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Muehlenkind

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Veröffentlicht am 09.08.2020

Atemloses Erstlingswerk von einem, der sich auskennt

#CrashTag
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So richtig viel Spaß hat Fritz Graber, Reporterlegende der Neuen Frankfurter Zeitung, nicht mehr an seinem Job. Ehemals Garant für Spitzenjournalismus, ist die Stätte seines Wirkens, nicht zuletzt aufgrund ...

So richtig viel Spaß hat Fritz Graber, Reporterlegende der Neuen Frankfurter Zeitung, nicht mehr an seinem Job. Ehemals Garant für Spitzenjournalismus, ist die Stätte seines Wirkens, nicht zuletzt aufgrund der neuen Geschäftsführung, in die bedeutungslose Mittelmäßigkeit abgerutscht.
Und so verbringt Fritz, Steve McQueen Fan und einsamer Wolf mit Sehnsucht nach Nähe, trotz Kündigungsdrohung seine Zeit am Arbeitsplatz lieber damit, auf der Internet-Seite "#CrashTag.com" verunglückten High-Class-Oldtimer-Boliden nachzuspüren. In einer nicht so fernen Zukunft, in der autonome Fahrzeuge auf extra für sie eingerichteten Fahrspuren und Service-Roboter in der Fast-Food-Filiale um die Ecke zum Alltagsbild gehören, folgt Fritz seinem Instinkt auf die Spur eines internationalen Wirtschaftskomplotts, bei dem es um Milliarden und bald auch um sein Leben geht. Die Jagd nach Fakten führt ihn aus Deutschlands Bankenhauptstadt Frankfurt nach Asien und zurück, vor allem aber wieder zu sich selbst...

Hier schreibt einer, der offensichtlich weiß, wovon er spricht. Die Städtebeschreibungen sind detailliert, die Liebe zu den Oldtimern ist mehr als offensichtlich. Asien rückt nahe und auch dies nicht zufällig, wie die Autorenbiografie den Leser wissen lässt.

Der Protagonist mag nicht jedermanns Sympathie erringen, soll er aber wahrscheinlich auch gar nicht. Um Everybodys darling zu sein, ist dieser Fritz Graber zu eckig, zu widersprüchlich in sich, zu bequem und zu ewig gestrig. An Altem und Altbewährtem haftend, verweigert er sich - manchesmal auch durchaus hilfreichen - Neuerungen und ist so fortwährend auf die Hilfe anderer angewiesen. Für alles hat er seinen "Mann", sei es für Internetrecherche, zu Schrauberfragen, als "Ausputzer"... irgendjemand steht immer an Fritzens Seite. Und so lernt man einen bunten Kosmos originell gezeichneter Persönlichkeiten kennen, die das eine und andere Mal durchaus zum Schmunzeln veranlassen.

Der atemlosen Hatz der Handlung folgt die atemlose Sprache. Sind die Dialoge und die Sprache der handelnden Personen durchaus aus dem Leben gegriffen, lassen die inneren Monologe und Dialoge des ergrauten Fast-Nicholas-Cage-Doubles Fritz Graber den Leser manchesmal doch ein wenig ratlos zurück. Zu häufig enden Sätze im unvollendeten Nirgendwo... und man fragt sich, wie es wohl hätte weitergehen sollen... oder was der Autor eigentlich sagen wollte...
Auch aus dem Plot selbst ergibt sich die eine oder andere inhaltliche Frage, die aber mit ein wenig Fantasie selbst beantwortet werden kann und daher zu vernachlässigen ist.
Wirklich ärgerlich sind hingegen mannigfaltige Kommata- und Trennungsfehler (diese wohl dem Satz geschuldet) wie auch fehlende Artikel, die aufgrund der Häufigkeit einem flüssigen Folgen der Handlung schaden und immer wieder ablenken.
Ganz und gar ärgerlich ist ein Klappentext, der falsche Namen nennt und eine irreleitende Darstellung der Handlung abbildet...
Dies alles mindert aber letztendlich nicht die Qualität eines Buches, das zwar nicht große Literatur ist, aber doch einen erheblichen Unterhaltungswert hat... und nichts anderes wollte Martin Brückner mit seinem Erstlingswerk vermutlich leisten.
Daher: Lesenswert, für alle, die schnelle Handlungen und schnelle Autos mögen und originell-skurril gezeichnete Figuren!

