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Veröffentlicht am 18.09.2020

Intensive Familiengeschichte, die unter die Haut geht

Das Haus in der Claremont Street
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* "Meine Mama", flüsterte er, als er endlich jemanden in der Leitung hatte. Genau in diesem Moment ertönte von unten ein lauter Knall. "Bitte", sagte er. "Blut", fügte er hinzu, aber seine Stimme klang ...

* "Meine Mama", flüsterte er, als er endlich jemanden in der Leitung hatte. Genau in diesem Moment ertönte von unten ein lauter Knall. "Bitte", sagte er. "Blut", fügte er hinzu, aber seine Stimme klang hohl und seine Worte ergaben keinen Sinn. *

Schonmal gleich vorweg, wer einen Wohlfühlroman mit tragischer Familiengeschichte erwartet, der ist hier falsch. Auf die Geschichte von Wiebke von Carolsfeld muss man sich einlassen. Sie ist emotional, unheimlich intensiv und geht unter die Haut.

Nachdem Tom miterleben musste, wie der Vater die Mutter erschlägt und sich dann selbst erschießt, leidet er unter selektivem Mutismus; er spricht nicht mehr. Sonya, Rose und Will, die drei Geschwister seiner Mutter, nehmen sich seiner an - doch die überkorrekte Sonya, die sich ihr Leben lang ein Kind gewünscht hat, ist schnell überfordert. Und so wird er weitergereicht an Rose, die mit Will und ihrem halbwüchsigen Sohn zusammen wohnt. Hier ist alles ganz anders, chaotisch, vom ewig verstopften Abfluss bis hin zur überall vorherrschenden Unordnung. Von außen betrachtet scheint es nicht die beste Umgebung für ihn zu sein, aber vielleicht findet er dort genau die Art von Geborgenheit und Zuwendung, die er jetzt braucht.

Die Autorin erzählt ihre Geschichte aus mehreren Perspektiven, sehr emotional und ganz gemächlich. Darauf muss man sich einlassen. Es dreht sich fast alles um Gefühle. Jeder geht mit seiner Trauer und den Schuldgefühlen anders um. Was man aber in jeder einzelnen Zeile spürt und was dem Buch auch diese unheimliche Intensität verleiht, ist, das Authentische - alles ist so greifbar, so nachvollziehbar. Ob es die Flucht vor den Gefühlen ist, das Betäuben oder auch die kleine Affäre. Ja, selbst die Reaktion eines trotzigen Teenagers, dem plötzlich ein stummer 9-Jähriger vor die Nase gesetzt wird. Doch am Meisten gehen einem die Gedanken von Tom unter die Haut. Und das sehr, sehr lange.

"Das Haus in der Claremont Street" ist eine Familiengeschichte, die von tiefer Trauer und Schuldgefühlen bestimmt wird und deren so unterschiedliche Charaktere die langsame Art und Erzählweise durchaus tragen. Wiebke von Carolsfeld hat unheimlich liebenswerte, authentische Personen geschaffen, mit all ihren Stärken, Schwächen und allzu menschlichen Fehlern, die man nur gernhaben kann. Und sie lässt den Leser tief in deren Seele blicken.

Ein Buch, das man nur Stück für Stück liest und das noch lange nachhallen wird. Ich habe Tom und seine Verwandtschaft sehr gerne auf ihrem Weg der Trauerbewältigung und Heilung begleitet.

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Veröffentlicht am 15.09.2020

Zwei starke Frauen auf der Suche nach ein bisschen Glück

Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis
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"Jetzt bist noch frisch und ansehnlich, jetzt sehen sie`s noch gern, wenn du mit ihren Krügen an den Tisch kommst, und beim Mieder steht der oberste Knopf auf. Sei ned dumm, nimm mit, was du mitnehmen ...

"Jetzt bist noch frisch und ansehnlich, jetzt sehen sie`s noch gern, wenn du mit ihren Krügen an den Tisch kommst, und beim Mieder steht der oberste Knopf auf. Sei ned dumm, nimm mit, was du mitnehmen kannst. Leg dich hin, halt still, denk an was anderes. Zwei Mark sind zwei Mark, und sogar wenn`s nur eine is´, ist´s immer noch mehr als die 10 Pfennig, die dir einer sonst als Trinkgeld gibt. "

München 1900: Colina, ein einfaches Schankmadl, möchte alles hinter sich lassen: den gewalttätigen Ehemann, ihren Job, in dem man nur vom Trinkgeld lebt und dem Zubrot, wenn sie mit dem ein oder anderen Kunden hinterm Schuppen verschwindet. Colina weiß, sie kann weit mehr als das und sie ist gewitzt. Und so ergattert sie tatsächlich eine Anstellung als Gouvernante einer eigensinnigen, jungen Frau. Ihr neuer Boss ist der Biermogul Prank, der auf dem Oktoberfest groß rauskommen will. Doch dann passiert etwas, womit niemand gerechnet hat und Colinas Träume drohen zu platzen.

