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Veröffentlicht am 14.08.2023

Gelungener erster Teil

Die Fabrik der süßen Dinge – Helenes Hoffnung
2

Bitte einzutreten – schon das Cover lädt ein, von all den süßen Dingen zu kosten. Wir befinden uns in Köln im Jahre 1927, die Süßwarenmanufaktur der Familie Ratschek wird von Theodor geleitet, seine beiden ...

Bitte einzutreten – schon das Cover lädt ein, von all den süßen Dingen zu kosten. Wir befinden uns in Köln im Jahre 1927, die Süßwarenmanufaktur der Familie Ratschek wird von Theodor geleitet, seine beiden Söhne Alfred und Henri werden nach seinem Ausscheiden die Firmenleitung übernehmen. Für seine einzige Tochter Helene ist da kein Platz, auch wenn sie es ist, die mit Leidenschaft neue Rezepte kreiert, denn ihre Brüder haben dahingehend eher wenig Interesse. Ihr Vater hält an Altbewährtem fest, er ist der Patriarch und alle haben sich seinen Anweisungen zu fügen. Auch Helene, für die er einen geeigneten Ehemann auswählt. Er ist das, was man eine gute Partie nennt, sein nicht unbeträchtliches Vermögen wäre eine willkommene Finanzspritze. Soweit, so wohl bekannt. Von Helene wird erwartet, dass sie sich fügt, auch wenn der Auserwählte neben den monetären Vorzügen ansonsten nichts zu bieten hat.

Vor hundert Jahren war die Welt der Frau noch eine ganz andere. Die Männer hatten das Sagen, die Frauen mussten sich fügen, ihre Rolle war vorgegeben, das Korsett eng geschnürt. Auch Helene bekommt dieses althergebrachte Rollenbild zu spüren. Ihr Bruder Alfred ist von sich eingenommen, er gleicht in vielem seinem Vater. Die Frage, ob er für die Firmenleitung geeignet ist, stellt sich nicht. Und Henri geht mit Leidenschaft seinem Kunststudium nach, einzig Helene zeigt nicht nur Interesse, sie bringt sich ein, mit Lakritz und Weingummi zaubert sie die verführerischsten Kreationen. Und doch hat sie hier in Köln keine Chance. Nach wiederholten Zwistigkeiten flieht sie nach Hamburg, das Schicksal nimmt seinen Lauf…

„Die Fabrik der süßen Dinge - Helenes Hoffnung“ aus der Feder von Claudia Romes ist der unterhaltsame erste Teil um die fiktive Familie der Kölner Süßwarenhersteller von Ratschek. Der Autorin ist es bestens gelungen, ihre Charaktere lebensnah, lebendig und facettenreich darzustellen, sie sind authentisch, haben Ecken und Kanten und manchmal auch sehr viel mehr. Im Mittelpunkt steht Helene, eine Frau, die nach vielen Enttäuschungen ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, die sich mehr und mehr emanzipiert. Neben all den verführerischen Süßigkeiten, deren Duft mir bei so mach unwiderstehlichen Beschreibung entgegenströmt, lese ich von Freundschaft und Vertrauen, von Verrat und Hinterhältigkeit, aber auch von Liebe und Leidenschaft. Das Leben verläuft nicht geradlinig, für niemanden. Irgendwann muss auch Helene sich entscheiden und sie hat sich entschieden. Wehmütig klappe ich das Buch zu und freue mich auf den zweiten Band, auf „Helenes Träume.“

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Veröffentlicht am 13.08.2023

Gut, aber nicht so gut wie von Arno Strobel gewohnt

Der Trip – Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand.
2

Ein Wildunfall. Fabian und Isabell sind mit ihrem Wohnwagen in Frankreich unterwegs, als es plötzlich knallt. Ein Reh ist ihnen ins Auto gelaufen. Fabian setzt einen Notruf ab, hat allerdings große Verständigungsschwierigkeiten ...

