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Veröffentlicht am 20.09.2021

Grandios!

Die vier Winde
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Elsa ist geprägt von ihrem lieblosen Elternhaus, das ihr jegliche Freiheit auf ein normales Leben verwehrt. In Raf trifft sie einen, der sie mitreißt, sie vermeintlich verwerfliche Dinge tun lässt. Schwanger ...

Elsa ist geprägt von ihrem lieblosen Elternhaus, das ihr jegliche Freiheit auf ein normales Leben verwehrt. In Raf trifft sie einen, der sie mitreißt, sie vermeintlich verwerfliche Dinge tun lässt. Schwanger wird sie verstoßen, findet in Rafs Elternhaus eine Zuflucht und schließlich eine neue, eine richtige Heimat. Zum ersten Mal hat sie das Gefühl, akzeptiert und geliebt zu werden.

In Texas besitzen sie Land, als inmitten der Weltwirtschaftskrise Staubstürme in den Great Plains über sie hinweg ziehen und langjährige Dürren folgen. Viele zieht es nach Kalifornien ins scheinbar gelobte Land. Auch Elsa Martinelli macht sich mit ihren Kindern Loreda und Anthony mit dem alten Truck auf den Weg - in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Denn spätestens als dem Jungen eine Staublunge ihn das Atmen zur Qual werden lässt, kann Elsa diesen Trip nicht länger hinauszögern. Ein Aufbruch in eine neue Welt, in eine vielleicht verheißungsvollere Zukunft. „Ich wollte hier alt werden, den Weizen wieder wachsen sehen und eines Tages hier begraben werden.“ Ein wehmütiges Bekenntnis, das Elsa ihrer Tochter anvertraut.

„Sei mutig. Oder tu wenigsten so, auch das wird dir helfen.“ Elsas Großvater hat ihr das als 14jährige gesagt. An ihn und seine liebevolle, fürsorgliche Art, erinnert sie sich immer wieder und sie zieht daraus Stärke.

Mit allen vier Winden wurden sie hierhergetrieben aus allen Teilen des Landes. Ob der amerikanische Traum hier, am westlichen Rand Amerikas, für sie je Wirklichkeit werden wird? Und was erwartet sie hier? Ganze Scharen von Hobos (Wanderarbeiter) sind unterwegs auf der Suche nach Arbeit. Die Okies werden sie genannt. Es sind all jene, die aus Texas, Oklahoma, Kansas mit großen Erwartungen kommen. Sie werden verachtet, ausgegrenzt, müssen ihr Dasein am Rande der Gesellschaft fristen ohne Aussicht auf Besserung. Die Plantagenbesitzer beuten sie aus, gewähren ihnen keinerlei Rechte, die Politiker sind auf Seiten der Eigner.

Eingebettet in den Rahmen des historischen Hintergrundes stehen die fiktiven Charaktere und deren Geschichte für all jene, die es in den 1930er Jahren auf der Suche nach einem besseren Leben in den Westen zog. Ein Roman über die Entbehrungen der Great Depression. Über die große Umweltkatastrophe, den Zusammenbruch der Wirtschaft und die darauf folgende Massenarbeitslosigkeit.

„Die vier Winde“ gehört zu den Büchern, die ich nicht weglegen konnte. Zu sehr war ich gefangen, musste ich weitergehen mit Elsa, Loreda, Anthony und denen, die sie liebten, um auf ein besseres, würdigeres Leben zu hoffen. Ihre Geschichte hat mich so sehr berührt, hat mich ob der Vorurteile den Arbeitssuchenden, den Verzweifelten gegenüber zuweilen wütend gemacht.

Kristin Hannah ist eine erstklassige Erzählerin, sie bringt ihren Lesern Geschichte gut verpackt, sehr anschaulich und dazu äußerst unterhaltsam näher. „Die vier Winde“ – ein Leseereignis der ganz besonderen Art. Absolut empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 19.09.2021

Am Rande des Abgrundes

Shuggie Bain
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Douglas Stuart erzählt in seinem Debütroman von „Shuggie Bain“, dem kleinen Jungen, der seine Mutter über alles liebt. Für diesen Roman wurde er mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet.

Shuggie ist anders, ...

Douglas Stuart erzählt in seinem Debütroman von „Shuggie Bain“, dem kleinen Jungen, der seine Mutter über alles liebt. Für diesen Roman wurde er mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet.

