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Marshall-Trueblood

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.10.2019

Viel ist manchmal zu viel

All die unbewohnten Zimmer
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Fariza Nasri, Polonius Fischer, Jakob Franck und Tabor Süden ermitteln in zwei Todesfällen; sie versuchen Licht ins Dunkel zu bringen, jeder für sich und doch auch alle zusammen.

Friedrich Ani hatte sich ...

Fariza Nasri, Polonius Fischer, Jakob Franck und Tabor Süden ermitteln in zwei Todesfällen; sie versuchen Licht ins Dunkel zu bringen, jeder für sich und doch auch alle zusammen.

Friedrich Ani hatte sich in All die unbewohnten Zimmer viel vorgenommen. Die Idee, alle seine Ermittler in einem Krimi ermitteln zu lassen, finde ich grundsätzlich sehr gut. Allerdings gerät die Krimihandlung ein wenig, nein nicht zu kurz; eher wird sie in den Hintergrund gedrängt. Immer, wenn Spannung aufkommt, wechselt die Perspektive und ein anderes Problem wird in den Vordergrund gestellt...und Probleme gibt es in diesem Roman reichlich: Sexuelle Belästigung, Flüchtlinge, der Rechtsruck in Deutschland, die Unfähigkeit der Polizei und natürlich die Einsamkeit, die ein zentrales Thema in Anis gesamtem Werk darstellt, zumindest in den Romanen, die ich kenne. Hier habe ich mich zum ersten Mal gefragt, ob mir das nicht zu viel wird. Viel wird angerissen, aber zu wenig wird vollständig ausgearbeitet, alles schwelt aber die ganze Zeit unter der Oberfläche. Aber vielleicht ist das auch mein persönliches Problem, mir wurden schon einige Romane zu geschwätzig; hier hätte man ein oder zwei Themen für einen weiteren Roman aussparen können.

Ani hat für mich einen großartigen Schreibstil, aber ich glaube, hier hat er sich zu viel vorgenommen. Trotzdem bin ich nicht unzufrieden; alle Charaktere, die ich über die Jahre kennen lernen durfte und die ich auch lieb gewonnen habe, gleichen manche Länge aus; vor allem die Figur des Tabor Süden, den ich auch nach all den Jahren immer noch nicht richtig greifen kann (im übrigen in den Verfilmungen total falsch besetzt; eine Frage an die, die Rolle besetzt haben: Habt ihr mal einen Krimi mit Tabor Süden gelesen?).

Schreiben kann der Autor, keine Frage; aber beim nächsten Mal wünsche ich mir wieder etwas Kürzeres, die Schwermut in Anis Romanen kann ich nicht immer über 500 Seiten ertragen.

Veröffentlicht am 08.10.2019

Intelligenter Krimi für Fortgeschrittene

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
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Evelyn Hardcastle wird am Abend auf einem Maskenball sterben. Und das an jedem Abend aufs Neue, bis Aiden Bishop den Mörder entlarvt. Jeden Tag erwacht er und erlebt den Tag neu, allerdings erlebt er ihn ...

Evelyn Hardcastle wird am Abend auf einem Maskenball sterben. Und das an jedem Abend aufs Neue, bis Aiden Bishop den Mörder entlarvt. Jeden Tag erwacht er und erlebt den Tag neu, allerdings erlebt er ihn immer aus einer anderen Perspektive, denn er erwacht stets in einem anderen Körper, in einem anderen Gast des Maskenballs. So finden sich täglich neue Freundschaften und neue Feinde ein, bis Aiden das Geheimnis löst, um dem Anwesen Blackheath zu entkommen.

Ohne überheblich zu sein, das ist kein Krimi für Anfänger. Hier musste ich ständig am Ball bleiben, ständig überlegen, in welchem Körper steckt Aiden gerade? Stuart Turton legt Spuren, um sie im nächsten Kapitel wieder zu verwischen, dazu springt die Handlung auch mal zu einem Tag zurück, um dann wieder zu einem Tag in der Zukunft zu springen. Klingt kompliziert? Das war es auch! Aber das hat mich begeistert; ein Krimi, der ganz neue Wege geht. Bitte nicht abschrecken lassen: 608 Seiten sind für einen Krimi schon recht viel, aber mir wurde es keinen Moment langweilig.

Ich hatte immer die gleichen Fragen: Wer ist der Pestdoktor, der die Regeln aufstellt? Wer ist der Lakai, der jeder Version von Aiden nach dem Leben trachtet? Warum muss Evelyn sterben? Welche Position nehmen Anna und Daniel ein? Warum ist Aiden in Blackheath gefangen und kommt nicht heraus? Bis man zur Lösung kommt, wird fröhlich gemordet und betrogen. Da belügen sich Freunde und werden zu Feinden und wieder zurück. Hier kann man keinem Satz trauen! Und schon gar keinem Gast! Besonders gut gelungen fand ich auch die inneren Kämpfe, die Aiden mit seinem jeweiligen Wirt austrägt.

Das ist feinste Krimikunst, die am Ende das Rätsel schlüssig und ohne offene Fragen auflöst.

Veröffentlicht am 07.10.2019

Wie man aus Mittelmaß Gutes macht

Die Lieferung
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Frauen verschwinden. Ihr letztes Lebenszeichen: Eine Pizzabestellung. Kommissar Jens Kerner und Rebecca Oswald ermitteln in mehreren Vermisstenfällen.

Die Lieferung ist der zweite Fall für Jens Kerner ...

Frauen verschwinden. Ihr letztes Lebenszeichen: Eine Pizzabestellung. Kommissar Jens Kerner und Rebecca Oswald ermitteln in mehreren Vermisstenfällen.

