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Veröffentlicht am 27.02.2024

Eine lesenswerte Geschichte, die noch etwas Liebe gebraucht hätte.

Nacht ohne Morgen
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Alexis Douviers wurde als drittes von vier Kindern geboren. Die starke Bindung zu seinem Großvater hat ihn geprägt und so ist er ein aufgeschlossener junger Mann geworden, der seine Familie, seine Freunde ...

Alexis Douviers wurde als drittes von vier Kindern geboren. Die starke Bindung zu seinem Großvater hat ihn geprägt und so ist er ein aufgeschlossener junger Mann geworden, der seine Familie, seine Freunde und sein Leben liebt.

Alexis war dreizehn als sein Schauspiellehrer Samuel sich mehrfach an im verging. Danach hatte Alexis das Gefühl, dass sein Körper nicht mehr ihm gehörte. Souverän wechselte er die Schule und versuchte seine Erlebnisse zu vergessen. Jahre später brennt in ihm der Wunsch, seinen Eltern zu sagen, dass er Männer liebt, doch dann erfahren sie von Samuel, einige seiner damaligen Mitschüler hatten den Schauspiellehrer angezeigt.

Marc wuchs auf Korsika auf. Er war siebzehn als sein Vater ihn brüllend Tunte! nannte und ihm den Koffer vor die Tür stellte, weil Marc Matteo liebte. Marc stieg auf die Fähre nach Nizza und sah seinen Vater nie wieder. Eine glückliche Fügung trieb ihn nach New York, wo er in der Finanzwelt aufstieg. Er entwickelt sich zu einem erfolgreichen, gutaussehenden Mann, der privat, in der riesigen Stadt keinen Fuß fassen kann. Seine Beziehungen bleiben oberflächlich, können weder seine sexuelle Gier erfüllen, noch seinen stillen Kummer heilen. Marcs Depression zeigt sich in seiner Arbeitswut, seinem Tabletten- und Kokskonsum und seiner Sexsucht. Sein Selbsthass ist riesig.

Bei einem Besuch in Nizza lernt Marc Alexis kennen und sie fühlen sich zutiefst zueinander hingezogen. Frühere Beziehungen haben beide verletzt und misstrauisch gemacht. Sie raufen sich immer wieder zusammen. Marc überwindet seine Eifersucht, Alexis sein Gefühl der Minderwertigkeit. Alle Zeichen deuten auf ein erfülltes, glückliches Leben, doch dann passiert Alexis etwas schreckliches.

Fazit: Zuerst einmal, das Cover ist ein Kunstwerk, die Veredelung ein haptischer Genuss.

Die Geschichte beginnt mit einem Prolog und erzählt danach in der Rückschau von Mark und Alexis. Welche Erlebnisse sie ausmachen. Stellenweise entstehen Verdachtsmomente und die Storry wirkt wie ein Krimi. Tatsächlich aber, war es die Liebesgeschichte zwischen Marc und Alexis. Der Konflikt, die Schwierigkeiten aus ihrer Vergangenheit, die sie immer wieder trennten zu überwinden. Ich mag, dass der Autor diverse Tabuthemen bearbeitet hat. Das Schwulsein an sich, das tatsächlich im prüden Frankreich noch heute eine familiäre Schande ist. Sexueller Missbrauch, Gewalt in der Beziehung, Machtmissbrauch, Workahollic, Sexsucht, Depression. Rachsucht.

Was mir nicht gefallen hat waren die vielen Schönheitsfehler, dass die Geschichte stark konstruiert ist. Ich fand die Mutter in ihrem Gedankengang, gerade zu Anfang nicht überzeugend.

Über ihr etwas zu aufgeräumtes Leben ist gerade eine Tragödie hereingebrochen. Catherine muss sich ihr stellen. S. 17

So sieht echte Verzweiflung nicht aus, die hätte ich aber erwartet.

Die Hortensien verbreiten noch immer ihren Duft. S. 213

Ne, Hortensien duften nicht.

Der Versuch des Autors mich bei der Stange zu halten, ohne Mehrwert zu bieten:

Ein unersättlicher Drang treibt sie beharrlich einander zu. Er ist unbändig. Wie eine Selbstverständlichkeit, der sie sich beugen, eine Macht, vor der sie die Waffen strecken müssen. S. 195

Ja ok, ich hatte schon die letzten 50 Seiten verstanden, dass ihr geilen Sex habt, du hast es mir ja gezeigt, warum bringst du mich jetzt zum Gähnen?