"Oktoberfest 1900" ist ein sehr lebendiger Roman über Deutschlands größtes Volksfest, den Biermogulen, Wirtsleuten und Schankmädchen, angelehnt an die TV-Produktion.

Ich habe den Münchner Lokalkolorit geliebt; König Otto, die Schwabinger Kunstszene usw. Auch der immer wieder einfließende bayrische Dialekt war großartig und hat für die richtige Stimmung gesorgt. Man erfährt viel über die Geschichte und Hintergründe des Oktoberfestes. Ich hätte gerne mit Colina mal ne Runde gedreht und mir die Attraktionen des Jahres 1900 angesehen. Da gab es u.a. die Völkerschau, die in einem Nebenstrang kurz präsent und wichtig war, aber insgesamt viel zu kurz kam.

Es gibt einfach zu viele interessante Personen und Handlungsstränge, auf die man in diesem Roman gar nicht alle eingehen kann. Das Potential für einen 3-Teiler hätte der Stoff allemal gehabt. So steht hier zum einen Colina und ihr Leben im Vordergrund und zum anderen der Polizist Aulehner, durch den man immer wieder interessante Einblicke ins Nachtleben und Milieu erhält. Ich persönlich hätte aber gern noch mehr über den Biermogul Prank oder Maria von der Deibel Brauerei erfahren. Dabei geht es gar nicht mal um die Charakterzeichnung, die sind Petra Grill allesamt hervorragend gelungen, sondern eher um die Neugier auf die Personen und ihr Leben, in das ich gern tiefer geschaut hätte.

Der Schreibstil ist unheimlich flüssig, angenehm und unterhaltsam. Ihre Schilderungen sehr bildhaft und lebendig. Das macht schon großen Spaß, auch, wenn manches ein wenig zu knapp geraten ist und mir dafür vielleicht der Aulehner hier und da zu viel Platz eingenommen hat.

Fazit: Ein lebendiger, bunter Roman rund um das Oktoberfest und die Bierbrauer, aber auch über die Rechte der Frauen zur damaligen Zeit, der mich richtig gut unterhalten hat.

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Veröffentlicht am 13.09.2020

Spannendes, kindgerechtes Wohlfühlabenteuer

Zurück in Sommerby
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* "Oma!", ruft Mikkel aufgeregt und fängt an zu rennen. "Wir sind da!" *

Sommerby ist wie nach Hause kommen, nicht nur für Martha, Mikkel und Mats. Die drei dürfen diesmal die Herbstferien bei Oma Inge ...

* "Oma!", ruft Mikkel aufgeregt und fängt an zu rennen. "Wir sind da!" *

Sommerby ist wie nach Hause kommen, nicht nur für Martha, Mikkel und Mats. Die drei dürfen diesmal die Herbstferien bei Oma Inge verbringen und schenken ihr gleich mal einen Fernseher. Aber wer braucht in Sommerby schon TV, hier ist immer was los und es gibt ständig Neues zu entdecken. Und plötzlich steht auch der fiese Makler wieder vor der Tür. Ob er Oma Inge diesmal vertreiben kann? Und was ist eigentlich mit Krischan los?

"Zurück in Sommerby" ist ein Hörgenuss für Jung und Alt, auch mir hat es unheimlichen viel Spaß gemacht. Die Charaktere sind lebendig, authentisch, grummelig und allesamt auf ihre ganz eigene Art charmant. Das leichte Plattdütsch ist für Kinder gut zu verstehen und macht Oma Inge einfach aus. Martha hat Liebeskummer und die beiden Jungs sind sympathische kleine Lausbuben, über die man so manches Mal schmunzeln muss.

Was mir besonders gut gefallen hat, die Erwachsenen-Probleme sind großartig kindgerecht erklärt und der fiese Makler, der Oma Inge das Haus abluchsen will, macht es herrlich spannend. Dabei ist und bleibt es durchweg eine wunderschöne Wohlfühlgeschichte. Julia Nachtmann verleiht jedem Charakter eine eigene Stimme. Zusammen mit den bildhaften Landschaftsbeschreibungen, hat man das Gefühl Sommerby und seine Bewohner persönlich zu kennen und heimzukommen. Gerne mehr davon!

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Veröffentlicht am 11.09.2020

Reflektionen

Der letzte Satz
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* Aber ich habe Glück. Dort draußen läuft ein Glück im Gras herum, und hier drinnen sitzt ein anderes mit mir am Tisch. Ich habe alles, was ich mir wünsche. Ich bin ein glücklicher Mann. *

Robert Seethaler ...

* Aber ich habe Glück. Dort draußen läuft ein Glück im Gras herum, und hier drinnen sitzt ein anderes mit mir am Tisch. Ich habe alles, was ich mir wünsche. Ich bin ein glücklicher Mann. *

Robert Seethaler zeichnet hier den privaten Menschen Gustav Mahler - krank, gebrechlich, mit emotionalen Schwächen und einer dysfunktionalen Beziehung. Den Komponisten und Dirigenten lernt man dabei leider nur sehr rudimentär kennen, um seine Beziehung zur Musik geht es selten..

