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Veröffentlicht am 24.10.2022

Ein fulminanter "echter Gablé" über einen bedeutenden Abschnitt englischer Geschichte

Drachenbanner
15

Steht man inmitten einer Gemäldesammlung vor großartigen Bildern, kann man oftmals bereits auf den allerersten Blick erkennen, von welchem der herausragenden Künstler das Werk geschaffen wurde, ganz gleich, ...

Steht man inmitten einer Gemäldesammlung vor großartigen Bildern, kann man oftmals bereits auf den allerersten Blick erkennen, von welchem der herausragenden Künstler das Werk geschaffen wurde, ganz gleich, ob es beispielsweise ein Dürer, Rembrandt, Michelangelo oder Leonardo da Vinci ist. Bei historischen Romanen verhält es sich ganz ähnlich, hier wird allerdings zumeist Rebecca Gablé als das Maß der Dinge gesehen, insbesondere mit ihrer grandiosen Waringham-Saga oder der ebenso großartigen Helmsby-Serie. Der aktuelle Roman "Drachenbanner", der nunmehr 7. Waringham-Band, ist der unmittelbare Nachfolger von „Teufelskrone“ und – sofort erkennbar – in jeglicher Hinsicht, vom beeindruckenden Cover angefangen, über den Schreibstiel der Autorin bis hin zur gründlichen Recherche, ganz ohne Zweifel ein „echter Gablé“. Während „Teufelskrone“ sich mit Richard Löwenherz und dem teuflischen John Ohneland aus dem Hause der Plantagenets sowie der Magna Charta beschäftigte, ordnet sich „Drachenbanner“ geschichtlich nahtlos bei Johns ältestem Sohn, König Henry III. und dessen Sohn Edward sowie Johns jüngster Tochter Prinzessin Eleanor und ihrem historisch nicht gerade unbedeutenden Ehemann Simon de Montfort ein und umspannt den wichtigen Zeitraum der englischen Geschichte von 1238 bis 1265.

Der Bogen der fiktiven Handlung wird rund um Adela und Bedric erzählt und erinnert so ganz vage an sanft adaptierte Züge aus Shakespeares „Romeo und Julia“. Die beiden sind von Beginn an große Sympathieträger: Sie - von adeligen Stand und ausnahmsweise weiblicher Spross der Waringhams (Amabel und Yvain aus der „Teufelskrone“ haben übrigens auch kurze Gastauftritte), er - ein kerniger Naturbursche mit losem Mundwerk aus einer Leibeigenenfamilie. Die beiden sind am gleichen Tag geboren und Milchgeschwister, da Bedrics Mutter auch Adelas Amme war, und unzertrennlich, … bis zu jenem Tag, als Adela an den Hof von Prinzessin Eleanor entsandt und wenig später mit dem Adeligen Joshua of Meriden verheiratet wird. Adela und Eleanor verbinden vielerlei Eigenschaften und imponieren dem Leser durch ihren starken Charakter, ihr Selbstbewusstsein, ihre liebevolle und direkte Art und einen strategisch enorm weitsichtigen Blick, der vor allem bei Eleanor, geradezu zum Strippenziehen im Hintergrund verleitet. Bedric hingegen muss sich nach dem Tod seines Vaters mühevoll mit der Rolle des Leibeigenen herumschlagen, um Mutter Eldrida und Schwester Bertha kümmern, von seinem Stiefvater Wigot und Adelas ältestem Bruder Raymond drangsalieren lassen und beschäftigt sich mit dem Bogenbau und -schießen.
Allerlei Strapazen stehen den beiden und ihrer Liebe noch bevor und die Autorin investiert dieses Mal zu Beginn des Buches sehr viel Zeit in die fiktive Geschichte, in welche der Leser durch das behutsame Nahebringen aller Protagonisten mühelos hinein findet. Im Laufe des Buches rücken wir immer näher an die tatsächlichen historischen Geschehnisse dieser Epoche heran und wie immer gelingt es Rebecca Gablé die facettenreichen Charaktere sowohl ihrer fiktiven wie auch der geschichtsträchtigen Protagonisten so lebensnah und echt zu zeichnen und so geschickt miteinander zu verweben, dass der Leser das authentische Gefühl bekommt, dass die Fiktiven tatsächlich im Umfeld der Historischen gelebt haben und der Leser mittendrin den Protagonisten über die Schultern schaut. Überaus viel wird dem Leser auf den 928 Seiten des Buches geboten: vom Leben des einfachen armen Volkes, welches trotz Hungersnot und Seuche von seinem verschwenderisch bauwütigen aber schwachen König, der obendrein noch das Königreich Sizilien vom Papst für seinen Sohn Edmund kaufen und erobern möchte, extrem ausgepresst wird, über einen realen Blick auf beispielsweise das mittelalterliche London, den Provisions of Oxford, die jedem Menschen, auch den Leibeigenen Rechte verleihen sollen, dem zweiten Krieg der Barone, der Schlacht von Lewes, Simon de Montfort’s Parlament (dem Vorläufer des späteren House of Commons), bis hin zur finalen, schicksalsträchtigen Schlacht von Evesham mit all ihrer tragischen Konsequenzen. Und die fiktiven Charaktere um Adela und Bedric sind dabei zusammen mit dem Leser stets beeindruckend und zum Greifen nah in der historischen Kulisse mit dabei.

