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Veröffentlicht am 11.04.2020

Über Verborgenes und Erinnertes

Vom Schlafen und Verschwinden
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Eine Frau, deren Leben mit drei Städten verwoben ist: Dublin, Grund und Hamburg. Ellen ist von Beruf Somnologin, arbeitet in einem Schlaflabor und schreibt an einer Kulturgeschichte des Schlafes.

Katharina ...

Eine Frau, deren Leben mit drei Städten verwoben ist: Dublin, Grund und Hamburg. Ellen ist von Beruf Somnologin, arbeitet in einem Schlaflabor und schreibt an einer Kulturgeschichte des Schlafes.

Katharina Hagenas Roman Vom Schlafen und Verschwinden gibt gefühlvoll Einblick in das Leben von drei Generationen: Heidrun, die im Koma liegend verhungert, während ihre Tochter Ellen immer schlechter schläft und ihre Enkelin Orla lieber nachts unterwegs ist, als zu schlafen. Doch nicht nur der Schlaf verwebt die Geschichten der Charaktere im Roman miteinander: Auch das Verschwinden zieht sich durch ihre Leben.

Während Ellen mit Orla schwanger ist, verschwindet ihr Freund Lutz. Auch die Stimme ihres besten Freundes aus Kindertagen verschwindet, und Benno, der an seiner Doktorarbeit schreibt, sucht nach Spuren eines Soldaten namens Hugo Schwindt.

Während der Roman seltsam schlaftrunken und konturlos beginnt, Figuren und Handlung eher schemenhaft als klar umrissen sind, entfaltet sich die Geschichte, nimmt feste Züge an und bietet am Ende Antworten auf vieles zunächst bewusst im Unklaren gehaltenes.

Katharina Hagena gelingt es auf fast 300 Seiten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Figuren miteinander zu verstricken. Auch die Erzählperspektive wechselt: So wird der Lesen zum einen mit den Gedanken und Erinnerungen von Ellen vertraut, zum anderen durch Einträge in ein Chorbuch mit Marthe, der Mutter von Lutz, dessen Verschwinden sie auch nach Jahren nicht loslässt und sichtbare Spuren auf ihr hinterlassen hat.

Die Atmosphäre des Romans ist sehr dicht. Die Figuren verbergen spürbar Geheimnisse, voreinander und vor dem Leser. Angereichert mit unterschiedlichen Wissenshäppchen über das Schlafen: von den Philosophen der Antike bis hin zu den Annahmen der modernen Wissenschaft.

Katharinas Hagenas Roman Vom Schlafen und Verschwinden ist leise. Die darin erzählte Geschichte drängt sich nicht auf, sondern will nach und nach freigelegt werden. Eingebettet in Besonderheiten des Alltäglichen und Gewöhnlichen.

Vom Schlafen und Verschwinden empfiehlt sich für all jene Leser, die gerne in Familiengeschichten stöbern, die sich durch die Verflechtung von Personen, Generationen und Orten spinnen und in klarer, doch poetischer Sprache erzählt werden.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Von Menschen und Narren

Tyll
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Geschichten über Till Eulenspiegel kennt man bereits seit dem 14. und 15. Jahrhundert. Mal Dil oder Dyl genannt, mal Ulenspegel oder Ulenspiegel, war nicht nur sein Name über die Zeit allerlei Veränderungen ...

Geschichten über Till Eulenspiegel kennt man bereits seit dem 14. und 15. Jahrhundert. Mal Dil oder Dyl genannt, mal Ulenspegel oder Ulenspiegel, war nicht nur sein Name über die Zeit allerlei Veränderungen unterworfen.

Was um 1510 literarisch unter dem Titel Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel begann, greift Daniel Kehlmann über ein halbes Jahrtausend später in seinem Roman Tyll wieder auf. Doch während das erste Kapitel „Schuhe“ thematisch noch an sein historisches Vorbild erinnert, zeugen die weiteren Kapiteln weniger von den Streichen und Scherzen des Gauklers, als von den Geschehnissen um den Dreißigjährigen Krieg und seine Zeit.

Denn der Narr Tyll Ulenspiegel, wie er bei Kehlmann heißt, kann Einblicke in jede Gesellschaftsschicht bieten. Tyll wächst als Sohn eines Müllers auf, der seiner Zeit entrückt scheint. Statt sich mit seiner Arbeit als Müller zu beschäftigen, studiert er lieber die Rätsel der Sonne und des Mondes.

Doch Claus Ulenspiegels Wissensdrang geht weit über solche Fragen hinaus und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Inquisition in Gestalt von Tesimond und Kircher auf ihn aufmerksam wird.

Jahre später macht der Narr Tyll Ulenspiegel Bekanntschaft mit dem Winterkönig, seiner Frau Liz und Gustav Adolf. Es ist nicht die Inquisition, die diese Heimsucht, sondern die Pest und die Schattenseiten des Krieges.

