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Veröffentlicht am 24.01.2022

Undurchschaubar und nervenzerrend

Ich bin der Abgrund
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Donato Carrisi ist Spezialist auf den Gebieten der Kriminologie und der Verhaltensforschung, so lese ich über ihn. Inspiriert zu seinem neuesten Thriller „Ich bin der Abgrund“ wurde er vom Monster von ...

Donato Carrisi ist Spezialist auf den Gebieten der Kriminologie und der Verhaltensforschung, so lese ich über ihn. Inspiriert zu seinem neuesten Thriller „Ich bin der Abgrund“ wurde er vom Monster von Foligno, so hatten die Medien den Serienmörder Luigi Chiatti genannt.

Der 5jährige Junge geht mit der auffallend hübschen Vera am Grand Hotel vorbei, das große Abenteuer wartet auf sie beide. Das Schwimmen will sie ihm beibringen, keine Schmeißfliegen stören, denn heute gehört sie nur ihm alleine. So beginnt die Geschichte und bald spürt man das Unsägliche, der Abgrund ist ganz nah.

Dann begegnen wir dem Müllmann, lernen ihn immer besser kennen. Er liebt seine Arbeit, den Abfall der anderen entsorgt er gewissenhaft. Und da ist noch die Fliegenjägerin – nicht nur sie sieht es als ihre Pflicht an, ganz tief im Abgrund zu wühlen. Auch das Mädchen mit der lila Strähne taucht auf, sie alle werden umschrieben, man braucht keine Namen.

„Ich bin der Abgrund“. Wer reißt wen mit in den Abgrund? Wenn ich mir den Klappentext nochmal durchlese, erwartet mich viel Düsternis, der ich mich, einmal angefangen zu lesen, nicht mehr entziehen kann. Es ist eine traurige Geschichte, die der Autor hier erzählt. Es geht um Gewalt und Vernachlässigung, um Hörigkeit und Einsamkeit. Eine breite Palette inmitten menschlicher Abgründe wird hier dargeboten.

Das Buch ist wie ein Sog, es wird immer gerade so viel erzählt, dass man nicht recht weiß, was genau dahinter steckt. Geschickt bringt der Autor Charaktere ins Spiel, die irgendwie dazugehören, deren Hintergrund aber so gar nicht durchschaubar ist. Die Jägerin ist hier ein gutes Beispiel. Von ihr wissen wir ganz lange nicht, was sie eigentlich antreibt. Eher unterschwellig und bedrückend klingen all diese Abgründe an, die Ausweglosigkeit ist hautnah spürbar.

Donato Carrisi setzt mit seinem meisterlich erzählten Thriller viele Gefühle frei. Neben der Spannung ist ganz viel Abscheu und die Empörung über all die Gewalt und Gefühlskälte dabei. Vieles ist auserzählt, in sich in seiner ganzen Schwärze und Düsternis schlüssig, es bleiben aber Fragen offen. Undurchschaubar bis zum Schluss! Sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 24.01.2022

Berührend und warmherzig

Der Club der Lebensmutigen
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Aus der Reisejournalistin aus Leidenschaft ist eine Berichterstatterin in der lokalen Stadtzeitung über alltägliche Nichtigkeiten geworden. Kein Vergleich zu früher. Seit zwei Jahren hat sie ihre Träume ...

Aus der Reisejournalistin aus Leidenschaft ist eine Berichterstatterin in der lokalen Stadtzeitung über alltägliche Nichtigkeiten geworden. Kein Vergleich zu früher. Seit zwei Jahren hat sie ihre Träume verloren, seit damals in Norwegen. Von der munteren, dem Leben zugewandten Maleen ist nichts mehr übrig. Ihre Therapeutin schickt sie zu dem Haus mit dem roten Tor. Ein rotes Tor, das sie einlädt, hindurchzugehen - sie steht nach einigem Suchen in einem Hof, mitten im Grünen. Richtig verwunschen sieht es hier aus, Blumen und Efeu überranken sich um die Wette. Etwas ungeordnet, beileibe nicht perfekt. Und doch strahlt der Ort sehr viel Wärme und Geborgenheit aus.

