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Veröffentlicht am 13.09.2024

Verschwinden

In den Wald
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In ihrem Debütroman schreibt Maddalena Vaglio Tanet von einer doppelten Tragödie. Da ist zum einen Giovanna, ein elfjähriges Mädchen, das in der Schule und in ihrem Leben mit den Eltern und der sehr früh ...

In ihrem Debütroman schreibt Maddalena Vaglio Tanet von einer doppelten Tragödie. Da ist zum einen Giovanna, ein elfjähriges Mädchen, das in der Schule und in ihrem Leben mit den Eltern und der sehr früh einsetzenden Pubertät nicht zurechtkommt. Zum anderen ist da ihre Lehrerin Silvia, die sich sehr für sie einsetzt und alles in die Waagschale wirft, um ihr zu helfen.

Als Giovanna sich durch einen Sprung aus dem Fenster in den darunterliegenden Wildbach umbringt, bricht für Silvia die Welt, die sie sich mühsam aufgebaut hat und über viele Jahre gehalten hat, zusammen. Sie geht, nachdem sie die schlimme Nachricht vom Tod ihrer Schülerin erhalten, wie betäubt in den Wald und versucht zu verschwinden, indem sie sich einfach wie ein verwundetes Tier verkriecht.

Derweil wird gerade von der Familie ihres Cousins Anselmo, mit dem sie bei den Großeltern aufgewachsen ist, fieberhaft nach ihr gesucht. Ein neuer Schüler der Schule findet sie, behält aber ihr Geheimnis für sich und sichert ihr durch mitgebrachtes Essen und Wasser das Überleben – bis sie sich entschließt zurückzukehren.

Die Autorin beschreibt aus ihrer eigenen Geschichte und ihrem eigenen Erleben heraus zwei zerrissene Seelen, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als zu drastischen Maßnahmen zu greifen. Bei Giovanna ist damit das Leben zu Ende, bei Silvia, der Hauptprotagonistin, kann nach dem Erlebnis etwas Neues entstehen. Das Versinken von Silvia in der Natur stellt sie dabei als auktorialer Erzähler mit den wirren Gedanken und Gefühlen sehr plastisch und nachvollziehbar dar. Silvias Lebensgeschichte wird so nach und nach aufgeschlüsselt und damit auch, warum sie dieses Ereignis des Selbstmordes von Giovanna so stark getroffen hat.

Aber auch die Nebenfiguren, wie Anselmo, Martino, Giulia, Schwester Annangela, Lea, u. a. werden in ihrem Wesen überzeugend und klar von der Autorin beschrieben, so dass im Wechsel der Kapitelthemen von Silvia in einem und im nächsten jemand anderes, sich die LeserIn in jeden hineinversetzen kann und mit jedem mitfiebert.

Das Buch entwickelt wie angekündigt eine Sogwirkung: Was wird mit Silvia geschehen? Was wird sie tun?

Ich würde das Buch jedem empfehlen der gerne ernste Literatur liest und sich gerne mit den Lebensumständen von Menschen, egal welchen Alters und egal in welcher Zeit, und ihrem seelischen Empfinden auseinandersetzt.

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Veröffentlicht am 03.09.2024

Humorvoll entschuldigen lernen

Upppps! Entschuldigung!
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Entschuldigung sagen, auch wenn ich etwas aus Versehen, ohne Absicht gemacht habe? Das ist sehr schwer, aber umso wichtiger.

Mit witzigen farbenfrohen Bildern und teils kurzen, prägnanten, teils längeren ...

Entschuldigung sagen, auch wenn ich etwas aus Versehen, ohne Absicht gemacht habe? Das ist sehr schwer, aber umso wichtiger.

Mit witzigen farbenfrohen Bildern und teils kurzen, prägnanten, teils längeren erklärenden Texten bringen uns Autor und Zeichner den hohen Wert von Entschuldigungen nahe. So sind die Zeichnungen einmal auch Text begleitend, ein anderes Mal füllen sie eine ganze Doppelseite und der Text begleitet sie.