Die Lieferung ist der zweite Fall für Jens Kerner und Rebecca Oswald, die mich persönlich ein bisschen an Miss Marple erinnert hat. Leider sind die Anspielungen auf den ersten Fall ziemlich offensichtlich...da hätte ich mir etwas mehr Diskretion gewünscht, da ich den Fall noch nicht kenne und ich ihn sehr gerne noch lesen möchte. Mein erster Winkelmann, aber sicherlich nicht mein letzter, denn der Schreibstil des Autors ist richtig gut. Wenn der Rest nur auch mal so wäre...

Alles in diesem Thriller ist irgendwo Mittelmaß: Der Fall, die Ermittler, die Auflösung, das Finale. Alles schon mal dagewesen. Trotzdem schafft es Andreas Winkelmann durch seinen Schreibstil, dass das alles doch noch im oberen Drittel des Genres landet. Das schaffen nicht viele.

Für mich ein neuer Autor, den es weiter zu entdecken gilt...immer dann, wenn ich einen spannenden Thriller lesen möchte.

Veröffentlicht am 07.10.2019

Große Erzählkunst

Brüder
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Mick und Gabriel werden beide 1970 geboren. Ihr Vater, ein Afrikaner, der in der DDR studiert hat, hat ihnen nur die Hautfarbe hinterlassen. Jackie Thomae entwirft ein Porträt zweier Männer, die zwar ähnliche ...

Mick und Gabriel werden beide 1970 geboren. Ihr Vater, ein Afrikaner, der in der DDR studiert hat, hat ihnen nur die Hautfarbe hinterlassen. Jackie Thomae entwirft ein Porträt zweier Männer, die zwar ähnliche Gene haben, sich aber ganz unterschiedlich entwickeln. Aber beide haben Fragen, an sich, an ihre Mitmenschen, an das Leben.

Der Roman hat mich begeistert. Im Grunde sind es zwei Romane in einem. Im ersten Teil bin ich Mick begegnet, im zweiten Teil Gabriel. Die beiden Teile sind völlig unterschiedlich geschrieben, verbunden sind sie nur durch ein kurzes Zwischenspiel, aber das hat mir gereicht. Vielleicht hat mich das Ganze auch so begeistert, weil ich ungefähr zur gleichen Zeit wie Mick und Gabriel aufgewachsen bin. Da wurden Erinnerungen wach.

Die Autorin schreibt großartig, ich weiß nicht, wie ich das anders formulieren soll. Mick mit seinem Hang, stets einen Schritt von illegalen Machenschaften entfernt zu sein und mit seiner Bindungsunfähigkeit; Gabriel, der in London zum Stararchitekten aufsteigt und Frau und Sohn zumindest finanziell absichert. Alle Charaktere werden in diesem Roman lebendig und Jackie Thomae macht nicht den Fehler, und das hätte durchaus passieren können, die Hautfarbe der Protagonisten oder den Mauerfall zu sehr in die Handlung miteinzubeziehen. Mit großer erzählerischen Kraft hat sie mich durch zwei Leben geführt, die die gleiche Ausgangssituation hatten, sich aber unterschiedlich entwickelt haben.

Ein unglaublich bunter Roman, der völlig zu Recht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis gelandet ist.

Veröffentlicht am 07.10.2019

Wenige gute Ideen ergeben keinen guten Roman

Mobbing Dick
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Dick Meier, der noch bei den Eltern wohnt, schmeißt sein Jurastudium und startet seine Karriere bei einer Schweizerischen Bankanstalt. Als der Druck zu groß wird, flüchtet er in sein Alter Ego Mobbing ...

Dick Meier, der noch bei den Eltern wohnt, schmeißt sein Jurastudium und startet seine Karriere bei einer Schweizerischen Bankanstalt. Als der Druck zu groß wird, flüchtet er in sein Alter Ego Mobbing Dick, das immer mehr die Kontrolle übernimmt.

Tom Zürcher entwirft hier eine bitterböse Geschichte über das Bankwesen. Auch wenn der Roman in der Schweiz spielt, denke ich, man könnte das Ganze auf deutsche Banken übertragen. Hier wird mit Ellenbogen gearbeitet; Hauptsache nach oben kommen, unten wird die Arbeit gemacht und der ahnungslose Kunde bezahlt. Ich glaube, so weit entfernt von der Wahrheit ist die ganze Geschichte nicht, wenn man bedenkt, dass in der Realität 80jährigen noch eine Rentenversicherung verkauft wird. Aber auch Dicks Familie kommt nicht gut weg. Da wird genauso gelogen und hintergangen, egal ob es ums Geld geht, oder um die Tatsache, dass man einen dritten Mitbewohner braucht, als Dick aus dem trauten Heim ins Rotlichtmilieu zieht.

Die einfache Sprache und der Wortwitz haben mich etwa hundert Seiten gut unterhalten, aber dann stagniert der Roman. Die ewige Diskussion über Dicks Vornamen war für mich irgendwann nicht mehr witzig. Die Charaktere sind bewusst einfach gehalten und entwickeln sich auch nicht (allerdings gehts hier auch nicht um die Charaktere). Auch der Einfall mit dem Zahnarztstuhl, den ich unglaublich gut fand, ist schnell im Nichts verlaufen. Da kommt nichts neues mehr und die Geschichte dümpelt vor sich hin, bis Mobbing Dick mehr und mehr beginnt, das Geschehen zu bestimmen. Das endet dann in einem Finale, das brutal daherkommen will, mich aber überhaupt nicht überzeugt hat. Das Ende des Romans war dann keine große Überraschung mehr.

Ein paar gute Einfälle machen für mich keinen guten Roman und unter dem Strich hat Mobbing Dick mich nur lauwarm zurückgelassen.