Darüber hinaus bringt die Autorin dem Leser viele geschichtlich bedeutende Persönlichkeiten jener Zeit nahe (neben den bereits oben genannten u.a. Richard of Cornwall, Henry d’Almain, Guillaume und Aymer de Lusignan, Thomas FitzThomas, Llewelyn ap Gruffydd), allesamt festgehalten im umfangreichen Personenregister. Zusätzlich zum - wie immer - flüssigen, emotional mitreißenden und ausdrucksstarken Schreibstil, gesellt sich dieses Mal auch eine überaus humorige Komponente hinzu und zu Beginn/Ende der einzelnen Abschnitte des Buches findet man wunderbare Zitate und Zeichnungen und zum Auffinden der jeweiligen Orte des Geschehens, sogar eine Karte über das relevante Gebiet von England und Wales. Ganz ohne Zweifel ist „Drachenbanner“ ein ganz großartiger Historischer Roman, der mit Gewissheit zu den besten dieses Genres zählt. Dennoch weißt er ein paar kleinere Schwächen auf. Auch wenn sich das Buch kontinuierlich steigert und spätestens in der zweiten Hälfte alle Erwartungen an einen „echten Gable“ voll und ganz erfüllt, kann das erste Drittel durchaus als ein klein wenig schleppend und zu sehr auf die fiktive Handlung konzentriert empfunden werden, die zudem immer mal wieder von flagranten Zufällen geprägt ist. In diesem Teil hätte Rebecca Gablé die historischen Details vielleicht bereits früher im Buch miteinbeziehen und mit der fiktiven Geschichte vernetzen können und die Zeitsprünge von jeweils vielen Jahren, in denen durchaus wichtige und interessante historische Ereignisse ausgespart wurden, etwas kleiner halten können. All das soll aber die große Qualität, einer von der riesigen Leserschaft und Fangemeinde der Autorin sehnsuchtsvoll erwarteten, großartigen Fortsetzung der Waringham-Saga, in keiner Weise schmälern. Ein beeindruckendes Nachwort mit zusätzlichen geschichtlichen Informationen und einer Einordnung des Geschehens runden das Bild eines faszinierenden historischen Romans ab.

Fazit: Unterm Strich hat Rebecca Gablé mit „Drachenbanner“ einen großartigen, lange ersehnten Waringham-Roman vorgelegt, bei dem fiktive wie auch historische Charaktere wunderbar herausgearbeitet wurden und der durch seine detailgenaue Recherche, historische Nähe und einen großartigen Schreibstil besticht. Wie bei allen Romanen dieser Serie, ist auch dieser in sich abgeschlossen und lässt sich vollkommen unabhängig von den übrigen lesen. Im Vergleich zu den meisten anderen Romanen dieses Genres würde ich ihn als herausragend bezeichnen, unter den zahlreichen Büchern der Autorin selbst würde ich es allerdings nicht unbedingt als das aller-stärkste ihrer Werke ansehen. Sein etwas offenes Ende hingegen schreit förmlich nach einer Fortsetzung, zeitlich hin zum ursprünglichen Beginn der Serie „Das Lächeln der Fortuna“. Für Anhänger des guten historischen Romans, die es genießen, das Leben einer ganzen Generation mit seiner gesamten Palette an Emotionen, Dramen, Liebe und Tod, Auseinandersetzungen Arm-Reich und sehr viel Tiefgang, eingebettet in einen umfangreichen geschichtlichen Hintergrund, mitverfolgen zu dürfen, stellt „Drachenbanner“ ein absolutes Muss dar - für echte Waringham-Fans ohnehin. Mit großer Spannung und Vorfreude sehne ich mich bereits jetzt nach dem nächsten großartigen Roman aus der Feder Rebecca Gablés.