Schon die erste Doppelseite sagt alles: „Jeder macht Fehler!“ Dabei ist der abgebildete Fehler so skurril – ein Pinguin bricht an seinem Fallschirm hängend durch das Dach eines Hauses direkt ins Badezimmer eines Krokodiles ein, das in seiner Wanne liegt und verschämt die Hände vor die Brust hält -, dass die Leser lachen oder schmunzeln müssen und dem Satz nur zustimmen können. (Das Lächeln beginnt schon beim Cover …)

Durch weitere solcher heiteren Abbildungen, in denen (vermenschlichte) Tiere Fehler begehen, schwingt sich die LeserIn auf das ernste Thema locker ein, denn es ist ja einfach so: Jeder macht Fehler, ob groß, ob klein.

Sich für etwas zu entschuldigen, ist selten leicht. (Wie oft höre ich im Alltag: „Mich entschuldigen? Aber ich habe es doch nicht mit Absicht/nur aus Versehen gemacht!“) Auch das stellen Autor und Zeichner in locker-leichten Texten und Abbildungen dar, z. B. eine Giraffe, die sich die Socken eines Wurms ohne zu fragen ausgeliehen hat.

Danach geht es mit lustigen Bildern, Erklärungen und Beispielen zum richtigen, ernstgemeinten Entschuldigen, z. B. „Mach keine Ausflüchte“, „Zeig der anderen Person, dass du es ernst meinst“ und Tipps, z. B. „Du kannst dich mit einem Brief entschuldigen.“ weiter.

Das Buch schließt mit dem Ratschlag, den Fehler möglichst wiedergutzumachen. So sieht man z. B., wie der Pinguin vom Anfang mit einem Kran dem Krokodil in der Badewanne ein neues Dach aufs Haus setzt.

Ganz am Ende folgen auf zwei Doppelseiten, die für mich wichtigsten Sätze: „Auch wenn es dir nicht leichtfällt: Nach der Entschuldigung fühlst du dich bestimmt besser. Und noch wichtiger: Die andere Person fühlt sich besser. Und darum sagen wir „Entschuldigung“.“

Besser als mit so einer Lockerheit und Leichtigkeit kann man den hohen Wert einer Entschuldigung Kindern (und Erwachsenen) doch gar nicht erklären und nahebringen!

Ein humorvolles Bilderbuch aus dem Leben für das Zusammenleben!

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Veröffentlicht am 02.09.2024

Schottland, Leuchttürme und Geschichten

Die Leuchttürme der Stevensons
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In diesem historischen Roman wird die Kindheit des Schriftstellers Robert Louis Stevenson – Autor von „Die Schatzinsel“ und „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ – beschrieben. Als Kind eines Leuchtturmbauers in einer ...

In diesem historischen Roman wird die Kindheit des Schriftstellers Robert Louis Stevenson – Autor von „Die Schatzinsel“ und „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ – beschrieben. Als Kind eines Leuchtturmbauers in einer Leuchtturmbauerdynastie in Schottland sieht sein Weg vorherbestimmt aus und seine Eltern lassen auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass Robert die Familientradition fortführen wird.

Sein Vater erzieht ihn, vor allem da er merkt, dass Louis eigentlich andere Ambitionen hat, sehr streng. Er lässt ihn früh an den Aufgaben der Leuchtturmbauer teilhaben, bürdet ihm später trotz labiler Gesundheit Inspektionsreisen im rauen Klima Schottlands auf und überhäuft ihn neben dem Studium mit Arbeiten für die Firma, damit er ja nicht auf andere Gedanken kommt.

Seine Mutter unterstützt seine „Schreibereien“ und seinen Hang zum Theater zwar anfänglich wie ein Hobby, weil sie merkt, dass es ihrem fantasievollen Einzelkind guttut. Aber auch sie zieht die Grenzen enger und mit ihrem Mann an einem Strang, als Robert anfängt das Studium und seine Büroarbeiten zu vernachlässigen.

So lebt der junge Robert Louis Stevenson ständig in Anspannung zwischen den Ansprüchen und der Tradition seiner Familie und seinen eigenen Anlagen und Wünschen. Noch dazu ist er oft krank.
Bis Robert sich traut und es schafft, seinem Vater zu sagen, dass er nicht Leuchtturmbauer werden wird, vergeht eine Menge Zeit, auch geht er dabei noch den Umweg über ein Jurastudium.

