Profilbild von Momo

Momo

Lesejury Star
offline

Momo ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Momo über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.10.2016

Ein Meisterwerk der Leserlenkung

Unterleuten
0

"Eine Geschichte wird nicht klarer dadurch, dass viele Leute sie erzählen." So lautet das Resumee des Erzählers am Ende des Romans Unterleuten. Und dem kann der Leser absolut zustimmen.

Im ostedeutschen ...

"Eine Geschichte wird nicht klarer dadurch, dass viele Leute sie erzählen." So lautet das Resumee des Erzählers am Ende des Romans Unterleuten. Und dem kann der Leser absolut zustimmen.

Im ostedeutschen Dorf Unterleuten sollen Windräder gebaut werden. Für die Bewohner des Dorfes ist dies der Beginn eines Kleinkriegs. Im Laufe des Romans wird jedoch deutlich, dass es nicht wirklich um die Windräder geht, sondern um uralte Fehden, die bis weit in die DDR-Zeiten reichen.

Juli Zeh schreibt ihren Roman aus unterschiedlichen Figurenperspektiven. So bildet sich während der Handlung ein buntes Sammelsurium an Weltanschauungen, Bildern und Meinungen. Im ersten Kapitel scheint man sich sicher, wer der Böse ist. Dann allerdings liest man ein Kapitel aus der Sicht eben jener "bösen" Figur und ist sich nun sicher, dass diese völlig unschuldig ist. Zeh arbeitet hier meisterhaft mit dem Prinzip der Leserlenkung. Über die Frage eines (un-)zuverlässigen Erzählers ließen sich bei diesem Roman ganze Abhandlungen schreiben. Am Ende bleibt man zurück und kann absolut keiner Figur die Schuld für das Geschehen geben, es gibt keinen typischen Bösewicht. Alle Handlungen der Figuren werden so beschrieben, dass man sich in der Wertung anderer Figuren über diese Handlungen kein Verständnis hat, beim Lesen der Motivation von den Figuren selbst jedoch vollstes Verständnis hat.

Die Stoffe im Roman sind zudem unglaublich gut recherchiert und aufgearbeitet. Jede Figur hat ihre eigenen Vorlieben und diese werden genaustens beschrieben. Dabei ist völlig irrelavanzt, ob man etwas mit seltenen Vögeln anfangen kann oder mit der Reparatur von Autos - Juli Zeh macht diese Interessen zu den Interessen des Lesers, so anschaulich und detailtreu werden sie beschrieben.

Auch die Vergangenheiten der Figuren erscheinen dem Leser wie die eigene, so gekonnt skizziert die Autorin diese. Während der Handlung klärt sie den Leser über die Vergangenheit der Figuren auf, kommt zurück in die Gegenwart und taucht wieder zurück in die Vergangenheit. Der Leser bekommt das Gefühl, die Figuren allesamt zu kennen wie einen lieben Freund und auch dadurch kommt das Phänomen zustande, dass man es nicht schafft, einen Liebling zu haben. Alle Figuren sind einfach viel zu plastisch beschrieben und in ihrer Charakterisierung authentisch.

Fazit: Bei Juli Zehs Unterleuten handelt es sich um ein Meisterwerk der Leserlenkung. Nie zuvor habe ich ein Buch gelesen, bei dem ich jeder Figur eine literarische Absolution erteilen konnte, bei der ich jede Sichtweise nachvollziehen und gutheißen konnte und bei der ich nicht hätte beurteilen können, wer der Schuldige ist. "Mit dem Dorf stimmt was nicht. Ganz massiv." Das trifft den Kern dann doch eher, denn die Autorin zeichnet hier ein feines Netz aus dem Leben, Lieben und den Intrigen einer in der Vergangenheit feststeckenden Dorfgemeinschaft.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Meisterwerk der deutschen Kinder- und Jugendliteratur!

Tintenwelt 1. Tintenherz
0

"Die Dunkelheit war blass vom Regen und der Fremde war kaum mehr als ein Schatten. Nur sein Gesicht leuchtete zu Meggie herüber. Das Haar klebte ihm auf der nassen Stirn. Der Regen triefte auf ihn herab, ...

"Die Dunkelheit war blass vom Regen und der Fremde war kaum mehr als ein Schatten. Nur sein Gesicht leuchtete zu Meggie herüber. Das Haar klebte ihm auf der nassen Stirn. Der Regen triefte auf ihn herab, aber er beachtete ihn nicht. Reglos stand er da, die Arme um die Brust geschlungen, als wollte er sich wenigstens auf diese Weise wärmen. So starrte er zu ihrem Haus herüber."
Mit diesem Fremden vor dem Haus von Meggie und ihrem Vater Mo ändert sich ihr komplettes Leben. Mo nimmt Meggie mit zu ihrer Tante Elinor, auf der Flucht vor einem Mann namens Capricorn. Mit ihnen reist eben jener Fremde, der in dieser Nacht vor ihrem Haus wartete: Staubfinger. Der Grund für die überstürzte Flucht ist ein Buch, das Meggies Vater vor langer Zeit gelesen hat und das er nun um jeden Preis verstecken muss...

