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Veröffentlicht am 02.04.2020

Ein Rückblick zu den Anfängen der Psychiatrie

Die Tanzenden
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In ihrem Debütroman " Die Tanzenden", der im Original "Le bal des folles" (Der Ball der Verrückten) heißt und mir ehrlich gesagt viel besser gefällt als der deutsche Titel, erzählt die Autorin Viktoria ...

In ihrem Debütroman " Die Tanzenden", der im Original "Le bal des folles" (Der Ball der Verrückten) heißt und mir ehrlich gesagt viel besser gefällt als der deutsche Titel, erzählt die Autorin Viktoria Mas vom Schicksal der Frauen, die in Paris 1885 in die Salpêtrière eingeliefert wurden , der im 19. Jahrhundert wohl bekanntesten Nervenheilanstalt Europas. Stellvertretend für die vielen Frauen, die aus heutiger Sicht aus den widersinnigsten Gründen zu Verrückten abgestempelt wurden, stehen die Protagonistinnen Eugénie, Louise und Therese Pate. Aber auch die Sicht einer Pflegerin wird durch Geneviève gespiegelt, die schon 20 Jahre in dieser Einrichtung arbeitet und den führenden Professor Charcot bewundert und keine seiner Methoden in Frage stellt.

Die Autorin beschreibt diesen Ort so: "Eine Mülldeponie für all jene, die die öffentliche Ordnung gefährden. Eine Anstalt für Frauen, deren Empfindungen nicht den Erwartungen entsprachen. Ein Gefängnis für diejenigen, die sich einer eigenen Meinung schuldig gemacht haben."

In dieser durch und durch patriarchischen Gesellschaft schließt Viktoria Mas daraus : " Dass die Männer ihnen solche Grenzen aufgezwungen hatten, legte den Gedanken nahe, dass sie die Frauen nicht verachteten, sondern vielmehr fürchteten."

Die meist einfachen Frauen sind überrascht, als eines Tages die junge Eugénie aus gutem Hause von ihrem Vater in Begleitung ihres Bruders eingewiesen wird, weil sie die Geister von Toten sieht und mit ihnen sprechen kann. Die junge Frau hat wenig Hoffnung die Anstalt jemals wieder verlassen zu können. Doch als es ihr gelingt zu der obrigkeitshörigen Oberaufseherin eine Verbindung aufzubauen, schöpft sie neue Hoffnung. Sie ist zu einem Zeitpunkt in die Salpêtrière gekommen, an dem der triste Alltag der "Verrückten" voller Vorfreude auf das Ereignis des Jahres, den Ball zu Mittsommer unterbrochen wird. Es ist ein Ball, der der Pariser Gesellschaft die Gelegenheit gibt, hinter die Kulissen der berümten Nervenheilanstalt zu schauen. Die Mädchen kostümieren sich und freuen sich auf einen außergewöhnlichen Abend, die feine Ballgesellschaft hofft, den einen oder anderen hysterischen Anfall schaulustig beiwohnen zu können. Der Professor des Hauses ist auch bekannt dafür, in Hypnosevorführungnen Anfälle seiner Patientinnen zu provozieren.

All das schreibt Viktoria Mas mit leichter Feder dahin, so dass man ihren Ausführungen gerne folgt, Sympathie und Mitleid für ihre Protagonistinnen empfindet und die jungen Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, natürlich auch für ihren Mut bewundert. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, die schöne Sprache genossen aber fand es schade, dass die Hauptfigur Eugénie ausgerechnet mit Geistern spricht. Mir hätte es besser gefallen, man hätte sie für ein vorgeschobenes Vergehen weggesperrt, um sie einfach mundtot zu machen.

Trotzdem ein tolles Debüt, dass ich gerne weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Schöner Generationenroman über Familie, Heimat und Identität

Belmonte
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In dem wunderbaren Familienroman "Belmonte" von Antonia Riepp geht es um die Familiengeschichte von Simona, die als Landschaftsgärtnerin in Kempten im Allgaü lebt und von ihrer Großmutter Franca, zu der ...

In dem wunderbaren Familienroman "Belmonte" von Antonia Riepp geht es um die Familiengeschichte von Simona, die als Landschaftsgärtnerin in Kempten im Allgaü lebt und von ihrer Großmutter Franca, zu der sie ein inniges Verhältnis hat, deren Familienwohnsitz in Italien erbt.

Ohne allzu große Erwartungen fährt sie nach Italien, um sich das geerbte Haus anzuschauen und trifft dort nicht nur auf eine italienische Großfamilie, die sie sofort herzlich aufnimmt, sondern wird auch mit der Lebensbeichte ihrer Großmutter konfrontiert, die ihr die Augen auch über ihre eigenen Wurzeln öffnet. Die Reise kommt zu einer Zeit, in der sich Simona's Leben sowieso gerade an einem Scheidepunkt befindet. Ihren Job in der Landschaftgärtnerei hat sie gerade verloren, mit ihrem Freund Sebastian läuft es auch nicht ganz optimal. Außerdem hat ihre geliebte "Nonna Franca" sich gewünscht, dass ihre Asche in ihrem Heimatdorf Belmonte seine letzte Ruhestätte finden solle.

