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Veröffentlicht am 08.04.2018

Gelungener Roman auf zwei Zeitebenen mit einigen Geheimnissen

Das Geheimnis der Muse
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London, 1967: Odelle Bastien ist mit großen Hoffnungen von Trinidad nach London gekommen, doch trotz ihrer ausgezeichneten Bildung sehen potentielle Arbeitgeber meist nur ihre schwarze Hautfarbe. Sie arbeitet ...

London, 1967: Odelle Bastien ist mit großen Hoffnungen von Trinidad nach London gekommen, doch trotz ihrer ausgezeichneten Bildung sehen potentielle Arbeitgeber meist nur ihre schwarze Hautfarbe. Sie arbeitet in einem Schuhgeschäft, bis sie endlich eine Chance erhält: Sie wird am Skelton Institute als Schreibkraft eingestellt. Bei der Hochzeitsfeier ihrer besten Freundin lernt sie Lawrence kennen, dem seine kürzlich verstorbene Mutter nur ein Gemälde vermacht hat. Doch als er dieses Odelles Arbeitgeber zeigt, sorgt das für einige Aufregung.

Andalusien, 1936: Olive ist mit ihren Eltern gerade erst von London in ein Herrenhaus in Südspanien gezogen. Ihr Vater ist als Kunsthändler ständig unterwegs, ihre Mutter psychisch angeschlagen und unberechenbar. Ihre heimliche Leidenschaft ist das Malen, denn in den Augen ihres Vaters können nur Männer Kunst schaffen. In der Haushälterin Teresa findet sie bald eine Freundin, während deren Bruder Olive von der ersten Minute an fasziniert.

Zu Beginn nimmt sich das Buch Zeit, die beiden Protagonistinnen Odelle und Olive ausführlich vorzustellen. Odelle hat es als Einwanderin aus der Karibik im London der 60er trotz der Bildung, die sie genossen hat, nicht einfach. Doch mit Marjorie Quick und der Stelle im Skelton wendet sich das Blatt für sie. Olive hingegen muss sich in einem südspanischen Dorf der 30er einleben, nachdem sie bislang vor allem in Großstädten unterwegs war. Die beiden Handlungsorte stehen im Kontrast zueinander und die Geschichte springt regelmäßig zwischen den Zeitebenen hin und her.

Der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist ein Gemälde, das Odelles Freund Lawrence zum Skelton Institute bringt. Ist das etwa ein verschollenes Bild von Isaac Robles? Genau diesen lernt Olive kurz nach ihren Eintreffen in Andalusien kennen. Was ist die Geschichte des Bildes, und wie verbindet es die Schicksale von Odelle und Olive? Meine Neugier war geweckt. Auf beiden Zeitebenen taucht man immer tiefer in das Leben der Protagonistinnen ein und erfährt mehr über ihre Wünsche und Ängste. Der Autorin ist es gelungen, die beiden ganz unterschiedlichen Atmosphären einzufangen und in Kontrast zu setzen.

Odelle fühlte ich mich schnell nahe. Sie merkt schon bald, dass ihr Dinge verschwiegen werden und zeigt Entschlusskraft bei ihren Versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen. Olive hingegen blieb für mich ein wenig rätselhaft. Mit ihrer egozentrischen Denkweise fällt es ihr schwer, die Konsequenzen ihres Handelns abzusehen. Immer tiefer verstrickt sie sich in Lügen und Geheimnisse, während es politisch brodelt. Der Bürgerkrieg steht kurz bevor, und unter diesen Bedingungen verhält sich Isaac als Objekt ihrer Begierde und Teil ihrer Geheimnisse überhaupt nicht so, wie sie es sich wünschen würde.

Die Situation spitzt sich auf beiden Zeitebenen immer weiter zu. Als Leser erhält man immer mehr Hinweise, die allmählich ein Gesamtbild entstehen lassen. Zu diesem tragen beide Handlungsstränge gleichermaßen bei, was mir gefallen hat. Ich hatte nie das Gefühl, gerade lieber in der anderen Zeit unterwegs sein zu wollen, denn beide waren auf ihre Weise interessant und wichtig, um das Geschehene und dessen Konsequenzen zu begreifen. Alle drängenden Fragen werden schließlich beantwortet und die Geschichte konnte mich bis zum Schluss immer wieder überraschen.

