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Veröffentlicht am 18.09.2021

Gesellschaftskritisch, spannend, gut

Diese Frauen
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Lecia, Dorians Tochter, ist seit 15 Jahren tot. Noch heute sucht die Mutter nach Spuren, kann nie akzeptieren, dass es keine einzige Verhaftung gab. Drei weitere Frauen wurden tot aufgefunden mit durchschnittener ...

Lecia, Dorians Tochter, ist seit 15 Jahren tot. Noch heute sucht die Mutter nach Spuren, kann nie akzeptieren, dass es keine einzige Verhaftung gab. Drei weitere Frauen wurden tot aufgefunden mit durchschnittener Kehle, eine Plastiktüte über dem Kopf – einfach abgelegt, weggeworfen irgendwo an der Western Avenue in Los Angeles.

Auf Dorians Heimweg Blaulicht – die Straße abgesperrt – geht es wieder los? Dasselbe Muster, derselbe Täter? Ein Serienkiller, der pausiert hat? Die Polizei hat damals nichts oder nicht viel unternommen, hat eher weggeschaut denn zugehört. Warum? Weil es Latinos waren, Schwarze? Wegen ihrer Hautfarbe? Weil es diese Frauen waren an den Straßenecken, die sich ihren Freiern anboten, sich verkauften? Wer hat davon gewusst, wessen Ordnung musste aufrecht erhalten werden? Diese Frauen, die reizten, lachten und starben…

„Diese Frauen“ und deren Umfeld sind nicht auf Rosen gebettet. Sie sind in einer Stadt, in der es sich durchaus gut leben lässt, aber sie müssen eher ums Überleben kämpfen, können es sich nicht unbedingt aussuchen, wie sie ihre Brötchen verdienen. Jung und schön und sexy sind sie, diese Frauen. Ihre Körper bieten sie an, was sollen sie auch sonst tun? Sie haben keine Perspektive und einmal hier drin in dieser Endlosschleife ist ein Entkommen schier unmöglich.

Ivy Pochoda berichtet über und von diesen Frauen und deren Mütter, deren Umfeld. Aus verschiedenen Blickwinkeln gibt die Autorin einen Einblick in das Leben aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Zunächst war ich ein wenig irritiert, wusste nicht, wohin diese Geschichte führen mag. In fünf Teilen kommt der Leser den Frauen näher, die auf unterschiedliche Art mit den Verbrechen in Verbindung stehen. Die Rolle der Männer schwingt eher im Hintergrund mit, die der Polizei ist mit Essie Perry auf unkonventionelle Weise besetzt.

Ein Roman, der auf eine eher leise, aber dennoch kritische Art die Gesellschaft durchleuchtet. Ein Wissen um das, was nicht sein darf, weil es die mühsam nach außen hin geschaffene Ordnung ins Wanken bringen, ein Chaos veranstalten würde. Es geht um Liebe und sehr viel Hass, um Verrat und Eifersucht und nicht zuletzt um Wahn und Verblendung.

Das Cover zeigt eine dieser Frauen, sehr klischee- aber durchaus glaubhaft abgebildet. Die Farbgebung, dieses dramatische Rot auf schwarzem Hintergrund, passt sich dem gut an und dazu die weiße Schrift bilden ein perfektes Ganzes – ich bin sehr angetan.

Ivy Pochoda hat mit „Diese Frauen“ einen Roman vorgelegt, der mit seinen thrillerähnlichen Elementen und gut gezeichneten Charakteren nach anfänglichen Längen immer fesselnder wird. Eine spannende Reise, eine interessante Story, die ich gerne gelesen habe und auch gerne weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 15.09.2021

Mit vollem Einsatz

Pirlo - Gegen alle Regeln
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Dr. Anton Pirlo, wie er sich nennt, ist „die gut aussehende Rhetorikmaschine“. Die POST beschrieb ihn einst so. Sein Ruf als exzellenter Anwalt eilt ihm voraus, trotzdem ist er seinen Job in einer renommierten ...