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Veröffentlicht am 21.06.2022

Emotionaler Strudel über die deutschen Schicksalsjahre 1936 bis 1945

Als die Welt uns gehörte
3

„Als die Welt uns gehörte“ von Liz Kessler ist ein Buch der Gattung Antikriegsbuch und ist nicht nur ein interessanter und gelungener Historischer Roman, sondern ein wirklich brillantes Werk, welches über ...

„Als die Welt uns gehörte“ von Liz Kessler ist ein Buch der Gattung Antikriegsbuch und ist nicht nur ein interessanter und gelungener Historischer Roman, sondern ein wirklich brillantes Werk, welches über die Schicksalsjahre 1936 bis 1945 berichtet und den Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt mit nimmt und ihn immer wieder schockiert zurück lässt.

„Ich konnte die ganze Welt sehen! Oder zumindest ganz Wien, und das war meine Welt. Meine zwei besten Freunde, Max und Elsa, standen neben mir und hatten die Gesichter wie ich an die Scheibe gedrückt.“ So beginnt aus Sicht von Leo die auf Tatsachen beruhende Geschichte dreier Kinder (Großvater und Eltern der Autorin hatten dabei Pate gestanden), die dank Max‘ Vater einen ihrer schönsten Tage auf dem Wiener Prater verbringen dürfen. Höhepunkt ist dabei die Fahrt mit dem Riesenrad. Und da der Vater von Max Fotograf ist, muss er natürlich Erinnerungsfotos schießen, von denen jedes der Kinder einen Abzug erhält. Max stolpert zudem bei dieser Fahrt über die Beine einer Frau, was sich im weiteren Verlauf noch als schicksalsträchtig erweisen wird. Die drei Freunde sind sich einig, dass sie immer zusammenbleiben werden, und Elsa, die sich zwischen Max und Leo niemals entscheiden könnte, fasst den Entschluss, später beide heiraten zu wollen. All das passiert im Jahre 1936, als das Leben der drei noch von kindlicher Naivität geprägt ist … noch! Doch dann erfolgt im März 1938 Österreichs „Anschluss“ an das nationalsozialistisch regierte Deutsche Reich und die Welt der drei Freunde wird aus den Angeln gehoben und sich schnell und überaus gewaltig verändern. Von einem auf den nächsten Tag entsteht in Wien ein Judenhass, bei der Menschen enteignet, misshandelt, gefangen genommen und aufs äußerste gedemütigt werden. Als die ersten Vorboten dessen bekannt werden, flieht Elsas Familie wegen ihres jüdischen Hintergrunds in die Tschechoslowakei - nicht die beste Wahl, da dem Nazi-Regime das im Vorjahr infolge des Münchner Abkommens bereits an Deutschland abgetretene Sudetenland alleine nicht ausreicht und die Wehrmacht bekanntermaßen 1939 schließlich in der Tschechoslowakei einmarschierte. Leo und seine Mutter, die ebenfalls jüdische Wurzeln haben, fliehen erst, als der Vater von der SS bereits abtransportiert wurde. Der Vater von Max hingegen ist Arier durch und durch und steigt unter dem Nazi-Regime immer weiter auf, erklimmt mit der Zeit immer höhere Stufen auf der Karriereleiter und sein Sohn beginnt sich immer mehr an ihm zu orientieren und seine Freunde nahezu zu vergessen. Bis zum bitteren Ende, werden die Protagonisten allerdings immer wieder von einander hören, über einander nachdenken oder sich gar über den Weg laufen. Wichtigstes Bindeglied bleibt dabei stets das Foto vom Praterbesuch. Manch einer mag diese Situationen als konstruiert oder unrealistisch empfinden, für meinen Geschmack spielt das für die Handlung selbst allerdings keine relevante Rolle – vielmehr schafft die Autorin damit eine Atmosphäre, bei der sie den Leser immer tiefer in die Gefühlswelt der Hauptcharaktere des Buches mit hinein zieht.