Alles in allem eine lesenswerte Geschichte, die noch etwas Liebe gebraucht hätte.

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Veröffentlicht am 24.02.2024

Eine feine humorvolle Storry

Trabant
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Georg Himmel ist ein besonderer junger Mann mit einer Vorliebe für das Weltall. Dabei interessieren ihn weniger die Planetenkonstellationen als viel mehr was der unendliche Raum noch alles birgt. Sterne, ...

Georg Himmel ist ein besonderer junger Mann mit einer Vorliebe für das Weltall. Dabei interessieren ihn weniger die Planetenkonstellationen als viel mehr was der unendliche Raum noch alles birgt. Sterne, die uns umkreisenden Satelliten, deren Halbwertszeit und natürlich, der Schrott.

Wenn er sich allein fühlt, lauscht er den Schwingen des Beteigeuze, die in seiner Einbauküche lagern, wenn er nervös ist, dem Lichtblitz FRB 121102. Sein Zweifel, seine Person, seine Welt versinkt im Flüstern der Sterne. S. 12

Georg ist der Sohn eines erfolgreichen Einzelhandelskaufmanns, der sich bestens auf Haustürgeschäfte versteht und einer Mutter, die ihre Lehre zur Automechanikerin abgeschlossen hätte, wenn sie nicht mit Sohnemann schwanger geworden wäre. Mitte der Neunziger sind sie nach Bayern gekommen. Zuvor haben sie immer wieder den Wohnort gewechselt und Georg die Schule, die Mitschüler und Freundschaften. Seit seinem Abitur arbeitet Georg als Hausmeister im örtlichen Planetarium.

Sein bester Freund Vedad, den er unter abstrusesten Umständen kennengelernt hat heiratet, und als erstklassiger Trauzeuge hat Georg natürlich eine glänzende Rede vorbereitet. Leider wecken die Unmengen fremder Menschen Georgs Urangst, sich vor den Augen Fremder seltsam zu verhalten und an ihn gerichtete Erwartungen nicht erfüllen zu können. Deshalb kommt Georg, die sowohl unverständliche, wie geheimnisvolle SMS seines Vaters nicht ungelegen. Überraschend bricht Georg auf und stürzt sich ungewollt ins Abenteuer.

Fazit: Die Geschichte ist überraschend unterhaltsam. Ein kunterbuntes kleines Potpourrie an komischen aufeinanderfolgenden Ereignissen. Der Protagonist begibt sich auf einen Roadtrip an dessem Ende er seinen Vater zu finden hofft. Unterwegs hegt er ängstliche Befürchtungen. Verschiedene Situationen und Anekdoten seiner jungen und doch ereignisreichen Vergangenheit fallen ihm ein. Der Autor hat einen jungen Charakter mit Ecken und Kanten geschaffen, dem ich gerne dabei zu gesehen habe, wie er seine Ängste und Unsicherheiten überwindet. Eine feine humorvolle Storry, die ich gerne gelesen habe.

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Veröffentlicht am 22.02.2024

Wundervolle Erzählung

Mutternichts
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Mutter war acht Jahre, als sie eine Dirn wurde. Ihre Eltern schickten sie zu fremden Bauern, auf einen großen Hof einige Kilometer entfernt. Das war nichts Ungewöhnliches. Familien, die nicht alle ihrer ...

Mutter war acht Jahre, als sie eine Dirn wurde. Ihre Eltern schickten sie zu fremden Bauern, auf einen großen Hof einige Kilometer entfernt. Das war nichts Ungewöhnliches. Familien, die nicht alle ihrer Kinder ernähren konnten brachten die Überzahl woanders unter. Befremdlich war, dass die Eltern nach Mutters Weggabe weitere Kinder bekamen. Und warum traf es ausgerechnet Mutter? Die Protagonistin fährt in das Tal, zu dem Hof, der Mutter verschluckte, sucht nach den Spuren, die Mutter in Nichts auflösten, nach Worten, die Mutters Schweigsamkeit begründen.

