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Lust_auf_literatur

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.09.2023

Aufregend, polarisierend, feministisch und abgefahren.

Rote Augen
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Knackig, polarisierend, feministisch und abgefahren.
Willkommen in meiner literarischen Wohlfühlzone!
Doch von einem Wohlfühlbuch ist “Rote Augen” weit entfernt.

Oder um es wie Le Nouveau Magazine littéraire ...

Knackig, polarisierend, feministisch und abgefahren.
Willkommen in meiner literarischen Wohlfühlzone!
Doch von einem Wohlfühlbuch ist “Rote Augen” weit entfernt.

Oder um es wie Le Nouveau Magazine littéraire sachlicher zu formulieren:

»Eine Geschichte über Belästigung, die sich zu einer Horrorgeschichte entwickelt. Eine Reise in das Herz der Misogynie.«

Eine Frau, scheinbar Radiomoderatorin, erhält per Facebook Nachrichten von einem Fan, von einem gewissen Denis.

Seine Nachrichten sind wenig subtil übergriffig und offenbaren sein Selbst- und Frauenbild. Er ist völlig von sich vereinnahmt, hat Langeweile und zu viel Zeit im Job, ist dort intellektuell unterfordert, will sie aber natürlich nicht nerven oder gar anbaggern, Zwinker Smily.
Generell alles Schlampen außer Mutti (und der Radiomoderation - noch).
Fleisch ist sein Gemüse, die Medien sind alle ferngesteuert und die politcal correctnes kann über biologische Tatsachen nicht hinwegtäuschen.

Alta, ich kenne diesen Typen! Ich begegne ihm auf der Arbeit, wo er mir erklärt, dass Kleinkinder immer zur Mutter gehören und ich zum Glück nicht zu den Frauen gehöre, die sich viel schminken, so was findet er nämlich gar nicht schön.

Ihr kennt diesen Typen auch. Ihr müsst nur unter einem beliebigen Artikel einer beliebigen seriösen OnlineZeitung in die Kommentarspalte schauen, da trefft ihr ihn in verschiedener Ausführung und er erklärt euch wie die Welt seinem gesundem Menschenverstand nach zu funktionieren hat.

Mir ist klar, wenn sein unrealistisches und völlig idealisiertes Bild von der Frau Risse bekommt oder bei Zurückweisung, wird seine Rache fürchterlich sein.

Und so kommt es auch. Als die Frau auf seine intensive Kontaktversuche immer weniger reagiert und ihn schließlich blockiert und Anzeige erstattet, verkehrt sich seine Verehrung in Hass.

Denis beginnt mit einer digitalen Hass- und Stalkingkampagne. Das volle Programm.
Die Frau fühlt sich belästigt und bedroht und nicht mehr sicher. Ihre Suche nach Hilfe und Verständnis läuft ins Lehre.
Vom Umfeld, Polizei und Justiz kommt hauptsächlich Victim blaming und Verharmlosung. Ihr Feministen Boyfriend zeigt sein wahres Gesicht.

Leroy verwendet in ihrem Roman hauptsächlich indirekte Rede durch die Ich-Erzählerin. Das gefällt mir richtig gut und verbildlicht sehr gut, wie sehr die Erzählerin in der digitalen Vorstellung von Denis und später auch von Ärtze und von Behörden zum Objekt gemacht wird. Wie wenig sie selbst das misogyne und sexistische Bild von sich selbst beeinflussen und kontrollieren kann.
Erst ziemlich am Schluß kommt die Erzählerin aktiv selbst zu Wort. Ob und in welcher Weise sie sich von dem Stalker befreien kann, verrate ich natürlich nicht, das dürft ihr selbst herausfinden!
Das letzte Drittel kann polarisieren, ich fand es folgerichtig und trotz aller Absurdität realistisch. Es hat mich aufgeregt!