Dr. Anton Pirlo, wie er sich nennt, ist „die gut aussehende Rhetorikmaschine“. Die POST beschrieb ihn einst so. Sein Ruf als exzellenter Anwalt eilt ihm voraus, trotzdem ist er seinen Job in einer renommierten Kanzlei los. Selber schuld – aber ist aufgeben eine Option? Als eines schönen Tages ein Zettel vor seiner Tür hängt „Rufen Sie mich an…“ hat er seien ersten Fall - das heimische Wohnzimmer wird kurzerhand als Arbeitsplatz umfunktioniert. Florian von Späth ist tot, seine Frau Marlene soll ihn getötet haben. Alle Anzeichen sprechen genau dafür und doch übernimmt Pirlo Frau von Späths Verteidigung. An seiner Seite Sophie, die schnell lernt, sozusagen die perfekte Partnerin für ihn, den gefallenen Shootingstar, ist. Sie ergänzen sich, verstehen sich – meistens.

Ja, sie haben einen richtig großen Fall eingetütet, der reichlich Kohle bringen könnte. Im Gerichtssaal beginnt dieser Justiz-Thriller mit Sophie, die sich alleine zurechtfinden muss. Pirlo kommt wohl heute nicht mehr? Soweit, so ungewöhnlich und doch so typisch für diesen durchaus sympathischen Chaoten, der sich nicht immer an die Regeln hält. Ein Macho vom Feinsten, der das wahre Leben nur zu gut kennt. Ungewöhnliche Methoden sind seine Spezialität, des Öfteren schrammt er haarscharf an der Legalität vorbei.

Ingo Bott hat mit Pirlo einen Charakter geschaffen, der sehr wohl Ecken und Kanten hat, mit einer halbseidenen Familie im Hintergrund. Ein sympathischer Chaot mit viel Selbstbewusstsein, ein genialer Strafverteidiger, der nie aufgibt. Zusammen mit Sophie Mahler gelingt ihm manch genialer Schachzug, der ziemlich viel Unverfrorenheit, aber auch einen sehr wachen Verstand fordert.

Die gelungenen Kapitelüberschriften haben mir so manches Lächeln entlockt wie etwa „Fürs Leben zu blöd“. So wird man gut auf das, was kommen mag, eingestimmt. Der lockere Umgang untereinander, die spritzigen Dialoge tun ein Übriges und zuweilen fließt der Alkohol in Strömen.

Das Cover zeigt ihn, den gut aussehenden Anwalt. Nicht glatt, eher holprig, rau. An und für sich gelungen, nur kommt dieses „gut aussehend“ zu kurz.

Ein kurzweiliger Einstieg in die Gerichtsbarkeit, deren Regeln manchmal etwas großzügig ausgelegt werden könnten, zumindest hat es zuweilen diesen Anschein. Der erste Fall des Dr. Pirlo, weitere werden folgen. „Falsche Zeugen“ wird der zweite Band heißen, ich freu mich drauf.

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Veröffentlicht am 12.09.2021

Brisante Einblicke

Russische Botschaften
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Yassin Musharbash weiß, wovon er schreibt, der Investigativjournalismus ist sein Metier. In „Russische Botschaften“ gewährt er einen Blick hinter die Kulissen.

Merle Schwalb sitzt in Berlin in einem Straßencafe, ...

Yassin Musharbash weiß, wovon er schreibt, der Investigativjournalismus ist sein Metier. In „Russische Botschaften“ gewährt er einen Blick hinter die Kulissen.

Merle Schwalb sitzt in Berlin in einem Straßencafe, als ihr aus heiterem Himmel ein Mann vor die Füße fällt. Er ist tot, soviel ist klar. Geistesgegenwärtig macht sie einige Fotos und als Journalistin will sie natürlich wissen, was hier passiert ist. Wer ist dieser Tote und warum wird behauptet, dass dieser geheimnisvolle Jemand noch lebt? Ihre Neugier ist geweckt und so wird sie immer weiter hineingezogen in einen Strudel der – je mehr sie herausfindet – gefährlicher für sie wird. Innerhalb des Nachrichtenmagazins Globus gibt es die Abteilung Drei Fragezeichen, deren Augenmerk auf besonders heiße und heikle Themen gerichtet ist. Merle wird angeboten, hier zu arbeiten und sie greift zu. Der Balkonsturz lässt sie nicht los, zumal dieser - von wem auch immer - vertuscht wird. Eine ominöse Liste taucht auf, darauf Personen, die nach außen hin eine weiße Weste haben.