Die Protagonistin möchte das Mutterrätsel über ihr Schreiben ergründen und hegt den Anspruch ihre Mutter so zu zeichnen, wie sie war und nicht, wie sie sie gern gehabt hätte. Sie versinkt in Erinnerungen und sieht Mutter, wie sie ihre Arbeit mit großer Sorgfalt und Dringlichkeit erledigte. Wie sie an Karfreitagen im Haus schuftete und danach mit großer Ernsthaftigkeit betete. Mit dem Vorrücken der Zeiger sank ihre Stimmung, bis sie zu der Stunde als der Heiland ans Kreuz geschlagen wurde, langsam aus ihrer Erstarrung erwachte.

Ich hörte Mutter lautlos beten. Am Morgen am Tisch. In der Stube, wo die Uhr laut tickte und in die Stille schlug. S. 133

Die Bäuerin auf dem Hof soll eine bösartige Frau gewesen sein. So oft es ging lief Mutter bei Wind und Wetter zu ihrer Familie. Sang laut gegen ihre zahlreichen Ängste an und schrie Gedichtzeilen in die Luft. Doch Zuhause lud niemand sie ein zu bleiben. Sie gehörte nirgendwohin, war überflüssig und wertlos.

Fazit: Ich liebe diese Geschichte! Selten habe ich so eine Sicherheit im Umgang mit Worten erlebt. Die Autorin schreibt sich mit wortgewandter Poesie durch diese Geschichte, die von Anfang bis Ende überzeugt. Die Sprachbilder sind sinnlich und wecken Bilder und Gefühle. Die Autorin schreibt über schlimme Dinge ohne jeden Pathos, sondern mit einer Ruhe, die mich eines Spaziergangs gleich, durch die Zeilen führt. In ihrer Sprachmelodie glaube ich einen Österreichischen Dialekt zu hören. Die Reise von der Tochter zur Mutter deckt die Vergangenheit bis zu ihren Urgroßeltern auf. Es ist eine der schönsten Vergangenheitsbewältigungen, die ich je gelesen habe. Jeder Satz ein Genuss.

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Veröffentlicht am 21.02.2024

Die geerbte Sprachlosigkeit

ruh
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Cemal trifft Georg jetzt regelmäßiger. Für Cemal ist es ein überraschendes und stilles Begehren. Georg ist tiefenentspannt und selbstbewusst, Cemal nachdenklich und unsicher. Ihre Geschichten könnten unterschiedlicher ...

Cemal trifft Georg jetzt regelmäßiger. Für Cemal ist es ein überraschendes und stilles Begehren. Georg ist tiefenentspannt und selbstbewusst, Cemal nachdenklich und unsicher. Ihre Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Georg hat ein gutes Verhältnis zu seinem Stiefvater und nächert sich seinem Vater allmählich an. Cemal wuchs bei seinen Großeltern in der Türkei auf und kam mit acht nach Deutschland, zu Eltern, die ihm fremd waren. In Cemals Familie wurde nicht viel gesprochen. Es wurde ja so viel gearbeitet und man war müde wenn man nach Hause kam. Cemal fürchtete sich davor, diesem namenlosen Schweigen zu begegnen. Wechselten die Eltern mehr als zwei Sätze, dann um einen Streit auszufechten. Cemal konzentrierte sich auf sein größtes Hobby, die Musik.

Vor einigen Jahren hatte er seine Königin geheiratet, Gül, immer aufrecht. Sie hatte ihm die kleine Ekin geschenkt. Cemal hatte sich mehr Kinder gewünscht aber Gül entschied sich dagegen. Auch sonst waren sie sehr unterschiedlich, deshalb zog Cemal aus. Jetzt zelebriert er die Wochenenden an denen ihn seine Prinzessin besucht so intensiv, wie er kann. Neulich hatte Georg ihm Fragen zu seiner Familie gestellt und Cemal damit so in Bedrängnis gebracht, dass der sich nicht mehr bei ihm meldet. Ganz langsam wird Cemal klar, dass sein Schweigen ihm zunehmend Probleme bereitet.

Sein Sprechen scheint sich einfach aus seinem Epigenom herausgeschrieben zu haben. Wo doch bereits seine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und deren Eltern nicht zum Sprechen erzogen worden waren. S. 171

Und als der äußere Druck zunimmt erscheint ihm seine Urgroßmutter Süveyde im Schlaf, schaut in sein Bewusstsein und schickt ihm die Erinnerungsbilder, die er braucht, um zu verstehen.

