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Veröffentlicht am 10.08.2023

Ihre ganz persönliche Entrümpelung

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
2

Normalerweise nabeln sich die Kinder vom Elternhaus ab. Normalerweise. Doris Knecht versucht es in ihrem Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ andersrum.

Das Buch, die kurzen ...

Normalerweise nabeln sich die Kinder vom Elternhaus ab. Normalerweise. Doris Knecht versucht es in ihrem Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ andersrum.

Das Buch, die kurzen Kapitel und die wie wirr durcheinander gewürfelten Episoden eines Lebens haben mich erst finden müssen und kaum haben sie mich gepackt, waren mir diese Geschichten aus dem Leben gegriffen auch schon zu fad. Zu nichtssagend. Nach einiger Zeit wollte ich dann doch noch wissen, ob sie – denn unsere Protagonistin, Erzählerin, Tochter, Schwester und Mutter von Zwillingen ist hier namenlos – ihre bald zu große Wohnung aufgibt und was Kleineres, aber doch Bezahlbares findet. Denn ursächlich geht es genau darum. Ihre Zwillinge Mila und Max (letzterer ist eigentlich eine Luzi, will aber nicht, dass über sie geschrieben wird, also ist sie kurzerhand der Max und damit männlich) sind bald flügge, sie wollen ihre eigene Wohnung.

Im Laufe des Buches erfahre ich einiges von ihrem Leben, ihren Lieben, auch von ihrer Mutter und ihren vier Schwestern, je zwei Zwillingsmädchen, die mittlerweile selber ihre Familien haben.

Sie entrümpelt ihre Wohnung, aber eigentlich entrümpelt sie ihr Leben. Es ist eine schonungslose Aufarbeitung ihrer Gefühle, sie stellt sich ihrer Vergangenheit, berichtet, ohne etwas zu beschönigen. Sie hat sich nie wahrgenommen gefühlt und meint, nichts von Wert geschaffen zu haben. Aber ist das wirklich so? Sieht sie sich zu kritisch?

Sie reflektiert, erinnert sich und dann auch wieder nicht. Bringt so einiges durcheinander. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, ohne Gefühlsdusselei. Ist der Erzählstil deshalb so nüchtern, teilweise nichtssagend? Ist eher alles auf die Schnelle abgehandelt? Die kurzen Sequenzen lesen sich wie Momentaufnahmen, teilweise wie aus weiter Ferne betrachtet. Außerdem habe vermehrt das Gefühl, dass sie eigentlich nichts verändern will, sie hängt an dem Alten, dem Vertrauten. Und sie lässt mich ratlos zurück, auch wenn sie letztendlich doch noch die Kurve kriegt.

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Veröffentlicht am 10.08.2023

Geheimnisvolle Reise in die Vergangenheit

Porträt auf grüner Wandfarbe
2

Alles beginnt mit dem Anruf, den die Übersetzerin Gwen erhält. Ihren geplanten Urlaub muss sie wohl verschieben, da ein Auftrag nicht vollständig erledigt ist. Da dies zum wiederholten Male nicht an ihr ...

Alles beginnt mit dem Anruf, den die Übersetzerin Gwen erhält. Ihren geplanten Urlaub muss sie wohl verschieben, da ein Auftrag nicht vollständig erledigt ist. Da dies zum wiederholten Male nicht an ihr liegt, will sie endlich einen Schlussstrich ziehen, zumal diese Übersetzungen sowieso nicht sehr gut bezahlt werden. So kündigt sie kurzerhand und macht sich auf den Weg von London zu ihrer Tante Lily nach Berlin und nach Köslin, das heute in Polen liegt. Bald findet sie Tagebücher, deren Inhalt sie in die Vergangenheit, in tief Verborgenes führen.

Es sind die Erinnerungen von Ella, die sie bis 1938 aufgeschrieben hat. Gwen beginnt zu lesen, taucht immer tiefer ab, befindet sich gedanklich auf Schloss Elmau und auf einem Gutshof bei Köslin, das damals der preußischen Provinz Pommern angehörte und es verschlägt sie auch in das Berlin der 1920er Jahre. Mit Ella ist auch Ilsabé dabei und hier spannt sich der Bogen um Gwens Familiengeschichte, Ilsabé ist ihre rüstige, 94jährige Großmutter.