Fake News – ein Schlagwort unserer Zeit. Der Autor gewährt Einblick in die Welt der Desinformation, derer sich der russische Staat gerne und reichlich bedient. Ein ganzes Heer von Fälschern ist mit nichts anderem beschäftigt als gezielt Kampagnen zu starten, um fingierte Nachrichtigen zu streuen und so Einfluss zu nehmen. Der russische Geheimdienst streckt seine Fühler aus, ist gut verortet. Es werden mehr oder weniger einflussreiche Personen rekrutiert, die ihre jeweilige Position nutzen, um diverse Operationen zu beeinflussen wie etwa Wahlen und dergleichen. Nicht zuletzt in den USA hat die Welt hier zugesehen.

Ein Thriller, in den ich ganz tief abgetaucht bin. Immer wieder hatte ich diese aha-Momente, ist die Wirklichkeit doch so präzise geschildert in dieser zwar fiktiven Story, die es aber gewiss vielfach und wahrscheinlich in noch viel härterem Ausmaß gibt. Mit Merle Schwalb und ihren Kollegen bin ich gespannt den kriminellen Machenschaften derer gefolgt, die ihre Ziele wenn nötig mit Gewalt durchsetzen, egal wer dabei untergeht, wessen Leben verwirkt ist. Eine brisante Reise durch vermintes Gebiet.

Viel ist passiert, so einiges habe ich über die Recherchearbeit eines Investigativjournalisten erfahren. Die Welt wird unerbittlich mit Fake News zugeschüttet, wir alle wissen es. Es gibt ein gewisses Klientel, das genau auf solche „Nachrichten“ abfährt und diese mit Genuss und sehr viel Dummheit weiterverbreitet. Die Hintermänner brauchen genau solche Leute.

„Russische Botschaften“ – spannend und mitreißend erzählt. Ein gelungener Polit-Thriller, der gelesen werden will.

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Veröffentlicht am 12.09.2021

Ein perfides Spiel, als Hörbuch perfekt in Szene gesetzt

SCHWEIG!
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Einen Tag vor dem Heiligen Abend macht sie Esther auf, ihre Schwester Sue, die in ihrer Villa am Waldrand alleine - vom Ehemann verlassen - wohnt, zu besuchen. Ein sehr asketisches Leben führt diese, sie ...

Einen Tag vor dem Heiligen Abend macht sie Esther auf, ihre Schwester Sue, die in ihrer Villa am Waldrand alleine - vom Ehemann verlassen - wohnt, zu besuchen. Ein sehr asketisches Leben führt diese, sie hat sich von all dem Überflüssigen getrennt,

das ihrer großen Schwester Esther soviel bedeutet. Weihnachtsstimmung kommt auf, als Esther mit ihren Kindern ein Geschenk für ihre Tante liebevoll verpackt, den Baum fürs Fest bestellt. Alleine lassen will und kann sie ihre Schwester in diesen Tagen nicht, eine Flasche Wein kommt auch noch mit und los geht’s.

Es ist die Ruhe vor dem Sturm, diese winterliche Fahrt hinaus in die Einsamkeit. Ich begegne jetzt auch Sue, die so ein ganz anderes, zurückgezogenes Leben führt. Und lerne Esther genauer kennen in ihrer ach so fürsorglichen Art. Sie redet mit Engelszungen auf ihre Schwester ein, gibt sich wie eine Mutter, die ihr ungezogenes Kind zurechtweist. Zwei ganz und gar unterschiedliche Charaktere prallen da aufeinander. Die eine will ihre Ruhe, ist nicht bereit, ihr Innerstes nach außen zu tragen. Aber genau das kann und will die resolute Esther nie und nimmer akzeptieren.

Eine zuweilen sehr bedrückende Atmosphäre entsteht, ich kann mich diesem perfiden Spiel nicht entziehen. Zum einen die beiden Schwestern in der doch sehr feudalen Villa, daheim geblieben ist Martin, Esthers Ehemann mit den beiden Kindern. Das ganze Leben kommt zur Sprache, all die gewesenen und vermeintlichen Gemeinheiten werden an die Oberfläche gezerrt.

