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Veröffentlicht am 23.01.2024

Eine ausgefallene Geschichte einer exzentrischen alten Dame

Das Philosophenschiff
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1922: 10 Personen befinden sich auf einem Luxusschiff, das von St. Petersburg über den Finnischen Busen nach Westen fahren wird. Die Passagieren sind Intellektuelle, Philosophen, Wissenschaftler und Künstler, ...

1922: 10 Personen befinden sich auf einem Luxusschiff, das von St. Petersburg über den Finnischen Busen nach Westen fahren wird. Die Passagieren sind Intellektuelle, Philosophen, Wissenschaftler und Künstler, die auf Anordnung der jungen russischen Regierung ausgewiesen wurden. Sie könnten dort der Revolution gefährlich werden; wie ist nicht ganz klar, aber dennoch könnte eine Gefahr von ihnen ausgehen. Unter ihnen befindet sich als einzige Jugendliche die 14jährige Anouk mit ihren Eltern.
Zu Ehren des 100. Geburtstages von Frau Prof. Anouk Perleman-Jacob wird im Mai 2008 in Wien ein Abendessen veranstaltet, zu dem auch Michael Köhlmeier eingeladen ist, auf ausdrücklichen Wunsch der Jubilarin. Sie hat ihn sich ausgesucht, damit einer über ihre Erinnerungen schreibt, dem man nicht glaubt.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Hier ist es also, das Werk des windigen Autors Michael Köhlmeier, der Dinge erfindet, die wahr sein könnten. Auch ich gehe ihm auf den Leim und google doch tatsächlich ob es Anouk Perleman-Jacob wirklich gab! „Jetzt hat er mich,“ denke ich,“ führt mich geschickt hinters Licht und schummelt sich eine Wahrheit zusammen, die ich ihm nicht nur abkaufe, sondern mit Genuss lese.“
Der eher kurze Roman ist geschickt aufgebaut. Da gibt es zum einen die Rahmenhandlung, in der Anouk Perleman-Jacob auf den Schriftsteller trifft, ihn in ihr Haus einlädt und dazu überredet, ein Buch über eine Geschichte aus ihrer Kindheit zu schreiben. Zum anderen gibt es die Erinnerungen an ihre jungen Jahre und die Fahrt mit dem Philosophenschiff, prall gefüllt mit hochinteressantem geschichtlichen Wissen und Sprichwörtern und russischer Weisheiten, die ich mir alle aufgeschrieben habe, weil ich sie bestimmt einmal gebrauchen kann.
Sprachlich flott und salopp erzählt Köhlmeier über die Treffen mit der Stararchitektin, dieser Hundertjährige, der man wenig vormachen kann und die es faustdick hinter den Ohren hat. Nüchtern und prägnant erzählt sie über den bolschewistischen Terror und den Wirrungen ihrer Kinder- und Jugendjahre, benennt Akteure, Sieger und Besiegte, Freunde, Überlebende und Getötete.
Und wie schon bei „Frankie“ bin ich überrascht vom Ende, das genauso ist, wie es Anouk Perleman-Jacob vom Schriftsteller verlangt hatte:
„Aber vergessen Sie nicht, wer Sie sind: Sie sind der, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.“

Fazit
Das Philosophenschiff von Michael Köhlmeier ist eine ausgefallene Geschichte einer exzentrischen alten Dame, die dem russischen Revolutionsterror entfliehen musste, um niemals mehr zurückzukehren, wo ihre Eltern einst ein geachtetes Leben führten.

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Veröffentlicht am 30.11.2023

Lübecker Geschichten

Unsereins
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Unsereins erzählt die Geschichte der protestantisch, konservativ, kaisertreuen Lübecker Familie: die Lindhorsts. 1890 beginnt die Geschichte mit der Geburt der Nachzüglerin Marthe. Von diesem Ereignis ...

