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Veröffentlicht am 06.06.2022

Beklemmend

Amelia
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„Die Unruhen begannen an einem Donnerstag. Um sechs Uhr abends. So jedenfalls erinnerte sich Amelia daran.“ Und so beginnt die Erzählung um Amelia, einem Mädchen, das während der „Troubles“, dem Nordirlandkonflikt, ...

„Die Unruhen begannen an einem Donnerstag. Um sechs Uhr abends. So jedenfalls erinnerte sich Amelia daran.“ Und so beginnt die Erzählung um Amelia, einem Mädchen, das während der „Troubles“, dem Nordirlandkonflikt, in Belfast aufwächst. Wir schreiben das Jahr 1969. Inmitten ihrer großen Familie ist sie doch alleine und weiß auch als Achtjährige schon, was es heißt, wenn sich hinter jeder Ecke Bewaffnete verbergen könnten.

Es ist zwar ein zu Beginn achtjähriges Mädchen, um das sich die Geschichte rankt, von einer normalen Kindheit jedoch ist wenig zu spüren. Sie spielen mit Gummigeschossen, denken sich in ihre eigene Welt, die um sie herum so gar nicht normal ist. Aus Amelias Blickwinkel wird diese Geschichte erzählt, die Jahre gehen dahin. Es sind schlimme Jahre und blutige Kämpfe zwischen zwei Bevölkerungsgruppen – die Protestanten, die für den Verbleib im Vereinigten Königreich sind und die Katholiken, die als Republikaner für eine Loslösung kämpfen. Bis zu den 1994 beginnenden Friedensverhandlungen begleiten wir Amelia.

Es sind die täglichen Kleinigkeiten, die Anna Burns vor dem Hintergrund der Konflikte hervorhebt. Die Unruhen und deren Auswirkung beschreibt sie anhand der Einzelschicksale. In einer sehr derben Sprache, die es für mich so nicht unbedingt gebraucht hätte. Gewalt und Missbrauch sind allgegenwärtig, von Zuneigung keine Spur. Immer wieder kommt es zu sehr brutalen Szenen, die bis ins Detail beschrieben werden. Des Öfteren musste ich das Buch zur Seite legen und mich zwingen, doch noch weiterzulesen.

Die Charaktere sind allesamt mit sich selbst beschäftigt, nehmen keinerlei Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer. Sind hemmungslos, Alkoholexzesse und Tablettenmissbrauch sind an der Tagesordnung, keiner schert sich drum. Jeder ist sich selbst der Nächste und der Feind, der Andersdenkende, wird mit allen nur erdenklichen Mitteln bekämpft. Gnadenlos. Skrupellos. Ich lese sehr viel Zwischenmenschliches der brutalsten Art. Jeder nimmt sich, was er kriegen kann und das in jeglicher Hinsicht. Familienmitglieder, Freund und Feind – alle sind mit sehr viel Vorsicht zu betrachten. Zimperlich ist hier niemand, oftmals habe ich das Gefühl, dass es einzig um das nackte Überleben geht. Als ob man noch zu Lebzeiten ein kleines Stück vom Kuchen abbekommen möchte.

Erwartet habe ich einen Roman vor dem geschichtlichen Hintergrund, gelesen habe ich vom Schicksal Amelias und derer, die ihr am nächsten stehen - nichts für schwache Nerven, auch nichts für diejenigen, die mehr über die Troubles erfahren wollen. Es ist ein ungeschönter Einblick in die Psyche eines jungen Menschen, der seinen Weg suchen muss - die Gefahr zu scheitern ist groß. Letztendlich war ich froh, die letzten Seiten gelesen zu haben. Ein zuweilen sowohl beklemmendes als auch schockierendes Zeugnis in einer sehr derben Sprache um verlorene Jugendjahre.

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Veröffentlicht am 02.06.2022

Spannend, fesselnd –ein Verwirrspiel der Extraklasse

Die Verdammten
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Die Straße. Das Video. Die Radfahrerin in der Nacht – und dann der fürchterlich zugerichtete Frauenkörper… was war das denn! Ein Traum? Ist es Wirklichkeit? Schon die ersten Seiten lassen mir das Blut ...