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Veröffentlicht am 09.08.2020

Blick zurück in zorniger Wehmut

Ozelot und Friesennerz
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Den Roman einer "ganz normal verrückten Kindheit auf Sylt" verspricht der Einband von "Ozelot und Friesennerz", doch wer genau den erwartet, der täuscht sich.
Weniger ein Roman, ist Susanne Matthiessens ...

Den Roman einer "ganz normal verrückten Kindheit auf Sylt" verspricht der Einband von "Ozelot und Friesennerz", doch wer genau den erwartet, der täuscht sich.
Weniger ein Roman, ist Susanne Matthiessens Buch eine Sammlung von Anekdoten und entsprechender Kapitelüberschriften, die exemplarisch sind für Sylts Entwicklung von einer Nachkriegs- zu der It-Insel der Siebziger Jahre, als die sie lange Zeit bekannt war. Das Tragen exklusiver Rauchwaren galt noch nicht als verpöhnt, das Herstellen derselben war noch exquisites Kunsthandwerk und nicht Krieg, und so nutzte die Familie der Autorin die Gunst der Stunde, dem eigenen Kürschner-Betrieb mittels harter Arbeit, stetiger Verfügbarkeit und einem nicht unerheblichen Maß an Jovialität den prominenten Kunden gegenüber, den eigenen Wohlstand zu mehren.

Zweifellos unterscheiden sich die Kinderjahre der Autorin nicht stark von denen anderer Generationsgenossen - wären da nicht die prominenten Namen, um die sich die meisten ihrer Anekdoten ranken.

Susanne Matthiesen erzählt ihre Familiengeschichte und damit die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend unaufgeregt und nordisch kühl, doch nicht ohne Stolz. Neben der immer spürbaren Liebe zu "ihrer" Insel, ihrer Heimat und Herkunft ist da aber auch die Bitterkeit über den "Ausverkauf" Sylts, der zuerst Wohlstand, damit einhergehend aber auch den Verlust der eigenen Identität brachte.

Wer mit "Ozelot und Friesennerz" den Roman einer Kindheit(sidylle) erwartet, wird enttäuscht werden. Wer Anekdoten über die Reichen und Schönen der 60er und 70er Jahre lesen möchte, kommt auf seine Kosten... die Namen allerdings werden überwiegend den gleichaltrigen Lesern etwas sagen, später Geborene werden sich überwiegend verwirrt fragen, um wen es hier eigentlich geht...

Durchaus mit starken (oft humorigen) Stellen ausgestattet und intelligent formuliert, ist das Buch nicht Fleisch, nicht Fisch. Zu verwaschen bleibt die Kritik am Jetzt und Hier Sylts, zu wenig deutlich wird, dass Sylts Niedergang eigentlich in genau der Zeit begann, in der die Sylter (wie ganz Deutschland) am Aufschwung partizieren wollten und damit völlig kritiklos und undifferenziert ihre eigene Heimat ausverkauften. Nicht, dass Sylt damit alleine stünde...

Und so verfehlt Susanne Matthiesen leider, was sie vielleicht für Sylt tun wollte: mittels des "Aufschreibesystems... ein paar Lehren und Schlüsse zu ziehen und sie für die Zukunft mitzunehmen", denn der Schluss daraus kann nur sein, dass es die eierlegende Wollmilchsau nicht gibt: wer sich, wie die Sylter im Speziellen und Anwohner vieler weltweiter Tourismusgebiete im Allgemeinen, weiterhin von Kapital und Wohlstand korrumpieren lässt, wird wohl kaum verhindern (können und wollen), dass Identität und Natur bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden.

Vielleicht ist dafür aber auch der "Roman einer Sylter Kindheit" der falsche Rahmen...

