Außergewöhnlich düster, aber menschlich faszinierend!
Nevernight - Die PrüfungMia ist noch ein kleines Kind, als ihre Welt in Scherben bricht. Ihr Vater vor ihren Augen erhängt, ihre Mutter und ihr kleiner Bruder eingesperrt ins düsterste Verlies, das Gottesgrab zu bieten hat und ...
Mia ist noch ein kleines Kind, als ihre Welt in Scherben bricht. Ihr Vater vor ihren Augen erhängt, ihre Mutter und ihr kleiner Bruder eingesperrt ins düsterste Verlies, das Gottesgrab zu bieten hat und sie selbst auf der Flucht. Aufgenommen von Mercurio, einem Assassinen, sinnt sie auf Rache an den Menschen, die ihr das angetan haben. Um ihre Ausbildung zu vollenden bricht sie zur Roten Kirche auf. Doch was sie da erwartet, schlägt ihre kühnsten Vorstellungen.
Nevernight spielt nicht den Moralapostel und es ist kein Buch, dass man eben mal so nebenbei liest. Ich wage sogar zu behaupten, dass man dieses Buch entweder hasst oder liebt. Man kommt nicht umhin, sich eine Meinung zu bilden. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass die Handlung und die Charaktere einen Leser nicht tangieren. Ich persönlich liebe es, um diese Tatsache mal vorne weg zu schicken. Ich kann aber auch jeden verstehen, der dem Buch nicht so zugetan ist. Jay Kristoff hat mit Nevernight eine ausgeklügelte, in sich stimmige, düstere Welt geschaffen, in der starke Akteure um ihr Leben und für den Tod anderer kämpfen. Und er zwingt den Leser förmlich, mit den Charakteren zu fiebern. Schafft Mia es, Rache zu üben? Was ist mit den anderen? Kristoff hat mich umgarnt - und ich habe mich am Ende des Buches wirklich gefragt, was denn nun moralisch richtig oder vertretbar ist, denn ich konnte Mias Gefühle und Handlungen, so schrecklich sie im Laufe des Buches auch sein mögen, nachvollziehen.
Nevernight hat, wenn man es so bezeichnen will, drei erzählerische Ebenen. Die erste ist die des Erzählers, dessen Identität Rätsel aufgibt. Er erzählt Mias Geschichte. Immer wieder werden auch kleine Erinnerungspassagen eingestreut, die jedenfalls für mein Empfinden genau an der richtigen Stelle waren - sozusagen das Salz in der eh schon sehr köstlichen Suppe - und als letztes noch die Untertitel, die dem Leser die Welt und die Mythen und Legenden von Itreya näher bringen - mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus des Erzählers gewürzt. Manchen mag diese Aufteilung nicht zu sagen. Mir hat sie sehr gut gefallen, da der Fokus des Haupttextes auf Mias Geschichte lag, und der Leser, der die Muße hat, tiefer in die Geschichte der Welt einzutauchen, wurde mit einem unwillkürlichem Schmunzler belohnt. Ich muss zugeben, auch ich habe manche Untertitel nur angelesen, weil an manchen Stellen Mias Geschichte zu interessant war. Das kann jeder Leser halten, wie er möchte. Aber die Möglichkeit zum Nachforschen zu haben, finde ich allein schon bemerkenswert.
Mias Geschichte lässt einen zart besaiteten Leser zurückschrecken. Sie ist hart und scharf wie eine Klinge schon in jungen Jahren geschliffen worden. Dementsprechend skrupellos verhält sie sich auch. Trotzdem mochte ich dieses junge Mädchen, das immer ihren Weg geht, sehr. Da ihre Handlungen nachvollziehbar waren - Jay Kristoff hat es geschafft, dass mir ihre Handlung, ihre Absicht, ihre Zorn und ihre Rachegedanken nahe waren - was bei einem solch düsteren Buch nicht leicht ist. Ich bin der Typ, der bei zu düsteren Büchern leicht den Kontakt zu den Protagonisten verliert - und dann hat auch das Buch verloren - Kristoff schafft jedoch eine düstere Grundstimmung und fesselte mich gleichzeitig an Mia und den ganzen Rest der Charaktere, sodass ich einfach nicht anders konnte, als Seite um Seite umzuschlagen, um Nevernight auch das letzte Geheimnis zu entlocken.
Der Grundkonflikt des Buches stellt sich als tiefgreifend heraus. In dieser Welt existiert kein gut und kein böse. Das kennen wir ja auch von der Realität. Oder habt ihr schon einmal jemanden rein gutes oder böses gefunden? Jay Kristoff verabschiedet sich von diesen tradierten Vorstellungen und erschafft stattdessen eine düstere Welt voller farbenfrohen grauen Schattierungen, die der Leser auseinanderpflücken muss, um die wahren Beweggründe zu begreifen. Mia und die anderen Akolythen kommen in die Rote Kirche, um sich zu Meuchelmördern ausbilden zu lassen. Sie alle haben schon einmal gemordet. Sie haben schon längst den Schritt auf die dunkle Seite getan - Sie schenken kein Vertrauen mehr und waten wortwörtlich durch Blut um ihr Ziel zu erreichen. Kann Mia also noch Vertrauen schenken?
Kristoffs Buch hat mich wahnsinnig gefesselt. Die Charaktere, die Geschichte und vor allen Dingen die wirklich mehr als detailreiche Welt haben es geschafft, mich zu faszinieren. Am Ende wird der geneigte Leser auf jeden Fall mit anderen Augen auf die Landkarte schauen als zu Beginn der Reise.
Kristoff nimmt kein Blatt vor den Mund und trotzdem bleibt seine Sprache auf einem Level, dass durchaus angenehm zu lesen ist. Sie klingt nicht aufgesetzt in meinen Ohren, jedoch auch auf keinen Fall plump oder einfach.
Was bleibt mir zu sagen, als das mir bei Nevernight so manches Mal die Luft weg geblieben ist? Ich gezittert und gebangt habe und mir sogar einmal die Tränen in den Augen standen. Ich warte wirklich gespannt auf die Fortsetzung und lasse dem Buch fünf Sterne da - und währenddessen halte ich nach anderen Büchern des Autors Ausschau, da er ein Stern in meinem Bücherregal geworden ist.