Dieses Buch ist ein wahrer Schatz der deutschen Kinder- und Jugendliteratur! Cornelia Funke schafft damit ein Meisterwerk. Von der ersten Seite an ist der Leser gefangen in Meggies Welt und vor allem als Vielleser fühlt, leidet und freut man sich mit Meggie. Cornelia Funkes Sprache ist so bildlich, dass das Geschehen und die Figuren fast greifbar wirken.

Die Geschichte ist von großer Originalität. Und wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, die wirkliche Welt hinter sich zu lassen und hinter den Seiten einer Buchwelt zu versinken. So mancher Leser hat nach der Lektüre sicherlich sein Lieblingsbuch herausgeholt und es laut vorgelesen, um nach sich nach dem Verstummen umzusehen und verlegen in sich hinein zu schmunzeln...

Vor allem die Figuren sind Cornelia Funke außerordentlich gut gelungen! Ständig wandeln sie sich und müssen sich neu entscheiden, keinesfalls flach sind sie, immer verändern sie sich. Sie sind nicht vorhersehbar, immer wieder wird man von ihnen überrascht.

Fazit: Ein Meisterwerk der deutschen Kinder- und Jugendliteratur, das es wie kein anderes Buch möglich macht, sich in die Geschichte hineinzuträumen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Abschiedsbrief der besonderen Art - Regt zum Nachdenken an

Tote Mädchen lügen nicht
0

"Ich hoffe, ihr seid bereit, denn ich will euch die Geschichte meines Lebens erzählen. Genauer gesagt, warum mein Leben ein Ende fand. Und wenn ihr diese Kassetten hört, dass seid ihr einer der Gründe ...

"Ich hoffe, ihr seid bereit, denn ich will euch die Geschichte meines Lebens erzählen. Genauer gesagt, warum mein Leben ein Ende fand. Und wenn ihr diese Kassetten hört, dass seid ihr einer der Gründe dafür." Als Clay eines Tages von der Schule nach Hause kommt, findet er ein Päckchen mit 13 Kassetten. Er legt die erste Kassette in einen alten Walkman und hört Hannah Bakers Stimme. Hannah hat sich vor zwei Wochen umgebracht - und auf diesen Kassetten nennt sie 13 Personen, die alle dazu beigetragen haben...

"Tote Mädchen lügen nicht" habe ich vor einigen Jahren einmal von einer Freundin ausgeliehen. Vor kurzem lief es mir auf einem Flohmarkt über den Weg und ich las es noch einmal. Ich muss sagen, dass dieses Buch seine Faszination nicht verloren hat! Als Teenie war dieses Buch fesselnd und nun ist es immer noch spannend. Erneut konnte ich mich in seinen Bann ziehen lassen.

Der Schreibstil ist unglaublich fesselnd! Die Geschichte spielt in Clays Gegenwart, die durchbrochen wird vom Hören der Geschichte auf den Kassetten. Clays Gefühle sind dabei völlig schonungslos, dabei aber ohne Kitsch geschildert. Und auch wenn Hannahs Art des Abschiedsbrief eine leicht kitschige Nuance hat, trieft sie doch nicht davon. Auch bleibt ihr Erzählen stets sachlich und fast emotionslos.

Der Roman zeigt wunderbar das schwierige Leben einer Teenagerin, mit welchen Problemen sie zu kämpfen hat. Und es zeigt auch, wie viele Faktoren zusammenwirken können, sodass ein solches Drama entstehen kann. Selten ist es nur einer, der Schuld ist, meist sind es eben viele kleine Dinge, über die man sich selbst vielleicht gar nicht bewusst ist. Das Buch wäre meiner Meinung sehr passend für den Stundenplan einer Mittelstufe.

Zusammenfassend ein eindrücklicher und bewegender Text, der zum Nachdenken anregt. Er hat zwar einen Hauch Kitsch, der aber angesichts der Geschichte und der Art des Erzählens überhaupt nicht fehl am Platz ist! EIn Jugendbuch, das nicht nur für Jugendliche zu empfehlen ist.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Tief berührend

Die Bücherdiebin
0

1939: Liesel ist mir ihrem kleinen Bruder auf dem Weg zu Pflegeeltern, doch Werner überlebt die Fahrt dorthin nicht. Am Grab ihres Bruder stiehlt Liesel ihr erstes Buch - und der Tod wird auf sie aufmerksam. ...

1939: Liesel ist mir ihrem kleinen Bruder auf dem Weg zu Pflegeeltern, doch Werner überlebt die Fahrt dorthin nicht. Am Grab ihres Bruder stiehlt Liesel ihr erstes Buch - und der Tod wird auf sie aufmerksam. Noch viele Male wird er sie besuchen. Doch zuerst lernt Liesel das Lesen und stiehlt weiter Bücher. Ihre Geschichten teilt sie mit ihren Mitmenschen. Sie sieht die Juden nach Dachau ziehen. Sie spielt Fußball mit Rudi, dem Jungen mit dem zitronengelben Haar. Sie muss sich im Keller verstecken als die Bomben fallen. Ihre Familie versteckt einen jüdischen Boxkämpfer. Doch trotz der vielen Besuche schafft der Tod es nicht, Liesel mit sich zu nehmen - er hat sie in sein Herz geschlossen...