Unsereins erzählt die Geschichte der protestantisch, konservativ, kaisertreuen Lübecker Familie: die Lindhorsts. 1890 beginnt die Geschichte mit der Geburt der Nachzüglerin Marthe. Von diesem Ereignis ausgehend erzählt Inger-Maria Mahlke ein facettenreiches, detailliertes Werk vom Aufstieg und Fall des weitläufigen Patrizierhauses. Als sich die Familie langsam wieder finanziell erholt, erscheint ein Bestsellerroman, verfasst vom Sohn eines verstorbenen Lübecker Senators, der den respektablen Lindhorsts klarmacht, dass sie für ihr Umfeld auch nach zwei Generationen noch immer «die Jüdischen» sind.
Meine persönlichen Leseeindrücke zu „Unsereins“
Inger-Maria Mahlke kann Schreiben, das steht außer Frage. Sie taucht ausführlich und feinfühlig in das Leben der Familie Lindenhorst ein, und verbindet damit Ereignisse und Menschen, deren sie sich ausladend annimmt. Obwohl es mich selten stört wenn es fordernd wird, hier wird es mir dann doch zu viel. Ohne Personenverzeichnis am Anfang des Buches wäre ein gutes Durchkommen schwierig geworden.
Mahlkes Sinn fürs Detail wirkt dann irgendwann einfach nur mehr ermüdend. Zu ausufernd sind ihre Einblicke in das Leben jeder einzelnen Romanfigur. Wenngleich es historisch und gesellschaftlich lohnende Einblicke in Lübecks Leben um die Jahrhundertwende gibt, so sind dennoch knapp 500 Seiten zu viel bemessen. Einige Figuren hätte die Autorin streichen können, ihr Dasein kann man wohlwollend dem Tratsch zuschreiben. Der Handlung hätte dies zweifelsfrei gut getan, sie wäre greifbarer und sinnhafter geworden. Und somit hat Mahlke mit ihrem Buch, das durchaus ein buddenbrooksches Flair hat, für mich nicht klar ausdrücken können, was sie eigentlich sagen wollte.
Fazit
„Unsereins“ von Inger-Maria Mahlke erzählt die Geschichte der Lübecker Patrizierfamilie Lindhorst, und vieler anderer Nebenfiguren. Der Schreibstil passt, doch ist die Erzählung, die durchaus mit einer Buddenbrooks Atmosphäre aufwartet, durch ausufernde Details ermüdend.
N.B. Meine Buchbeschreibung ist an die Rezension von Sternguckerin (Lovelybooks) angelehnt.

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Veröffentlicht am 27.11.2023

Familiäre Lasten

Endstation Malma
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Ein Zug fährt durch eine Sommerlandschaft. An Bord: ein Ehepaar in der Krise, ein Vater mit seiner kleinen Tochter, eine Frau, die das Rätsel ihres Lebens lösen will. Sie alle fahren nach Malma und keiner ...

Ein Zug fährt durch eine Sommerlandschaft. An Bord: ein Ehepaar in der Krise, ein Vater mit seiner kleinen Tochter, eine Frau, die das Rätsel ihres Lebens lösen will. Sie alle fahren nach Malma und keiner von ihnen weiß, wie ihre Schicksale verwoben sind und was sie in Malma erwartet.

Sie sieht die hohen Kiefern, die sich wie eine Wand neben der Straße erheben, und zum ersten Mal auf dieser Reise denkt sie, dass es vielleicht besser wäre, umzukehren, denn man soll nicht nach etwas suchen, von dem man nicht sicher ist, dass man es finden möchte.

Meine persönlichen Leseeindrücke

Was bedeutet es, aus einer unglücklichen Familie zu stammen und ist es zwingend vorgeschrieben, dass man dieses Unglück an die eigene Tochter weitergibt? So könnte ich die Botschaft dieses neuen Romans von Alex Schulman zusammenfassen.

Nach den großartigen Büchern „Die Überlebenden“ und „Verbrenn all meine Briefe“ weiß ich bereits, dass ich wieder in tiefe dunkle Familiengeheimnisse eintauchen werde, und ein literarischer Knall am Ende der gleichzeitig die Tristesse der erzählten Leben erklärt. Darin versteht sich Alex Schulman besonders. Lange lässt er mich als Leser im Dunkeln, auch wenn ich aus Erfahrung schon weiß, da kommt noch der Moment, der alles erklärt und die Erzählung ins richtige Lot bringt. Darin werde ich nicht enttäuscht.

