geschafft, ein beeindruckendes Setting zu erschaffen. Geschickt verwebt sie echte Geschichte mit Fiktion und die Magie in Form des Silberwerkens fügt sich nahtlos und organisch in die wahren Begebenheiten ein. Dadurch schafft sie eine prägnante Ausgangslage, welche die tatsächlichen Wirkmechanismen des Kolonialismus und das Machtmonopol des Empires noch prägnanter hervortreten lassen. Dieses Magiesystem ist ausserdem nicht nur für Sprachinteressierte äusserst spannend - es bietet sehr viel kreatives Potenzial für die Handlung und die ProtagonistInnen. Theoretisch jedenfalls. Denn so stimmig und ausführlich die magische Theorie für das Setting ist, bleibt es für Handlung und Charaktere weitgehend ungenutzt. Die Anwendung dieser Magie bleibt in der Geschichte Randerscheinung und schöpft kaum aus den kreativen Möglichkeiten.

Persönlich brauche ich nicht immer schnelle, actionreiche Einstiege oder einen rasanten Plot. Babels gemächlicher Einstieg in die Geschichte war für mich aufgrund der gefühlvollen Einführung in das spannende Setting und die interessanten Thematiken durchaus fesselnd genug. Sprachlich und stilistisch äusserst ansprechend führt Kuang durch den Sumpf von offenem und verdecktem Rassismus und Sexismus, von impliziter und expliziter Gewalt und der Bigotterie kolonialer, weisser Machtstrukturen. Unterstützt und gewürzt wird dieses ausdrucksstark gezeichnete Bild von geschickt platzierten Exkursen in die Linguistik und Translationstheorie.

Und wieder folgt dieselbe Kehrseite der Medaille: So detailreich und kunstvoll das Setting, der Rahmen, ausgearbeitet wurde, so sehr werden Handlung und Charaktere vernachlässigt. Die Nebenfiguren erhalten wenig mehr als eine Charaktereigenschaft - diese erhält zwar mehrere Facetten - die teilweise oder in Ansätzen beleuchtet werden - wirkt aber auch extrem, sogar verbohrt. Sie scheinen ausserdem vor allem dazu zu dienen, pointiert die Ansichten der Autorin zu transportieren. Und bleiben daher für mich eher leblos. Der Protagonist Robin wurde mir im Verlauf ausserdem immer unsympathischer - denn er ist vor allem ein Fähnlein im Winde, der bis zum Schluss der eigenen reflektierten Meinungsbildung unfähig bleibt. Seine Motive wurden für mich stetig schwächer, intellektuell unausgegorener und moralisch wie philosophisch äusserst fragwürdig. Im Allgemeinen scheinen mir die meisten Akteure einigermassen einfältig und etwas karikiert - auf allen Seiten.

Die Handlung dümpelt so vor sich hin, trumpft zwar hier und da mit kleineren Plot Twists und Überraschungen, lässt aber einen übergeordneten Spannungsbogen und damit eine fesselnde dramaturgische Struktur vermissen. Der auktoriale Erzählstil nimmt ausserdem schon sehr früh die Spannung für einen der grösseren Twists und Chekhovs Gun wird mehr als einmal zuverlässig und erwartungsgemäss abgefeuert. Die Handlung wird dann gegen Ende immer dramatischer und vor allem brutaler. Einerseits mag dies den Erfordernissen der Geschichte entsprechen, welche die Autorin erzählen will. Einige Ereignisse erschienen mir aber auch wie absichtlich eingesetzte Schockelemente und wirken auf mich etwas platt.

Und dann gibt es da noch die Eigenart von Kuang, mir als Leserin mit dem mahnenden Zeigefinger vor der Nase herumzufuchteln und mit ausufernder Ausführlichkeit meine Gedankengänge vorzuschreiben. Es wäre nämlich falsch zu sagen, dass “Babel” Fragen aufwirft. Das tut es nicht. Es beantwortet Fragen und lässt keinen Raum für Alternativen oder Kontroversen. Die schwarz-weiss Darstellung von Sachverhalten, Wirkmechanismen und Charakteren nimmt zum Schluss des Buches hin stetig weiter zu, wird dogmatisch und driftet sogar bis ins Klischee ab. Gipfeln tut das Ganze dann im Beweis der These “the necessity of violence” - dem englischen Untertitel - die für mich moralisch, gesellschaftstheoretisch und (staats)philosophisch fragwürdig und historisch nicht zwingend ist - wie das Beispiel von Indiens gewaltlosem Unabhängigkeitskampf unter geistiger Führung von Mahatma Gandhi eindrücklich beweist.