Ein Wildunfall. Fabian und Isabell sind mit ihrem Wohnwagen in Frankreich unterwegs, als es plötzlich knallt. Ein Reh ist ihnen ins Auto gelaufen. Fabian setzt einen Notruf ab, hat allerdings große Verständigungsschwierigkeiten und die wenigen Autos, die vorbeifahren, halten nicht an. Wie aus den Nichts hält ein Abschleppwagen und auch, wenn die Kommunikation nicht recht klappen will, so ist ihre Notlage eindeutig. Ihr Wohnwagen wird verladen, sie fahren mit diesem Fremden durch die Nacht – es war vor zwei Jahren.

Zurück im Heute wird die forensische Psychologin Evelyn Jancke von der Oldenburger Polizei um Mithilfe gebeten. Im norddeutschen Raum tötet ein Unbekannter scheinbar wahllos Menschen auf äußerst brutale Weise, alle Opfer waren auf Campingplätzen unterwegs. Die SoKo Camping ermittelt, zu der auch Kriminalhauptkommissar Gerhard Tillmann gehört.

Evelyn ist eine brillante Psychologin und doch macht ihr das Verschwinden ihres Bruders Fabian auch nach zwei Jahren noch sehr zu schaffen. Sie ist eine Suchende, hat Albträume, rettet sich in kurze Abenteuer und in Alkohol. Die Beziehung zu Gerhard, dem Kommissar, hat sie schon länger beendet, geblieben ist dennoch eine innige Freundschaft. Er unterstützt sie nach Kräften, ist ihr in jeder Hinsicht ein Freund. Auch dann, als sie ihn bittet, mysteriöse SMS wie etwa „Ich habe dich gesehen. F.“ für sich zu behalten. Sie erhält weitere Nachrichten und auch diese lässt sie Gerhard lesen, er hält sich an sein Versprechen, auch wenn er dafür ein Disziplinarverfahren riskiert.

Schon der Prolog macht neugierig. Auch wenn ich diese ersten Seiten so gar nicht zuordnen kann, müssen sie mit dem nachfolgenden Geschehen zu tun haben. Lange tappe ich im Dunkeln. Und die immer mal wieder dazwischengeschobenen Gedanken, die kursiv abgedruckt sind, scheinen von demjenigen zu sein, der für die Bluttaten verantwortlich zeichnet. Viel Raum wird auch einem Klienten von Evelyn eingeräumt. Ihre Therapiesitzungen bringen sie nicht nur einmal an den Rand des Erträglichen. Kleinbauer, so heißt er, scheint viel von Evelyn und Fabian zu wissen - aber wie kann das sein? Es sind noch etliche Gestalten, die sich ihr direkt aufdrängen. Das Phantombild tut ein Übriges.

Arno Strobel gehört zu den Autoren, denen ich blind folge. Er hat mir mit seinen Psychothrillern viele Gänsehautmomente, unzählige unheimliche und zudem äußerst rätselhafte Stunden beschert und auch sein neuestes Werk kann ich hier einreihen, wenngleich ich sein FAKE/FAKT um einiges besser fand. „Der Trip“ war schnell gelesen. Auch ihn mochte ich nicht weglegen und doch hat er mich nicht so mitgerissen wie erwartet. Ich mag Figuren jenseits des Mainstream, Evelyn gehört für mich in diese Kategorie, auch wenn sie im wahren Leben von diesem Fall schon lange hätte abgezogen werden müssen. Sie ist geradezu besessen davon, ihren Bruder zu finden. Hierbei ist sie zielorientiert, sie ist tough, sie ist forsch, ja draufgängerisch und dann wieder scheint sie eher verbohrt und naiv zu sein, sie dreht sich im Kreis und mit ihr die Story. Das Rasante wird abgelöst von etlichen Längen, die es so nicht gebraucht hätte. Die Aufmachung des Buches dagegen erhält meine absolute Zustimmung. Es zeigt deutlich, dass es jemanden gibt, der hinter dem Zielfernrohr nach Campern Ausschau hält.

Auch wenn mich Arno Strobel mit seinem neuesten Werk nicht so ganz abgeholt hat, so bin ich bei seinem nächsten Thriller wieder dabei, denn er kann es besser. „Der Trip“ hat mich gut unterhalten, ist aber eher Mittelmaß.