Sabine Weiss erzählt die frühen Jahre des Autors fast wie in einem Tagebuch, aber nicht in Ich-Form. Ruhige Zeiten wechseln mit turbulenteren Phasen ab. Dabei arbeitet sie die Gefühlswelt des Hauptprotagonisten stets plastisch heraus, angefangen von den Ängsten des kranken Kindes über die Last des Studiums, das erste Verliebtsein, seine sehr gute Beobachtungsgabe und Menschenzugewandtheit bis hin zum Bruch mit der Familientradition.
Die Leserin kann seine Gedanken und Entscheidungen meist gut nachvollziehen und mitfühlen, obwohl diese zum großen Teil aus den historischen Umständen in einem strenggläubigen Elternhaus heraus getroffen wurden und der heutigen LeserIn dadurch nicht immer ganz verständlich sind.

Der Autorin gelingt es die historische Zeit gekonnt einzufangen und das Leben damals in Schottland in vielen Facetten darzustellen, von arm bis reich, von jung bis alt, Frau und Mann, usw. Dabei laufen die Lebensjahre und – erlebnisse des jungen Stevenson wie ein roter Faden hindurch. Sie beschreibt ihren Hauptprotagonisten, wie auch die anderen Charaktere sehr glaubwürdig.

Der Epilog am Ende des Buches der einen kurzen Einblick in sein späteres Leben und Schaffen gibt, rundet den Roman gekonnt ab. Im ausführlichen Nachwort schildert die Autorin, wie sie zum Schreiben dieses Romans kam, was nach seinem Tod mit seinen Werken geschah, über Fakten und Fiktion in ihrer Geschichte, u. v. m. Dabei zeigt sich, dass Frau Weiss sehr genau recherchiert hat, und damit weckt sie die Neugier ihrer LeserInnen an, sich nun ebenfalls zu informieren (Fotos der Leuchttürme anzusehen, ist sehr zu empfehlen!).

Als schöne Beigaben enthält das Buch im Einband vorne und hinten noch eine Karte der Leuchttürme, eine kurze Übersicht über die Stevenson-Ingenieure und ein Glossar zu schottischen Ausdrücken.

Ein gelungener historischer Roman zum Leben eines Autors in seiner Zeit!


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Veröffentlicht am 01.07.2024

Wieviel hält Freundschaft aus?

In den Farben des Dunkels
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Wieder ein rasanter Einstieg in einem verschlafenen Nest in Amerika von Chris Whitaker! Die Leserin fiebert sofort mit Patch und Saint mit, denn der Autor versteht es meisterhaft einen emotionalen Zugang ...

