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Veröffentlicht am 18.09.2020

Weiterleben nach einer schrecklichen Tragödie

Das Haus in der Claremont Street
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Der neunjährige Tom hat eine schreckliche Tragödie miterlebt: Sein Vater hat seine Mutter zu Tode geprügelt und sich anschließend selbst umgebracht. Seine Tante Sonya, die Toms gesetzlicher Vormund ist, ...

Der neunjährige Tom hat eine schreckliche Tragödie miterlebt: Sein Vater hat seine Mutter zu Tode geprügelt und sich anschließend selbst umgebracht. Seine Tante Sonya, die Toms gesetzlicher Vormund ist, nimmt den Jungen bei sich auf. Doch seit dem Vorfall spricht er nicht mehr, isst kaum, gibt sich abweisend und auch Psychologen dringen nicht zu ihm durch. Sonya, die sich immer eigene Kinder gewünscht hat, kapituliert schließlich und überlässt den Jungen ihrer chaotischen Schwester Rose. Ist ihr Haus in der Claremont Street in Toronto ein besseres Umfeld für Tom?

Gleich zu Beginn des Buches ereignet sich auf wenigen Seiten die Tragödie, die Tom seine Eltern nimmt und ihn verstummen lässt. Der Vorfall wird an dieser Stelle und auch später nicht explizit geschildert, und das Buch springt anschließend zur Trauerfeier für seine Eltern. Seine Mutter hatte zwei Schwestern und einen Bruder, deren Leben im weiteren Verlauf des Romans beleuchtet werden.

Tom hat sich ganz in sich selbst zurückgezogen, woran insbesondere seine Tante Sonya verzweifelt, die sich um ihn kümmern möchte. Das Buch ist aus den Perspektiven von Tom, Sonya und ihren Geschwistern Rose und Will geschrieben. Jeder von ihnen hat Schuldgefühle im Hinblick auf den Tod ihrer Schwester und geht die Trauerbewältigung anders an. Außerdem gibt es eine ganze Reihe weiterer Themen, mit denen die Charaktere sich auseinandersetzen müssen wie ein unerfüllter Kinderwunsch und Spielsucht.

Sonya, Rose und Will wollen für Tom eigentlich nur das Beste, doch ihre dysfunktionalen Verhaltensweisen sorgen immer wieder für neue Instabilität. Die Geschichte schlägt ein ruhiges Tempo an und erzeugt eine bedrückende Atmosphäre. Gelegentlich blitzt schwarzer Humor auf, etwa wenn die Geschwister darüber diskutieren, was sie mit der Urne ihres Schwagers machen sollen, die ebenso wie die ihrer Schwester zu ihnen gebracht wurde.

Ich fand die Geschichte berührend, hätte mir insgesamt aber noch mehr Nähe zu den Charakteren gewünscht, denn trotz der wechselnden Perspektiven blieben mir manche Aspekte ihres Verhaltens ein Rätsel. Das Geschehen stimmt nachdenklich und ich habe mitgebangt, ob es der Familie gelingen wird, sich um Toms willen zusammenzuraufen. Ein eindringlicher Roman über Familie und Trauerbewältigung.

Veröffentlicht am 12.09.2020

Unterhaltsamer Pendlerroman mit vielen Zufällen

Das Glück in vollen Zügen
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Marie wohnt in Herrsching am Ammersee in einem Bauwagen direkt am Wasser. Der Wagen steht auf dem Grundstück ihrer Mutter, die nach dem Tod ihres Ehemanns begonnen hat, ihr Leben neu zu sortieren. Jeden ...

Marie wohnt in Herrsching am Ammersee in einem Bauwagen direkt am Wasser. Der Wagen steht auf dem Grundstück ihrer Mutter, die nach dem Tod ihres Ehemanns begonnen hat, ihr Leben neu zu sortieren. Jeden Tag pendelt Marie mit dem Zug nach München. Das tut auch Johannes, der aus der Großstadt zurück nach Herrsching gezogen ist, um bei seinem demenzkranken Vater zu leben und ihn zu unterstützen. Beide haben sich schon häufiger im Zug gesehen, aber noch nie miteinander geredet. Durch einige Zufälle glauben sie, dass der jeweils andere vergeben ist. Bevor es zu einem Gespräch kommen kann werden die Leben der beiden gehörig durcheinander gewirbelt.