Die belgische Autorin Myriam Leroy hat das Genre des Briefromans ins digitale Zeitalter überführt und hier einen Wahnsinns-Stalking Roman geschrieben. Ich fühle mich auf höchstem literarischen und gesellschaftskritischem Niveau unterhalten und bei so viel Aufregung gibts von mir natürlich ein fette Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 16.08.2023

Leuchtende Sprache und stark erzählt!

Das Pferd im Brunnen
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Dieser Roman war ein reiner Cover Griff und zwar ein äußerst glücklicher.
Ich fand hier überraschend ein kleines, leuchtendes Juwel.
Und den Beweis, dass große Familienromane nicht zwangsläufig viele Seiten ...

Dieser Roman war ein reiner Cover Griff und zwar ein äußerst glücklicher.
Ich fand hier überraschend ein kleines, leuchtendes Juwel.
Und den Beweis, dass große Familienromane nicht zwangsläufig viele Seiten brauchen.

Valery Tscheplanowa beschreibt in ihrem ersten, teilweise autobiografischen Roman, die Geschichte von vier Generationen russischer Frauen. Sie spannt einen großen Bogen vom blauen Linoleumboden in einer kleinen Wohnung im russischen Kasan bis nach Deutschland, wo die Ich-Erzählerin heute lebt.
Es ist die Geschichte ihrer Spurensuche in die Vergangenheit ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Die Geschichte von stolzen und unabhängigen Frauen, die vom harten Leben zu unbeugsamen Stahl geformt wurden um zu überleben.

„Das Leben ist ein Kampf und es gewinnen nur die Starken.“

Anhand von verschiedenen Episoden zeichnet Tscheplanowa ein intensives Bild dieser Familie, in der zwar geliebt wird, aber der Stolz verhindert es zu zeigen oder auszudrücken.

„Und dort wird sie auch mit ihm am Tisch sitzen. Und nur mit ihm. Dem Stolz.“

Jenseits der starken Geschichte und Charaktere ist Tscheplanowas Sprache ist für mich ein wahrhaftes Highlight. Sie leuchtet und strahlt in jeder Zeile voller Kraft und ist erfüllt voller Weisheit und Tiefe. Das erfüllt mich mit großer Freude und ich liebe es wirklich sehr!

Kurz: für diesen unglaublich starken Roman gibt es von mir eine deutliche und dringliche Empfehlung!

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Veröffentlicht am 02.08.2023

Ein atmosphärisches Highlight!

Das Meer der endlosen Ruhe
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Habt ihr „Das Licht der letzten Tage“ (jetzt wohl „Station Eleven“?) von der Autorin gelesen? Ich las es vor einigen Jahren und es ist mir als Highlight im Gedächtnis geblieben und das wird „Das Meer der ...

Habt ihr „Das Licht der letzten Tage“ (jetzt wohl „Station Eleven“?) von der Autorin gelesen? Ich las es vor einigen Jahren und es ist mir als Highlight im Gedächtnis geblieben und das wird „Das Meer der endlosen Ruhe“ auch.

Emily St. John Mandel schafft mit ihren Romanen einen ganzen literarischen Kosmos, ich treffe Bekannte aus dem „Glashotel“ wieder und sehe die Parallelen und Anspielungen zum Licht der letzten Tage. Vieles entgeht mir sicher auch.

Und was die Romane von St. John Mandel so einzigartig macht und sie ganz wesentlich von vielen anderen abhebt, ist diese unglaublich melancholische Endzeitstimmung, die ich während dem Lesen verspüre.
In den ersten Kapitel durchlebe ich fast transzendente Ahnungen von etwas Größerem, von Verknüpfungen und Zusammenhänge die ich (noch) nicht richtig greifen kann.
Ich springe in den Kapiteln durch die Zeit, in die Jahre 1912, 2020, 2203 und 2401. Anfangs verschleiert St. John Mandel sehr geschickt, wer ihr Protagonist sein wird. Später wird Mandel Gaspery-Jaques Roberts als Ich-Erzähler enthüllen und ich begleite ihn in den nächsten Kapiteln auf seinen Zeitreisen. Der Roman entschlüsselt sich langsam und überraschend.

