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Veröffentlicht am 19.07.2022

Traumhafter Hörgenuss

Das Tor zur Welt: Träume
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Die kleine Ava lebt bei Pflegeeltern, das Geld ist immer knapp und das wenige lässt der Vater viel zu oft durch seine durstige Kehle rinnen. Die Familie entschließt sich wie so viele in dieser Zeit, nach ...

Die kleine Ava lebt bei Pflegeeltern, das Geld ist immer knapp und das wenige lässt der Vater viel zu oft durch seine durstige Kehle rinnen. Die Familie entschließt sich wie so viele in dieser Zeit, nach Amerika auszuwandern. Sie sind schon in Hamburg, als die Cholera wütet und Ava von allen im Stich gelassen wird. Als gerade mal 14jährige hilft sie in den Auswandererhallen, um sich die Überfahrt leisten zu können. Ava trifft in diesen Hallen auf Claire, die aus ganz anderen Gründen hier arbeitet. Zunächst begegnen sie sich eher distanziert, werden aber im Laufe der Zeit zu Freundinnen.

„Das Tor zur Welt - Träume“ ist der erste Teil der Saga um die Hamburger Auswandererstadt. In den Auswandererhallen warten sie auf ihre Schiffe, haben alles zurückgelassen in der Erwartung auf ein besseres Leben.

Im Wechsel erfahren wir aus der Sicht von Ava und aus der von Claire, was sie hierher geführt hat und wie sich ihr Alltag gestaltet. Während Ava schon von klein auf mitarbeiten musste, sie oft hungrig war, hat Claire eher Luxusprobleme. Zwei ganz und gar unterschiedliche Charaktere bringt das Schicksal zusammen. Während Ava lernen muss, sich zu behaupten, erfährt Claire, dass ihre hochnäsige Art nicht zielführend ist. Nicht nur diese beiden Figuren sind sehr authentisch und lebendig dargestellt, das Warten in den Auswanderungshallen ist ein kurzweiliges, stets glaubhaft dargestelltes Lese- bzw. Hörvergnügen.

Miriam Georg schafft es spielend, ihre Leser in diese Auswanderungshallen mitzunehmen, sie mit ihrem eingängigen Schreibstil regelrecht zu fesseln. Es gab sie schon immer, die Gutgläubigen und diejenigen, die dies für sich auszunutzen wussten. Die Not der einen bringt den anderen Gewinn, man muss nur dementsprechend skrupellos sein.

Tanja Fornaro, die Sprecherin, hat mich in diese so andere Welt entführt, hat Ava und Claire ihre ganz persönliche Note gegeben, aber auch die anderen Figuren – egal ob Mann oder Frau - waren gut unterscheidbar. Die so ganz eigene Stimmung in solch einer Ausnahmesituation ist in all ihren Nuancen spürbar, ich habe mit ihnen allen mitgefiebert oder sie verdammt.

Die TRÄUME von Ava und Claire wandeln sich in HOFFNUNG, auch wenn es noch dauert. Den zweiten Teil der Auswanderstadt-Saga werde ich mir nicht entgehen lassen. TRÄUME waren ein Hörgenuss, sehr lesens- bzw. hörenswert!

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Veröffentlicht am 19.07.2022

Familiengeschichte – ein Blick zurück

Beifang
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Die Zechensiedlung Beifang liegt am Rande des Ruhrgebietes. Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts für die Bergleute der Zeche Hermann, die 1926 stillgelegt wurde, errichtet.

Schon das Cover lässt die ...

Die Zechensiedlung Beifang liegt am Rande des Ruhrgebietes. Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts für die Bergleute der Zeche Hermann, die 1926 stillgelegt wurde, errichtet.

Schon das Cover lässt die Trostlosigkeit allzu deutlich spüren. Wer möchte hier aufwachsen, geschweige denn sein ganzes Leben verbringen!

Die Geschichte der Familie Zimmermann erzählt Frank, der nach Jahren der Sprachlosigkeit wieder auf seinen Vater trifft. Das Haus der Eltern muss ausgeräumt werden, es wird verkauft und nun kann Frank, so er Interesse hat, sich aus all den alten Sachen das für ihn Wichtige heraussuchen. Und hier entdeckt er eine rot lackierte Kiste, die einst Winfried, seinem Großvater, gehörte. Von ihm weiß er nicht viel, was er aber gerne ändern möchte. Da sein Vater wortkarg ist, begibt sich Frank auf Windfrieds Spuren. Die zwölf Zimmermann-Kinder kennt er nur teilweise, was er zu ändern gedenkt - von seinen Onkeln und Tanten erfährt er nun doch so einiges.

Der Roman erzählt vom harten Leben einer Großfamilie, das Geld ist knapp, das Überleben nicht immer einfach. Der Vater ist gezeichnet von seinen Kriegserlebnissen, der Ton ist ruppig. Schon die Kinder wissen sich zu wehren, sie sind als eher asozial verschrien. Das Leben der Zimmermanns wird in Episoden sichtbar, die Begegnungen mit den Geschwistern von Franks Vater, deren Erzählungen, fügen sich zu einem stimmigen Gesamtbild. Der Umgangston ist eher hart denn herzlich, für den Einzelnen bleibt nicht viel übrig.