In „Das Geheimnis der Muse“ lernt man zwei ganz unterschiedliche Frauen kennen. Vom London der 60er, in der Odelle ihre Chance als Schreibkraft im Skelton Institute nutzen will, geht es ins schwüle Spanien der 30er kurz vor dem Bürgerkrieg, um an der Seite von Olive mehr über das rätselhafte Gemälde zu erfahren, das am Skelton für Aufregung sorgt. Ein gelungener Roman über Geheimnisse, Leidenschaft und Entschlossenheit mit starken Frauenfiguren, den ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 08.04.2018

Ein Mord beim Marathon

Château Mort
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Luc Verlain genießt gemeinsam mit seinem Pariser Kollegen und Freund Yacine den Sommer im Aquitaine. Gemeinsam wollen die beiden beim bekannten „Marathon du Médoc“, bei dem viele Läufer verkleidet auf ...

Luc Verlain genießt gemeinsam mit seinem Pariser Kollegen und Freund Yacine den Sommer im Aquitaine. Gemeinsam wollen die beiden beim bekannten „Marathon du Médoc“, bei dem viele Läufer verkleidet auf die Strecke gehen und an den Pausenständen Wein ausgeschenkt wird, als Streckenposten arbeiten. Doch dann kommt es zu einem fatalen Zwischenfall: Der Unterpräfekt bricht mitten im Lauf zusammen und muss wiederbelebt werden. Wenige Minuten später trifft es auch den Winzer Hubert de Langeville, bei dem jede Hilfe zu spät kommt. Beide haben kurz zuvor am Pausenstand des Winzers Richard gerastet, der ein alter Freund von Luc ist. Kann Luc herausfinden, was dahinter steckt?

Im letzten Jahr habe ich bereits den ersten Fall für Luc Verlain, „Retour“, gelesen, und war nun neugierig, was den Kommissar bei seinem nächsten Fall erwartet. Rund zwei Monate sind im Buch seit dem ersten Fall vergangen und es ist Hochsommer geworden. Luc nutzt die ruhige Zeit, um gemeinsam mit seinem Pariser Freund Yacine den Sommer feiernd zu genießen. Und obwohl die Surflehrerin Cecilia fast jede Nacht zu ihm kommt geht ihm Anouk nicht aus dem Kopf, die nach ihrem Kuss in ihre Heimat gereist ist.

Die ganze Region fiebert dem „Marathon du Médoc“ entgegen, einem Großereignis mit buntem Treiben, bei dem natürlich auch Luc aushilft. Doch als beim Lauf der Unterpräfekt zusammenbricht und der Winzer Hubert de Langeville auf der Strecke stirbt, sind seine Ermittlungskünste gefragt. Dabei wird er von Yacine unterstützt, aber auch von Anouk, die kurz vor dem Zwischenfall zurückgekehrt ist.

Der Verdacht, dass es sich um Mord handelt, ist schnell bestätigt. Luc findet sich in einer emotionalen Zwickmühle wieder, denn sein alter Freund Richard ist der Hauptverdächtige: An seinem Stand machten beide Opfer zuletzt Rast. Außerdem hat er Luc noch am Vorabend erzählt, dass er de Langevilles Weingut kaufen will, dieser aber in letzter Sekunde einen Rückzieher machen wollte. Luc gibt sich mit dieser naheliegenden Erklärung nicht zufrieden und beginnt, in alle Richtungen nachzuforschen. Dabei macht er bald überraschende Entdeckungen, was Hubert de Langeville angeht. Leiten sich aus diesen neue Motive anderer Personen ab, oder führt alles doch wieder nur zum Ursprung zurück?

Die atmosphärischen Beschreibungen der Landschaft und des guten Weins machen beim Lesen Lust auf einen Besuch im Aquitaine. Der Tonfall bleibt trotz des Mordfalls eher locker. Im Vergleich zum ersten Fall hat mir der Spannungsbogen in diesem Buch deutlich besser gefallen. Es werden viele Befragungen durchgeführt, die stückweise neue Informationen und Erkenntnisse liefern. Gleichzeitig geht es immer wieder auch darum, wie es für Luc und Anouk weitergeht. Für einen Krimi nahmen mir Lucs Frauengeschichten und die Frage, warum er immer einen Rückzieher macht, wenn es ernst wird, aber zu viel Raum ein. Die Auflösung fand ich zudem recht weit hergeholt.