Doch dieses Mal reißt mich die Handlung nicht so mit, mein Mitleid hält sich in Grenzen. Um einen Vergleich mit den beiden vorherigen Romanen komme ich nicht herum und vielleicht liegt es an seinem Stil, den ich jetzt schon ein bisschen kenne, dass ich dieses Mal den Zugang zu den Romanfiguren nicht finde, weil ich ja weiß, in Schweden, bei Schulman, geht es nun mal nicht lustig zu. Die ständigen Ort-, Zeit- und Personenwechsel haben eine Unruhe in der Entwicklung der Geschichte bewirkt, die sich auf meinen Lesefluss hemmend ausgewirkt haben.

Fazit

„Endstation Malma“ ist eine Erzählung über familiäre Lasten, die bewusst oder unbewusst an die nächste Generation weitergegeben werden und eine Zugfahrt nach Malma als gemeinsamen Nenner, der die Romanfiguren mit ihren Schicksalen an einen Ort zusammenfügt. Leider konnte diesmal die Handlung nicht die Intensität der beiden vorherigen Romane erreichen.

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Veröffentlicht am 13.11.2023

Die Pflege alter Menschen

Strom
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Nora ist in ihrer Ausbildung zur Notfallsanitäterin als sie merkt, dass sie schwanger ist. Die körperliche Belastung zwingt sie die Ausbildung zu unterbrechen, psychisch angeschlagen, weiß sie nicht, ob ...

Nora ist in ihrer Ausbildung zur Notfallsanitäterin als sie merkt, dass sie schwanger ist. Die körperliche Belastung zwingt sie die Ausbildung zu unterbrechen, psychisch angeschlagen, weiß sie nicht, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen möchte und wie es mit dem Kindsvater weitergehen soll. Auf der Suche nach einer Ausbildungsüberbrückung wird ihr ein Praktikum in der Demenzabteilung des örtlichen Krankenhauses angeboten, das sie nach einiger Überlegung annimmt. Zur selben Zeit mehren sich gerade in dieser Abteilung Extremsituationen, die nur durch das beherzte Eingreifen des Sanitäters Frank Schlimmeres verhindern. Dennoch fallen die Ereignisse nicht nur Nora auf. Als ihre Mutter auf die Station kommt, wächst Noras Aufmerksamkeit.



Meine persönlichen Leseeindrücke

Tobias Schlegl beschreibt in „Strom“ ein aktuelles Thema: die Pflege alter Menschen in öffentlichen Strukturen. Dazu kreiert er Noras Geschichte, die sich als Auszubildende zur Notfallsanitäterin mit Schwangerschaft, unstabiler Beziehung zum Kindsvater und schwierigem Mutter-Tochter-Verhältnis herumschlagen muss. Damit wäre also genug für emotional Feuerwerk gesorgt.

Leider habe ich davon wenig mitbekommen. Trotz aktuellem Thema und interessanter Handlung hat für mich besonders die sprachliche Gestaltung noch viel Luft nach oben. Es genügt mir nicht, sprachlich essentiell und einfach eine Geschichte vorgesetzt zu bekommen, wenngleich hochaktuell und durchaus interessant. Es fehlte mir an Raffinesse, Feinheit und Eleganz. Das war vielleicht auch niemals die Absicht des Autors, der sein Hauptaugenmerk auf die Schilderung der aktuellen Pflegesituation lenken wollte. Diese Informationen sind jederzeit im Internet abrufbar, es gibt darüber genügend Journalistisches zu lesen.

Aber ich lese hier einen Roman und erwarte mir mehr. Tobias Schlegl schreibt wie ein Berichterstatter, der etwas erzählt. Nun, mir hat das nicht so gefallen.



Fazit

„Strom“ ist ein Buch dieses Moments, das aktuelle Themen behandelt und durch eine zügige Handlung und essentiell aber alltagssprachlich ansprechenden Sprachgebrauch durchaus gefallen kann. Es wird aber nach einem aktuellen kurzen Höhenflug schnell in Vergessenheit geraten.