Als ich das Buch angefangen habe zu lesen, dachte ich …naja, ab und zu eine Liebesgeschichte, schadet ja nicht. Weit gefehlt! „Der Club der Lebensmutigen“ ist so viel mehr. Mutig sind sie alle, obwohl oder gerade weil sie wissen, dass ihre Zeit begrenzt ist. Sie stützen sich, lachen viel und weinen ab und zu, sie necken sich, lassen das Leben an sich heran. Schon das Cover strahlt diesen Zusammenhalt aus, das Miteinander, füreinander da sein.

Es sind ganz unterschiedliche Charaktere, denen ich hier begegne und jeder hat seine Geschichte. Josefine Weiss lädt ihre Leser ein, sich auf das Leben einzulassen. Und Leben bedeutet auch, den Tod nicht auszusperren. Mit ganz viel Herzenswärme gelingt es ihr, das Tabuthema nicht außen vor zu lassen und ihm doch seine bittere Seite zu nehmen.

Maleen trifft in Hannes eine verwandte Seele. Sie verbietet es sich geradezu, glücklich zu sein, alles in ihr sträubt sich dagegen. Die Geschichte der beiden ist anfangs geprägt von Zweifeln – darf man das? In so einer Situation? Glücklich sein? Behutsam und sehr ehrlich findet die Autorin die richtigen Worte, so gar nicht bedrückend.

„Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen. Albert Schweitzer.“ Und sie haben Spuren hinterlassen. Sie alle. Wir alle hinterlassen Spuren und leben in den Herzen derer weiter, die uns lieben, die wir lieben.

„Der Club der Lebensmutigen“ - ihre Gemeinschaft ist voller Lebensfreude, Rückschläge schweißen sie noch mehr zusammen. Eine ganz besondere Geschichte, die Mut macht, sich nicht abzukapseln, nicht Trübsal zu blasen, sondern sich einzulassen auf die Unzulänglichkeiten des Lebens.

Zum Schluss ein ganz besonderer Satz aus dem Buch, der mich sehr berührt hat: „Nichts, was aus dem Herzen kommt, kann man wirklich besitzen. Aber man kann es teilen.“

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Veröffentlicht am 21.01.2022

Eine Woche im Juni 1945

Heul doch nicht, du lebst ja noch
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Eine Woche im Juni des Jahres 1945 zwischen den Ruinen Hamburgs und mittendrin drei Jugendliche – Jakob, Hermann und Traute. Keiner kommt ungeschoren aus den Wirren des Krieges, der familiäre Hintergrund ...

Eine Woche im Juni des Jahres 1945 zwischen den Ruinen Hamburgs und mittendrin drei Jugendliche – Jakob, Hermann und Traute. Keiner kommt ungeschoren aus den Wirren des Krieges, der familiäre Hintergrund mag zwar für jeden anders sein und doch müssen sie nach vorne schauen, der Krieg ist endgültig vorbei. Für den 14jährigen Jakob stellt sich dieses Ende ganz anders dar, ist er doch Jude und als solcher musste er lange im Verborgenen leben.

Aus Sicht von Jakob, Hermann und Traute erfahre ich von deren Lebensweise und all den Entbehrungen. Sie mussten zurechtkommen – irgendwie. Der Hunger war ein zentrales Thema, die Wohnsituation brachte Einquartierungen mit sich. Viele Straßenzüge waren zerbombt, die einstigen Wohnungen nur noch Schutt und Asche. Die Kriegsversehrten waren auf Hilfe angewiesen, so manche Lebensträume zerplatzten wie Seifenblasen. War es für die Deutschen schon schwer genug, musste ein Jude erst recht auf der Hut sein.