Der Roman schlägt einen lockeren Ton an. Marie genießt ihr Leben am Ammersee mit morgendlichen Schwimmrunden und der Rottweilerhündin Dexter an ihrer Seite. Diese ist schwanger, sodass die Aufregung allmählich steigt. Weniger begeistert ist Marie hingegen von den Plänen ihrer Mutter, mit ihr auf eine Gala zu gehen, wo alles was in München Rang und Namen hat anwesend sein muss.

Johannes nimmt Marie zum ersten Mal wahr, als diese im Zug unbeeindruckt von den Menschen um sie herum ein Umzieh-Manöver von lässig zu chic absolviert. Auch anders herum ist Marie auf Johannes aufmerksam geworden, allerdings eher wegen der merkwürdigen Telefonate, die er im Zug führt. Die Kapitel sind abwechselnd aus der Sicht der beiden geschrieben, sodass man erfährt, was sie übereinander denken und wie ihr Verhalten auf den jeweils anderen wirkt.

Die beiden fahren aber nicht nur Zug, sondern jeder sieht sich einigen Herausforderungen gegenüber. Marie kommt mit dem neuen Freund ihrer Mutter nicht klar und bereitet sich darauf vor, dass ihre Hündin Welpen bekommt. Johannes muss feststellen, dass die Demenz seines Vaters schnell voranschreitet und überlegen, welche Unterstützung er benötigt. Trotz dieser ernsten Themen verliert das Buch seine Leichtigkeit nicht und bietet immer wieder Szenen, die mich zum schmunzeln brachten.

Die Geschichte legt es darauf an, den Leser mit zahlreichen verpassten Chancen verrückt zu machen. Der Zufall will es immer wieder so, dass die beiden sich zum Beispiel knapp verpassen oder aufgrund eines mitgehörten Gesprächs die Situation falsch deuten. Für meinen Geschmack dauerte diese Phase aber zu lang an.

„Das Glück in vollen Zügen“ ist eine locker erzählte Pendler-Geschichte mit vielen turbulenten und unterhaltsamen Momenten. Sie spricht aber auch ernste Themen an, denen die beiden Protagonisten sich stellen müssen. Romantik spielt eine eher untergeordnete Rolle, denn Marie und Johannes erleben das meiste ohne den jeweils anderen. Ein Roman für alle, die die Phase des gegenseitigen Beobachtens vor dem ersten Gespräch am spannendsten finden!

Veröffentlicht am 30.08.2020

Überleben im Neufundland des 18. Jahrhunderts

Die Unschuldigen
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Die Geschwister Evered und Ada leben mit ihren Eltern und ihrer kürzlich geborenen Schwester in einer abgelegenen Bucht in Neufundland. Im Sommer und Herbst fangen und verarbeiten sie Fische, die ihr Vater ...

Die Geschwister Evered und Ada leben mit ihren Eltern und ihrer kürzlich geborenen Schwester in einer abgelegenen Bucht in Neufundland. Im Sommer und Herbst fangen und verarbeiten sie Fische, die ihr Vater auf einem zweimal jährlich eintreffenden Schiff gegen Vorräte eintauscht. Doch dann sterben das Baby, die Mutter und der Vater kurz nacheinander an einer Krankheit. Evered und Ada, zu diesem Zeitpunkt ungefähr zwölf und zehn Jahre alt, wollen in der Bucht bleiben und das ihnen bekannte Leben fortführen. Es ist für die beiden ein Ringen mit der wilden, unberechenbaren Natur und der eigenen Einsamkeit.

Der Klappentext des Buches verrät bereits, dass Evered und Ada mitten in der Wildnis von Neufundland im 18. Jahrhundert auf sich allein gestellt sind. Entsprechend wenig überrascht war ich vom Tod ihrer Eltern und ihrer Schwestern auf den ersten Seiten, wovon auf den allerersten Seiten recht schnell berichtet wird. Die beiden überlebenden Geschwister haben sich in ihrem ganzen Leben noch nicht weit von der Bucht entfernt und kennen außer ihrer Familie keine anderen Menschen außer der Hebamme Mary Oram, die zur Geburt ihrer Schwester eine Weile bei ihnen wohnte. Ihr Wissen von der Welt ist entsprechend eingeschränkt auf das, was ihre Eltern und Mary Oram ihnen gesagt und gezeigt haben.