Die Straße. Das Video. Die Radfahrerin in der Nacht – und dann der fürchterlich zugerichtete Frauenkörper… was war das denn! Ein Traum? Ist es Wirklichkeit? Schon die ersten Seiten lassen mir das Blut in den Adern gefrieren. Das Spiel beginnt und ich bin mittendrin, kann mich dem Sog, die dieser Psychothriller erzeugt, nicht entziehen.

Drei sehr unterschiedlichen Menschen begegne ich, tauche in ihr Leben ein, meine zu wissen, wie sie ticken. Die einen mag ich sofort, andere sind mir suspekt, ich traue ihnen so gar nicht. Im Wechsel begleite ich Sebastian, Cherry und Karo. Ihr Leben, ihre Wege, die sich irgendwann kreuzen. Es entstehen Sympathien, Antipathien, Unverständnis, sehr viele Zweifel und des Öfteren schlichtweg Empörung über Lügen, Intrigen, über das Überschreiten von Grenzen.

Sebastian – seine Ex-Frau macht ihm das Leben zur Hölle, die gemeinsamen Kinder hält sie tunlichst von ihm fern, sie wünscht ihm alles erdenklich Schlechte und genau so handelt sie. Kann und will er das so einfach wegstecken? Cherry steckt in einer schwierigen Beziehung, an der sie trotz allen Widrigkeiten festhalten will. Sie ist eine treue Seele – ist sie das? Und Karo – sie hat ihr Leben nicht so ganz im Griff. Warum wohl?

Die drei Akteure werden gut skizziert, das Bild von jedem einzelnen ist in meinem Kopf verankert. Ich bin voreingenommen, verurteile, gelange aber immer wieder an einen Punkt, an dem ich zweifle. Nur phasenweise glaube ich, den Durchblick zu haben. Bin ich der Autorin auf den Leim gegangen? Wieder mal, wie schon so oft? Astrid Korten ist eine Meisterin des Verwirrspiels und auch hier, bei und mit den „Verdammten“ zieht sie wieder alle Register. Geschickt führt sie ihre Leser auf falsche Fährten und erst ganz zum Schluss wird so einiges erklärbar. Warum nur habe ich die Anzeichen nicht gesehen, sie nicht deuten können?

Die Verdammten dieser Welt – es gibt sie, es sind gar nicht so wenige.

Ein erstklassiger Thriller ist ausgelesen, ein subtiles, ein nervenaufreibendes Spiel mit der Wahrnehmung ist zu Ende. Im Nachwort geht die Autorin näher auf Pseudologia phantasica (zwanghafte Lügen) ein. Astrid Korten beleuchten immer ernste Themen, sie recherchiert dazu gründlich, man merkt dies ihren Büchern an.

„Die Verdammten“ ist ein spannender, wendungsreicher Thriller mit Charakteren, die polarisieren, die keinen kalt lassen. Sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 29.05.2022

Eine Sizilienreise vom Feinsten

Der Puppenspieler von Palermo
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Es ist schon viel zu lange her, dass ich „Kaktusfeigen“ gelesen habe und endlich geht es weiter. Wird Linda ihre Zwillingsschwester finden? Schon immer spürt sie, dass ihre Schwester noch lebt und nun ...

Es ist schon viel zu lange her, dass ich „Kaktusfeigen“ gelesen habe und endlich geht es weiter. Wird Linda ihre Zwillingsschwester finden? Schon immer spürt sie, dass ihre Schwester noch lebt und nun will sie es wissen. Auch ihren Vater möchte sie endlich kennenlernen, den stolzen Sizilianer, von dem Mitzi, ihre esoterisch angehauchte Mutter, so gar nichts mehr wissen will. Linda ist so unerschrocken wie leichtsinnig, legt sie sich doch mit einem Mafia-Boss an. Hinterher hätte sie es natürlich anders anpacken müssen, sie bringt nicht nur sich selber, sondern ihr ganzes Umfeld in Gefahr.

Eine Sizilienreise vom Feinsten bietet Anna Castronovo wiederum. Auch sie hat eine sizilianische Familie, kennt die Gepflogenheiten der heißblütigen Italiener von Kindesbeinen an, ist sowohl den Münchenern als auch den Sizilianern sehr verbunden.