Wahnsinnig mitreißend schreibt Liz Kessler über das Leben der Protagonisten. Sie verzichtet darauf minutiös über die einzelnen militärischen Ereignisse dieser Zeit zu berichten und konzentriert sich hier auf die wesentlichen politischen Entwicklungen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Auswirkungen auf die Menschen im Dritten Reich. Sehr gut wird nachvollziehbar, was sich zu jener Zeit in Deutschland zugetragen hat – der Leser wird hier regelrecht in einen emotionalen Abwärtsstrudel mit hinein gerissen. Oft bleibt er dabei schockiert und emotional aufgewühlt in einer unerklärbaren Starre verharrend, da es einem nicht nachvollziehbar erscheint, wie Menschen einander solche Dinge antun können und kaum jemand einschreitet, sondern eine gewaltige Mehrheit einfach nur mit dem Strom schwimmt. Vieles davon mag der ein oder andere noch von den erinnerten Erzählungen der Eltern oder Großeltern kennen, deren Verwandten und Bekannten oftmals das gesamte Spektrum von SS-Mitgliedern bis zu Widerstandskämpfern abdeckte. Liz Kessler vermag es, kontrastreich all die unterschiedlichen Sichtweisen dem Leser zu transportieren und ihn tief in den Bann des Buches hinein zu ziehen. Nur ganz selten habe ich ein Buch gelesen, welches mich emotional so sehr mitgerissen und gleichzeitig mit seiner gesamten Tragweite so bewegt und aufgewühlt hat – vergleichbar war das für mich nur mit dem Moment, als ich damals nach dem Film „Schindlers Liste“ schockiert aus dem Kino kam und keiner mehr etwas zu sagen wusste oder sagen wollte.

Deklariert als Kinder- und Jugendbuch, würde ich es für Jugendliche unter 14-15 Jahren sicherlich nicht empfehlen wollen, dafür aber allen Erwachsenen ans Herz legen, die bereits viel über die deutsche Nazi-Ära gehört haben und die gesamte emotionale Palette an Eindrücken jener Zeit hautnah erfahren und nachvollziehen möchten. Sehr bildhaft führt die Autorin dem Leser die Geschehnisse dieser Zeitspanne vor Augen. Darüber hinaus sollte man gewarnt sein, dass das Buch nichts beschönigt und insbesondere die Verhältnisse in Theresienstadt und Auschwitz in seiner ganzen Brutalität darstellt. Das stimmige Buchcover mit Wiener Prater im Hintergrund und Jagdbombern im Anflug ist treffend gewählt und fungiert zusammen mit dem Buchtitel, fast schon als eine Art Zusammenfassung des Buches. Die Hörbuchvariante wird darüber hinaus ganz hervorragend, den jeweiligen Rollen angepasst, von Fritzi Haberlandt, Julian Greis, Walter Kreye und Friedhelm Ptok gesprochen.

Fazit: Liz Kessler ist mit „Als die Welt uns gehörte“ ein richtig großes Werk gelungen, welches Nazi-Deutschland objektiv und schonungslos beschreibt, wie man dies auf solch emotional packende Art bislang nur ganz selten erlebt hat. Jeder, ob nun jung oder alt, sollte dieses Buch gelesen haben, welches sich meines Erachtens auch sehr gut als Pflichtlektüre und Diskussionsstoff zur Aufarbeitung dieser Epoche der Deutschen Geschichte in der schulischen Mittel- bis Oberstufe eignen würde. Ganz besonders ist es all jenen zu empfehlen, die diese Zeit mit all seinem Elend am liebsten leugnen und die Existenz von Arbeits- und Konzentrationslagern bestreiten. Sehr nachdenklich und fast schon ein wenig verstört lässt es den Leser zurück, gerade dann, wenn sich die drei Freunde an das Foto und den Tag auf dem Wiener Prater zurück erinnern. Der Roman endet schließlich mit Leos Worten: »Also gut«, sagte ich und lehnte mich zurück. »Hier ist meine Geschichte. Sie beginnt vor langer Zeit, auf einem Rummelplatz in Wien im Jahr 1936 ...« Ein „Chapeau“ an die Adresse der Autorin, der hier wirklich ein meisterhaftes Buch geglückt ist, das tief unter die Haut geht - ganz besonders in Zeiten, in denen einmal mehr ein zu mächtig gewordener Politiker glaubt, verlorenes Kolonialterritorium wieder erobern zu müssen und damit unser aller Frieden in Europa und der Welt aufs Spiel setzt.

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Veröffentlicht am 21.06.2022

Emotionaler Strudel über die deutschen Schicksalsjahre 1936 bis 1945

Als die Welt uns gehörte
6

„Als die Welt uns gehörte“ von Liz Kessler ist ein Buch der Gattung Antikriegsbuch und ist nicht nur ein interessanter und gelungener Historischer Roman, sondern ein wirklich brillantes Werk, welches über ...