Mich lässt „Beifang“ zwiespältig zurück. Der nüchtern wirkende Erzählstil passt sich jedoch gut an diese Geschichte an, ich war eher distanzierter Zuschauer, keiner der Charaktere kam mir nahe. Die Umgebung rund um diese Zechensiedlung ist alles andere als einladend, man kann sich die Tristesse gut vorstellen. Ein Blick zurück in die Vergangenheit.

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Veröffentlicht am 18.07.2022

Ein tiefer Blick in die heutige Gesellschaft Südkoreas

Dämmerstunde
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Bak Minu und Dschong Uhi, die beiden so unterschiedlichen Charaktere, leben und arbeiten in Südkoreas Megacity Seoul. Eine Stadt der Gegensätze. Während die einen am Rande stehen, bis zur Erschöpfung arbeiten ...

Bak Minu und Dschong Uhi, die beiden so unterschiedlichen Charaktere, leben und arbeiten in Südkoreas Megacity Seoul. Eine Stadt der Gegensätze. Während die einen am Rande stehen, bis zur Erschöpfung arbeiten und doch nie viel haben werden, haben die anderen keinerlei Existenzsorgen.

Gleich mal begegnen wir Minu, dem erfolgreichen Architekten. In den Slums aufgewachsen, kennt er den täglichen Kampf ums Überleben nur zu gut. Sein Blick zurück zeigt anschaulich, wie es damals war, als er noch unter denen in den Armutsvierteln lebte, immer wieder abgelöst von den heutigen Bildern, von seinem einsamen Leben. Die Familie ist weg, er hatte sowieso keine Zeit für sie, die Arbeit stand stets im Vordergrund. Gefühle werden nicht gezeigt, man lächelt über alles hinweg.

Dem Theater gehört Uhis ganze Leidenschaft, auch wenn sie ihren Lebensunterhalt anderweitig bestreiten muss. Bis zur Erschöpfung malocht sie sich von Job zu Job, ihre Wohnung ist eher eine heruntergekommene Schlafstätte.

Hwang Sok-yong zeichnet anhand dieser beiden Charaktere ein nüchternes Bild der koreanischen Gesellschaft. Am Ende seines arbeitsreichen Lebens erkennt Minu, was er hätte anders, was er hätte besser machen können. "...Ich war ja doch auch ein anderer geworden, mein Horizont war ein anderer und damit auch mein Gefühlshaushalt..." Auch die Ausbeutung derer, die sich am Rande der Gesellschaft befinden, ist stets präsent und mit Uhi sehr anschaulich geschildert. Ihre Rechte stehen lediglich auf dem Papier, Arbeitsvertrag hin oder her. Wer nicht spurt, kann gehen. Der Nächste wartet schon.

Der Autor setzte sich schon früh für die Rechte der Arbeiter ein, war aktiv in der Demokratiebewegung, seine Werke erzählen davon. „Vertraute Welt“ habe ich von ihm gelesen, ich habe hineingeblickt in diese Welt der Gegensätze. Das Hineinfinden in seine „Dämmerstunde“ hat schon etwas gedauert, an die nüchterne und sprunghafte Erzählweise musste ich mich erst gewöhnen. Dranbleiben lohnt sich, vieles erschließt sich nach und nach, die Zusammenhänge werden sichtbar. Die anfangs so unnahbaren Figuren werden zugänglicher, der Erzählstil bleibt zwar kühl und doch begreift man deren Tun, nimmt an deren Leben teil.

„Dämmerstunde“ ist kein Buch, das man nebenbei liest. Die schnell wechselnden Zeitebenen fordern volle Aufmerksamkeit, es ist ein intensiver Blick ins heutige Südkorea, in eine für uns so fremde Welt.

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Veröffentlicht am 14.07.2022

Wundervoll!

Violeta
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Violeta del Valle schreibt Camilo, ihrem geliebten Enkel, einen langen Brief. Schreibt ihm ihre Lebensgeschichte, untermalt von den Ereignissen der Welt. Von der spanischen Grippe mit all ihren Schrecken, ...

Violeta del Valle schreibt Camilo, ihrem geliebten Enkel, einen langen Brief. Schreibt ihm ihre Lebensgeschichte, untermalt von den Ereignissen der Welt. Von der spanischen Grippe mit all ihren Schrecken, der Weltwirtschaftskrise, der Weltkriege und der Militärjunta. Sie ist 1920 zur Welt gekommen, hat ein ganzes Jahrhundert durchlebt, auch sie ist nicht ungeschoren davon gekommen. Wie sollte sie auch! Sie hat viel erlebt, hat geliebt, gelacht, gelitten, war am Boden und ist wieder aufgestanden.

