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Veröffentlicht am 15.08.2022

Bittersüß

Drei Tage im August
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Sawade wurde 1880 gegründet und ist Berlins älteste Pralinenmanufaktur. Das Traditionsunternehmen verdankt seinen Namen einer Liebe, im (Hör)Buch erfahren wir mehr.

Bald zwanzig Jahre arbeitet Elfie ...

Sawade wurde 1880 gegründet und ist Berlins älteste Pralinenmanufaktur. Das Traditionsunternehmen verdankt seinen Namen einer Liebe, im (Hör)Buch erfahren wir mehr.

Bald zwanzig Jahre arbeitet Elfie Wagner in Berlins Prachtstraße Unter den Linden, in Haus Nummer 19. In dieser doch sehr langen Zeit hat sie sich von einer Verkaufsassistentin zur leitenden Verkäuferin hin zur Vorsteherin, zur Prokuristin hochgearbeitet, kümmert sich um die Belange der Chocolaterie Sawade. „Im Nichtstun laueren die Gedanken…“ aber soweit lässt sie es erst gar nicht kommen. Sawade ist ihr Leben, das Pralinengeschäft führt sie, als ob es ihr eigenes wäre.

Dem ungekürzten Hörbuch von Aufbau Audio habe ich gelauscht, Vera Teltz hat es mich mit allen Sinnen genießen lassen. Es sind die „kleinen Leute“ und ihr Alltag, den mir die versierte Sprecherin näher bringt. Vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele 1936 und den immer mehr an Einfluss gewinnenden Nationalsozialisten sind es die Kleinigkeiten, das tägliche Miteinander, die lebendigen Dialoge, die diese drei Tage ausmachen. Unter den Linden wandeln Berliner Originale wie ein Leierkastenmann oder ein Blumenmädchen, auch Käthe Kollwitz, Max Liebermann und noch so etliche andere. Sie alle werden gut eingebunden in diese kleine, große Geschichte. Süß und verführerisch wie eine zart schmelzende Praline, bittersüß ob einer verbotenen Liebe.

„Drei Tage im August“ ist eine leise, hörens- bzw. lesenswerte, sehr einfühlsam erzählte Geschichte inmitten unruhigen Zeiten mit liebenswerten Figuren.

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Veröffentlicht am 12.08.2022

Ein jüdisches Leben – wunderbar erzählt

Isidor
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Die Autorin wandelt auf Isidors Spuren, sucht nach Antworten, versucht seine Lebenswege zu rekonstruieren. Ihr Großvater Walter hat ihnen Anekdoten über die Familie erzählt, über seine Zeit in Wien, über ...

Die Autorin wandelt auf Isidors Spuren, sucht nach Antworten, versucht seine Lebenswege zu rekonstruieren. Ihr Großvater Walter hat ihnen Anekdoten über die Familie erzählt, über seine Zeit in Wien, über die Flucht vor den Nazis und immer wieder kommt Isidor darin vor.

Als 16jähriger war Walter immer wieder sonntags bei Isidor, bestaunte seine vielen Bücher, all die exquisiten Erstausgaben, das handverlesene Mobilar, die Kunstschätze – Onkel Isidor war eine schillernde Persönlichkeit. In der vornehmen Canovagasse im I. Wiener Bezirk bewohnte er eine Etage im Palais des Freiherrn Eugéne de Rothschild. Jeden Sonntag traf sich hier halb Wien zum Mittagessen, wir schreiben das Jahr 1935.

Dr. Isidor Geller, seines Zeichens Kommerzialrat, Berater des österreichischen Staates, Opernfreund, Kunstsammler und noch vieles mehr, kam aus ärmlichen Verhältnissen, der Vater war ein jüdischer Gelehrter, der zwar seinen Glauben lebte, es aber der Mutter überließ, die Familie durchzubringen. Durch kluges agieren an der Börse erschuf sich der junge Isidor, der eigentlich Israel hieß, ein stattliches Vermögen, er war Multimillionär und bewegte sich in den einflussreichen obersten Kreisen Wiens. Auch seine Geschwister lassen die ärmlichen Verhältnissen hinter sich, alle legen sie ihre jüdischen Namen ab.