„Als die Welt uns gehörte“ von Liz Kessler ist ein Buch der Gattung Antikriegsbuch und ist nicht nur ein interessanter und gelungener Historischer Roman, sondern ein wirklich brillantes Werk, welches über die Schicksalsjahre 1936 bis 1945 berichtet und den Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt mit nimmt und ihn immer wieder schockiert zurück lässt.

„Ich konnte die ganze Welt sehen! Oder zumindest ganz Wien, und das war meine Welt. Meine zwei besten Freunde, Max und Elsa, standen neben mir und hatten die Gesichter wie ich an die Scheibe gedrückt.“ So beginnt aus Sicht von Leo die auf Tatsachen beruhende Geschichte dreier Kinder (Großvater und Eltern der Autorin hatten dabei Pate gestanden), die dank Max‘ Vater einen ihrer schönsten Tage auf dem Wiener Prater verbringen dürfen. Höhepunkt ist dabei die Fahrt mit dem Riesenrad. Und da der Vater von Max Fotograf ist, muss er natürlich Erinnerungsfotos schießen, von denen jedes der Kinder einen Abzug erhält. Max stolpert zudem bei dieser Fahrt über die Beine einer Frau, was sich im weiteren Verlauf noch als schicksalsträchtig erweisen wird. Die drei Freunde sind sich einig, dass sie immer zusammenbleiben werden, und Elsa, die sich zwischen Max und Leo niemals entscheiden könnte, fasst den Entschluss, später beide heiraten zu wollen. All das passiert im Jahre 1936, als das Leben der drei noch von kindlicher Naivität geprägt ist … noch! Doch dann erfolgt im März 1938 Österreichs „Anschluss“ an das nationalsozialistisch regierte Deutsche Reich und die Welt der drei Freunde wird aus den Angeln gehoben und sich schnell und überaus gewaltig verändern. Von einem auf den nächsten Tag entsteht in Wien ein Judenhass, bei der Menschen enteignet, misshandelt, gefangen genommen und aufs äußerste gedemütigt werden. Als die ersten Vorboten dessen bekannt werden, flieht Elsas Familie wegen ihres jüdischen Hintergrunds in die Tschechoslowakei - nicht die beste Wahl, da dem Nazi-Regime das im Vorjahr infolge des Münchner Abkommens bereits an Deutschland abgetretene Sudetenland alleine nicht ausreicht und die Wehrmacht bekanntermaßen 1939 schließlich in der Tschechoslowakei einmarschierte. Leo und seine Mutter, die ebenfalls jüdische Wurzeln haben, fliehen erst, als der Vater von der SS bereits abtransportiert wurde. Der Vater von Max hingegen ist Arier durch und durch und steigt unter dem Nazi-Regime immer weiter auf, erklimmt mit der Zeit immer höhere Stufen auf der Karriereleiter und sein Sohn beginnt sich immer mehr an ihm zu orientieren und seine Freunde nahezu zu vergessen. Bis zum bitteren Ende, werden die Protagonisten allerdings immer wieder von einander hören, über einander nachdenken oder sich gar über den Weg laufen. Wichtigstes Bindeglied bleibt dabei stets das Foto vom Praterbesuch. Manch einer mag diese Situationen als konstruiert oder unrealistisch empfinden, für meinen Geschmack spielt das für die Handlung selbst allerdings keine relevante Rolle – vielmehr schafft die Autorin damit eine Atmosphäre, bei der sie den Leser immer tiefer in die Gefühlswelt der Hauptcharaktere des Buches mit hinein zieht.

Wahnsinnig mitreißend schreibt Liz Kessler über das Leben der Protagonisten. Sie verzichtet darauf minutiös über die einzelnen militärischen Ereignisse dieser Zeit zu berichten und konzentriert sich hier auf die wesentlichen politischen Entwicklungen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Auswirkungen auf die Menschen im Dritten Reich. Sehr gut wird nachvollziehbar, was sich zu jener Zeit in Deutschland zugetragen hat – der Leser wird hier regelrecht in einen emotionalen Abwärtsstrudel mit hinein gerissen. Oft bleibt er dabei schockiert und emotional aufgewühlt in einer unerklärbaren Starre verharrend, da es einem nicht nachvollziehbar erscheint, wie Menschen einander solche Dinge antun können und kaum jemand einschreitet, sondern eine gewaltige Mehrheit einfach nur mit dem Strom schwimmt. Vieles davon mag der ein oder andere noch von den erinnerten Erzählungen der Eltern oder Großeltern kennen, deren Verwandten und Bekannten oftmals das gesamte Spektrum von SS-Mitgliedern bis zu Widerstandskämpfern abdeckte. Liz Kessler vermag es, kontrastreich all die unterschiedlichen Sichtweisen dem Leser zu transportieren und ihn tief in den Bann des Buches hinein zu ziehen. Nur ganz selten habe ich ein Buch gelesen, welches mich emotional so sehr mitgerissen und gleichzeitig mit seiner gesamten Tragweite so bewegt und aufgewühlt hat – vergleichbar war das für mich nur mit dem Moment, als ich damals nach dem Film „Schindlers Liste“ schockiert aus dem Kino kam und keiner mehr etwas zu sagen wusste oder sagen wollte.