Ihre Charaktere sind allesamt fein gezeichnet, jede ist auf ihre Art authentisch. Mit Mitzi ist ihr eine gestandene Bayerin gelungen, sie nimmt kein Blatt vor den Mund, ist ein wenig derb und dann wieder zeigt sie eine ganz andere Seite, das Universum lässt schön grüßen. Linda ist eine junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht, auch wenn ihre Gefühle grad Achterbahn fahren - schuld daran sind Silvo und Mario. Und endlich hat Linda ihren Vater gefunden, den Puppenspieler Gaetano - in Palermo ist er zuhause. Die anderen alle von ihrer sizilianischen Familie kennt sie schon ne Weile, in „Kaktusfeigen“ habe auch ich sie getroffen. Sie sind mir ans Herz gewachsen - die einen mehr, die anderen weniger.

Die fiktive Geschichte um den „Puppenspieler von Palermo“ hat einen ernsten Hintergrund. Im Anschluss an den Roman schreibt die Autorin über die Kinder der kalabrischen Ndrangheta. Ein Programm, das Kindern, Jugendlichen und auch Frauen hilft, aus dieser mächtigsten Mafiaorganisation auszusteigen. Und dieses für viele so hilfreiche Programm für die Kalabresen hat Anna Castronovo nach Sizilien verlegt und es sehr gekonnt in die Story des „Puppenspielers“ integriert.

Beim Lesen spüre ich die Sonne Siziliens, aber nicht nur sie wärmt mich. Dieser wundervolle Roman um eine sizilianisch-bayerische Familie ist so lebensnah, zuweilen grantig, dann mit viel Humor und sehr liebenswert vor der herrlichen Kulisse Siziliens geschrieben – leidenschaftlich, temperamentvoll, einfach fantastisch - ein Lesegenuss, den ich sehr gerne weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 29.05.2022

Witzig, spritzig, unterhaltsam

Affenhitze (Ein Kluftinger-Krimi 12)
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Der zwölfte Kluftinger schon und doch ist „Affenhitze“ mein erster. Das ungekürzte Hörbuch von Hörbuch Hamburg haben mir die beiden Autoren vorgelesen, unterstützt von Martin Umbach, der mir als Schauspieler ...

Der zwölfte Kluftinger schon und doch ist „Affenhitze“ mein erster. Das ungekürzte Hörbuch von Hörbuch Hamburg haben mir die beiden Autoren vorgelesen, unterstützt von Martin Umbach, der mir als Schauspieler und Synchronsprecher ein Begriff ist.

Die Wiege der Menschheit liegt im Allgäu – zumindest will das Professor Brunner herausgefunden haben, als Beweis dient ihm das Skelett des Uhrzeitaffens Udo. Und nun, während einer Feierstunde, bei der sich auch Bayerns Ministerpräsident die Ehre gibt, werden Brunners Überreste gefunden. Kluftinger und seine Kollegen von der Kripo Kempten ermitteln. Dabei sind sie nicht nur einer zwielichtigen Kommune auf der Spur, an Verdächtigen mangelt es beileibe nicht.

Der Kluftinger ist schon ne Marke, ein etwas chaotischer Umstandskramer, der dem Fortschritt immer ein wenig hinterherhinkt, dies aber nicht zugeben will. Er weiß sich schon zu helfen, auch wenn er ob seiner tollpatschigen Art immer ein wenig unbedarft wirkt. Es gibt genug Szenen, in denen ich erst mal so richtig ablachen musste, um dann weiterzuhören. Wenn der Kluftinger beim Italiener bestellt, dann wird auch was geliefert, auch wenns nicht gerade das ist, was die Familie eigentlich möchte. Aber so eng darf man das nicht sehen, schließlich will er für jeden nur das Beste.

Es sind diese alltäglichen Kleinigkeiten, die jeder mehr oder weniger gut bewältigt und unser Held ist stets bemüht, auch ist er jetzt endlich in den sozialen Medien angekommen und klopft sich symbolisch selber auf die Schultern, dass er so schnell den absoluten Durchblick hat. Wie nebenher hilft er auch noch seiner Frau, genug Brauchbares für den Flohmarkt ranzuschaffen.