In „Château Mort“ brechen während des bekannten „Marathon du Médoc“ zwei Läufer auf der Strecke zusammen – der Unterpräfekt kann gerettet werden, doch der Winzer Hubert de Langeville verstirbt. Besonders brisant für Luc ist diesmal, dass ein alter Freund der Hauptverdächtige ist. Mir haben die atmosphärischen Beschreibungen gefallen, und im Vergleich zum ersten Fall hat sich der Autor in Sachen Dramaturgie steigern können. Ich vergebe vier Sterne und eine Leseempfehlung für Frankreich- & Krimi-Fans!

Veröffentlicht am 08.04.2018

YouTube-Videos von heute in einer internetlosen Zukunft

Serverland
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In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhundert hat Reiner, der bei der Post arbeitet, ein recht spezielles Hobby: Er sammelt alte Computer und spielt auf denen mit halbwegs funktionstüchtigem Akku alte Spiele. ...

In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhundert hat Reiner, der bei der Post arbeitet, ein recht spezielles Hobby: Er sammelt alte Computer und spielt auf denen mit halbwegs funktionstüchtigem Akku alte Spiele. Für den Rest der Bevölkerung handelt es sich bei diesen Geräten nur noch um Elektroschrott, denn das Internet wurde vor Jahrzehnten abgeschaltet. Doch dann wird Reiner von einem Schulfreund kontaktiert, der ihm zeigt, dass es noch immer stillgelegte Serverhallen gibt. Reiner gelingt es, eine Verbindung zu den Servern herzustellen und YouTube-Videos aus unserer Zeit abzuspielen.

Wie blicken Menschen in etwa sechzig Jahren auf Videos von heute, wenn sie diese Art des unbegrenzten Teilens per Mausklick nicht mehr kennen? Das Buch verspricht ein interessantes Gedankenexperiment zu dieser Frage. Zu Beginn lernt man den Protagonisten Reiner kennen, dessen Leben nicht sonderlich aufregend ist. In seiner Freizeit widmet er sich ganz seinen gesammelten Computern und den Spielen, die er auf einigen davon spielen kann. Bald wird er von einem alten Schulfreund kontaktiert, der ihn mitnimmt zu alten Servern und ihn fragt, ob er die Verbindung zu ihnen herstellen kann. Reiner bejaht. Einige Zeit später fahren sie einer noch größeren Serverhalle, wo Reiner das Vorhaben in die Tat umsetzt und eine App schreibt, die das auch anderen ermöglicht.

Bei mir hat die Handlung zahlreiche Fragen aufgeworfen, auf die keine Antwort gegeben wird: Warum wurde das Internet abgestellt? Warum hat sich ansonsten rein gar nichts verändert? Woher weiß Meyer von den Serverhallen? Warum ist sonst noch keiner auf die Idee gekommen, eine Verbindung zu den Servern herzustellen? Warum sind Computer Elektroschrott, wenn man auf ihnen noch Spiele spielen kann? Wie haben Menschen aus aller Herren Länder ohne Internet davon erfahren, was in der Serverhalle vor sich geht? Was läuft im zensierten Fernsehen, wenn die gefundenen Videos so anders sind? Das sind nur einige Beispiele für all die Fragen, mit denen man als Leser allein gelassen wird.

Die Charaktere erhalten wenig Tiefe, ich hätte gern mehr über ihre Motivation erfahren. Stattdessen stehen Partys, Alkohol und Drogen im Vordergrund. Immer mehr Menschen kommen zur Serverhalle und es entsteht eine Art Kommune, in der nur wenige sich wirklich für die gefundenen Videos interessieren. So bleibt für diese in dem ohnehin schon kurzen Buch wenig Platz. Man unterhält sich über einige Videos, die hinten im Buch auch zum Nachschauen mit Link angegeben sind, doch die Reaktion ist meist irgendwo zwischen „Cool“, „Schräg“, „Heftig“ oder „Warum hat man so was mit der Welt geteilt?“. Mir hat sich bis zum Schluss leider nicht erschlossen, was die Botschaft des Buchs sein soll.

„Serverland“ basiert auf der Idee, das in einer Zukunft ohne Internet YouTube-Videos von heute gefunden werden. Es ist eine interessante Idee, die jedoch nicht konsequent weitergedacht wurde und viel zu unkonkret bleibt. Das Setting wird so grob skizziert, sodass ich mich nicht gut in die Welt von Reiner eindenken konnte. Auch er selbst bleibt als Charakter blass. Nach hundertsechzig Seiten habe ich dieses schmale Buch mit einem großen Fragezeigen im Kopf beendet.