Deklariert als Kinder- und Jugendbuch, würde ich es für Jugendliche unter 14-15 Jahren sicherlich nicht empfehlen wollen, dafür aber allen Erwachsenen ans Herz legen, die bereits viel über die deutsche Nazi-Ära gehört haben und die gesamte emotionale Palette an Eindrücken jener Zeit hautnah erfahren und nachvollziehen möchten. Sehr bildhaft führt die Autorin dem Leser die Geschehnisse dieser Zeitspanne vor Augen. Darüber hinaus sollte man gewarnt sein, dass das Buch nichts beschönigt und insbesondere die Verhältnisse in Theresienstadt und Auschwitz in seiner ganzen Brutalität darstellt. Das stimmige Buchcover mit Wiener Prater im Hintergrund und Jagdbombern im Anflug ist treffend gewählt und fungiert zusammen mit dem Buchtitel, fast schon als eine Art Zusammenfassung des Buches.

Fazit: Liz Kessler ist mit „Als die Welt uns gehörte“ ein richtig großes Werk gelungen, welches Nazi-Deutschland objektiv und schonungslos beschreibt, wie man dies auf solch emotional packende Art bislang nur ganz selten erlebt hat. Jeder, ob nun jung oder alt, sollte dieses Buch gelesen haben, welches sich meines Erachtens auch sehr gut als Pflichtlektüre und Diskussionsstoff zur Aufarbeitung dieser Epoche der Deutschen Geschichte in der schulischen Mittel- bis Oberstufe eignen würde. Ganz besonders ist es all jenen zu empfehlen, die diese Zeit mit all seinem Elend am liebsten leugnen und die Existenz von Arbeits- und Konzentrationslagern bestreiten. Sehr nachdenklich und fast schon ein wenig verstört lässt es den Leser zurück, gerade dann, wenn sich die drei Freunde an das Foto und den Tag auf dem Wiener Prater zurück erinnern. Der Roman endet schließlich mit Leos Worten: »Also gut«, sagte ich und lehnte mich zurück. »Hier ist meine Geschichte. Sie beginnt vor langer Zeit, auf einem Rummelplatz in Wien im Jahr 1936 ...« Ein „Chapeau“ an die Adresse der Autorin, der hier wirklich ein meisterhaftes Buch geglückt ist, das tief unter die Haut geht - ganz besonders in Zeiten, in denen einmal mehr ein zu mächtig gewordener Politiker glaubt, verlorenes Kolonialterritorium wieder erobern zu müssen und damit unser aller Frieden in Europa und der Welt aufs Spiel setzt.

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Veröffentlicht am 12.06.2022

Sehr gelungene, objektive Analyse des Ukraine-Kriegs und der Frage, wie Europa in diese Situation geraten konnte

Zeitenwende
4

„Zeitenwende - Putins Krieg und die Folgen“ von Rüdiger von Fritsch ist ein großartiges Buch über die Ursachen, die Entstehung und den bisherigen Verlauf des Ukraine-Kriegs und gibt darüber hinaus sogar ...

„Zeitenwende - Putins Krieg und die Folgen“ von Rüdiger von Fritsch ist ein großartiges Buch über die Ursachen, die Entstehung und den bisherigen Verlauf des Ukraine-Kriegs und gibt darüber hinaus sogar noch einen Ausblick wohin das Ganze in Europa und weltpolitisch führen könnte.