Ja, wir reden hier von einem Zeitreiseroman.
Doch genauso wie „Das Licht der letzten Tage“ kein typischer dystopischen Endzeit-Pandemie-Roman war, so ist „Das Meer der endlosen Ruhe“ kein typischer Zeitreise-Pandemie-Roman. Mandes Stil ist poetisch und zart. Er kann als sehr metaphorisch oder konkret gelesen werden oder als Mischung aus beidem, je nach eigenem persönlichem Kontext.
Das futuristische Setting und erzeugte Atmosphäre spiegelt und verfremdet gleichzeitig mein aktuelles Lebensgefühl und überführt es in einen ganz anderen Kontext.
Ich rede vom meinem omnipräsenten und apokalyptischen Gedanken: das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist nah.

Genau dieses Lebensgefühl finde ich konzentriert in diesem großartigen Roman. Gleichzeitig ist er eine clever und intelligent konstruierte Zeitreisegeschichte mit dezenten Sci-Fi Anklängen.

Ein absolutes Lesehighlight für mich und für euch eine Empfehlung, falls euch diese Besprechung anspricht!

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Veröffentlicht am 18.06.2023

Unvergesslich und intensiv: ein Hörbuch Highlight

Die Postkarte
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Ich zögere noch, meine Worte für diese Rezension zu wählen. Die Angst, diesem Roman nicht gerecht zu werden, lähmt mich. Ich möchte so gerne klar machen, wie sehr und wie emotional mich dieses Hörbuch ...

Ich zögere noch, meine Worte für diese Rezension zu wählen. Die Angst, diesem Roman nicht gerecht zu werden, lähmt mich. Ich möchte so gerne klar machen, wie sehr und wie emotional mich dieses Hörbuch berührt hat!
Eine solch gelungene Mischung aus spannender Spurensuche, Zeit- und Familiengeschichte und Selbsterkundung finde ich sonst selten. Zudem von Berest in einer literarischen Form und einem solch gelungenen Aufbau ausgearbeitet, dass ich mich unmöglich entziehen kann.

Eine Postkarte mit den Namen von vier Angehörigen Berests, die in Ausschwitz ermordet wurden, wird 2003 an ihre Mutter geschickt, ohne Absender oder weitere Information.

Ephraim
Emma
Noemie
Jacques

Berests Mutter Lelia konnte in der Vergangenheit schon einige Informationen über die tragische Geschichte der jüdischen Familie Rabinowicz ihrer Mutter Miriam sammeln. Ursprünglich aus Russland stammend, zwingen Anfeindungen und Restriktionen die Familie schon lange vor der Nazi Zeit auf eine Wanderschaft durch Europa.
Ein generationenüberspannendes Trauma, das bis heute anhält.
Schließlich landet die Familie Rabinowicz in Paris, Frankreich, wo die beiden Schwestern Miriam und Noemi in die gleiche Schule gehen, die auch Anne Berest Jahrzehnte später besuchen wird.
Doch die Familie ist den Anfeindungen nicht entkommen, wie eine Krankheit breitet sich der National Sozialismus bis nach Frankreich aus. Und mit ihm seine Verbrechen und Grausamkeit, die nicht mit der Menschlichkeit vereinbar sind und unsere Vorstellungskraft und unsere Herzen sprengt.

Anne Berest vermischt die Spurensuche mit der Erzählung des Schicksals ihrer Familie. Es ist die Geschichte von Ephraim, Emma, Noemi und Jaques, aber auch die Geschichte ihrer Großmutter Miriam, ihrer Mutter Lelia und ihre eigene Geschichte. Während Berest versucht den Ursprung der Postkarte zu ermitteln, muss sich selbst mit ihrer eigenen Identität als Jüdin auseinandersetzten und lässt mich an ihren Gedanken teilhaben.