Kuang beweist mit Babel ihre Qualitäten als Theoretikerin und Wissenschaftlerin, indem sie ein überzeugendes und wirkungsvolles Setting schafft und ihre Thesen argumentativ stichhaltig und sprachlich attraktiv darlegt. Mit der Dramaturgie, der Message und dem lehrmeisterhaften schwarz-weiss Zeichnen konnte mich Babel aber als literarisches Werk nicht wirklich begeistern. Viel mehr hatte ich den Eindruck, einen wirklich sehr langen und auf Dauer etwas ermüdenden Essay zu lesen.

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Veröffentlicht am 25.01.2024

Gütesiegel Sanderson

Sturmklänge
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“Sturmklänge” von Brandon Sanderson spielt in seinem Cosmere Universe, ist aber ein Einzelband und steht ansonsten nicht im engeren Sinne mit den Sturmlichtchroniken im Zusammenhang. Weshalb der Originaltitel ...

“Sturmklänge” von Brandon Sanderson spielt in seinem Cosmere Universe, ist aber ein Einzelband und steht ansonsten nicht im engeren Sinne mit den Sturmlichtchroniken im Zusammenhang. Weshalb der Originaltitel “Warbreaker” so schlecht übersetzt wurde, kann ich nur raten (Marketing?). Denn der deutsche Titel hat so gar nichts mit dem Inhalt zu tun.

Seit den Vielkriegen regieren in T’Telir, der Hauptstadt des Königreichs Hallandren, die Zurückgekehrten. Sie werden von ihrem Volk als Götter verehrt, allen voran der Gottkönig. Im Gegensatz zum dekadenten und farbenfrohen Hallandren steht Idris - das Königreich im Hochland, in das sich die einstige Herrscherfamilie in Bescheidenheit und im Glauben an den unsichtbaren Gott Austre zurückgezogen hat. Um einen erneuten Krieg zu verhindern, schickt Idris die völlig stürmische und völlig ungeeignete Siri als Braut an den hallandrenischen Hof. Was auf mehr als nur einer Ebene Staub aufwirbelt. Vivenna, die übergangene Prinzessin, dagegen macht sich auf, um ihre kleine Schwester und ihr Volk zu retten. Aber Schein und Sein vermischen sich in dieser Stadt der Intrigen zu einem gefährlichen Irrgarten für die Moral und die eigene Weltsicht.

Die Geschichte ereignet sich durch vier Charakterperspektiven: Die des Gottes Lichtsang, der nicht an seine eigene Religion glaubt; die Vaschers, eines undurchsichtigen aber machtvollen Kauzes mit einem Plan; die Siris, einer unwichtigen Prinzessin, die plötzlich im Rampenlicht steht; und die Vivennas, einer perfekten Prinzessin, die noch viel zu lernen hat. Alle vier Hauptfiguren überzeugen durch ihre Vielschichtigkeit und Tiefe, durch ihre Motive, ihre Fehler, ihre Lernfähigkeit und ihre Charakterentwicklung. Sie alle führen den Leser:innen vor Augen, dass Menschen eben oft Produkte ihrer Geschichte und Erziehung sind, Vorurteile haben, Fehlannahmen treffen - und die Dinge nach ihrem besten Wissen und Gewissen angehen. Und hinterher muss man eben aufräumen. Wenn es dann nicht zu spät ist. Begleitet werden diese vier Hauptcharaktere von einem ganzen Haufen origineller und komplexer Nebenfiguren - von selbstironischen Söldnern bis zu einem engelsgeduldigen Priester.

Man - oder jedenfalls ich - kann nicht über Sanderson sprechen, ohne den Ausdruck “atemberaubender Weltenbau” in den Mund zu nehmen. Hier ist das schon fast wörtlich gemeint, denn Sanderson hat hier ein originelles Magiesystem entworfen, das auf “Hauch” basiert. Und kombiniert dieses unerwartet mit Farben. (Keine Stürme, keine Klänge - wo kommt nur dieser Titel her?!). Wie gewohnt wird diese Magie in ein politisch, kulturell und historisch durchdachtes Setting eingefügt und verschmilzt damit zu einer organischen Kulisse. Diese Welt scheint förmlich zu leben und gelangt zu den Leser:innen auf eine zwar ausführliche, aber vom Plot getragene Weise. Kein Infodump weit und breit!