Der Autor ist vom Fach und als ehemaliger Botschafter in Moskau und Warschau einer der ganz wenigen echten Experten, wenn es um den Kreml, Russland und insbesondere um eine realistische Einschätzung zu Putin und seinen Plänen geht. Rüdiger von Fritsch gibt sich dabei nicht damit zufrieden, nur die Wochen vor dem Krieg zu beschreiben. Vielmehr analysiert er sehr präzise, wie Russland aus seiner Historie heraus in einer Schwächephase die ehemaligen Kolonien verloren hat und Putin diese nun wieder erobern möchte. Vieles davon geht dabei bis zu den Ursprüngen der Rus zurück und „der kleine Bruder“ Ukraine gehört nach Putins Lesart einfach zu Russland dazu. Der Autor erklärt ferner sehr detailliert, wie sich bereits 2014 die Bedingungen im Krim-Krieg und im Donbass zugespitzt und eskaliert haben bzw. von russischer Seite ganz bewusst eskaliert wurden. Auch weist von Fritsch mehrfach darauf hin, dass es in der westlichen Welt einen großen Unterschied macht, ob sich die NATO den ehemaligen GUS-Staaten anbietet, oder ob diese Staaten bei der NATO um Schutz vor Russland bitten. Darüber hinaus wird mit Mythen aufgeräut, wie beispielsweise, dass die NATO versprochen habe, sich niemals nach Osten hin erweitern zu wollen. Ganz offensichtlich hat Russland lange Zeit kein Problem dabei im Falle von u.a. Polen, Tschechien, Ungarn oder der baltischen Staaten gesehen, fühlt sich nun aber bei der Frage, ob die Ukraine bei der NATO aufgenommen werden könnte, bedroht. Rückwirkend und völlig ohne erhobenen Zeigefinger legt Rüdiger von Fritsch offen, wie Europa die Zeichen, die eindeutig auf Krieg hindeuteten, hätte erkennen können – obgleich jeder, inklusive des Autors selbst, diese nicht wirklich auf dem Schirm hatte, sie ignoriert hat oder sie ignorieren wollte. Da auch dem Autor der Ausgang des Krieges nicht bekannt ist, diskutiert er verschiedene Szenarien und erläutert die Konsequenzen des jeweiligen Ausgangs.

Fazit: Mit „Zeitenwende“ hat Rüdiger von Fritsch in sehr kurzer Zeit (das Manuskript hatte bereits im April vorgelegen) ein großartiges Buch über Ursachen und Auswirkungen des Ukraine-Kriegs verfasst. Er geht dabei auf viele Details ein und bespricht auch Lösungswege, wie – je nach unterschiedlichem Ausgang - nach dem Krieg vorgegangen werden könnte. Zusätzlich zur historischen Komponente geht er auch sehr deutlich darauf ein, wie wirksam Sanktionen gegen Russland sich auswirken können. Mir persönlich hat das Buch sehr gut gefallen und ich kann es jedem politisch Interessierten nur wärmstens empfehlen, um sich eine eigene Meinung bilden oder aktiv bei Diskussionen mitsprechen zu können. Auch wer glauben sollte, sich bei dieser Thematik bereits recht gut auszukennen, wird eines besseren belehrt und eine enorme Erweiterung seines Wissenshorizonts zu aktuellen und geschichtlichen Fragen in Bezug auf Russland und Putin verspüren: Ein großartiges Buch, welches unbedingt gelesen werden sollte.

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Veröffentlicht am 10.06.2022

Karikatur eines (erfolgreichen) Politikers

Strömung
3

„Strömung“ ist die Romanpremiere von Jakob Augstein. Der Autor selbst ist mittlerweile ein bekannter und bewährter Journalist sowie Sachbuchautor und als rechtlicher Sohn des ehemaligen „Spiegel“-Gründers ...

„Strömung“ ist die Romanpremiere von Jakob Augstein. Der Autor selbst ist mittlerweile ein bekannter und bewährter Journalist sowie Sachbuchautor und als rechtlicher Sohn des ehemaligen „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein und leiblicher Sohn des Schriftstellers Martin Walser und der Übersetzerin Maria Carlsson lasten die Erwartungen natürlich ganz besonders hoch … und Jakob Augstein macht das mit seinem Erstlingswerk richtig gut. „Strömung“ ist kein Werk im Stile Heinrich Bölls, Thomas Manns oder Günter Grass‘ - den Literaturnobelpreis sollte man also nicht unbedingt im Blick haben, obwohl der Roman sprachlich schon eine ganze Menge hergibt. Es handelt sich ebenso wenig um einen politisch autobiografischen oder Schlüsselroman, und dennoch geht es um das Leben des (fiktiven) Politikers Franz Xaver Misslinger.