Judith Merchant ist ein außerordentlich raffinierter Thriller gelungen. Es sind die Dialoge der Schwestern, das Drumherum, ihr teuflisches Tun, das die Story ungemein belebt. Man kann gar nicht anders, als dran zu bleiben, möchte unbedingt wissen, wie das Ganze endet. „Es ist die Hölle!“ Ja, sie schenken sich nichts.
Diesen so heimtückisch und hinterhältig daherkommenden Thriller habe ich als Hörbuch gebannt verfolgt. Es sind hier zwei ausgezeichnete Sprecherinnen zu hören – Christiane Marx und Ulrike Kapfer – die all die fein austarierten Nuancen meisterlich umsetzen. Tim Gössler ist als Sprecher der dritte im Bunde, der als Erzähler das Zwischenglied bildet. Sein besonderer Part ist, dass er in Episoden die Stimmen und Stimmungen der beiden Schwestern routiniert vermittelt sowie Martins besondere Rolle zwischen den Schwestern einfängt. Alle drei bilden eine Einheit, ein kompaktes Ganzes, dem ich mich trotz der sehr düsteren Stimmung gerne aussetzte. Die Story spielt auf verschiedenen Zeitebenen und Orten und auch hier wird die Brillanz der Sprecher deutlich, war ich doch immer genau an dem Ort des gerade Erzählten, im Heute oder im Gestern. Ich konnte mich ganz entspannt und genussvoll zurücklehnen und einfach zuhören - ein Hörerlebnis, ein Leckerbissen.

In die tiefsten Abgründe der Menschen lässt Judith Merchant schauen, lässt ihre Leser nicht mehr los. Das infame Spiel der Schwestern, die unterschwellige Gehässigkeit in all ihren schaurigen Momenten hat Argon Hörbuch mit ihren exzellenten Sprechern perfekt in Szene gesetzt. Ein Hörgenuss der Extraklasse, den ich sehr gerne weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 12.09.2021

Eine wundervolle, eine märchenhafte Erzählung

Junge mit schwarzem Hahn
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Das Schicksal hat es nicht gut gemeint mit dem mittlerweile elfjährigen Martin. Den Dorfbewohnern ist er intellektuell haushoch überlegen, aber sie sind die Erwachsenen, behandeln ihn schlecht. Mit dem ...

Das Schicksal hat es nicht gut gemeint mit dem mittlerweile elfjährigen Martin. Den Dorfbewohnern ist er intellektuell haushoch überlegen, aber sie sind die Erwachsenen, behandeln ihn schlecht. Mit dem Kirchenmaler zieht es ihn fort aus dieser Enge, mit dabei ist der Hahn, sein ständiger Begleiter.

Der erste Roman von Stefanie vor Schulte – man möchte es gar nicht glauben. So sprachgewaltig und doch so zart und anrührend erzählt sie Martins Geschichte, die mich sofort faszinierte. Wie in einem surrealen Märchen kam ich mir zuweilen vor. Ein unschuldiges Kind, das außer einem Hahn nichts besitzt, das von den anderen herumgeschubst wird, macht die Welt heller, seine treuherzige und doch so kluge Art lässt trotz aller Einfalt ringsum an das Gute glauben. Ein Kind, das seinen Gefühlen ganz selbstverständlich ohne wenn und aber folgt. Es lässt sich nicht verbiegen, vergisst nie seine Ideale trotz aller Grausamkeit, die ihm überall begegnet.

Ein Buch über Mut und Menschlichkeit, das viel Wärme ausstrahlt. Es geht aber auch um Starrsinn und Verharren in alten Mustern, um Eitelkeit und Einsamkeit, um Unvernunft. Der Aberglaube, all die Dämonen blitzen immer wieder auf, lassen sich nur schwer vertreiben.

Zunächst musste ich mich in Martins Geschichte einfinden, war aber sehr schnell drin und wollte gar nicht mehr aus seinem Leben verschwinden. Wie soll ich den Hahn deuten, der sehr weise daherkommt – eine Metapher? Sein Schutzengel? Der ihn leitet, ermahnt, sein Gewissen und sein Begleiter ist. Ein so anderer Roman, der auf gut 200 Seiten viele Fragen aufwirft, sehr intensiv das Zwischenmenschliche ausleuchtet, um lange nachzuhallen.

Es ist ein Märchen – schön und grausam zugleich. Eine Reise ins Innerste, eine bildgewaltige Sprache. Sätze wie dieser hier: "Das Kind singt, als laufe es auf Sonnenstrahlen in den Himmel" wärmen ungemein. Diese wundervolle Erzählung hat was mystisches, gleitet ins Surreale. Auf eine sehr gut lesbare Art. Ich mag dieses Buch. Nein, ich bin gegeistert und kann nur jedem empfehlen, es zu lesen.

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