Kirsten Boie hat gut recherchiert, Jakobs Geschichte lag ihr dabei besonders am Herzen. Sein Vater galt als Deutscher als jüdisch versippt und Jakob war ob seiner jüdischen Mutter ein jüdischer Mischling. Als dieser bleibt er verschont von Deportation und doch ist er in seinen jungen Jahren ganz auf sich alleine gestellt, muss sich verstecken. Die letzte Verbindung, die ihn am Leben hielt, ist weg. Er weiß nicht, dass der Krieg vorbei ist aber eines weiß er ganz genau – er hat Hunger, muss irgendwie überleben.

Hermanns Schicksal ist so ganz anders angelegt, er scheint der harte Bursche zu sein inmitten des Elends, das auch seine Familie heimsucht. Er ist ein starker Charakter, hat Wünsche und Träume wie jeder – endlich in Frieden leben können, vorwärts schauen. Ist es so einfach?

Die Autorin verrät am Ende des Buches, dass diese Trümmerfelder ihr Spielplatz waren. Als Nachkriegskind war das zerbombte Hamburg ihre gewohnte Umgebung. Ihr Ton ist warmherzig, die Kinder nehmen der Trostlosigkeit seine allzu bittere Seite. Sie bringt die damaligen Lebensumstände wie die Rationierungen und die Lebensmittelkarten oder den blühenden Schwarzmarkt gut ins Geschehen ein.

Das stimmige Cover sei noch erwähnt. Das Trümmerfeld, davor der Schatten des Jungen, in sich zusammengesunken. Die Worte „Heul doch nicht, du lebst ja noch“. Alleingelassen. Nur noch schemenhaft nimmt er sich wahr. Schon vor der Lektüre fand ich dieses Titelbild passend und danach ist es perfekt gewählt für diese Geschichte.

Drei Jugendliche erleben ihr Hamburg in Trümmern – ein Buch, das mich berührt hat, mich nachdenklich zurücklässt. Ein Buch für Jung und Alt, das ich gerne weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 21.01.2022

Die Hitze eines Sommers

Der letzte Sommer in der Stadt
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1973 erschien „Der letzte Sommer in der Stadt“ zum ersten Mal und nun, fast ein halbes Jahrhundert später, wird er in zwanzig Sprachen übersetzt, Karin Krieger hat ihn für den Paul Zsolnay Verlag ins Deutsche ...

1973 erschien „Der letzte Sommer in der Stadt“ zum ersten Mal und nun, fast ein halbes Jahrhundert später, wird er in zwanzig Sprachen übersetzt, Karin Krieger hat ihn für den Paul Zsolnay Verlag ins Deutsche übertragen.

Als Korrespondent einer medizinisch-literarischen Zeitschrift geht er nach Rom und einige Jobs später landet er beim Corriere dello Sport. Er, Leo Gazzarra, nimmt das Leben so, wie es sich ihm gerade anbietet mit allem, was dazu gehört. In Arianna begegnet er einer jungen Schönheit, Langzeitstudentin der Architektur ist sie. Sie pfeift auf Konventionen, ihr so exaltierter Stil kommt ihm sehr gelegen, die beiden verstehen sich – meistens zumindest.

Unaufgeregt, ja im Plauderton, erzählt der Autor von Leo und Arianna und mehr. Es ist Sommer, es ist unerträglich heiß in der Ewigen Stadt. Sie glüht geradezu, verlassen von all denen, die es sich leisten können. La Dolce Vita mit all seinen Facetten – wer möchte da nicht dem süßen Leben nachspüren. Keiner hat es eilig, die absolute Leichtigkeit des Daseins wird geradezu dekadent zelebriert, nichts wird ausgelassen, das italienische Lebensgefühl ist direkt spürbar.