Es passiert eine ganze Menge, sowohl im privaten Umfeld als auch den Fall betreffend. Dass seine Enkelin nun ein Kindermädchen hat, passt Kluftinger ganz und gar nicht. Also wird diese observiert, schließlich und endlich ist er die Polizei und kennt sich in Sachen verdeckte Ermittlung aus.

Das Hörbuch habe ich sofort gemocht, die beiden Autoren vermitteln das Gefühl, direkt dabei zu sein. Sie sind schlichtweg ne Wucht! Bestens unterstützt von dem sehr erfahrenen Sprecher Martin Umbach. Auch wenn kein Klischee ausgelassen wird, so ist die ganze „Affenhitze“ amüsant und urkomisch. Auch kommt der eigentliche Fall nicht zu kurz, an der Aufklärung wird kontinuierlich gearbeitet und schrittweise kommen sie voran. Dem Kluftinger macht keiner so schnell was vor. Der zwölfte seiner Art hat mich für ihn eingenommen, ich möchte unbedingt mehr davon, es gibt schließlich elf Vorgängerbände, die mir bestimmt – so wie dieser hier – vergnügliche Stunden bescheren werden.

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Veröffentlicht am 29.05.2022

Mehr Roman denn Krimi

Tiefes, dunkles Blau
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Rosa Zambrano ist Seepolizistin geworden, weil sie lieber über den Zürichsee blickt als in menschliche Abgründe – so wird sie beschrieben und bald wird eine Leiche aus dem See gefischt. Dieser Anfang verspricht ...

Rosa Zambrano ist Seepolizistin geworden, weil sie lieber über den Zürichsee blickt als in menschliche Abgründe – so wird sie beschrieben und bald wird eine Leiche aus dem See gefischt. Dieser Anfang verspricht viel Krimifeeling, das ansprechende Cover tut ein Übriges.

Moritz Jansen, der Arzt und Mitinhaber eines Biotech-Unternehmens, ist der Tote im See. Rosa war erst vor Kurzem in seiner Kinderwunsch-Klinik, um Eizellen einfrieren zu lassen, ihre biologische Uhr tickt.

Über Rosa erfahre ich so einiges, lerne sie eher als Privatperson denn als Seepolizistin kennen. Ihre Kochleidenschaft wird ausführlich beschrieben, auch Zürich zeigt sich von seiner schönsten Seite. Am liebsten würde ich mich gleich in Rosas Häuschen einquartieren und mich von ihr bekochen lassen.

Meist ist es so, dass eine Kriminalgeschichte mit Privatem garniert wird. Mal mehr, mal weniger. So als Auflockerung. Hier kommt es mir vor, als ob das Drumherum mit einer Prise Krimi gewürzt wäre, die richtigen Gewürze jedoch fehlen. Die Suppe, die Rosa bevorzugt kocht, schmeckt fade. Das erste Drittel hat mich aus kriminalistischer Sicht so gar nicht mitgenommen, da war ich eher außen vor – ich war stiller Beobachter ohne Emotionen. Um dann langsam mehr Zugang zur Seepolizistin zu bekommen, diese war aber eher sporadisch zu finden. Viel zu häufig driftete der ermittelnde Aspekt ins allzu private Umfeld ab.

Das Buch, die ganze Geschichte, spaltet. Es hat seine ganz eigene Atmosphäre, ist mit keinem herkömmlichen Krimi zu vergleichen. Es war ein Auf und Ab der Gefühle – mal wollte ich ihn verreißen, mich abfällig dazu äußern, um dann doch wieder hineingezogen zu werden. Rosa blieb mir fremd, ihre warmherzige Art, wie sie beschrieben wird, kam mir eher unnahbar vor. Wie entrückt.

Im Bereich der Genforschung bewegt sich dieses „tiefe, dunkle Blau“. Wie weit darf die Forschung in das Leben eingreifen? Diesem Thema gibt Seraina Kobler viel Raum.

Einen Krimi habe ich erwartet. Gelesen habe ich einen Roman mit kriminalistischen Elementen, der mich zunächst wenig begeistern konnte, mich aber dann doch ins Geschehen gesaugt hat. Der erste Fall für Rosa Zambrano war eher unaufgeregt, der Schluss ungewöhnlich – noch hat mich die Seepolizistin nicht für sich eingenommen, Seraina Koblers Schreibstil jedoch stimmt mich positiv.

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