Jetzt ist die Bühne bereit für den Plot! “Sturmklänge” lebt durch Charaktere und Charakterentwicklung, durch Intrigen und Machtpolitik, durch Versuch und Irrtum. Action und Kampfhandlungen sind sehr spärlich gesät (meiner Meinung nach sowieso nicht Sanderson Stärke), dafür lädt die Handlung zum Miträtseln ein und überrumpelt mit einer Vielzahl wirklich (!) unerwarteter und raffinierter Plottwists und Kehrtwenden, die alle Annahmen immer wieder über den Haufen werfen. Ich war mir bis ganz zum Schluss nicht sicher, wie die Sache ausgehen würde.

“Sturmklänge” - obwohl über 700 Seiten stark - war für mich ein äusserst kurzweiliges Leseerlebnis, das mich durch eine überzeugende Kombination aus Setting, Charakteren und Plot durchgehend in seinem Bann gehalten hat. Die Geschichte lädt, trotzdem es ein Einzelband ist, zum tiefen Abtauchen in eine fremde Welt und in fremde Gedanken ein.

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Veröffentlicht am 19.01.2024

Wenig Kosmos, viel Wissenschaft - und eine gute Portion Amerika

Im Spiegel des Kosmos
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“Im Spiegel des Kosmos” ist das neuste Werk des Astrophysikers Neil deGrasse Tyson. “So tiefsinnig, verständlich und witzig wurde Kosmologie seit Stephen Hawking nicht mehr erzählt”, wirbt der Klappentext. ...

“Im Spiegel des Kosmos” ist das neuste Werk des Astrophysikers Neil deGrasse Tyson. “So tiefsinnig, verständlich und witzig wurde Kosmologie seit Stephen Hawking nicht mehr erzählt”, wirbt der Klappentext. Und es wird eine kosmische Perspektive auf die Probleme der Menschheit versprochen; dass deGrasse Tyson dadurch gelungen sei, Lösungen für globale Konflikte zu finden und brillante Lösungen abzuleiten. Und entsprechend hoch waren meine Erwartungen und meine Vorfreude. Entsprechend gross auch die Enttäuschung.

Ja, der Kosmos bekommt seine Auftritte. Vor allem am Anfang. Da darf er - und alles was er beinhaltet und wir von unserer Erde aus sehen - als Beispiel für das Wahre und Schöne herhalten. DeGrasse Tyson beschreibt auch wie es war, als die Menschen sich das erste Mal von der Erde losgelöst haben und dem Kosmos entgegen gestrebt sind, erzählt von den Kosmonauten, den ersten Reisen zum Mond, den Bildern, welche von Sonden zur Erde geschickt wurden. Und was diese Bilder und Errungenschaften in der Welt und in den Köpfen der Menschen ausgelöst haben. Oder ausgelöst haben könnten. Von der Technologie, die zum Wohle der Menschheit durch diese Aktionen abgefallen ist. Und von Aliens und wie er sich vorstellt, dass sie unsere Erde, uns Menschen und unser Verhalten beurteilen würden, kämen sie auf Besuch.

Was ich damit sagen möchte: In diesem Buch geht es nicht in erster Linie um eine kosmische Perspektive. Sie ist höchstens Hintergrundmusik und wird hin und wieder in Form eines Alienblicks herangezogen, um gewisse Punkte zu unterstreichen. Möglicherweise auch in dem Bemühen, Witz und Satire in die Sache zu bringen. Grundsätzlich aber scheint das Ziel des Buches zu sein, den Leser:innen eine wissenschaftliche Perspektive auf die Welt und die grossen Debatten der Menschheit zu eröffnen. Eine noble Absicht, die auch bitter nötig ist! Es gelingt dem Autor schliesslich auch, die grundlegenden wissenschaftlichen Vorgehensweisen faktenbasierter Analyse zu vermitteln und auf einige Brennpunkte anzuwenden. Angefüllt ist das Buch aber vor allem mit Beispielen und Anekdoten, bei deren Wahl es deGrasse Tyson erstaunlich wenig gelingt, über den amerikanischen Tellerrand hinauszublicken. Diese scheinbar willkürlich gewählten Geschichten und Schlaglichter sind teilweise erhellend, teilweise aber auch gefühlt ohne Richtung und Ziel. Und ich musste mehr als einmal nachschauen, wie denn die Kapitelüberschrift hiess, also um was es hier eigentlich gehen soll.

“Im Spiegel des Kosmos” war für mich einigermassen interessant zu lesen, obwohl ich den Humor des Autors nur sehr begrenzt teilen kann. Das Werk mit Hawking oder den Inhalt gar mit Galileo zu vergleichen, finde ich aber eine ziemliche Anmassung.

Besten Dank an den Verlag Klett-Cotta und das Team von Vorablesen für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 18.01.2024

Ein glücklicherweise kurzer Schrecken

Wir waren frei
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Wir waren frei” von Keah Rieger erzählt die Geschichte von Vinnie Chesterfield. Das sechzehnjährige Mädchen lebt auf Lex - einem künstlichen Kontinenten, der zwischen Südamerika und Neuseeland gepflanzt ...