Ich war neugierig, ob die Geschwister ihr bisheriges Leben fortführen können und wollen. Ein Schiff könnte sie innerhalb weniger Tage zum Dorf Mockbeggar bringen, doch die beiden wollen lieber versuchen, in ihrer Bucht zu überleben. Ohne die Unterstützung ihrer Eltern wird das zu einem herausfordernden Kampf ums Überleben. Können sie genug Fisch verarbeiten, um mit den eingetauschten Vorräten den Winter zu überstehen? Dazu wird nicht nur Geschick benötigt, sondern auch das Wetter muss mitspielen.

Die Geschichte wird in einem ruhigen Tempo und sehr atmosphärisch erzählt. Man begleitet Evered und Ada beim Fischfang, der Robbenjagd und durch lange dunkle Wintertage. Auch das Verhältnis der Geschwister zueinander wird intensiv beleuchtet. Die beiden sind durch die gemensam verbrachte Zeit unzertrennlich. Sie wissen, dass sie als Geschwister einander nicht heiraten können, haben aber keinerlei sexuelle Aufklärung erhalten, sodass sie entsprechechende Regungen nicht richtig einordnen können.

Die Routine der beiden wird gelegentlich unterbrochen, zum Beispiel von einem Sturm oder Besuchern in der Bucht. Ich hätte mir in Summe mehr Spannung gewünscht, denn auch diese Ereignisse lösen keine größeren Umbrüche aus. Über mehrere Jahre bleibt man an Evereds und Adas Seite, die sich beharrlich den harten Lebensumständen entgegen stellen und lieber ihr bekanntes Leben weiterführen wollen als sich ins Ungewisse aufzumachen. Ein eindringlich erzählter Roman, der mich tief in die Wildnis Neufundlands des 18. Jahrhunderts eintauchen ließ.

Veröffentlicht am 30.08.2020

Ein dystopischer Sci-Fi Thriller

Aus schwarzem Wasser
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Maja sitzt mit ihrer Mutter, der Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck, im Auto, als dieses unkontrolliert in die Spree stürzt. Eigentlich sollten sie beide tot sein - doch Maja erwacht Stunden später ...

Maja sitzt mit ihrer Mutter, der Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck, im Auto, als dieses unkontrolliert in die Spree stürzt. Eigentlich sollten sie beide tot sein - doch Maja erwacht Stunden später in einem Leichensack und flieht aus dem Krankenhaus zu ihrem Freund Daniel. Wie konnte sie überleben? Auch die letzten Worte ihrer Mutter geben ihr Rätsel auf: „Du kannst niemandem trauen, sie stecken alle mit drin.“ Ihre beste Freundin Sofie macht währenddessen Urlaub auf den Philippinen, wo sich die erste einer Reihe von tödlichen Naturkatastrophen ereignet.

Die Geschichte beginnt aus Majas Perspektive, die das Ertrinken ihrer Mutter mit ansehen muss. Sie beide befinden sich unter Wasser in einem Auto, und auch Maja schließt mit ihrem Leben ab. Als sie einige Zeit später in einem Leichensack aufwacht, weiß sie selbst nicht so recht, wie ihr geschieht. Aufgrund der Warnung ihrer Mutter flieht sie überstürzt aus dem Krankenhaus und versucht bei ihrem Freund Daniel, Antworten zu finden. Das Tempo ist rasant, die Kapitel kurz und aus unterschiedlichen Perspektiven geschrieben.

Eine ganze Weile versteht man als Leser nicht, was überhaupt passiert ist und worum sich die ganze Geschichte dreht. Klar ist, dass es Personen gibt, die bereit sind, über Leichen zu gehen. Nur langsam gibt es erste Hinweise, während kurze, spannende Szenen einander jagen. Für Innehalten, Reflexion und Trauer bleibt wenig Zeit. Ich flog geradezu durch die Seiten, während sich allmählich ein Bild ergab. Ab einem gewissen Punkt setzen Rückblenden ein, die zusätzlichen Kontext zu Geschehen geben.