Doch so vielseitig die Einblicke auch sind, die der Narr dem Leser gewährt, so unzuverlässig ist Kehlmanns Erzählstil, die Wirklichkeit zeigt sich selten eindeutig. Zum einen ist die Welt Claus Ulenspiegels im Wissen und Glauben ihrer Zeit verhaftet, fortschrittliche Meinungen kommen bei seiner Anklage zwar zu Wort, finden jedoch kein wohlwollendes Gehör. Auch die Zauber, die Claus Ulenspiegel kennt, bleiben ambivalent, denn wenn diese versagen, findet sich zumeist eine Alternativerklärung dafür, sodass nicht abschließend geklärt werden kann, ob in der Welt Tyll Ulenspiegls Zauber und Magie einen Platz haben; im Aberglauben der Zeit hatten sie ihn jedenfalls.

Auch die letzten Worte und Gedanken des Winterkönigs bleiben in der Schwebe. Denn während der letzten Nachricht, die er seiner Frau Liz zukommen lassen will, fällt ihm das klare Denken nicht mehr leicht.

Daniel Kehlmann gelingt es in seinem Roman Tyll eine geschicktes Netz aus den Gegensätzen der Zeit, zwischen Fortschritt und Aberglaube, Humor und Tod, sowie Wirklichkeit und Schein-Wirklichkeit, zu knüpfen. Doch alle Maschen sind stark und so behält Tyll, obwohl die Geschichten einiger Figuren zu Ende erzählt sind, Abschluss finden und Fragen geklärt werden, doch seine Offenheit.

Selten hat ein Buch so stark dazu eingeladen, sich auf Perspektivwechsel und Ambivalenzen einzulassen. Während die Sprache klar und strukturiert ist und so ein stimmiges Gerüst bildet, sind es die Gedankenwelten der Figuren selten. Und somit lässt Kehlmann dem Leser genug Luft, seine eigenen Gedanken in diese seit Jahrhunderten vergangene Zeit einzubringen. Nur, ob sie auf die richtige Fährte führen, bleibt abzuwarten.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Ein Haus, das seine Bewohner überleben wird

Altes Land
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Ein altes Haus, bewohnt von einem Kriegsversehrten und Flüchtlingen, über Generationen und Familien. Ein Haus, in dem gelebt und gestorben wird. Manche verlassen es mit dem festen Vorhaben, niemals wieder ...

Ein altes Haus, bewohnt von einem Kriegsversehrten und Flüchtlingen, über Generationen und Familien. Ein Haus, in dem gelebt und gestorben wird. Manche verlassen es mit dem festen Vorhaben, niemals wieder zurückzukommen. Andere kehren immer wieder zurück und wollen doch nie ganz bleiben und wieder andere, die es nicht verlassen wollen.

Doch das Haus im Alten Land fügt sich keinem ihrer Wünsche. Vier Generationen bewohnen es, mal zwei zur gleichen Zeit, mal abwechselnd. Doch während sich die Bewohner ändern, scheint das Haus langsamer zu veralten.

Doch nicht nur das Haus und seine Bewohner sind im Wandel, auch das Alte Land selbst, wie es die älteren Anwohner in Dörte Hansens Roman noch kannten, scheint im Verfall. Die Kinder wollen oder können den Hof nicht mehr weiterführen und so wird ein einstiges Familienheim, bald nur noch von Witwen und Greisen bewohnt.

Dörte Hansens Roman erzählt die Geschichte von zwei Frauen, die beide aus ihrem alten Leben fort müssen. Vera Eckhoff, die noch Eckhoff heißend, als Flüchtling mit ihrer Mutter in das Alte Land kommt und durch die Heirat ihrer Mutter dort in einem Haus wohnen bleiben kann.

Und sie erzählt die Geschichte der jungen Mutter Anne, die nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten mit dem gemeinsamen Sohn aus Hamburg fortzog und bei Vera Eckhoff Unterschlupf findet. Annes Mutter ist Veras jüngere Halbschwester.

Dörte Hansens Roman Altes Land erzählt von den großen Themen des Lebens, dem Verlorensein, den Folgen von Krieg und Entwurzelung, dem Vergehen von Traditionen, und doch bleibt ihre Sprache klar und unverstellt.

Wer zuvor keine Vorstellung vom Alten Land gehabt hat, wird sie nach dem Lesen dieses Romans sicherlich haben. Hansens Schilderungen führen nicht nur in die alte Welt der Bauern auf dem Land, mit seinen Traditionen, sondern auch in die Gedankenwelt unterschiedlichster Frauen, die dennoch im Alten Land zusammenfinden. So kann Altes Land nicht nur Freunden der Landwirtschaft empfohlen werden, sondern ist sicherlich auch für andere Leser und Leserinnen lesenswert.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Gedichte aus den Jahren 1942–1967

Liebe: Dunkler Erdteil
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Es dauerte nach dem Tod von Ingeborg Bachmann im Jahre 1973 kaum vier Jahre, bis der nach ihr benannte Ingeborg-Bachmann-Preis 1977 zum ersten Mal verliehen wurde.