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Veröffentlicht am 10.08.2023

Ihre ganz persönliche Entrümpelung

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
2

Normalerweise nabeln sich die Kinder vom Elternhaus ab. Normalerweise. Doris Knecht versucht es in ihrem Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ andersrum.

Das Buch, die kurzen ...

Normalerweise nabeln sich die Kinder vom Elternhaus ab. Normalerweise. Doris Knecht versucht es in ihrem Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ andersrum.

Das Buch, die kurzen Kapitel und die wie wirr durcheinander gewürfelten Episoden eines Lebens haben mich erst finden müssen und kaum haben sie mich gepackt, waren mir diese Geschichten aus dem Leben gegriffen auch schon zu fad. Zu nichtssagend. Nach einiger Zeit wollte ich dann doch noch wissen, ob sie – denn unsere Protagonistin, Erzählerin, Tochter, Schwester und Mutter von Zwillingen ist hier namenlos – ihre bald zu große Wohnung aufgibt und was Kleineres, aber doch Bezahlbares findet. Denn ursächlich geht es genau darum. Ihre Zwillinge Mila und Max (letzterer ist eigentlich eine Luzi, will aber nicht, dass über sie geschrieben wird, also ist sie kurzerhand der Max und damit männlich) sind bald flügge, sie wollen ihre eigene Wohnung.

Im Laufe des Buches erfahre ich einiges von ihrem Leben, ihren Lieben, auch von ihrer Mutter und ihren vier Schwestern, je zwei Zwillingsmädchen, die mittlerweile selber ihre Familien haben.

Sie entrümpelt ihre Wohnung, aber eigentlich entrümpelt sie ihr Leben. Es ist eine schonungslose Aufarbeitung ihrer Gefühle, sie stellt sich ihrer Vergangenheit, berichtet, ohne etwas zu beschönigen. Sie hat sich nie wahrgenommen gefühlt und meint, nichts von Wert geschaffen zu haben. Aber ist das wirklich so? Sieht sie sich zu kritisch?

Sie reflektiert, erinnert sich und dann auch wieder nicht. Bringt so einiges durcheinander. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, ohne Gefühlsdusselei. Ist der Erzählstil deshalb so nüchtern, teilweise nichtssagend? Ist eher alles auf die Schnelle abgehandelt? Die kurzen Sequenzen lesen sich wie Momentaufnahmen, teilweise wie aus weiter Ferne betrachtet. Außerdem habe vermehrt das Gefühl, dass sie eigentlich nichts verändern will, sie hängt an dem Alten, dem Vertrauten. Und sie lässt mich ratlos zurück, auch wenn sie letztendlich doch noch die Kurve kriegt.

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Veröffentlicht am 10.08.2023

Geheimnisvolle Reise in die Vergangenheit

Porträt auf grüner Wandfarbe
2

Alles beginnt mit dem Anruf, den die Übersetzerin Gwen erhält. Ihren geplanten Urlaub muss sie wohl verschieben, da ein Auftrag nicht vollständig erledigt ist. Da dies zum wiederholten Male nicht an ihr ...

Alles beginnt mit dem Anruf, den die Übersetzerin Gwen erhält. Ihren geplanten Urlaub muss sie wohl verschieben, da ein Auftrag nicht vollständig erledigt ist. Da dies zum wiederholten Male nicht an ihr liegt, will sie endlich einen Schlussstrich ziehen, zumal diese Übersetzungen sowieso nicht sehr gut bezahlt werden. So kündigt sie kurzerhand und macht sich auf den Weg von London zu ihrer Tante Lily nach Berlin und nach Köslin, das heute in Polen liegt. Bald findet sie Tagebücher, deren Inhalt sie in die Vergangenheit, in tief Verborgenes führen.