Das Buch gibt in Sachen Tempo und Spannung alles, konnte mich im Hinblick auf die Aufarbeitung des Kernthemas aber nur mäßig überzeugen. Die Idee ist wissenschaftlich aufgezogen und spricht wichtige politische Themen an. Ich hätte mir aber noch mehr Informationen gewünscht und fand insbesondere die Verarbeitung des Themas Sex merkwürdig. Die angekündigten Naturkatastrophen spielen eher eine Nebenrolle, hieraus hätte man meiner Meinung noch mehr machen können. Die Entwicklungen zum Ende hin punkten vor allem in Sachen Dramatik.

„Aus schwarzem Wasser“ ist ein dystopischer Sci-Fi Thriller, dessen Stärke die gelungene Spannungskurve ist, während ich mir von der Story mehr versprochen habe.

Veröffentlicht am 30.08.2020

Eine bewegende und emotionale Nacherzählung des 11. September 2001

Und auf einmal diese Stille
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Der 11. September 2001 ist ein Tag, an den sich fast jeder, der damals schon auf der Welt war, erinnern kann. Ich selbst war 10 Jahre alt und hörte im Radio auf dem Heimweg von der Schule von einem Anschlag ...

Der 11. September 2001 ist ein Tag, an den sich fast jeder, der damals schon auf der Welt war, erinnern kann. Ich selbst war 10 Jahre alt und hörte im Radio auf dem Heimweg von der Schule von einem Anschlag auf das World Trade Center in New York. Als die Türme einstürzten, hatten wir zu Hause gerade den Fernseher angeschaltet. Wie aber haben Menschen den Tag erlebt, die von den Anschlägen unmittelbar betroffen waren?

Garrett M. Graff hat unzählige Augenzeugenberichte und Aufzeichnungen aus Oral-History-Projekten gesichtet und diese um zahlreiche eigene Interviews ergänzt. Daraus ist dieses Buch entstanden, dass den Leser detailliert durch den Tag führt und an viele unterschiedliche Orte des Geschehens mitnimmt. Die Flugzeugentführungen werden rekapituliert und durch Tonaufzeichnungen sowie Erinnerungen der Personen, mit denen die Passagiere telefoniert haben, erhält man einen Eindruck, was an Bord passiert ist. Überlebende, die insbesondere aus den höheren Etagen des World Trade Center fliehen konnten, kommen zu Wort und berichten von den Einschlägen und ihrem Weg ins Freie. Feuerwehrleute nehmen den umgekehrten Weg, um weitere Menschen zu retten, viele von ihnen kommen beim Einsturz der Türme ums Leben.

Das Buch ist eine bedrückende Lektüre. Die Überlebenden berichten von den grauenhaften Dingen, die sie gesehen und erlebt haben. Gleichzeitig gibt es auch viele beeindruckende Geschichten über Zivilisten und Helfer von Feuerwehr und Polizei, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens anderen geholfen und sie damit gerettet haben. Gleichzeitig begreift man, wie unübersichtlich die Lage vor Ort war. Viele wussten nicht, was überhaupt geschehen war und nur wenige rechneten damit, dass die Türme wirklich einstürzen könnten.

Das Buch blickt aber nicht nur auf die Ereignisse rund um das World Trade Center, sondern berichtet auch vom Geschehen in Washington D.C. und dem angrenzend liegenden Pentagon, wo das dritte Flugzeug einschlug. Die vierte Flugzeugentführung wird ebenfalls thematisiert. Zudem erfährt man einiges über die Handlungen und Entscheidungen der Politik, des Militärs und der Geheimdienste. Der Tag von George W. Bush wird ausführlich geschildert, und auch die Erinnerungen des damaligen Verteidigungsminister Rumsfeld sowie der damaligen Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und ihrer Mitarbeiter sind abgedruckt.

In Summe erhält man eine bewegende und emotionale Chronik des 9. September 2001, in der zahlreiche persönliche Erinnerungen ihren Platz gefunden haben und gleichzeitig eine verständliche Einordnung ins Gesamtgeschehen stattfindet. „Und auf einmal diese Stille“ ist ein gelungener Beitrag dazu, die schlimmen Ereignisse ebenso wie die kleinen und großen Heldentaten an diesem Tag nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und auch zukünftigen Generationen ein Nachvollziehen zu ermöglichen.