Es ist die Zeit nach dem Ersten bis hinein in den Zweiten Weltkrieg. Das Leben während dieser schweren Jahre wird greifbar, die weit verzweigte Familie und deren Schicksal fordert nicht nur Gwens ganze Aufmerksamkeit. Es dauert schon, bis die einzelnen Figuren halbwegs zuzuordnen sind. Ist man erst man drin im Familiengefüge, macht das Hören doppelt Spaß. Denn ich habe dem Hörbuch, wundervoll vorgetragen von Elisabeth Günther, gelauscht. Sie gibt jedem einzelnen Darsteller seinen ganz eigenen Charakter und, was mir sofort aufgefallen ist, was mir gut gefallen hat, war die zuweilen bayerische Klangfärbung.

Wie die einzelnen Erzählstränge in Beziehung zueinander stehen, schimmert durch und wird später dann zunehmend sichtbar. Elisabeth Günther ist eine vielschichtige Familiengeschichte gelungen, ein Porträt, das Zeiten und Orte überdauert.

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Veröffentlicht am 10.08.2023

Der Iran inmitten unruhiger Zeiten

Zum Schweigen verdammt
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„Zum Schweigen verdammt“ ist der lesenswerte vierte Band der Leise-Helden-Reihe aus der Feder von Melanie Metzenthin. Schon die Vorgängerbände haben mich tief berührt, jeder behandelt ein interessantes ...

„Zum Schweigen verdammt“ ist der lesenswerte vierte Band der Leise-Helden-Reihe aus der Feder von Melanie Metzenthin. Schon die Vorgängerbände haben mich tief berührt, jeder behandelt ein interessantes Thema. Nun führt sie ihre Leser in den Iran, zurück ins Jahr 1953, direkt hinein in eine turbulente Zeit.

Es ist auch die fiktive Geschichte um Eddy und Bruno - ersterer ist Journalist, der andere Fotograf -, die sich mit ihrem ausgebauten VW-Bus auf eine abenteuerliche Reise in den Iran machen. Ihre Reisereportage für die BBC führt sie mitten hinein in die Unruhen, die zum Sturz des Premierministers Mohammad Mossadegh führen, bei dem die Geheimdienste eine wesentliche Rolle spielen. Die historischen Ereignisse vor dem Hintergrund der Ölförderung, die in britischer Hand lag und von Mossadegh verstaatlicht wurde, fügt die Autorin gut verständlich ein in ihre unterhaltsame Geschichte um die Freundschaft zweier Männer, die ihre Beziehung zueinander im Verborgenen leben. Die Zeit ist noch lange nicht reif, um sich zu outen. Sie hat mir auch das Parteiensystem und den Einfluss der Sowjets und der Amis mitsamt ihrer Geheimdienste nähergebracht, hat mir Einblicke in die persische Gastfreundschaft und das gesellschaftliche Miteinander gewährt und natürlich auch die Rolle der Geistlichkeit und des Schahs Mohammad Reza Pahlavi, Mossadeghs Gegenspieler, verdeutlicht.

Viel Historisches habe ich über ein Land erfahren, das sich heute verschlossener denn je präsentiert. Die Demonstrationen werden brutal niedergeschlagen, die Sittenpolizei kennt keine Gnade.

Eine Reisereportage sollte es für Eddy und Bruno werden, ein eindrucksvoller Roman, ein interessantes Stück Zeitgeschichte ist daraus entstanden. Die fiktiven Charaktere sind geschickt mit der politisch aufgeheizten Stimmung verwoben. Tief bin ich eingetaucht in die geheimnisvolle Welt des Irans, es waren kurzweilige, spannende Lesestunden.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

„Trip to yourself“

Mit dir den Himmel berühren
2

Mit der Architekturstudentin Line, die sich in Köln wohl fühlt, hat es mich direkt auf die Bergalm in Oberstdorf verschlagen. Lines Schwester Paula ist hochschwanger und schafft den täglichen Andrang auf ...

Mit der Architekturstudentin Line, die sich in Köln wohl fühlt, hat es mich direkt auf die Bergalm in Oberstdorf verschlagen. Lines Schwester Paula ist hochschwanger und schafft den täglichen Andrang auf der Hütte nicht mehr, zwei ihrer Mitarbeiterinnen sind ausgefallen und nun ist sie für die schwesterliche Hilfe dankbar. Der Bergführer Simon kehrt mit seinen Wandergruppen öfter in der Hütte ein und so bleibt es nicht aus, dass Line und er sich näher kommen.