Es ist für mich ein sehr schmerzhaftes Hörbuch und es schnürt mir mehrmals die Kehle zu. Kaum zu ertragen die Schilderungen der Situation der Mütter mit ihren Kindern in den Deportationslagern in Frankreich, oder die der, aus den Vernichtungslagern zurückkommenden zerstörten Körpern und Seelen. Dabei ist Berests Schreibstil nie lenkend, sondern bewahrt eine neutrale Distanz, die umso mehr Kraft entfaltet, da sich meine Gefühle aus meiner eigener Vorstellungskraft nähren können.

Anne Berest schreibt mit ihrem Roman gegen das Vergessen. Eine Geschichte, die mir tief unter die Haut geht und so bei mir für lange bleiben wird!

Das Hörbuch wird von Simone Kabst in einer Art gelesen, dass ich fast glaube, Anne Berest selbst erzählt mir diese Geschichte.
Ein Erlebnis und eine unbedingte Hörbuchempfehlung!

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Veröffentlicht am 16.05.2023

Unterhaltsames Lesehighlight am Puls der Zeit

Nur eine weitere Geschichte
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„Elektrisierend, zutiefst beunruhigend und so zufriedenstellend.“ so der Blurb von Meg Mason auf dem Klappentext.
Ich bin elektrisiert und zufrieden gestellt.
Aufgeregt und sehr gut unterhalten würde ...

„Elektrisierend, zutiefst beunruhigend und so zufriedenstellend.“ so der Blurb von Meg Mason auf dem Klappentext.
Ich bin elektrisiert und zufrieden gestellt.
Aufgeregt und sehr gut unterhalten würde ich noch hinzufügen.

Dieser außergewöhnliche Debütroman der australischen Schriftstellerin Jaqueline Maley hat mich sehr begeistert! Die Kurzbeschreibung führte mich minimal in die Irre, den die darin beschrieben Handlung nimmt gar nicht so viel Raum innerhalb der Gesamthandlung ein. Es ist eben nur eine weitere Geschichte.

Im Herzen dieses Romans steht für mich die alleinerziehende Mutter Suzy, die sich als toughe Journalistin durch ihr Leben struggelt. Auf Grund einer ihrer Enthüllungsstories hat sich eine Bloggerin umgebracht, deren Fake-Krebserkrankung sie geoutet hatte.
Der Shitstorm lässt nicht auf sich warten und auch noch ein Jahr später verfolgen sie Drohbriefe und Anfeindungen.
Auch ansonsten ist Suzy Leben, mit spießbürgerlichen Augen gesehen, chaotisch. Eine Affäre mit ihrem verheirateten Zeitungsboss und parallel ein Sex-Ding mit einem jüngeren Künstler sorgen für emotionale Ablenkung. Ihre vierjährige Tochter betreut sie liebevoll, der Vater des Kindes hat sich aus dem Staub gemacht.
Beruflich, privat und finanziell geht es nach der Bloggerinnen Sache steil bergab und dann taucht irgendwann auch noch die trauernde und wütende Mutter der Bloggerin bei ihr auf und will ihr die wahre Geschichte ihrer Tochter erzählen…

Abgesehen davon, dass es großartige und gesellschaftskritische Unterhaltung ist, mochte ich an Maleys Roman besonders diese unglaubliche Modernität und Aktualität ihrer Geschichte. Ihre Figur Suzy, und auch die Bloggerinnen Mutter Jan, wirken auf mich wahnsinnig authentisch in ihrer Komplexität und bieten eine große Identifikationsfläche für mich als Leser*in. Maley beschreibt die Widersprüchlichkeiten von Muttergefühlen, von Wut, von Verlangen und Scham, von Schuld und dem eigenen Versagen. Das holt mich emotional einfach direkt ab und gefällt mir beim Lesen richtig gut.
Sexistische und misogyne Strukturen thematisiert Maley im Vorbeigehen, stellt aber den Pragmatismus ihrer Figur Suzy, damit umzugehen immer in den Vordergrund.

Ja und auch das Ende gefällt mir richtig gut, denn letztendlich war auch der Roman nur eine weitere Geschichte aus einem Leben, das danach noch ohne uns weitergehen wird.

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