Wir waren frei” von Keah Rieger erzählt die Geschichte von Vinnie Chesterfield. Das sechzehnjährige Mädchen lebt auf Lex - einem künstlichen Kontinenten, der zwischen Südamerika und Neuseeland gepflanzt wurde, als die Welt am Rande des Abgrunds stand. Dort sollten die wenigen Glücklichen Zuflucht finden vor Krieg und Klimawandel und vor grundsätzlich allem Bösen der alten Welt. Unter ihnen war der achtzehnjährige Paul, der in den Wirren der Zeit seine wirren Gedanken in einem Tagebuch festgehalten hat. Vinnie hingegen lebt 71 Jahre später und Lex ist inzwischen zu einem überfürsorglichen Staat geworden, der für seine Bürger alle Entscheidungen trifft. Und niemals falsch liegt. Auch die Partnerwahl legt Vinnie vertrauensvoll in dessen Hände. Bis sie ihren zukünftigen Ehemann trifft - und der so gar nicht dem entspricht, was sie sich immer erträumt und erhofft hat. Und als sie dann auch noch Pauls Tagebuch in die Finger bekommt, beschliesst Vinnie zu rebellieren.

Wo soll ich nur anfangen…?

Das Setting ist grundsätzlich nicht uninteressant. Ein künstlicher Kontinent als Rettungsschiff der Menschheit - lassen wir mal all die globalen klimatischen, politischen und logistischen Hürden, Konsequenzen etc ausser acht. Weil Jugendroman. Tun wir halt mal so, als ob…

Obwohl Paul zu Beginn von den “futuristischen” Strukturen schwärmt, ist in Vinnies Alltag davon wenig zu sehen. Ok, es gibt eine Magnetbahn. Ansonsten verlässt sich Lex aber auf den altmodischen Ackerbau, tätowierte Strichcodes, die zur Anwesenheitskontrolle gescannt werden (was ist aus den guten alten implantierten Chips geworden?), Erdöl als Energielieferant und überwacht seine Bürger mit einer Flut verpixelter Drohnenbilder. Weil Plot, weil Jugendbuch…?

Gesellschaftspolitisch lebt Lex nach dem Motto “Back to the 50s!” - Männer gehen arbeiten, Frauen gehören an den Herd. Und ausserdem gehören Letztere quasi Ersteren. Wie ein solches System sich aus einem Haufen Intellektueller der 30er Jahre des 21. Jahrhunderts entwickeln konnte, bleibt der Roman leider schlüssig zu erklären schuldig.

Zu Beginn der Geschichte ist Vinnie ein Kind ihrer Umstände und Erziehung - absolut staatshörig, folgsam und ihr ganzes Leben dreht sich um Hausarbeit und den Tag ihrer Hochzeit. Das macht sie glücklich. Als sie dem Auserwählten dann begegnet, bricht ihre Welt zusammen. Verständlich - ekelerregender hätte er nicht sein können. Vinnie geht sofort in Widerstand - auf ganzer Linie, mit aller Härte. Und verwendet dabei eloquent Konzepte wie Freiheit, Totalitärer Staat und Propaganda, als kenne sie diese schon ihr ganzes Leben. Wie Schuppen von den Augen fällt ihr, wie schrecklich das System ist, das sie zuvor noch nie in Frage gestellt hat. Und ich wünschte, ich könnte sagen, dass das Tagebuch sie dazu inspiriert. Dieser Eindruck entsteht allerdings nicht, da fast keine gedankliche Auseinandersetzung damit stattfindet und oft nicht einmal Parallelen zum Gelesenen bestehen. Ausserdem ist Paul über weite Strecken eher ein Systemmitläufer mit wenig Durchblick und noch weniger politischer Awareness und zugehörigem Vokabular.

Grundsätzlich passiert eher wenig und es gibt neben Vinnies Gedanken und verbalen Aufbegehren kaum Handlung. Bis sie sich dazu entschliesst, einen wirklich dummen Plan zu verfolgen, der jeglicher Logik entbehrt und noch dazu total unnötig ist. Das Ende ist nicht nur verstörend, sondern auch bar jeglicher thematischer Message. Es wirkt auf mich, als wären der Autorin hier einfach die Ideen ausgegangen.