Isabel Allende schreibt von einer selbstbewussten Frau, die immer gekämpft hat. Nicht immer hat sie gewonnen und doch hat sie nie aufgegeben. Sie war ihrer Zeit weit voraus, hat sich das Recht genommen, ihren eigenen Weg zu gehen, der nicht immer bequem war. Und jetzt, als 100jährige, blickt sie zurück, hinterlässt Camilo das Zeugnis einer bewegten Zeit.

In vier sehr intensiven Teilen erzählt Violeta von der Verbannung, wie sie in einer fast menschenleeren Umgebung neu anfangen mussten, die Umstände ließen ihnen keine Wahl. Auch ihre Liebschaften lässt sie nicht aus, sie war und ist bis zuletzt eine leidenschaftliche Frau. Das Private ist ohne das Weltgeschehen nicht denkbar, es sind die Jahre der Militärjunta – Leute verschwinden, tauchen nie wieder auf. Isabel Allende verpackt das Politische geschickt, ohne es direkt zu benennen. Und doch wird in jeder Zeile, mit jedem Wort nur allzu deutlich, was gemeint ist.

Violeta wurde 1920 während der Grippepandemie geboren und ein ganzes Jahrhundert später schlägt die Coronapandemie zu. So schließt sich der Kreis, für Violeta ist alles gut, sie blickt auf ein reiches Leben zurück.

Es ist schon länger her, dass ich Isabel Allendes Romane gelesen habe. Nicht alle, aber doch so einige. Einmal angefangen, war ich von ihrem so intensiven Erzählstil gefangen und musste das nächste Buch lesen. Auch jetzt, nach „Violeta“, verspüre ich den dringenden Wunsch, von der chilenisch-US-amerikanischen Schriftstellerin wieder mehr zu lesen.

Das Porträt einer außergewöhnlichen Frau – schon das Cover vermittelt einen ersten Eindruck von der in jeder Hinsicht leidenschaftlichen „Violeta“. Ein wundervolles Buch, eine ergreifende Lebensgeschichte, es fesselt ab der ersten Seite. Absolut lesenswert!

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Veröffentlicht am 11.07.2022

Es brodelt unter der Oberfläche

Lightseekers
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Drei Studenten werden auf grausame Art ermordet. Der Vater eines Opfers beauftragt den Psychologen Dr. Philip Taiwo, der lange in den USA gelebt hat, Licht ins Dunkel zu bringen. Ein Video von den „Okriki ...

Drei Studenten werden auf grausame Art ermordet. Der Vater eines Opfers beauftragt den Psychologen Dr. Philip Taiwo, der lange in den USA gelebt hat, Licht ins Dunkel zu bringen. Ein Video von den „Okriki Three“ kursiert im Netz – der wütende Mob verfolgt sie, foltert sie aufs Grausamste und lässt nicht eher nach, bis sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sind. Den oder die wahren Täter und deren Hintermänner herauszufiltern, ist ein schier unmögliches Unterfangen. Zumal der Fall für die örtliche Polizei abgeschlossen ist, alle Akten der Staatsanwalt übergeben wurden und von den 23 festgenommenen Personen noch sieben übrig blieben, gegen die Anklage erhoben wurde.

Auf die Justiz ist kein Verlass, Philip geht der Sache nach, ihm zur Seite gestellt ist der ortskundige Chika, sein Chauffeur und Türöffner. Dieser weiß um die Gepflogenheiten dieses durch und durch korrupten Landes. Ihre Nachforschungen sind so manchem ein Dorn im Auge, sie werden unmissverständlich bedroht: „Verschwinde oder verbrenne.“

Warum mussten die drei jungen Männer sterben? Vordergründig ging es darum, dass sie einen anderen Studenten beraubt hatten, sie Mitglieder eines Geheimkults waren. Es steckt aber sehr viel mehr dahinter.

„Lightseekers“ beruht auf einem wahren Fall, es waren Lynchmorde, welche Femi Kayode zu dieser fiktionalisierten Geschichte inspirierte. Er zeigt hier Nigerias sehr düsteres Bild. Ein Land, gezeichnet von Korruption und Gewalt - sein Heimatland. Gegensätze prallen aufeinander – arm und reich, Tradition und Moderne. Die Charaktere sind durchaus realitätsbezogen angelegt, die Handlung bezieht den politischen und den religiösen Ist-Zustand mit ein, das soziale Gefälle wird deutlich.

Ein Thriller, der so ganz anders angelegt ist als viele andere. Schon das Land ist mir fremd, ich lese darüber und bin sprachlos ob der rohen Gewalt. Dass die Staatsgewalt nicht immer Interesse an einer lückenlosen Aufklärung hat, ist auch hierzulande bekannt. Und doch weiß ich es nicht, lese eher einen spannenden Kriminalfall mit ethnischem Hintergrund, der mir viele Informationen liefert. Es brodelt unter der Oberfläche, man spürt es nur zu deutlich.

Eine fordernde, gesellschaftskritische Lektüre mit vielschichtigen Charakteren, deren Ende für meinen Geschmack ein wenig zu verklärt ist. Atmosphärisch und dicht erzählt, ein gelungenes Debüt.

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