Es sind die Erinnerungen von Ella, die sie bis 1938 aufgeschrieben hat. Gwen beginnt zu lesen, taucht immer tiefer ab, befindet sich gedanklich auf Schloss Elmau und auf einem Gutshof bei Köslin, das damals der preußischen Provinz Pommern angehörte und es verschlägt sie auch in das Berlin der 1920er Jahre. Mit Ella ist auch Ilsabé dabei und hier spannt sich der Bogen um Gwens Familiengeschichte, Ilsabé ist ihre rüstige, 94jährige Großmutter.

Es ist die Zeit nach dem Ersten bis hinein in den Zweiten Weltkrieg. Das Leben während dieser schweren Jahre wird greifbar, die weit verzweigte Familie und deren Schicksal fordert nicht nur Gwens ganze Aufmerksamkeit. Es dauert schon, bis die einzelnen Figuren halbwegs zuzuordnen sind. Ist man erst man drin im Familiengefüge, macht das Hören doppelt Spaß. Denn ich habe dem Hörbuch, wundervoll vorgetragen von Elisabeth Günther, gelauscht. Sie gibt jedem einzelnen Darsteller seinen ganz eigenen Charakter und, was mir sofort aufgefallen ist, was mir gut gefallen hat, war die zuweilen bayerische Klangfärbung.

Wie die einzelnen Erzählstränge in Beziehung zueinander stehen, schimmert durch und wird später dann zunehmend sichtbar. Elisabeth Günther ist eine vielschichtige Familiengeschichte gelungen, ein Porträt, das Zeiten und Orte überdauert.

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Veröffentlicht am 10.08.2023

Der Iran inmitten unruhiger Zeiten

Zum Schweigen verdammt
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„Zum Schweigen verdammt“ ist der lesenswerte vierte Band der Leise-Helden-Reihe aus der Feder von Melanie Metzenthin. Schon die Vorgängerbände haben mich tief berührt, jeder behandelt ein interessantes ...

„Zum Schweigen verdammt“ ist der lesenswerte vierte Band der Leise-Helden-Reihe aus der Feder von Melanie Metzenthin. Schon die Vorgängerbände haben mich tief berührt, jeder behandelt ein interessantes Thema. Nun führt sie ihre Leser in den Iran, zurück ins Jahr 1953, direkt hinein in eine turbulente Zeit.

Es ist auch die fiktive Geschichte um Eddy und Bruno - ersterer ist Journalist, der andere Fotograf -, die sich mit ihrem ausgebauten VW-Bus auf eine abenteuerliche Reise in den Iran machen. Ihre Reisereportage für die BBC führt sie mitten hinein in die Unruhen, die zum Sturz des Premierministers Mohammad Mossadegh führen, bei dem die Geheimdienste eine wesentliche Rolle spielen. Die historischen Ereignisse vor dem Hintergrund der Ölförderung, die in britischer Hand lag und von Mossadegh verstaatlicht wurde, fügt die Autorin gut verständlich ein in ihre unterhaltsame Geschichte um die Freundschaft zweier Männer, die ihre Beziehung zueinander im Verborgenen leben. Die Zeit ist noch lange nicht reif, um sich zu outen. Sie hat mir auch das Parteiensystem und den Einfluss der Sowjets und der Amis mitsamt ihrer Geheimdienste nähergebracht, hat mir Einblicke in die persische Gastfreundschaft und das gesellschaftliche Miteinander gewährt und natürlich auch die Rolle der Geistlichkeit und des Schahs Mohammad Reza Pahlavi, Mossadeghs Gegenspieler, verdeutlicht.

Viel Historisches habe ich über ein Land erfahren, das sich heute verschlossener denn je präsentiert. Die Demonstrationen werden brutal niedergeschlagen, die Sittenpolizei kennt keine Gnade.

Eine Reisereportage sollte es für Eddy und Bruno werden, ein eindrucksvoller Roman, ein interessantes Stück Zeitgeschichte ist daraus entstanden. Die fiktiven Charaktere sind geschickt mit der politisch aufgeheizten Stimmung verwoben. Tief bin ich eingetaucht in die geheimnisvolle Welt des Irans, es waren kurzweilige, spannende Lesestunden.

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