“Wir waren frei” hat mich mit dem versprochenen Thema geködert: Freiheit vs Sicherheit. Wieviel Freiheit sind wir für unsere Sicherheit zu opfern bereit? Wieviel Sicherheit sind wir bereit für unsere Freiheit aufzugeben? Allerdings haben sich Setting, Figuren und Plot als äusserst fadenscheinig und unausgegoren entpuppt. Und ich konnte dem Buch auch thematisch nichts abgewinnen. Dazu waren all die jugendlichen Gedanken zu wirr und ziellos, die Charakterentwicklung zu willkürlich und haltlos. Das Beste, was ich über das Buch sagen kann: Es war immerhin kurz.

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Veröffentlicht am 17.01.2024

Magisch witzig

Spellbound - Lieber verhext als verstorben
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“Lieber verhext als verstorben” ist der fünfte Band von “Spellbound - Mord, Magie und fauler Zauber” - einer Cosy Crime Fantasyreihe von Annabel Chase, übersetzt von Ulrike Gerstner. Ich hatte im Vorfeld ...

“Lieber verhext als verstorben” ist der fünfte Band von “Spellbound - Mord, Magie und fauler Zauber” - einer Cosy Crime Fantasyreihe von Annabel Chase, übersetzt von Ulrike Gerstner. Ich hatte im Vorfeld den ersten Band gelesen, bevor ich diesen fünften im Rahmen einer Leserunde als Rezensionsexemplar erhalten habe. Besten Dank an den Verlag beTRHILLED und das Team von Lesejury!

Spellbound, das ist eine magische Kleinstadt in den USA. Und sie ist verflucht: Keine:r ihrer Bewohner:innen kann sie verlassen. Auch die Protagonistin Emma Hart nicht, die im ersten Band unwissentlich die Fluchgrenze überschritten hat, nur um dann herauszufinden, dass sie eine Hexe ist. In diesem fünften Band wird gleich klar: Emma hat ihren Platz in der Gemeinde erfolgreich gefunden. Als Pflichtverteidigerin trifft sie auch diesmal wieder einen kuriosen Fall, dem sie genau so auf den Grund geht, wie dem Mord, der sich ereignet. Ausserdem verfügt Emma über ein diverses Sozialleben - von ihren Freundinnen aus der Hexennachhilfeklasse, ihrem schwulen Vampirgeistmitbewohner, der Walkürensheriffin, über Gorgonen bis zu Harpyennachbarinnen ist alles dabei. Und ständig kommen mehr dazu. Nur mit der Liebe läufts nicht rund. Denn obwohl es an attraktiven Interessenten nicht fehlt, schlägt ihr Herz dummerweise für Daniel. Der gefallene Engel hat sich aber unerwartet mit seiner Ex verlobt. Kein Wunder, dass Emma eine Therapie braucht!

Ein Verteidigungsfall, ein Mord, Hexennachilfeunterricht, Therapie, ein ausuferndes Sozialleben und eine Liebesgeschichte - das klingt nach viel. Und das ist es für die gerade mal 175 Seitchen des ebooks auch. Da kommen gewisse Zusammenhänge und Auflösungen schon teilweise etwas plötzlich daher. Und im Angesicht der Tatsache, wie wichtig Emmas Rolle in der Gemeinde inzwischen ist, fragt man sich schon, wie Spellbound bisher ohne sie klar gekommen ist.
Das tut dem Spass aber keinen wirklichen Abbruch. Denn es ist einfach sehr unterhaltsam, Emma mit ihrem trockenen Humor durch den magischen, ulkigen und zuweilen etwas absurden Alltag zu folgen. Ich habe ausserdem die Figuren und die humorvollen Schlagabtausche sehr genossen - sie sind sowohl individuell als auch im Zusammenspiel liebenswert und schrullig, einfach stimmig. Besonders gelungen finde ich, wie zwar einerseits Klischees bedient werden, dann aber wieder Eigenkreationen und Abwandlungen für Abwechslung und Überraschung sorgen. Trotz der für Emma persönlich dramatischen Ereignisse, ist die Lektüre für Leser:innen voller Leichtigkeit und Witz, voll skurriler Wesen und Persönlichkeiten, die man schnell ins Herz schliesst. Und Emma ist - obwohl ihre Selbstwahrnehmung manchmal doch etwas merkwürdig anmutend von ihrem Verhalten abweicht - eine liebenswerte und starke Protagonistin, mit der es sich leicht mitfiebern lässt.

“Spellbound - Lieber verhext als verstorben” hält, was es verspricht: Es ist in erster Linie cosy und es gibt etwas Crime. Ich fühle mich in diesem magischen Setting inmitten dieser Diversität an originellen magischen Kreaturen sehr wohl - und freue mich darauf, im nächsten Band nach Spellbound und zu Emma zurückzukehren.

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