Nicht so blühende Landschaften auf der grünen Insel
Close to HomeSean ist Anfang 20, wohnt in Belfast, hat in Liverpool sein Studium der englischen Literatur abgeschlossen und lebt, zurück in seiner Heimatstadt, von prekären Jobs in der Gastronomie. Sean hat aber auch ...
Sean ist Anfang 20, wohnt in Belfast, hat in Liverpool sein Studium der englischen Literatur abgeschlossen und lebt, zurück in seiner Heimatstadt, von prekären Jobs in der Gastronomie. Sean hat aber auch einen anderen jungen Mann kürzlich bei einer Auseinandersetzung körperlich angegriffen und verletzt, woraus Sozialstunden resultieren, welche er in einer Art Gartenbaubetrieb ableisten muss.
Sean kommt aus eher ärmlicheren Verhältnissen mit mehreren Geschwistern in einem Patchworkverbund. Seans Mutter hat die Ausschreitungen und Anschläge des Nordirlandkonflikts noch voll miterlebt und war teilweise auch in derartige Aktionen involviert.
Sean hat sich eigentlich mit seinem Uniabschluss ein Stück Freiheit und gewisse Optionen erarbeitet, kann diese aber nicht stringent umsetzen und wird immer wieder, wie magnetisch, in die ihn umgebende Welt aus Drogen/Sucht, Armut, Gewalt, Mißbrauch, Betrug sowie Arbeits - und Wohnungslosigkeit hineingezogen.
Die meisten Personen, welche man im Roman kennen lernt, sind durch die destruktiven Umstände, traumatisiert und orientierungslos. Die (katholische) Kirche kann den Betroffenen scheinbar auch keinen Halt bieten, sondern verschärft oft Situationen aus Sicht des Protagonisten noch (MIíßbrauch in katholischen Heimen, Korruption...). Es gibt in diesem Chaos demnach nur wenige Figuren, bei denen Sean Halt finden kann. Dazu gehört Mairéad, seine Freundin aus Kindertagen. Obwohl die Verbindung zunächst unverbindlicher Natur zu sein scheint, ist sie in ihrem Wesen wie sich zeigt, sehr stabil, gegenseitig und verlässlich.
Immer wieder scheint Sean sich aus trostlosen Situationen aufzurappeln und einen guten Neuanfang zu machen, der ihn endlich aus seiner Misere katapultieren soll. Die Zukunft wird zeigen müssen, ob sich Sean auch auf Dauer eine stabile Existenz ohne Exzesse aufbauen kann.
Michael Magees Schreibstil ist atemlos. Schonungslos treibt seine Hauptfigur Sean die LeserInnen in seiner direkten doch einnehmenden, teilweise brutal ehrlichen Ich-Erzählung durch Gegebenheiten, Handlungen und Anschauungen, die sich in schneller Abfolge rund um ihn und in ihm ereignen. Man erhält als Leser/in den Eindruck, als säße man in Seans Kopf und würde dort alles in Echtzeit miterleben. Gegenwart und Vergangenheit scheinen dabei teilweise in Seans Gedankenstrom zu verschmelzen. Michael Magee schafft es meiner Meinung nach optimal, die Situation in Nordirland früher und gegenwärtig anhand seiner Erzählweise und -perspektive darzustellen.
Er legt empfindliche Stellen und Traumata der (nordirischen) Gesellschaft wie Mißbrauch,Arbeitslosigkeit, Drogensucht und Gewalt offen, er nimmt die LeserInnen mit in Seans innerstes Erleben und Erinnern. Das Buch ist wie eine literarische Sozialstudie, die auch insbesondere deutlich macht, wie schwer es ist (aus ex- und intrinsischen Beweggründen) oder einem gemacht wird, solchen problembehafteten Milieus zu entfliehen oder diese aufzulösen.
Für mich ein kleines Meisterwerk, dieses Buch!
Sehr lesenswert!