Shuggie ist anders, das sagen sie alle. Hänseln ihn, drangsalieren ihn. Im Glasgow der 80er Jahre fristen sie ihr Dasein: Agnes, die Mutter - sie ist wunderschön, legt Wert auf ihr Äußeres, in ihrem grauen Alltag setzt sie damit Glanzpunkte, jedoch ist der Alkohol ihr ständiger und liebster Begleiter. Von ihrem zweiter Mann Shug, ein Macho sondersgleichen, der sie schlecht behandelt, kommt sie dennoch nicht los. Dann sind da noch die 17jährige Catherine und der zwei Jahre jüngere Leek. Eine ganz gewöhnliche Arbeiterfamilie sind sie, in der das Geld immer zu knapp ist.

Das Thema Alkohol überlagert das ganze Buch, schwebt gefährlich über allem. Geprägt von Armut und Hoffnungslosigkeit müssen die Kinder den Alkoholexzessen der Mutter hilflos zusehen. Die beiden ältesten können sich mehr oder weniger befreien, dem kleinen Shuggie jedoch fällt immer mehr die Rolle eines Beschützers zu. Seine feminine Art sehen die rabiaten, rauen und prügelnden Kinder in der Nachbarschaft und natürlich kommt er so manches Mal nicht ungeschoren davon. Und Big Shug nimmt sich, wen und was er will, lässt Agnes in ihrem Suff alleine. Sie alle haben mit sich zu tun, jeder lebt in seiner ganz eigenen Welt. Nur Shuggie, der bräuchte jemanden, aber er wird vergessen – von seinem Vater, der die Familie verlässt, von seiner Mutter, die nicht loskommt vom Alkohol.

Zwischendurch habe ich mich schon auch gefragt, warum Shuggie Bain titelgebend ist, da es vordergründig um sie geht, um Agnes und ihre Sucht aber jetzt - im Nachhinein - sehe ich ihn mittendrin, immer Agnes am nächsten. Er war es, der am meisten ertragen musste. Egal ob er ob ihrer Trunksucht hungerte oder von ihr mit Nichtachtung und Vorwürfen bestraft wurde. Er war ihr Begleiter, ihr Retter in der Not. Wenn sie Hilfe brauchte, war keiner da – Shuggie schon. Er war derjenige, der sie ertrug, der sie bedingungslos liebte. Bis zuletzt.

Eine Milieustudie, die betroffen macht und zahlreiche Gefühle auslöst. Man gewöhnt sich an vieles und wahrscheinlich gibt man sich ohne Perspektive irgendwann auf, tröstet sich wie hier mit dem Teufel Alkohol. Ich war tief drin in der Geschichte, konnte mich ereifern, fand sie in ihrer Trostlosigkeit allesamt gefühlskalt und widerwärtig. Das Ende stimmte mich dann trotz all dieser Exzesse letztendlich versöhnlich.

Eine tiefe Innigkeit stahlt das Cover aus, das ich vor dem Lesen als großes, gegenseitiges Verständnis empfunden habe. Und als Liebe, wie es sie nur zwischen Mutter und Kind gibt, in dem nur dieser eine Augenblick zählt. Nachdem das Buch zugeklappt ist und ich mir das Bild nochmals betrachte, das soeben Gelesene mit einwirken lasse, sehe ich diese Zerbrechlichkeit, sehr fragil, sehr zart.

"Niemand kann dir helfen außer du dir selbst" ein treffender Satz, ein weiser Ratschlag, den Leek Shuggie mitgibt. „Shuggie Bain“ ist nicht immer leicht auszuhalten, aber ich würde dieses Buch immer wieder lesen wollen.

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Veröffentlicht am 19.09.2021

Gute Unterhaltung

Abgetrennt
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Herzfeld ist zurück - endlich! Er ist schon sowas wie ein alter Vertrauter, der aus dem Nähkästchen plaudert. Basierend auf echten Fällen geht es auch im dritten Buch der Herzfeld-Trilogie ganz schön ...

Herzfeld ist zurück - endlich! Er ist schon sowas wie ein alter Vertrauter, der aus dem Nähkästchen plaudert. Basierend auf echten Fällen geht es auch im dritten Buch der Herzfeld-Trilogie ganz schön zur Sache. Nichts für schwache Nerven, aber ist der Mensch nicht das grausamste Lebewesen überhaupt? Garniert mit Privatem passt die Mischung, auch droht die Vergangenheit Herzfeld einzuholen.