Der Antisemitismus war schon zu spüren, Isidor sah sich als assimilierten Juden, die religiösen Belange hatten für ihn wenig Bedeutung. Er hatte seinen Platz in der Wiener Gesellschaft, betrachtete sich als wenig angreifbar und dass die Nazis immer mehr an Macht gewinnen, hielt er schlicht für nicht möglich.

Es ist die Geschichte der jüdischen Familie Geller vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und dem einhergehenden Schicksal der Juden, sehr lebendig und anschaulich erzählt. Man weiß um die Geschichte und hier gibt die Autorin dem auch heute noch Unfassbaren ein Gesicht in Form von Isidor, dem schillernden Lebemann. Ich habe mich Seite für Seite immer mehr festgelesen. Was amüsant begann, wurde immer mehr zur bitteren Realität, die leider nicht immer sofort als tödliche Gefahr wahrgenommen wurde.

„Isidor. Ein jüdisches Leben“ ist das sehr lesenswerte Debüt von Shelly Kupferberg, die sich der Geschichte ihres Großonkels immer mehr annäherte, wie sie im Interview, das auf den letzten Seiten zu finden ist, verrät. Auch die Anekdote um das Titelbild, mit dem ich zunächst so gar nichts anfangen konnte, ist zauberhaft - wie entrückt.

„Isidor“ ist ein herausragendes Buch, gut recherchiert, wunderbar erzählt. Sehr empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 10.08.2022

Netter Krimi für zwischendurch

Dunkle Gemäuer
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Nach „Kalte Lügen“ aus der Feder von Julia Bernard führt sie ihre Leser nun in „Dunkle Gemäuer“ - ein Baden-Krimi. Schon das Cover mutet ganz schön gespenstig an. Das Willstätter Horrorhaus - es ist Kulisse ...

Nach „Kalte Lügen“ aus der Feder von Julia Bernard führt sie ihre Leser nun in „Dunkle Gemäuer“ - ein Baden-Krimi. Schon das Cover mutet ganz schön gespenstig an. Das Willstätter Horrorhaus - es ist Kulisse für einen Film. Im früheren Siechenhaus geht immer noch Hildebrandt um, dessen sind sie sich sicher. Darum drehen sie ausschließlich tagsüber und behelfen sich mit lichtundurchlässigen Pappfensterläden, so machen sie den Tag zur finsteren Nacht. Als Mona, die Kamerafrau, verschwindet, wird Suzanne Griesbaum engagiert, ihres Zeichens Privatermittlerin, ihr zur Seite steht Henry Marbach.

Und da war die Sache mit dem Leuchten. Kurz bevor in dem Haus jemand stirbt, leuchtet ein geheimnisvolles grünes Licht. Das Hildebrandtslicht. Das Gerücht hält sich hartnäckig – was ist da dran? Auch ein Strichmännchen hat die Filmcrew entdeckt, dessen Kopf nach unten hängt, wie abgeknickt. In früheren Zeiten hat Hildebrandt hier gewütet, viele sind umgekommen, alle mit Genickbruch.

Im Keller dann wird Mona gefunden, sie ist tot – Genickbruch, was sonst! Ist sie die steile Treppe hinuntergestürzt? Nicht nur die Privatermittler sind an dieser mysteriösen Sache dran, auch die Polizei ermittelt. Verdächtige gibt es viele, allen voran Gerard, Monas Ehemann. Aber kann er wirklich mit dem Tod seiner heiß geliebten Frau zu tun haben? Ihre Schwester, der Hausmeister, ein Drehbuchautor, Schauspieler, auch Petrow, der Regisseur – sie alle sind verdächtig, jeder hat mindestens ein Motiv.

Keine zehn Pferde hätten mich in dieses Haus gebracht, auch wenn es mich beim Lesen so gar nicht gegruselt, Horror-Feeling sich dabei so gar nicht eingestellt hat. Spannend war das Buch trotzdem, bis fast zuletzt schlich sich in meine Gedanken immer wieder ein Verdächtiger ein, um dann doch wieder meine Zweifel zu haben. Jeder könnte es gewesen sein, keiner hat eine astreine Weste.