Josefine Weiss beschreibt den Alltag auf der Hütte und die wenige Freizeit so anschaulich, dass ich mich direkt vor Ort wähne. Paula und ihr Martin mit den Kindern samt Schwiegermutter sind ein eingeschworenes Team, sie halten zusammen, wollen für jeden nur das Beste. Und natürlich will auch Paula, dass ihre kleine Schwester nicht auf einen Herzensbrecher hereinfällt. Doch gegen die Liebe, die unbändige Anziehungskraft, ist auch sie machtlos, wenngleich Line zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt alle Gefühlsregungen durchlebt. Mit Simon ist sie mutig, mit ihm möchte sie den Himmel berühren.

Es ist eine Liebesgeschichte, es ist aber noch viel mehr. Das ländliche Leben ist anschaulich geschildert, alle Charaktere sind facettenreich und glaubhaft gezeichnet. Simon ist zunächst der umschwärmte Guide, der jedes Herz zum Schmelzen bringt. Doch je tiefer der Blick in seine blauen Augen geht, desto mehr kommt der wahre Simon zum Vorschein.

Zum Schluss habe ich dann noch einige Tränchen verdrückt, es waren unterhaltsame Lesestunden.

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Veröffentlicht am 02.08.2023

Das andere Zwillingsmädchen

Düstergrab
4

Das Mädchen rennt so schnell es kann, der Mann hinter ihr will ihr nichts Gutes, wie es scheint. Schon der Prolog ist so dramatisch wie rätselhaft und bald sind wir mit Frida auf der Beerdigung ihres viel ...

Das Mädchen rennt so schnell es kann, der Mann hinter ihr will ihr nichts Gutes, wie es scheint. Schon der Prolog ist so dramatisch wie rätselhaft und bald sind wir mit Frida auf der Beerdigung ihres viel zu früh verstorbenen Schulfreundes. Kaum ist sie wieder daheim, kommt Enno Dahlsen, der Friedhofswärter, und bittet sie, mitzukommen. Die Kränze auf dem frischen Grab liegen anders als am Tag zuvor: „Es könnte sein, dass jemand die Leiche stehlen wollte.“ Nachdem das Grab und der Sarg darin wieder geöffnet sind haben sie Gewissheit – jemand hat zu dem Toten die Leiche eines Mädchens gelegt, gekleidet mit einer Art Tracht, in Händen hält sie einen Strauß des Tausendgüldenkrautes. Frida meint, dieses Mädchen schon einmal gesehen zu haben – aber wo?

Auch eine ganz andere Sache macht Frida schwer zu schaffen, wurde doch auf Leo, ihrem Partner, direkt vor dem Polizeigebäude geschossen – oder galt dieser Schuss ihr? Leo liegt im Krankenhaus und so wird Frida wieder Bjarne Haverkorn zur Seite gestellt. Haben diese beiden Vorkommnisse miteinander zu tun?

Es sind so einige Erzählstränge, über jedem schweben große Fragezeichen. Noch ist alles nebulös, ja mysteriös. Bald wissen sie, dass es sich bei dem Mädchen um Lilly handelt, die mit ihrer Zwillingsschwester Sophie bei Pflegeeltern gelebt hat, beide Mädchen sind seit vier Jahren spurlos verschwunden. Nun gilt es, die hoffentlich noch lebende Sophie zu finden. Und nicht genug damit, auch Leo verhält sich rätselhaft. Es scheint, dass er wesentlich mehr weiß, als er preisgibt.

Natürlich kommen auch die privaten Momente nicht zu kurz. Es sind Nebenschauplätze wie etwa stellvertretend für alle anderen Figuren die Beziehung zwischen Frida und Torben. Eine Entscheidung steht an, im nächsten Band werde ich vielleicht schon mehr erfahren. Die Charaktere sind nahbar, es ist, wie alte Bekannte wieder treffen. Sie entwickeln sich von Buch zu Buch weiter, jedoch ist auch „Düstergrab“, wie jeder Vorgängerband, in sich abgeschlossen, man kann also ohne Vorkenntnisse jederzeit in die Reihe einsteigen.

Zu guter Letzt kommt es geballt, wie im Schnelldurchgang. Alles muss aufgeklärt, viele lose Fäden zusammengeführt werden. Und ja, die einzelnen Versatzstücke fügen sich ineinander, nichts bleibt offen. Manches fühlt sich dabei schlussendlich ein wenig zu konstruiert an, jedoch bleibt auch dieser sechste Elbmarsch-Krimi durchgängig so spannend wie rätselhaft und undurchschaubar bis zum verblüffenden Schluss. Romy Fölck hat mich wieder gut unterhalten und auf so manch falsche Fährte gelockt. Ein solider Krimi mit einem Schuss Lokalkolorit, den ich gerne weiterempfehle.

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