Als in einem privaten Lehrinstitut Leichenteile gefunden werden, wird schnell klar, dass zumindest ein Arm mit auffälligem Tattoo schon über Herzfelds Tisch gegangen ist. Einer seiner Mitarbeiter - Heinrich von Waldstamm, ein Kind reicher Eltern – arbeitet Herzfeld als Sektionsassistent zu. Kann er zur Aufklärung beitragen, weiß er mehr?

Man möchte es kaum glauben, dass hier wirklich Passiertes gut lesbar aufbereitet wurde. Natürlich kann ein Insider authentisch von seiner Arbeit berichten, seinen Arbeitsplatz und das Drumherum am besten erklären und davon erzählen. Garniert mit allerlei Wissenswertem wie diese ominöse Madenrinne, die eine aufmerksame Besucherin entdeckt hat, geben solch eingeflochtene Kleinigkeiten eine feine Würze – echt und unverfälscht.

Eine gute Story, die für mich einige Logikfehler enthält, die das Ganze zwar rasant und grausam macht, unerbittlich das eigennützige Ziel verfolgend, aber manches Mal zu konstruiert wirkt wie der falsche Professor, der so unbedarft agiert. Oder der Treffpunkt, über den er nicht nachdenkt - das mutet zu gestellt an, das hätte es nicht gebraucht. Tsokos kann das wesentlich besser.

Kurzweilig, flott und unterhaltsam zu lesen allemal, aber doch vorhersehbar. Trotz allem habe ich auch den dritten Teil genossen. Für alle Herzfeld-Fans ein absolutes Muss – eh klar! Auch weiterhin werde ich Tsokos hinter die Kulissen folgen, ich freue mich auf neuen Lesestoff.

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Veröffentlicht am 18.09.2021

Szenen einer Ehe - ein Hörerlebnis

Barbara stirbt nicht
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Herr Schmidt kennt sich aus – aber nicht in der Küche. Überhaupt ist er, was Haushalt anbelangt, eher unbedarft. Barbara, seine Frau, hat ihn umsorgt, sich um alles gekümmert. Eines schönen Tages steht ...

Herr Schmidt kennt sich aus – aber nicht in der Küche. Überhaupt ist er, was Haushalt anbelangt, eher unbedarft. Barbara, seine Frau, hat ihn umsorgt, sich um alles gekümmert. Eines schönen Tages steht Barbara nicht mehr auf, Walter steht vor einem Riesenberg voller Probleme. Kaffeekochen – keine Ahnung, wie die Kaffeemaschine funktioniert, wo der Kaffee ist. Und so geht es weiter, er findet nichts, kann rein gar nichts.

Locker und entspannt werde ich in diese Geschichte hineingezogen. Zunächst scheint es, ein heiterer Roman zu werden. All diese beinahe rührend anmutenden Ungeschicklichkeiten des Herrn Schmidt haben eine Leichtigkeit, seine doch recht unwirsche Art mutet im Gegensatz ganz schön brummig und harsch an. Er knurrt alle an, die ihm eigentlich helfen möchten. Doch nicht mit ihm! Aber was hilft es, er muss durch, seine Barbara weigert sich weiterhin, aufzustehen - so kommt es zuweilen bei ihm an. Jedoch bemüht er sich redlich, eignet sich immer mehr Wissen an und setzt dieses in die Tat um.

Neben all seiner Bärbeißigkeit kommt immer mehr der fürsorgliche Ehemann hervor. Raue Schale, weicher Kern – es dauert, bis wir zu diesem seinem Inneren vordringen. Wie sollte es auch anders sein, nach einem halben Jahrhundert Eheleben.

Alina Bronsky hat eine traurig-schöne Geschichte vorgelegt mit heiteren und ernsten Momenten. Über so manche Szene musste ich schmunzeln oder lauthals lachen, dann wieder war die Atmosphäre eine ganz andere, sehr ernst und nachdenklich.

Als ungekürztes Hörbuch habe ich Barbara und Walters Geschichte sechs wundervolle Stunden lang sehr genossen, gesprochen von Thomas Anzenhofer. Ein wenig musste ich mich einhören, da ich diese markante Stimme nicht gleich mit der doch so federleicht beginnenden Erzählung in Einklang bringen konnte. Herr Schmidt konnte ganz schön uncharmant sein, doch bald passte Anzenhofers Stimme zur Stimmung. Von da an war ich tief drin in deren langjährigen Ehe, konnte dem Loslassen und dem für den Anderen da sein nachspüren. Die einzelnen Charaktere waren gut unterscheidbar und nicht nur das, jedem hauchte der Sprecher so viel Leben ein, dass das Hören ein Erlebnis war. Mit einem sehr abrupten Ende, das ich mir etwas runder gewünscht hätte.