Der Roman wird aus der Perspektive von Simona, Franca und deren Mutter Teresa geschrieben und führt den Leser mit Teresa zurück bis ins Jahr 1944. Das Schicksal dieser starken Frauen aus mehreren Generationen weist erstaunliche Parallelen auf. Der flüssige, bildhafte Schreibstil der Autorin lässt ein Bild von dieser wunderschönen Landschaft in den italienischen Marken entstehen und das italienische Lebensgefühl springt förmlich auf den Leser über.

Die Protagonistinnen waren mir allesamt sympathisch und, besonders das Schicksal von Teresa, die sogar eine Zwangsheirat etragen musste, hat mich sehr angerührt. Den Stammbaum, der sich hinter dem Deckblatt des Buches verbirgt, empfehle ich allerdings zu Beginn des Romans nicht allzu ausführlich zu studieren, weil er doch Dinge vorwegnimmt, die erst im Laufe der Geschichte enthüllt werden. Man kann auch ohne diese Hilfe dem Handlungsverlauf problemlos folgen.

Ansonsten habe ich keine Kritik und empfehle diese Saga, die mir viele schöne Lesestunden beschert hat sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 15.03.2020

Wie die Kindheit unser weiteres Leben prägt

Neujahr
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Einem spontanen Entschluss folgend, macht sich Henning am Neujahrsmorgen ,während des Familienurlaubs auf Lanzarote, mit dem Fahrrad auf, den Atalaya Vulkan zu erklimmen. Untrainiert mit schlechter Ausrüstung ...

Einem spontanen Entschluss folgend, macht sich Henning am Neujahrsmorgen ,während des Familienurlaubs auf Lanzarote, mit dem Fahrrad auf, den Atalaya Vulkan zu erklimmen. Untrainiert mit schlechter Ausrüstung und wie er unterwegs bemerkt sogar ohne Wasser, kraxelt er dennoch die Bergstraße immer weiter hoch und reflektiert dabei sein Leben, dass in einer Krise steckt. Er steht mit beiden Beinen im Leben, hat 2 gesunde Kinder und lebt ein modernes Familienmodell mit seiner Frau, bei dem sich beide Partner gleichermaßen auch um die Kinder und den Haushalt kümmern. Doch irgendwie überfordert ihn dieses Leben, und seit der Geburt der Tochter leidet er an Panikattacken und weiß nicht warum.

Im ersten Teil des Buches, der sich fast bis zur Mitte zieht, ist Henning mit seiner Radtour beschäftigt. Der Leser partizipiert an seinen Gedanken und Emotionen. Schließlich kommt er dehydriert und entkräftet an einem einsamen Hof aus, wo die Bewohnerin seinen desolaten Zustand erkennt und ihn erst einmal bewirtet, damit er wieder zu Kräften kommt. Henning hat in dem Haus sofort das Gefühl ein Dejà Vu zu erleben. Es stellt sich heraus, dass es ein traumatisches Erlebnis in seiner Kindheit gab, dass sein Unterbewusstsein komplett verdrängt hat und das jetzt wieder zum Vorschein kommt.

Das Buch wird spannender und entwickelt einen Sog, wie in einem Krimi. Ich fand das Buch ein bisschen vorhersehbar. Wenn man aufmerksam liest, ahnt man was kommen wird. Trotzdem ist es fesselnd geschrieben und birgt Stoff zu Nachdenken. Das Ende ist mir etwas zu schnell abgehandelt. Ich vergebe gute 4 Sterne, da ich den Schreibstil von Juli Zeh sehr gerne mag. "Leere Herzen" hat mir allerdings noch etwas besser gefallen.

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Veröffentlicht am 13.03.2020

Verstörend und brilliant zugleich

Sommer bei Nacht
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Es ist Sommer in Wiesbaden. Es ist heiß. Es ist kurz vor den Sommerferien. In der Schule findet ein Trödelmarkt statt, und in einem unaufbesichtigtem Moment verschwindet ein kleiner Junge. Anhand eines ...

Es ist Sommer in Wiesbaden. Es ist heiß. Es ist kurz vor den Sommerferien. In der Schule findet ein Trödelmarkt statt, und in einem unaufbesichtigtem Moment verschwindet ein kleiner Junge. Anhand eines unscharfen Bildes einer Überwachungskamera ist der Junge mit einem Fremden mitgegangen, der ihn mit einem Teddy geködert hat. Die Polizei beginnt mit ihren Ermittlungen und kommt nur mühsam voran, bis ihnen ein ähnlich gelagerter Fall in Österreich zu Ohren kommt.

Was macht diesen Krimi von Jan Costin Wagner so besonders? Es ist ein literarischer Krimi, mit einer besonderen Sprache, oft abgehackt mit vielen Wiederholungen, aber auch irgendwie poetisch. Ich habe eine Weile gebraucht ,mich daran zu gewöhnen. Es geht um Kindesmissbrauch und Wagner lässt ausgerechnet einen Kommissar ermitteln, der selbst pädophile Neigungen hat. Das war für mich fast unerträglich, und ich habe zu Beginn des Buches mit mir gerungen, ob ich dieses Buch gleich wieder abbrechen soll.

