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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.05.2023

Lesenswerte Zukunftsvision mit interessanten Ansätzen

Für Dancing Boy
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Sehnsucht, Verlangen, Lust, Sexualität, Biologie und Liebe.

In diesem intensiven Spannungsfeld bewegt sich dieser ungewöhnliche Roman von Sara Johnsen.
Ich bin gerade, so kurz nach dem Beenden, noch nicht ...

Sehnsucht, Verlangen, Lust, Sexualität, Biologie und Liebe.

In diesem intensiven Spannungsfeld bewegt sich dieser ungewöhnliche Roman von Sara Johnsen.
Ich bin gerade, so kurz nach dem Beenden, noch nicht sicher, wie ich diese Geschichte einordnen will.

Johnsen platziert ihre Protagonistin Liz in eine dystopische Gesellschaft, in nicht allzu ferner Zukunft.
Solo-Sexualität kann in, nach strengen ethischen Vorgaben regulierten, Instituten ausgelebt werden. Je nach finanzieller Potenz können dort mit modernster Technik die individuellsten Träume realisiert werden.
Liz und ihr Mann haben sich so ein Institut aufgebaut und verdienen gutes Geld, werden aber in der Nachbarschaft gemieden, auch wenn ihre Dienste gerne in Anspruch genommen werden.
Darunter leidet vor allem die pubertierende 14-jährige Tochter Thelma, die keinen Anschluss findet.

Ein Teil der Handlung, die sowohl in Liz Gegenwart als auch in ihrer Vergangenheit, spielt, ist ihre frühere Tätigkeit als Leihmutterschaft. Aus einer Schwangerschaft ging ein Junge hervor, den Liz für sich Dancing Boy genannt hat. Sie hat ihn nie vergessen und sehnt sich schmerzlich nach ihm.
Ist der junge Mann, der plötzlich im Institut auftaucht und ein passendes Muttermal hat, der verlorene Dancing Boy?

Das verrate ich hier natürlich nicht. Diese Frage macht auch nur einen Teil des Romans aus und steht nicht alleine im Zentrum. Ins Zentrum stellt Johnsen vielmehr existenzielle Fragen. Was befriedigt uns wirklich? Nach was sehnen wir uns und finden wir es in der Sexualität, der Liebe oder der Elternschaft?
Das dystopische Setting und das Leihmutter Szenario ist faszinierend und interessant und bietet mir einige gute Denkansätze. Wobei das Thema Leihmutterschaft eher als Katalysator dient und nicht in seiner Gesamtkomplexität behandelt wird. Ingesamt fehlte mir in dem Roman auch eine stringente Handlung mit einem gewissen roten Faden, um mich mehr begeistern zu können.

Es bleibt ein Gefühl von Verlorenheit und Indifferenz, was auch seinen Reiz ausübt und den Roman von anderen abhebt.

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Veröffentlicht am 08.05.2023

Bemerkenswerter und sensibler Endzeitroman

Und dann verschwand die Zeit
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Ich lese unwahrscheinlich gern dystopische Romane. Ihr findet in meinem Feed so einige davon. Es fasziniert mich, was die verschiedenen Autor*innen jeweils aus dem Szenario machen und welche Weltanschauung ...

Ich lese unwahrscheinlich gern dystopische Romane. Ihr findet in meinem Feed so einige davon. Es fasziniert mich, was die verschiedenen Autor*innen jeweils aus dem Szenario machen und welche Weltanschauung sich dadurch offenbart.

Greengrass Dystopie spielt in einem, durch menschgemachten Klimawandel verursachten, überfluteten England. Doch nicht die Katastrophe steht im Mittelpunkt dieses Debütromans, sondern die Menschen.
Greengrass Figuren sind Grandy, seine Enkeltochter Sally, sowie Caro und ihr jüngerer Halbruder Pauly.
Sie haben sich sich in High House, einem höher liegenden autarken Haus mit Gemüsegarten und Gezeitenbecken und genügend Vorräten vor den steigenden Fluten in Sicherheit gebracht. Das Refugium von langer Hand geplant von Paulys Mutter, einer Umweltschützerin, die das Schlimme vorausgesehen hat.
Doch wie lange wird das Haus Schutz bieten? Und wie kann man miteinander gut leben und auskommen?
Welcher Verlust und Verzicht schmerzt am meisten, wenn plötzlich alles gewohnte und lieb gewonnen verschwunden ist?

„All diese Dinge, verwirkt, und mit ihnen das Urvertrauen, dass alles gutgehen würde, egal, was geschah.“

Für mich ist das Besondere an diesem Roman diese ganz spezielle Stimmung, die Greengrass aufbaut. Eine ganz ruhige Atmosphäre, denn nach dem Wegfall des gewohnten Zivilisation sind ganz andere Dinge wichtig. Zwischenmenschliche Dinge.
Liebe und Füreinander da sein, ist das, was beständig bleibt.