Das Cover zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass die alltäglichen Kleinigkeiten, all die Handgriffe, gemeistert werden müssen. Sehr treffend und – gelb ist die Hoffnung.

Ein humorvolles, aber genauso ein ernstes Buch, hörend eine wundervolle Darbietung von dem Sprecher Thomas Anzenhofer und Argon-Hörbuch tacheles! Immer wieder gerne.

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Veröffentlicht am 18.09.2021

Gesellschaftskritisch, spannend, gut

Diese Frauen
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Lecia, Dorians Tochter, ist seit 15 Jahren tot. Noch heute sucht die Mutter nach Spuren, kann nie akzeptieren, dass es keine einzige Verhaftung gab. Drei weitere Frauen wurden tot aufgefunden mit durchschnittener ...

Lecia, Dorians Tochter, ist seit 15 Jahren tot. Noch heute sucht die Mutter nach Spuren, kann nie akzeptieren, dass es keine einzige Verhaftung gab. Drei weitere Frauen wurden tot aufgefunden mit durchschnittener Kehle, eine Plastiktüte über dem Kopf – einfach abgelegt, weggeworfen irgendwo an der Western Avenue in Los Angeles.

Auf Dorians Heimweg Blaulicht – die Straße abgesperrt – geht es wieder los? Dasselbe Muster, derselbe Täter? Ein Serienkiller, der pausiert hat? Die Polizei hat damals nichts oder nicht viel unternommen, hat eher weggeschaut denn zugehört. Warum? Weil es Latinos waren, Schwarze? Wegen ihrer Hautfarbe? Weil es diese Frauen waren an den Straßenecken, die sich ihren Freiern anboten, sich verkauften? Wer hat davon gewusst, wessen Ordnung musste aufrecht erhalten werden? Diese Frauen, die reizten, lachten und starben…

„Diese Frauen“ und deren Umfeld sind nicht auf Rosen gebettet. Sie sind in einer Stadt, in der es sich durchaus gut leben lässt, aber sie müssen eher ums Überleben kämpfen, können es sich nicht unbedingt aussuchen, wie sie ihre Brötchen verdienen. Jung und schön und sexy sind sie, diese Frauen. Ihre Körper bieten sie an, was sollen sie auch sonst tun? Sie haben keine Perspektive und einmal hier drin in dieser Endlosschleife ist ein Entkommen schier unmöglich.

Ivy Pochoda berichtet über und von diesen Frauen und deren Mütter, deren Umfeld. Aus verschiedenen Blickwinkeln gibt die Autorin einen Einblick in das Leben aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Zunächst war ich ein wenig irritiert, wusste nicht, wohin diese Geschichte führen mag. In fünf Teilen kommt der Leser den Frauen näher, die auf unterschiedliche Art mit den Verbrechen in Verbindung stehen. Die Rolle der Männer schwingt eher im Hintergrund mit, die der Polizei ist mit Essie Perry auf unkonventionelle Weise besetzt.

Ein Roman, der auf eine eher leise, aber dennoch kritische Art die Gesellschaft durchleuchtet. Ein Wissen um das, was nicht sein darf, weil es die mühsam nach außen hin geschaffene Ordnung ins Wanken bringen, ein Chaos veranstalten würde. Es geht um Liebe und sehr viel Hass, um Verrat und Eifersucht und nicht zuletzt um Wahn und Verblendung.

Das Cover zeigt eine dieser Frauen, sehr klischee- aber durchaus glaubhaft abgebildet. Die Farbgebung, dieses dramatische Rot auf schwarzem Hintergrund, passt sich dem gut an und dazu die weiße Schrift bilden ein perfektes Ganzes – ich bin sehr angetan.

Ivy Pochoda hat mit „Diese Frauen“ einen Roman vorgelegt, der mit seinen thrillerähnlichen Elementen und gut gezeichneten Charakteren nach anfänglichen Längen immer fesselnder wird. Eine spannende Reise, eine interessante Story, die ich gerne gelesen habe und auch gerne weiterempfehle.

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