Seitdem wird der Preis einmal im Jahr ...

Es dauerte nach dem Tod von Ingeborg Bachmann im Jahre 1973 kaum vier Jahre, bis der nach ihr benannte Ingeborg-Bachmann-Preis 1977 zum ersten Mal verliehen wurde.

Seitdem wird der Preis einmal im Jahr verliehen und ist zu einer der bedeutendsten literarischen Auszeichnungen im deutschen Sprachraum geworden.

Liebe: Dunkler Erdteil enthält Gedichte des Zeitraums als Bachmann ungefähr 16 Jahre alt war bis hin zu Gedichten, die sechs Jahre vor ihrem Tod entstanden sind. Viele der Gedichte des Buches sind bislang noch nicht veröffentlicht gewesen und aus ihrem Nachlass entnommen. Im Anmerkungsteil des Buches ist jedoch für jedes Gedicht angegeben, woher es stammte und ob andere Bearbeitungsstufen vorliegen.

Der chronologische Aufbau des Gedichtbandes ermöglicht es, den Veränderungen der Gedichte über die Jahrzehnte beizuwohnen. Doch fallen neben der Veränderung der Gedichte vor allem die ihnen gleichbleibenden Elemente auf.

Ingeborg Bachmanns Gedichte scheinen stets gefüllt zu sein von einem Lyrischen Ich, dessen Gedanken und Gefühle ihren Gedichten Struktur und Leben geben.

Bachmanns Gedichte sind gleichzeitig von Leichtigkeit und einer Schwere erfüllt. Während die Leichtigkeit vor allem durch ihre klare Struktur und ungekünstelte Form kommt, erwächst die Schwere aus ihrem Inhalt. Das Dunkle, Verlorene, nicht recht dazugehörende findet in einigen ihrer Gedichte Gestalt.
So laden die in diesem Band zum Teil erstmals abgedruckten Werke auch heute, über 45 Jahre nach ihren Tod, noch dazu ein, gelesen zu werden.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Die Kälte und ihre Kinder

Der Bär und die Nachtigall
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Immer wieder erzählt die alte Dunja Märchen über Rus und seine Sagengestalten. Pjotrs Kindern und seiner Frau sind sie vertraut, und doch lauschen sie der alten Frau stets aufs Neue, besonders wenn dicke ...

Immer wieder erzählt die alte Dunja Märchen über Rus und seine Sagengestalten. Pjotrs Kindern und seiner Frau sind sie vertraut, und doch lauschen sie der alten Frau stets aufs Neue, besonders wenn dicke Schneedecken über dem Land liegen und die Familie vor der Wärme des Ofens näher zusammenrückt.
Obwohl Pjotrs Frau, Marina, bereits drei Söhne und eine Tochter hat und ausgezehrt ist vom Winter, will sie, als sie wieder schwanger wird, das Kind auf jeden Fall behalten. Denn sie hat zwar eine Tochter, aber diese erinnert wenig an Marinas eigene Mutter, die Geheimnisse und Geschichten umranken.
So bringt sie die kleine Wasja zur Welt, doch sie überlebt nicht, um das junge Mädchen aufwachsen zu sehen.

Die kleine Wasja wächst ohne ihre Mutter auf, doch umgeben von ihren Geschwistern, Dunja, ihrem Vater und Gestalten, die nur sie sehen kann. »Vergiß uns nicht«, flüstern die Rusalka und der Domowoi, alte Sagenwesen, für die meisten Menschen nur noch in Märchen existent.

Und während diese Wasja anflehen, sie nicht zu vergessen, ist auch Der Bär und die Nachtigall gefüllt von diesem Wunsch. Liebevoll erzählt steckt in den Seiten des Buches der Zauber alter Erzählungen, von Volksglauben und von Besonderheiten der russischen Erzähltradition.

Erfrischend echt sind auch die Figuren, die Katherine Arden in ihrem Roman schafft: Frauen, die sich selbst zu helfen wissen in einer Zeit, in denen ihnen nur die Ehe oder das Kloster offenstand; Männer, die mehr sind als Muskeln, coole Sprüche und Loveinterests. Die Figuren in Der Bär und die Nachtigall sind mit Liebe fürs Detail geschnitzt und laden dazu ein, das Rus aus Katherine Ardens Romanwelt mit ihnen kennenzulernen.

Wer also besondere Figuren mag, gerne in Märchen oder Sagenwelten eintaucht, oder sich für historische Phantastik interessiert, kann dieses vielversprechende Debüt auf jeden Fall lesen und sich mit mir darüber freuen, dass noch weitere Nachfolgebände kommen werden.


Rezension erstmals erschienen auf LizzyNet

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