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Veröffentlicht am 05.08.2020

Es hätte so spannend sein können...

Lonas Geheimnis
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Lona Loos, Rechtsanwältin und Witwe, hat ihren Ehemann aufgrund einer Krebserkrankung verloren. Sie zieht von Dublin nach Berlin und baut sich dort als Partnerin in einer Anwaltskanzlei eine neue Existenz ...

Lona Loos, Rechtsanwältin und Witwe, hat ihren Ehemann aufgrund einer Krebserkrankung verloren. Sie zieht von Dublin nach Berlin und baut sich dort als Partnerin in einer Anwaltskanzlei eine neue Existenz auf.
Im Zuge ihrer beruflichen Tätigkeit hat sie mit Kriminalität, merkwürdigen Persönlichkeiten und unerfreulichen Verbrechen zu tun.
So verwundert es nicht, dass sie, konfrontiert mit mysteriösen Geschehnissen in ihrem Privatleben (von Stalker-Verehrerbriefen bis hin zu ihrer verschwundenen Katze) auf einen Urheber in ihrem beruflichen Umfeld schliesst. Ein Trugschluss, wie sich herausstellt…

Bereits kurz nach Beginn der Lektüre (als Epub) hoffte ich, es handele sich um ein noch nicht lektoriertes Manuskript-Exemplar. Ist die Idee der Autorin durchaus ambitioniert (wenn auch nicht neu, aber welches Buch ist das schon?), wird der Lesespaß leider sehr schnell durch eine Häufung von grammatikalischen („im selbem Moment“) und sprachlichen Mängeln gestört, von den Kommata-Fehlern ganz zu schweigen. Wenn die Vergangenheitsform von „meiden“ zu „meidete“ wird („sie kam erst spät nach Hause und meidete jede Art von Ruhe“) oder die Schreibweise von „das/dass“ ausgewürfelt scheint, ist das gerade in Zeiten von Papyrus Autor (oder wenigstens Scrivener) schlicht ärgerlich. Besonders ins Auge fällt auch der falsche Gebrauch von Ausdrücken oder Redewendungen, der so manches Mal zu unfreiwilliger Komik führt: Bestatter stehen nun mal nicht mit Särgen vor der Tür, sondern mit Überführungstragen oder -wannen.

Oft sind die Formulierungen holprig und künstlich, sie fühlen sich irgendwie „eckig“ an beim Lesen. Beispiel? „Das Leben sah andere Pläne für sie vor“ oder „Aber weißt du, eigentlich will ich nicht darüber heute Abend reden“… und so viele „dies/e/s“ habe ich selten in einem Buch gesehen. Hinzu kommt eine Flut an Füllwörtern und Wertungen, die schlicht amateurhaft wirken.

Leider wurde zusätzlich kein Klischee vermieden und so bewegt man sich von der zwar über 40jährigen, aber trotzdem sexy Anwältin über den maskulinen Polizisten mit der breiten Schulter zum Anlehnen und dem muskulösen Oberkörper, der körperliche Begierden weckt, hin zum Stalker mit der bipolaren Störung in der Psychiatrie. Gleichzeitig bleiben die Charaktere aber blass und ohne psychologische Tiefe oder werden mit unfreiwillig (weil falsche Wortwahl) unsympathischen Attributen ausgestattet. Beispiel: „Lona wusste, wie viel und vor allem schwer ihre Freundin arbeitete, stand doch die Entscheidung über einen Wechsel der Referatsleitung bevor, welche sie um jeden Preis an sich reißen wollte.“

Obwohl der Plot zweifelsohne über Potential verfügt, die Autorin sicherlich intensiv recherchiert hat, um beispielsweise Berufs- oder Krankheitsbilder glaubhaft abbilden zu können und die Auflösung für einige Leser einigermaßen überraschend kommen mag, bleibt das Buch beim Lesen gefühlt „unecht“. Deshalb: für den Leser, der saubere, geradlinige, stilistisch ansprechende (und nicht einmal gehobene!) Thrillerkost sucht, kann ich leider keine Leseempfehlung aussprechen.

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