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Veröffentlicht am 13.11.2023

Ein spannender Einblick in die französische Politlandschaft und die stets dynamische und unberechenbare Welt des Internets.

Machtspiele
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Antoine, ein junger ambitionierter Bretone, ist Assistent eines sozialistischen Politikers und zuständig, dass sein Auftraggeber für jede Situation gerüstet ist. Als nach den Unruhen mit den „Gelbwesten“ ...

Antoine, ein junger ambitionierter Bretone, ist Assistent eines sozialistischen Politikers und zuständig, dass sein Auftraggeber für jede Situation gerüstet ist. Als nach den Unruhen mit den „Gelbwesten“ die Cybersecurity auf der Tagesordnung im Parlamentsausschuss landet, weiß er anfangs gar nichts damit anzufangen. Da begegnet er der Hackerin L., die ihm versucht, das „Drinnen“ zu erklären.

L. durchlebt eine schwierige Zeit. Nachdem ihr Freund verhaftet wurde, weil er beschuldigt wird, sich unerlaubt Zugang zu Daten beschafft zu haben, fühlt sie sich nicht mehr sicher und lebt im Untergrund. Dieser Umstand löst in ihr eine Psychose aus und sie braucht Antoines Hilfe.

Meine persönlichen Leseeindrücke.

„Machtspiele“ ist ein sehr französischer und aktueller Roman, der sich einerseits mit den politischen Unruhen und anderseits mit der faszinierenden Welt des Internets beschäftigt. Aus diesem Mix entsteht ein Plot, der bis zum Schluss spannende Lesestunden garantiert.

Das Französische in dem Roman ist der Bezug zur französischen politischen Landschaft mit den Bildern der „Gelbwesten“, die auch in anderen europäischen Ländern über dem Bildschirm flimmerten. Nun ist die Zeit, in der die Proteste dieser Gruppe in aller Munde waren, vorbei. Dennoch ist es der Autorin gelungen, mir ein konkretes Gefühl des damaligen Aufruhrs zu übermitteln, sodass ich ein Verständnis entwickeln konnte für die immer wieder aufflackernde gesellschaftlichen Proteste.

Das Aktuelle hingegen spielt zwar in Frankreich, könnte aber genauso gut irgendwo auf dieser Welt sich zutragen, denn es betrifft die Welt des Internets und die Bedrohung, die von den sich dort tummelnden IT Profis ausgeht.

Stilsicher beschreibt die Autorin ihre beiden Hauptromanfiguren Antoine und L., die beide für einen Themenstrang stehen: der junge aufstrebende Assistent eines Politikers und eine etwas verlorene, sich mit dem täglichen Leben schwer tuende Hackerin.

Antoine kommt aus der Bretagne, wo er als herausragender Schüler einen Aufstieg in der französischen Hauptstadt via Eliteausbildung versucht. Als Assistent des sozialistischen Parlamentariers zählt es zu seinen Aufgaben, für seinen Auftraggeber Reden zu verfassen, die er mehr oder weniger beliebig aus umzustellenden und frei kombinierbaren Satzblöcken, gespickt mit Auszügen aus Archiv- und Fremdmaterial zusammenfasst.

Die Gegenfigur dazu ist die Computer-Spezialistin L., im Drinnen mehr zuhause als im reellen Leben.

So teilt sich auch das Buch in stets alternierende Kapitel, die sich ausschließlich mal mit der einen, mal mit der anderen Romanfigur beschäftigen, bis, etwas ab der Hälfte, die beiden endlich aufeinandertreffen als sich Antoine berufsmäßig um Cybersecurity kümmern muss und L. die richtige Ansprechpartner dafür ist.

„Machstpiele“ erinnert mich, besonders was die Psychosen der jungen Hackerin L anbelangt, an den Roman „Die Kinder sind Könige“. Das Internet ist kein sicherer Ort, dürfte soweit die Botschaft angekommen sein.



Fazit

Alice Zeniter ist mit "Machtspiele" ein extrem zeitgenössischer, genau beobachtender, spannender und literarisch ansprechender Roman gelungen. Mit Antoine und L. gelingt ein spannender Einblick in die französische Politlandschaft und die stets dynamische und unberechenbare Welt des Internets.

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