Wieder ein rasanter Einstieg in einem verschlafenen Nest in Amerika von Chris Whitaker! Die Leserin fiebert sofort mit Patch und Saint mit, denn der Autor versteht es meisterhaft einen emotionalen Zugang zu seinen Protagonisten zu schaffen, schon seine ersten beiden Bücher "Von hier bis zum Anfang" und "Was auf das Ende folgt" habe ich verschlungen. Chris Whitaker zieht seine Leserinnen mit seinem Schreibstil in seine Geschichten hinein.
Saint und der einäugige Patch lernen sich als Kinder kennen, beide sind in der Schule Außenseiter, Patch ist es jedoch auch gesellschaftlich, denn sein Vater ist verstorben und seine Mutter kommt über diesen Verlust nicht hinweg, trinkt und kann sich nur sehr bedingt um Patch kümmern. Vielmehr sorgt Patch für sie. Saints Oma Norma und der Polizist Nix versuchen, sich um Patch zu kümmern.
Patchs Kindheit ist somit schon schwer genug, doch als er eines Tages das Mädchen Misty, das er insgeheim verehrt, davor bewahrt, entführt zu werden, und dafür selber mitgenommen wird, ändert sich noch einmal alles für ihn. Unendliche Stunden liegt er verletzt in der Dunkelheit und nur das Mädchen Grace, das manchmal im Dunklen zu ihm gelassen wird, bewahrt ihn durch ihre Beschreibungen der Wirklichkeit davor, verrückt zu werden.
Schließlich ist es Saint, die ihn aufspürt und befreit. Doch Patch ist nicht mehr derselbe. Nach seiner Genesung beginnt er eine verzweifelte Suche nach Grace, die sein Leben fortan bestimmen wird. Und Saint kann ihm nur dabei zusehen. Doch sie wird Polizistin um ihrem geliebten Patch bei der Suche zu helfen.
Mit jedem Kapitel, die alle kurzgehalten sind, bildet Chris Whitaker seine Protagonisten mehr und mehr aus. Dadurch lernt man Patch und Saint über all die Jahre hindurch (1975 bis 2001) immer besser kennen, aber auch Norma, Nix, Misty, Sammy, Marty Tooms und Charlotte. Alle wachsen einem durch die gekonnten Beschreibungen ans Herz, sind sehr authentisch beschrieben und für die Erzählung wichtig.
Dazu verblüfft Whitaker die Lesenden mit immer wieder neuen unerwarteten Wendungen der Geschichte. Die Spannung wird durch das ganze Buch hindurch gehalten, mal mehr, mal weniger hoch, aber immer so, dass man unbedingt weiterlesen möchte.
Chris Withaker hat wieder einen furiosen Roman veröffentlicht, den ich Lesenden, die gerne tiefgreifend mehr über den menschlichen Charakter auch in Extremsituationen wissen möchten, nur wärmsten empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 07.06.2024

Geliebte Wildnis

Wilde Blätter
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Einen gepflegten Garten hat jeder gern – vor allem Erwachsene. So ist es auch in der Familie Picobello. Der Gärtner muss jede Pflanze bis ins kleinste Detail akkurat und präzise schneiden und halten. Doch ...

Einen gepflegten Garten hat jeder gern – vor allem Erwachsene. So ist es auch in der Familie Picobello. Der Gärtner muss jede Pflanze bis ins kleinste Detail akkurat und präzise schneiden und halten. Doch eines Tages kündigt er entnervt. Was nun?

Dieses Bilderbuch erzählt eine kuriose und witzige Geschichte über eine Familie, die zwar die Natur liebte, aber nur in akkurat nach ihren Wünschen geregelter Form in ihrem Garten. Als der Gärtner kündigt, beginnen alle Pflanzen unkontrolliert zu wachsen, denn die Familie selber ist im Gärtnern sehr unerfahren. Die Pflanzen wachsen infolge dessen sogar in ihr Haus hinein und „umschlingen und verschlingen“ alles. Hier geht die Geschichte ins Fantastische über. Die Familie fängt plötzlich an, alles loszulassen, sie lassen sich durch die Natur treiben und von ihr verzaubern.

Nach dieser traumhaften Sommer- und Urlaubszeit muss aber leider etwas geschehen …

Diese fantastische Geschichte der Autorin wird fabelhaft von ihren eigenen Illustrationen begleitet. Gras und Blätter sind stets in tiefem Grün gehalten und Blüten in bunten Farben, die Familie Picobello, ihr Gärtner und ihr Haus dagegen in schwarz, weiß und grau, bis auf ihre (sichtbaren) Körperteile. Dabei tragen sie noch Kleidung mit sehr akkuraten, schwarz-weißen Mustern, die sich auch im Boden des Hauses fortsetzen. Der Gegensatz ist so perfekt.

Selbst als die Natur überhandnimmt - die Menschen sind hier meist viel kleiner als die Blumen gezeichnet - und die Familie sie zu genießen beginnt, bleiben sie in dieser Aufmachung. So bleibt auch der Kontrast.

Das Buch hat ein auffälliges, in die Länge gezogenes Format, was es auch optisch und haptisch zu etwas Besonderem macht. Auch die Personen sind langgestreckt gezeichnet. Alle Bilder sind doppelseitig und nehmen sehr viel mehr Platz als der Text ein.

Sehr schön ist das versöhnliche Ende! Ein wirklich lustiges Pflanzen-Bilderbuch mit Liebe zur Natur!

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