Dessen Karriere nimmt zu Beginn des neue Jahrtausends so richtig Fahrt auf, nachdem er sich - als bei den Klassenkameraden nicht gerade sonderlich beliebtes und ziemlich unsportliches Kind, so irgendwie trickreich durchs Leben geboxt hat, und er schließlich in der Person des „Walter“, einem ehemaligen Spitzenpolitiker, seinen großen Unterstützer gefunden hat. Mitreißende Reden halten, ja das kann Franz Xaver Misslinger so exzellent wie kaum ein zweiter und aus dem Mangel seines Namens formt er einen kernigen Slogan „Mein Name ist Franz-Xaver Misslinger und bei mir hört das Scheitern mit dem Namen auf.“, mit welchen er typischerweise sich selbst vorstellt. Sein Weg scheint bereits vorgezeichnet, hin zur Parteispitze einer freiheitlichen, demokratischen Partei (durch die Erwähnung des Dreikönigstreffens wird sie eindeutig als die FDP entlarvt) zu zeigen. Um für den entscheidenden Parteitag „die ultimative“ Rede entwerfen zu können, gönnt sich Misslinger eine inspirierende Auszeit in den USA, der Wiege der Freiheit und der Demokratie, bei der nach seiner Lesart auch seine Ahnen, die Angeln, eine entscheidende Rolle gespielt haben. Und da es mit seiner Ehe immer weiter bergab geht, nimmt er seine jugendliche Tochter, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht und viel mehr in der Realität lebt als Misslinger, mit auf diese Reise. Wie fast schon zu erwarten, reden die beiden von Anfang an komplett aneinander vorbei.

Und so erkennt der Leser recht schnell, dass Franz Xaver Misslinger tief in seiner ganz eigenen Welt gefangen scheint, entfremdet vom normalen Menschen, vom Wähler, selbst von seiner Familie. Er geht komplett auf in der Welt der Floskeln, bei denen mit vielen Worten, ganz wenig transportiert wird; er versucht andere zu belehren und wundert sich dabei, wie es seiner Frau und seiner Tochter eindrucksvoll gelingt, komplexe Sachverhalte informativ in nur wenige Worte zu packen. Ablenkung verschaffen Franz Xaver Misslinger unter dem Decknamen Bruno Bolognese u.a. heimliche Sex-Chats. Dabei hat es ihm auf seiner Amerikareise ganz besonders Arta Demirovic, die ihm aufreizende Bilder von sich schickt, angetan. Interessant wird es, wenn Misslinger parallel zu Telefonaten und Gesprächen mit der Tochter, bei Chats mit seiner Frau und Frau Demirovic die Adressaten verwechselt.

So schafft Jakob Augstein also ein sprachlich außerordentlich gefälliges und politisch völlig überzeichnetes Bild des Franz Xaver Misslingers zu entwerfen, bei dem der Protagonisten als Karikatur oder fast schon als Persiflage eines Spitzenpolitikers daher kommt. Ohne dass sich der Leser mit Misslinger auch nur im entferntesten identifizieren könnte, gelingt es Augstein eine Atmosphäre zu kreieren, bei der man einerseits zwar Abneigung gegen Misslinger hegt, andererseits aber durchaus auch Mitleid für den Menschen empfindet, da dieser gar nicht mehr erkennen kann, wie nah er sich am Abgrund befindet.

Fazit: Jakob Augstein hat bei seinem Debüt einen sprachlich sehr schönen und ausgereiften Roman über einen Spitzenpolitiker geschrieben, dessen Hauptcharakter derart überzeichnet wurde, dass es Lesern, denen Ironie und Sarkasmus gefällt, Spaß machen muss „Strömung“ zu lesen. Sicherlich mögen ihm ganz kritische Stimmen vorwerfen, dass Augstein dabei so weit geht, dass er die Politik gewissermaßen vorführen möchte und dass die Handlung des Buches insgesamt eigentlich nirgendwo hinführt. Mir persönlich hingegen hat das Buch gerade aufgrund seiner ironischen Überzeichnung und dadurch dass erwartete Vorurteile gegen die Politik bedient werden, sehr gut gefallen. Als politisch Interessierter sollte man genügend Distanz bewahren können, um all das Lustige einer solchen Persiflage genießen zu können. Das Buchcover ist stimmig gewählt und, obwohl es vermutlich bessere Vorleser als den Buchautor geben mag, fand ich es richtig toll, dass die Hörbuchvariante als Autorenlesung von Jakob Augstein selbst gesprochen wird. In meinen Augen hat er die Bewährungsprobe seines Romandebüts hervorragend gemeistert.

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