„Das ist Gnade, und sie ist das Beste, was wir uns erhoffen können. Wir tun füreinander, was wir können. Wir versuchen, gütig zu sein.“

Der Schluss hat mich sehr berührt. Ich habe den Roman sehr gerne gelesen und diese besondere Stimmung in mich aufgenommen. Vielleicht tendenziell etwas zu unaufgeregt um wirklich ein Highlight für mich zu sein und die Charaktere ein wenig zu undifferenziert in ihren Persönlichkeiten.

In Summe ein bemerkenswertes und sensibles Debüt!

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Veröffentlicht am 05.05.2023

Gute Unterhaltung mit einigen Kritikpunkten

Babel
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Ja…..das war mein sehr gewünschter Ausflug ins Fantasy Genre mit „Babel“.

Leider, leider fällt mein Gesamtfazit dann doch gemischt aus. Ich gehe aber fest davon aus, das die allgemeine Rezeption begeistert ...

Ja…..das war mein sehr gewünschter Ausflug ins Fantasy Genre mit „Babel“.

Leider, leider fällt mein Gesamtfazit dann doch gemischt aus. Ich gehe aber fest davon aus, das die allgemeine Rezeption begeistert ausfallen wird, der Roman ist an sich wirklich gut! Bitte lasst euch durch meine sehr persönlichen Kritikpunkte nicht abschrecken.
Das umfangreiche (730 Seiten) und genial recherchierte Werk von Rebecca F. Kuang spielt in der ersten Häfte des 19. Jahrhunderts und Oxford ist der Nabel der Welt.
In Oxford steht das königliche Institut Babel. Hier werden die magischen Silberbarren gewirkt, die das Empire am Laufen halten. Wer das Silber kontrolliert, hat die Macht und das ist England, aber es braucht ständig neuen Nachschub an Rohstoffen. Nicht nur in materieller Form von Silber, sondern auch in Form von Spracheinflüssen und Humankapital. Eines dieser jungen Talente ist Robin, der nach dem Tod seiner Familie aus dem chinesischen Kanton nach England gebracht wird und dort mit anderen jungen Menschen in Babel ausgebildet zu werden.
So weit, so Harry Potter.
Einiges erinnert mich an die Akademia Reihe von Rowling. Die Oxford Welt, das studentische Treiben, die Freundschaften, die leicht naiv vereinfachte Erzählweise. Aber Kuangs Welt ist wesentlich düsterer und meiner Meinung nach auch sprachlich ansprechender. Ein Punkt, was den Roman so genial macht, sind die sprachwissenschaftlichen Fachsimpeleien über Übersetzungen, Wort- und Sprachstämme und die feinen Unterschiede in den Sprachen.
Das große Thema in Kuangs Roman ist das vorherrschende kolonialistische und ausbeuterische Gedankengut der weißen, oberen Klasse des Empires. „Babel“ kann so als Parabel auf verschiedene historische und aktuelle Strömungen, wie z.b. die industrielle Revolution, gelesen werden. Das ist großartige Gesellschaftskritik.

Leider nimmt der Roman in der zweiten Hälfte eine Entwicklung, die mich nicht mehr mit nimmt und je actionlastiger die Handlung wird, desto weniger bin ich dabei. Kuang vereinfacht komplexe Sachverhalte stark und über die fragwürdige moralische Botschaft des polarisierenden Endes kann man sicher streiten. Eine drastische schwarz-weiß Malerei trägt nicht zur Differenzierung bei. Mich hat dieses letzte Drittel ins Grübeln gebracht, aber nicht in positiver Art und Weise.
Was mich auch gestört hat, ist das komplette Ausblenden und Fehlen der meisten körperlichen Aspekte. Sexualität, Verlangen und Leidenschaft werden gar nicht, romantische Liebe so gut wir gar nicht erwähnt. Auf mich wirken diese Aussparungen, genauso wie die zensiert und entschärft wirkenden Gewaltszenen, steril und bieder-brav.
Kann man sicher mögen, tu ich aber nicht.

Von daher fällt mein Fazit eher gemischt aus. Ein Roman mit großem Potential zur Begeisterung, sowohl sprachlich als auch inhaltlich, an dem mich aber einige Aspekt gestört und nicht gefallen haben.

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Veröffentlicht am 16.04.2023

Unterhaltsame Gesellschaftskritik

Die spürst du nicht
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Glattauer kenne ich als Autoren schon viele Jahre. Nach „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Wellen“, die ich sehr charmant und amüsant fand, verlor ich ihn ein wenig aus den Augen.
Jetzt trat er mit ...

Glattauer kenne ich als Autoren schon viele Jahre. Nach „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Wellen“, die ich sehr charmant und amüsant fand, verlor ich ihn ein wenig aus den Augen.
Jetzt trat er mit „Die spürst du nicht“ zurück in mein Blickfeld.

Seine Schreibweise erkenne ich sofort wieder. Zwischen den Zeilen blitzt Intelligenz und Beobachtungsgabe, das mag ich sehr.
Seine Personenbeschreibungen sind spitzzüngig und pointiert, aber nicht zynisch.
Die Kurzbeschreibung teaserte mich mit einem ansprechenden Setting: ein toskanischer Urlaub, zwei befreundetet Paare aus der gehobene Mittelschicht des Bildungsbürgertums samt Kinder. Mit dabei eine Freundin der Tochter. Ein somalisches Flüchtlingskind.
Die schon im Klappentext angekündigte Katastrophe trifft mich auf Grund ihrer Schwere bereits nach den ersten Seiten unvorbereitet.