Aber ich glaube genau diese Reaktion will der Autor auch erzeugen. Es ist nicht immer Alles schwarz oder weiß. Die Grenzen verschwimmen zuweilen. Ben, einer der Polizisten, sollte doch eigentlich ein Guter sein , schaut sich Bilder von nackten, kleinen Jungs an? Das ist sehr provozierend, zumal der Autor wohl eine Reihe geplant hat und man davon ausgehen muss, dass es nicht bei den Bildern bleiben wird.

Das Buch hat mich dennoch gefesselt. Die Kapitel sind kurz und aus der Perspektive von quasi allen Beteiligten geschrieben. Das ist sehr emotional und ergreifend und bringt tiefe Einblicke in die unterschiedlichen Charaktere. Man kann sich einfühlen in Familien, deren Lebensentwurf durch den Verlust eines Kindes von einem Moment zum anderen zusammenbricht. Auch die Polizisten, die so unbedingt noch eine Ergebnis erzielen wollen, bevor es zu spät ist und doch nur schleppend langsam vorankommen, kann man gut verstehen. Sogar die Täterperspektive gibt es und einen kurzen Abschnitt in dem der kleine Junge zu Wort kommt.

Der Roman "Sommer bei Nacht" ist ganz bestimmt keine leichte Kost und wird polarisieren. Je weiter ich jedoch mit dem Lesen vorangeschritten bin, desto weniger konnte ich das Buch aus der Hand legen. Ich komme nicht umhin, dem Autor einen brillanten Sparchstil und ein sehr gutes psychologisches Gespür zu attestieren, auch wenn die Geschichte düster und verstörend ist.

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Veröffentlicht am 08.03.2020

Die tragische Diva

Die Diva
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Unter dem Pseudonym Michelle Marly ist jetzt der autobiografische Roman über die Opernsängerin Maria Callas erschienen. Die Bestsellerautorin Micaela Jary, die sich dahinter verbirgt, hat sich zuvor in ...

Unter dem Pseudonym Michelle Marly ist jetzt der autobiografische Roman über die Opernsängerin Maria Callas erschienen. Die Bestsellerautorin Micaela Jary, die sich dahinter verbirgt, hat sich zuvor in dieser Reihe des Aufbau Taschenbuchverlags schon mit den berühmten Frauen Coco Chanel und Edith Piaf beschäftigt. Keine dieser Persönlichkeiten sagt sie, war ihr aber so nah wie die "Callas".

Der Roman steigt sofort ein in die Hochphase ihrer Karriere 1957 und wechselt die Zeit bis ins Jahr 1969 mit kurzen Rückblicken in die Kindheit und Jugend der Sopranistin. Maria, die in einfachen Verhältnissen als Tochter griechischer Einwanderer in New York geboren wird, sucht ihr Leben lang nach der Liebe, die ihr im Elternhaus versagt geblieben ist. Zwar fördert ihre Mutter schon früh ihr Talent, aber wohl eher aus dem Grund, weil sich ihr durch Maria's Stimme eine Einnahmequelle erschließt. So heiratet die stimmgewaltige Künstlerin dann auch früh den sehr viel älteren italienischen Unternehmer Battista Meneghini, der auch als ihr Manager ihr Geld verwaltet und wie sie später feststellt, verprasst. Die Liebe findet sie mit dieser Heirat nicht.

Die leichte, bildhafte Erzählweise der Autorin lässt den Leser nachempfinden, wie sich Maria gefühlt haben muss, immer nur ihrer Stimme wegen bewundert zu werden und nie als der Mensch "Maria" gesehen zu werden. Für die Menschen um sie herum war sie einfach die Geldmaschine, die funktionieren musste. Kein Wunder, dass sie dem Charme des Reeders Aristoteles Onassis sofort erlegen ist, der sich erstmals um sie als Frau bemüht und eigentlich gar kein Opernfreund ist. Durch Onassis lernt Maria das Jetsetleben kennen und verliebt sich hoffnungslos in den reichen Griechen. Aber auch diese Liebe, welche die große LIebe ihres Lebens ist, steht unter keinem guten Stern. Letztendlich bricht ihr der Tankerkönig das Herz und heiratet nicht Maria sondern Jackie Kennedy.

Die Geschichte der traurigen Diva hat mich wirklich berührt. Die Zeitreise, auf die Michelle Marly ihre Leser mitnimmt, hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Immer wieder wird das Leben Maria's mit ihren Opern verglichen, in denen es auch selten ein Happy End gibt. Es war ein wunderbar recherchierter Roman ,und die Autorin hat es nicht nur geschafft viele Hintergrundinformationen über die Welt der Oper zu vermitteln, sie konnte auch glaubhaft tiefe Einblicke in das Seelenleben der berühmtesten Sopranistin ihrer Zeit geben.

Ich hatte viele schöne Lesestunden mit dem Buch und empfehle es sehr gerne weiter.

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