Fazit: Die Geschichte dreht sich um Sprachlosigkeit und Trennung.

Wortlos gehen und in der Wortlosigkeit zu bleiben. S. 171

Um Rollenbilder und traditionelle Vorstellungen, die sich nicht erweichen lassen. Sehnaz Dost zeigt, wie Generationen miteinander verflochten sind und die Schwierigkeiten, trotz dieses Erbes, integer und selbstbestimmt zu werden. Ich mochte das Erzählen von Cemals Alltag und habe seinen Umgang mit seiner Tochter geliebt. Mit welcher Sensibilität er ihre Launen erkannt hat. Die Autorin benutzt einige schöne Sprachbilder, dennoch habe ich die orientalische Melodie, die ich aus anderen gelungenen Geschichten, speziell über das Türkischsein gelesen habe, vermisst.

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Veröffentlicht am 19.02.2024

Eine Geschichte über Vertreibung

Die lichten Sommer
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Liz arbeitet seit ihrem 14. Lebenjahr in der Batteriefabrik. Auf dem Weg dorthin schwätzt sie mit den anderen Mädchen und erfreut sich mit ihnen an ihrem Alltag. Den Rückweg meistert sie allein, läuft ...

Liz arbeitet seit ihrem 14. Lebenjahr in der Batteriefabrik. Auf dem Weg dorthin schwätzt sie mit den anderen Mädchen und erfreut sich mit ihnen an ihrem Alltag. Den Rückweg meistert sie allein, läuft ganz beschwingt und überlässt sich ihren umherflatternden Gedanken. Unten am Fluss entlang, erinnert sie ihre Herkunft.

Wie aus dem Nichts waren sie nach Kriegsende plötzlich hier aufgetaucht und hatten das Dorf in helle Aufregung versetzt, es plötzlich gesprächig und streitsüchtig gemacht. S. 11

Ihre Eltern waren aus Tschechien geflüchtet und hatten in den Barracken unten am Fluss gelebt. Jahre später schafften sie es, aus ihrer eigenen Hände Arbeit, ein kleines zweistöckiges Haus zu mieten. Die Eltern lebten oben und richteten unten eine Gaststätte ein, als Liz geboren wurde.

Ihr Vater Ladislaus trägt die alten Narben auf dem Rücken, das hatte sie mal beobachtet. Jeden Tag steht er hinter dem Thresen und ihre Mutter Nevenka steht in der Küche und bereitet den Mittagstisch. Dass sie feine böhmische Gerichte zu günstigen Preisen anboten, hatte sich bald rumgesprochen und auch, dass Ladislaus großzügig die Schnapsflasche rumgehen ließ. Mit der eigenen Gaststätte kam der Aufstieg, der Schnaps und die Bedürfnisse. Auf das Haus! Auf die Frau! Auf das Kind! Auf die Freude! Auf den Kummer! Prost!

Als Liz ein Ausbildungsangebot von ihrem Vorgesetzten bekommt, weigert sich der Vater, den Vertrag zu unterschreiben. Liz solle weiter in der Gaststätte aushelfen und auch ihre Mutter brauche sie noch.

Fazit: Es ist eine Geschichte über Vertreibung und Ankommen, über Schuld und Demütigung. Und es ist eine Geschichte darüber, wie sich Traumen über Generationen weiterverbreiten. Die Geheimnisse, die Liz Mutter Nevenka in sich verbirgt und die Erlebnisse von Nevenkas Mutter, färben auf Liz ab und bestimmen ihr Sein. Liz hat den schweren Weg zu gehen, zu kränkeln und in Melancholie zu fallen, oder ihrem Partner zu sagen, was sie stört, gleichzeitig ihr Gesicht zu wahren und ihre Herkunft zu verbergen. Ich mochte die Geschichte, in die ich allerdings erst ab Seite 100 so richtig reingerutscht bin. Die Autorin hat Kapitelweise aus der Gegenwart erzählt und ist dann immer wieder in die Rückschau gegangen. Wenn sie mich aus Vergangenheit wieder in die Gegenwart brachte, habe ich den Faden verloren, wusste nicht mehr mit welchem Cliffhanger sie geendet hatte. Die fremden Namen haben es auch nicht leichter gemacht. Alles in allem eine gut geschriebene Geschichte, in deren Technik ich mich leider verloren habe.

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