Gianfranco Calligarich hat mich ganz schnell abgeholt, mich an das sommerliche Rom erinnert. Ein altmodisches Wort drängt sich auf beim Lesen: Leo, der Lebenskünstler. Der auch aus vermeintlich ausweglosen Situationen für sich das Beste herauspickt, auch wenn sich später dann so manches als Seifenblase erweist – auch dann ist es nicht schlimm. Auf ein Neues eben!

„Im Nu überrollte mich eine Lawine vergessener Gefühle und Erinnerungen an mein Leben mit ihr im letzen Sommer…“ Ein Sommer mit Leo, der all diese Empfindungen freisetzt. Das Leben eben, so wie es ist, so wie es war. Mit allen Sinnen genießen.

Mir hat dieser letzte Sommer als bekennender Italienfan vergnügliche Lesestunden bereitet und eine tiefe Sehnsucht nach dem Land, nach Rom entstehen lassen. Das gelungene Cover spiegelt das damalige Lebensgefühl wider, der rauchende Protagonist, dahinter seine Stadt. Wohin treibt es ihn?

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Veröffentlicht am 17.01.2022

Anonym unterwegs im World Wide Web

Creep
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Philipp Winklers dritter Roman „CREEP“ begleitet zwei junge Menschen, die sich mehr in ihrer digitalen Welt zuhause fühlen denn im normalen Leben.

Fanny arbeitet bei BELL in der Entwicklungsabteilung, ...

Philipp Winklers dritter Roman „CREEP“ begleitet zwei junge Menschen, die sich mehr in ihrer digitalen Welt zuhause fühlen denn im normalen Leben.

Fanny arbeitet bei BELL in der Entwicklungsabteilung, deren Überwachungskameras vermeintlichen Schutz vor Einbrechern und dgl. versprechen. Dafür bleibt die Privatsphäre auf der Strecke. Während Fanny in Deutschland Leute in ihrem Zuhause beobachtet, aus der Ferne an deren Leben teilnimmt, kapselt sich Junya im fernen Japan von der Außenwelt ab, schleicht sich dann aber nachts in böser Absicht in fremde Wohnungen. Auch er lebt im Netz, das Darknet ist ihm sehr vertraut.

Das World Wide Web ist allgegenwärtig, wir geben sehr viel Privates preis ohne darüber nachzudenken, dass es da draußen, in dieser wundervollen vernetzten Welt, sehr viel Düsternis gibt. Das moderne Kommunikationsmittel verbindet, setzt aber gleichzeitig zerstörerische Kräfte frei. Wollen wir wirklich ob der vermeintlichen Sicherheit die Totalüberwachung? Big Brother (und nicht nur er) is watching you.

Creep ist die alles verschlingende Pflanze, Creeper sind diejenigen, die sich der modernen Technik bedienen, anonym in das Leben der anderen eindringen. Philipp Winkler schärft mit seinem Roman den Blick, zeigt deutlich die Schattenseiten auf.

Was mich gleich so richtig genervt hat, war das verbissene Gendern. Zum einen ist der Lesefluss extrem gestört und zum anderen mag ich dieses Gutmenschentum überhaupt nicht. Unsere Sprache wird total verhunzt, egal ob in geschriebener oder in gesprochener Form. Sprache muss wachsen, sie verändert sich immer und das ist auch gut so. Aber nicht so - per Verordnung einzelner.

Richtig gut gefällt mir hingegen das Cover. Die dominante Schrift, die sich ins Dunkle so richtiggehend einbrennt - perfekt in Szene gesetzt.

Creep überspitzt unseren täglichen Konsum und das Bedürfnis, immer ein Stück weiter vorzudringen. Es ist ja so einfach, man ist nur einen Klick vom nächsten Kick entfernt. Fanny und Junya sind mir während des Lesens nicht sehr nahe gekommen, vor allem Junyas agieren war schon sehr befremdlich. Wie weit wollen wir gehen, wie viel von uns preisgeben?

Zwei Verlierer, gefangen im Netz, im dem alles möglich scheint. Durchaus nachvollziehbar, das Gendern hat viel verdorben.

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