Der Baden-Krimi versprüht viel Charme, gerade wenn es um den Badener Dialekt geht, der wohl dosiert eingestreut wird. Auch wenn man diesen Dialekt nicht spricht, versteht man doch (fast) alles. Einen richtig bodenständigen Typen gibt es hier nicht, die Charaktere sind allesamt leicht überzeichnet dargestellt. Suzanne in ihrer unerschrockenen Art bringt sich so manches Mal in arge Bedrängnis. Auch Henry hat so seine Eigenheiten, die schon seltsam anmuten. Und doch habe ich über so manche Szene geschmunzelt. Ja, alle haben sie ihre Macken. Auch und vor allem Suzanne und ihr Dahinschmachten, sobald es um ihren Liam geht. Denn neben der Ermittlungsarbeit waren sie und ihr großer Schwarm Liam, ein Star der Death Metal-Szene, allgegenwärtig. Dieses pubertäre Gehabe war eindeutig zu viel, es hat der Story viel Potenzial geraubt. Weniger wäre hier wesentlich mehr gewesen!

Ansonsten ein netter Krimi für zwischendurch, der mich schon unterhalten hat, mit einem gut gemachten Cliffhanger.

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Veröffentlicht am 10.08.2022

So wie das Leben eben ist...

Am liebsten sitzen alle in der Küche
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Drei ganz und gar ungleiche Frauen, alle um die Fünfzig, treffen aufeinander. Auch wenn sie ganz unterschiedliche Leben haben, mögen sie sich, haben einen Draht zueinander.

Tille, die alleinerziehende ...

Drei ganz und gar ungleiche Frauen, alle um die Fünfzig, treffen aufeinander. Auch wenn sie ganz unterschiedliche Leben haben, mögen sie sich, haben einen Draht zueinander.

Tille, die alleinerziehende Ärztin, hat einen pubertierenden Jugendlichen zuhause. Almut ist frisch getrennt, ihr Germanistikstudium hat sie einst zugunsten ihrer vier Kinder und ihrem perfekt organisierten Haushalt aufgegeben und Yeliz ist eine erfolgreiche Werberin mit dänischem Lebensgefährten. Eines schönen Tages treffen sie aufeinander, sitzen am liebsten bei Almut in der Küche und diese verwöhnt sie mit Köstlichkeiten, die einen schon beim Lesen das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.

Sie alle haben viel Leben hinter sich, mussten sich von so manchem verabschieden und doch haben sie sie noch, ihre Träume. Mit Fünfzig ist man nicht mehr jung, aber alt? Ganz bestimmt nicht. Sie probieren sich aus, tanzen Salsa, sie teilen ihre Ängste, ihre Sorgen, unterstützen und freuen sich miteinander, auch fliegen mal die Fetzen.

Auf Rache bzw. den Ansatz einer Rache habe ich lange gewartet, Rachegedanken waren da, das schon, die Ausführung dessen hat auf sich warten lassen und war dann doch ganz anders als erwartet, aber sie haben das großartig hinbekommen, die drei Heldinnen.

Julia Karnick ist eine warmherzige Geschichte gelungen, ihr Romandebüt kommt leichtfüßig daher. Almut, Tille und Yeliz tummeln sich darin, sind nett, dann wieder frech und forsch, auch mal verzweifelt und ziemlich angefressen, aber immer lebendig und authentisch. Zuweilen kam mir die Geschichte zu weit abschweifend vor. Aber so ist nun mal, nicht immer kommt man auf kürzestem Wege ans Ziel. Eine kurzweilige Geschichte um Freundschaft, beschwingt und voller Witz mit durchaus ernsten Momenten, in denen man sich oftmals selber erkennt.

Sie sind mir sehr vertraut, die drei Protagonistinnen. Beim Lesen hatte ich mitunter das Gefühl, mit ihnen in der Küche zu sitzen. Ja, solche Freundinnen braucht man – das Leben hat noch so viel zu bieten, man muss - man sollte - Altes loslassen, sich auf Neues einlassen können. Ein Roman wie eine frische Brise - heiter und schwungvoll erzählt mit liebenswerten Charakteren.

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Veröffentlicht am 08.08.2022

Sehr berührend

Findelmädchen
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Helga und Jürgen werden nach Kriegsende von einer französischen Familie aufgenommen. Auch wenn Tante Claire und Onkel Albert sie liebevoll umsorgen, so sind sie für die Franzosen die Boches, die verhassten ...