Danach, wieder in Österreich, entspinnt Glattauer auf einem gesellschaftlichem Tableau, wie die verschiedenen Beteiligten damit umgehen.
Als besonderes Stilmittel lässt er Zeitungsauschnitte mit verschiedenen Postings und Kommentator*innen einfließen.
Das lockert das ganze wunderbar auf und macht es unterhaltsam und abwechslungsreich.

Mir gefallen die gesellschaftskritischen Anklänge Glattauers, die ich so noch nicht von ihm kenne, wirklich sehr gut. Eine weitere seiner Stärken liegt meiner Meinung nach in der Figurenbeschreibung und Entwicklung der Charakter.
Unwohlsein löst bei mir die Beschreibung der Flüchtlingsfamilie Ahmed aus, deren furchtbares Schicksals als Platzhalter für viele schlimme andere Einzelschicksale herhalten muss. Es mag einer gewissen Überempfindlichkeit geschuldet sein, denn ich empfinde die vereinfachte Erzählweise ihrer Geschichte als leicht stereotyp.
Weiterhin möchte ich deutlich sagen, dass ich den Roman in erster Linie für mich als Unterhaltung mit etwas Tiefgang, und nicht als tiefsinnige Literatur einordne.
Die Weiterführung der Story bedient sich einiger Griffe, die zwar den Unterhaltungswert steigern, nicht aber die Abbildung der Realität. Das muss aber auch nicht sein. Glattauer meistert dank seiner Schreibkunst diesen Widerspruch und führt alles zu einem, nach Unterhaltungsmaßstäben, rundem Ende.

Das macht große Lesefreude und lässt mich den Roman fast auf einen Rutsch durchlesen.
Für mich in Summe ein sehr lesenswerter Unterhaltungsroman, der pointiert wichtige gesellschaftliche Themen aufgreift.

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Veröffentlicht am 16.04.2023

Lesenswertes Debüt mit einigen Schwachstellen

22 Bahnen
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Gleich vorweg: dieser Roman war leider kein richtiges Highlight für mich. Die Leseprobe und die Kurzbeschreibung fand ich durchweg vielversprechend, doch dieses Versprechen konnte der Roman nicht erfüllen…

Wahl ...

Gleich vorweg: dieser Roman war leider kein richtiges Highlight für mich. Die Leseprobe und die Kurzbeschreibung fand ich durchweg vielversprechend, doch dieses Versprechen konnte der Roman nicht erfüllen…

Wahl erzählt in ihrem Debütroman die Geschichte von Tilda, einer leicht nerdigen Mathematikstudentin, und ihrer Familie. Die besteht noch aus ihrer alkoholkranken Mutter und ihrer 10-jährigen Schwester Ida. Neben Geld verdienen und Studium ist Tilda zusätzlich damit voll eingespannt sich um die beiden und den Haushalt zu kümmern. Sie trägt sehr viel Verantwortung.
Um dieser Belastung für eine Weile zu entfliehen geht sie täglich ins Schwimmbad und schwimmt 22 Bahnen.

Dort taucht irgendwann Viktor auf, ein Geist aus ihrer Vergangenheit. Tilda findet Viktor anziehend, weiß aber nicht, ob sie sich auf eine Bekanntschaft einlassen kann und will, denn es gibt da noch ein Geheimnis, dass Tilda belastet…
Mit einer Promotionsstelle in der nächsten Großstadt öffnet sich eine weitere Fluchtmöglichkeit. Aber was wird dann aus Ida, wenn die Mutter wieder einen Aussetzer hat?

Die Beschreibung der Schwesternbeziehung hat mir am besten gefallen und die Charakterentwicklung der beiden weiblichen Hauptfiguren.
Außerdem möchte ich den besonderen Schreibstil Wahls positiv hervorheben. Wie sie mit der direkten Rede arbeitet, gefällt mir sehr gut und macht den Roman und die Figuren wunderbar lebendig!

Weniger gut gefallen hat mir persönlich die Beschreibung der Beziehung zwischen Tilda und Viktor. In Ansätzen stelle ich mir so Yound Adult Literatur vor: der körperlich in allen Details beschriebene attraktive Viktor, der zusätzlich sehr geheimnisvoll und sehr schweigsam ist und erstmal auch nicht emotional verfügbar ist….I mean…Geschmackssache.

Auch die Situation in Tildas bei zu Hause und die, mit der Alkoholsucht der Mutter verbundenen Probleme, können mich nicht überzeugen. Für mich wird nicht ganz klar psychologisch herausgearbeitet, warum Tilda in dieser Situation feststeckt. Sicher, da ist die kleine Schwester, für die sie sich schon immer verantwortlich fühlt, dennoch gäbe es viele Optionen…

In meinen Augen ein sehr solides, wenn nicht ganz ausgereiftes, Debüt der Wahlrostockerin (😅), das ich gerne, aber nicht begeistert gelesen habe.

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