EIne wirklich bewegende Geschichte der kleinen Liesel, die das Leben im Zweiten Weltkrieg erlebt. Erzählt ist die Geschichte aus der Sicht des Todes, was der Geschichte ein ganz besondere Note verleiht. Die Perspektive bewirkt, dass der Leser Liesel zu lieben beginnt. Und Mitleid mit dem Tod bekommt. Eine völlig neue Perspektive auf das Leben unter dem Nazi-Regime bekommt der Leser durch die unbeugsame Liesel.

Der Erzählstil ist wunderschön, fast poetisch! Er nimmt gefangen und lässt sich hinwegträumen in die Welt Liesels. Die Geschichte ist durchzogen von Einschüben, fett gedruckte "Merksätze", in denen die wichtigen Sachen zusammengefasst werden. Diese EInschübe wirken wie moderne Gedichte.

Die Figuren wirken alle fast real. Alle kann man wunderbar nachempfinden und in ihrer Motivation verstehen. Fast kann man meinen, der Tod würde gernen jeden von ihnen verschonen, einfach nur, weil sie Liesel begegnet sind...

Markus Zusak ist wirklich ein wundervoller Autor! Kaum zu beschreiben, wie sehr seine Bücher unter die Haut gehen, wie sie einen verfolgen und süchtig machen und nicht mehr los lassen, bis man sie beendet hat. Und auf der letzten Seite bleibt man zurück mit einer Träne, die auf den Wangen trocknet, aus Freude oder Trauer ist nicht zu sagen. Markus Zusak, einer der größten Autoren unserer Zeiten!!!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Aufrüttelnd, bewegend und erschreckend

Der Junge im gestreiften Pyjama
0

Der neunjährige Bruno muss mit seiner Schwester und seinen Eltern von dem schönen großen Haus, in dem sie in Berlin leben, in ein anderes Haus auf dem Land ziehen, weil der Vater dort eine neue Arbeiststelle ...

Der neunjährige Bruno muss mit seiner Schwester und seinen Eltern von dem schönen großen Haus, in dem sie in Berlin leben, in ein anderes Haus auf dem Land ziehen, weil der Vater dort eine neue Arbeiststelle hat. Nur sehr widerwillig lässt Bruno sein altes Leben und seine Freunde hinter sich. Doch im neuen Haus macht er bald eine überraschende Entdeckung: Dort gibt es ganz viele Menschen. Sie leben zwar alle hinter einem Zaun und tragen seltsame Schlafanzüge, aber sie sind trotzdem sehr nett, vor allem mit dem Jungen Schmuel schließt er schnell Freundschaft...

Liest man dieses Buch, meint man, man hat es mit einem Kinderbuch zu tun, erzählt wird nämlich aus der Sicht des kleinen Bruno. Es gibt Wörter, die er wiedergibt, wie er sie versteht, und deren Bedeutung man sich erst nach und nach bewusst wird. Auch alles andere wird aus den Augen dieses unschuldigen Kindes geschildert. Doch wird schnell klar, dass es sich hier keineswegs um ein Kinderbuch handelt. Noch verstärkt wird das Furchtbare durch die Naivität, on der der Bruno die Geschehnisse schildert. Dabei reflektiert er auch immer wieder das Geschehene und der Leser fragt sich immer wieder, wie der Schrecken des Holocaust hat möglich sein können. So einfach scheint alles aus der Perspektive des Kindes...

Doch natürlich hat das Buch auch wunderschöne Seiten, denn die Freundschaft zwischen Bruno und Schmuel ist so echt und treu, wie sie nur eine Kinderfreundschaft sein kann. Herzerweichend wird beschrieben, in welch gegensätzlichen Welten die beiden Kinder leben. Trotzdem sind sie Freunde. Die Geschichte ist ein sagenhaftes Beispiel dafür, dass Kinder letztendlich eben doch die besseren Menschen sind..

Spätestens dann am Ende weicht allerdings jede Schönheit aus der Geschichte, mit einem Ende, das einem die Haare zu Berge stehen lässt. Man schließt das Buch und schämt sich für die Geschehnisse des Holocaust. Man ist froh, es nicht miterlebt haben zu müssen und empfindet dafür gleich wieder Scham. Unvorstellbar...Mir fehlen die Worte, um die Gefühle klar zu beschreiben, die ich nach der Lektüre des Buches habe...

Alles in allem ein Buch, das jeder gelesen haben sollte, auch wenn es trotz (oder gerade wegen!?) seiner Naivität und Unschuldigkeit nichts für schwache Nerven ist!