Helga und Jürgen werden nach Kriegsende von einer französischen Familie aufgenommen. Auch wenn Tante Claire und Onkel Albert sie liebevoll umsorgen, so sind sie für die Franzosen die Boches, die verhassten Deutschen. „Man fand uns im Sommer nach dem Krieg vor einem Hochbunker in Köln… und schätzte unser Alter auf sechs und sieben Jahre…“

Beim Kindersuchdienst des Deutschen Roten Kreuzes sind ihre Bilder seit mehr als sieben Jahren hinterlegt und nun hat ihr Vater nach Jahren in russischer Gefangenschaft sie endlich gefunden. Zurück in Köln findet Jürgen bei den Ford-Werken Arbeit, während Helga ihrem Traum, aufs Gymnasium zu gehen, nicht nachgehen darf. Vater ist strikt dagegen, er schickt sie auf die Haushaltungsschule und hier legt sie in einem Waisenhaus ihr Praktikum ab. Es herrscht ein strenges Regiment, die Nonnen lassen nichts durchgehen. Unter dem Deckmantel der Nächstenliebe werden all jene ausgegrenzt, die anders sind. Das Mischlingsmädchen Bärbel hat Helga ganz besonders in ihr Herz geschlossen, die Kleine möchte sich am liebsten ihre Andersartigkeit, ihre dunkle Hautfarbe, mit der Wurzelbürste abwaschen. Und sie ist fest davon überzeugt, dass ihre Mama sie bald zu sich holt.

Der Krieg ist vorbei, das zerbombte Köln befindet sich im Jahre 1955 in Aufbruchsstimmung. Die jungen Leute wollen Elvis Presley hören, so lässig sein wie James Dean, Blue Jeans und Petticoat sind angesagt. Und sie treffen sich bei Fanny, die sich ihren großen Traum einer eigenen Milchbar endlich erfüllt hat - mit tatkräftiger Unterstützung von Jürgen. Sie ist voller Herzenswärme, aber auch sie hat ein Schicksal, das sie verzweifeln lässt. Und nicht nur sie.

Helga und Jürgen leben mit ihrem Vater im renovierungsbedürftigen Haus ihrer verschollenen Mutter, deren Schwester Meta es nun als ihr alleiniges Eigentum betrachtet. Dementsprechend behandelt sie die Mitbewohner. Die Flüchtlinge Auguste und ihr Enkel Konradin werden einquartiert, Meta hat sie unters Dach verbannt. Und die alleinstehende, stets gut gelaunte Fanny übernimmt viele Hausarbeiten, dafür kann sie hier wohnen bleiben. Der Mietzins ist obendrein fällig.

Ich begleite Helga durch dieses für sie so ereignisreiche Jahr 1955, dazwischen lese ich Briefe ihrer Mutter, geschrieben 1945, als sie mit ihren beiden Kindern in einem Bunker ums Überleben kämpft. Während des Lesens nahm ein furchtbarer Verdacht immer mehr Raum ein, mein Glauben an das Gute bekam immer mehr Risse.

Lilly Bernstein hat mir eine sehr kurze Nacht beschert, ich konnte ihr „Findelmädchen“ nicht weglegen, bin mit ihren so authentischen Charakteren regelrecht abgetaucht. Es sind die Nachkriegsjahre, das Köln im Jahre 1955 ist im Wiederaufbau. Aus heutiger Sicht mutet vieles befremdlich an. Die Diskriminierung der Besatzungskinder ebenso wie die haltlosen Zustände in den Heimen und die Rechtlosigkeit der ledigen Mütter. Ohne Ehemann oder Vater kann eine Frau weder einen Arbeitsvertrag unterschreiben noch ein Konto eröffnen, auch wenn es sich um ihr eigenes Geld handelt. Auch die Sprachlosigkeit unter den Generationen und die erste Liebe sind anschaulich und gut nachvollziehbar geschildert.

„Findelmädchen“ ist ein berührendes Stück Geschichte. Die fiktionalen Figuren erzählen die gut recherchierten Fakten, alles zusammen gut lesbar aufbereitet. Die Autorin hat mit vielen ehemaligen Heimkindern gesprochen, nicht alle konnten sich öffnen. Aber doch so einiges kam ans Tageslicht, über das jahrzehntelang geschwiegen wurde. Denn je härter das Schicksal zuschlägt, je schlimmer die Erlebnisse, desto weniger kann man darüber sprechen.

Ein Buch, das ich nicht missen möchte. Ein zu Herzen gehender Roman vor historischem Hintergrund, das ich jedem an Nachkriegsgeschichte Interessierten ohne Wenn und Aber empfehlen kann.

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