Es beginnt mit Mahlers letzter Reise per Schiff nach Amerika und die rückblickenden Episoden aus seinem Leben scheinen willkürlich, zeitlich nicht immer klar einordbar und mal mehr, mal weniger interessant. Die Oberflächlichkeit wird bei Begegnungen mit Rodin oder Freud besonders deutlich. Es werden ein paar bekannte Charakterzüge Rodins herausgestellt, aber das war es dann auch eigentlich schon. Für mich eine überflüssige Episode, bei grade einmal 126 Seiten.

Seethalers Sprache ist klar, ein wenig lakonisch und distanziert. Einen richtigen Zugang bekommt man selten, aber dann sind sie plötzlich da, diese kostbaren Sätze, die einen tief berühren und die fast schon magisch sind. Wahrscheinlich eine Stärke Seethalers. "Der letzte Satz" ist mein erstes Buch von ihm - Roman vermag ich es fast schon nicht zu nennen, Novelle oder Erzählung trifft es wohl eher - und er hat mich nicht ganz überzeugen können. Sein Protagonist ist ein Mann, der am Ende seines recht kurzen Lebens zurückschaut und reflektiert; leise, melancholisch und unaufgeregt. Ob man diesen Mann nun unbedingt Mahler nennen muss....er wirkt oftmals austauschbar und hätte Jedermann sein können.

Ein lesenswertes kleines Büchlein, doch anhand der Leseprobe hatte ich mir mehr dieser magisch-poetischen Sätze versprochen.

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Veröffentlicht am 23.08.2020

Historisch interessant - aber einiges an Potential verschenkt

Das Mündel des Hofmedicus
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* Louisle, hilf mir. Du bist nicht da. Besser so. Ich nehme Aufstellung. Niemals ist sie meine Mutter. Sie krallt mir ihre Finger in die Schulter und schiebt mich aus dem Haus. Barfuß und im Gartenkleid, ...

* Louisle, hilf mir. Du bist nicht da. Besser so. Ich nehme Aufstellung. Niemals ist sie meine Mutter. Sie krallt mir ihre Finger in die Schulter und schiebt mich aus dem Haus. Barfuß und im Gartenkleid, aber mit der guten Schürze, steige ich in die Kutsche. *

"Das Mündel des Hofmedicus" ist eine sehr interessante, aber auch verworrene Geschichte um ein junges Mädchen, das schon als Baby von einem zum anderen weitergereicht wurde und an der gegensätzliche Erziehungsmethoden ausprobiert wurden. Immer mit im Gepäck zwei gemalte Spielkarten, die Herz- und die Ecksteinsieben.

Ich habe einen spannenden Roman erwartet, doch was die Geschichte interessant gemacht hat, blieb leider oftmals zu oberflächlich, sowohl das perfide Spiel um die Karten als auch die Erziehungsmethoden. Hier hätte es gern mehr in die Tiefe gehen dürfen.

Der Schreibstil ist anfangs gewöhnungsbedürftig, kurze Sätze, oftmals abgehackt. Vor allem mit den Gedanken des Kleinkindes habe ich mich schwer getan. Was mir hingegen sehr gefallen hat, war der Lokalkolorit. Nicht nur in den Beschreibungen der Ortschaften und der Gegend, sondern auch im schwäbischen Dialekt, der hier und da authentisch mit einfließt und sich sehr flüssig lesen lässt.

Die Charakterzeichnung fand ich persönlich etwas schwach, obwohl man von jedem nicht nur ein ganz klares Bild vor Augen hatte, sondern auch die wesentlichen Charakterzüge. Aber dabei blieb es. Ich hätte so gern mehr über Elisabeth Hehl erfahren, der Frau, die Christiane mit harter Hand erzieht und ihre eigene Schwester als Baby erstickt hat. Es gab einfach recht wenig Hintergrundinformationen. Über den Hofmedicus erfährt man so gut wie gar nichts, außer, dass er den Blasensteinschnitt liebt. Denn die Kapitel der beiden Geschwister beginnen immer mit demselben Satz, ob bei Elisabeth die "geborene von" oder bei ihm der "Blasensteinschnitt", irgendwann war es einfach zu viel des Guten.

Der Roman ist interessant, keine Frage und er hat einen historisch belegten Kern, der im Anhang aufgeführt wird. Christianes Lebensstationen formen ihren Charakter und es ist spannend zu sehen wie sie sich weiterentwickelt und hinter das Geheimnis der Spielkarten und ihrer Geburt kommt.

Ein Buch, das mich etwas zwiegespalten zurücklässt. Komplett überzeugen konnte es mich nicht, da ich mir die Themen mehr in die Tiefe gehend gewünscht hätte. Auf der anderen Seite erfährt man einiges über den Umgang mit Kleinkindern Anfang des 19. Jahrhunderts und man möchte selber wissen, wer Christianes Mutter ist.

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