Veröffentlicht am 08.04.2018

Einfühlsamer Roman über Familie, Freundschaft und Geheimnisse

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
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Die fünfzehnjährige June hat eine enge Beziehung zu ihrem Patenonkel Finn. Sie liebt es, etwas gemeinsam mit ihm zu übernehmen, zum Beispiel zu The Cloisters zu gehen und sich dort ungewöhnliche Kunstwerke ...

Die fünfzehnjährige June hat eine enge Beziehung zu ihrem Patenonkel Finn. Sie liebt es, etwas gemeinsam mit ihm zu übernehmen, zum Beispiel zu The Cloisters zu gehen und sich dort ungewöhnliche Kunstwerke anzuschauen. Doch Finn ist krank, er wird bald an AIDS sterben. Als es so weit ist, stürzt June in tiefe Trauer. Doch bald muss sie feststellen, dass ihr entscheidende Dinge vorenthalten wurden. In Finns Apartment wohnt nun sein „spezieller Freund“, der von der Familie als Verantwortlicher für Finns Krankheit zur Persona non grata erklärt wurde. Wer ist dieser schlaksige Kerl, der unbeholfen Kontakt aufnehmen will? June ist neugierig und beschließt, heimlich mehr darüber herauszufinden.

Insbesondere der ungewöhnliche Titel hat mich auf die Lektüre neugierig gemacht. Es ist der Titel des Portraits, das Finn kurz vor seinem Tod von June und ihrer Schwester Greta anfertigt. Dafür fahren sie fast jeden Sonntag zu ihm. Während die Zeit für June kostbar ist, reagiert Greta zunehmend unwillig. Einst waren die beiden unzertrennlich, doch inzwischen scheint Greta einfach kein Verständnis mehr dafür zu haben, was June wichtig ist.

Nach kurzer Zeit stirbt Finn an AIDS. Auf der Beerdigung sieht June einen Mann, der sich bewusst im Hintergrund hält und dem ihre Familie deutlich zeigt, dass er unerwünscht ist. Greta scheint mehr über das Warum zu wissen, nur June ist nicht eingeweiht. Ich konnte ihren Wunsch verstehen, mehr darüber hinausfinden zu wollen, gleichzeitig ihre Unsicherheit, auf einen Fremden zuzugehen.

Als es schließlich zu einem Gespräch mit ihm kommt erhält sie ein ganz neues Bild von ihrem Patenonkel Finn, der für sie so wichtig war. Wieso hat er ihr so viele entscheidende Dinge über sein Leben verschwiegen? Eine Erkenntnis ist für sie besonders schmerzhaft: Die wichtigste Person in Finns Leben kannte sie gar nicht. June empfindet Toby, dem Fremden, gegenüber Skepsis und Neid. Doch mit jeder neuen Information, die sie erhält, wandelt sich langsam ihr Bild. Ist Toby die Hilfe, die sie braucht? Oder machen ihre Gespräche mit ihm alles nur noch schlimmer?

Das Thema AIDS war in den 80ern, in denen das Buch spielt, noch relativ neu. Es gab zahlreiche Spekulationen, wie genau man sich anstecken kann, dementsprechend groß war die Angst vor dieser unbekannten Krankheit und man ließ im Umgang mit Erkrankten Vorsicht walten. Auch ein Coming-Out war noch sehr viel heikler als heute. Das Buch setzt sich damit intensiv und gelungen auseinander.

Besonders kostbar für June sind ihre bittersüßen Erinnerungen an Momente mit Finn. Die beiden haben sich bei ihrem gemeinsamen Ausflügen zum Beispiel immer auf besondere Dinge in ihrer Umgebung aufmerksam gemacht und hatten bestimmte Orte wie The Cloisters, die sie immer wieder besucht haben. Eine wichtige Rolle spielt auch die Beziehung von June zu ihrer Schwester. Greta bietet ihr immer wieder gemeinsame Unternehmungen an, zeigt ihr dann aber doch wieder die kalte Schulter. Es ist keine leichte Zeit für die beiden Schwestern, die nicht wissen, ob sie einander lieben oder hassen sollen. Das Portrait der von ihnen, das Finn angefertigt hat, wird schließlich auf überraschende Weise zu einem Schlüsselelement.

„Sag den Wölfen ich bin zu Hause“ erzählt auf behutsame und berührende Weise von June, die ihren geliebten Patenonkel an AIDS verliert. Als Leser konnte ich Junes Gefühle gut nachvollziehen – ihre Trauer, ihre Unsicherheit dem Fremden gegenüber, der Finn so gut zu kennen schien, und ihre Entschlossenheit, sich nicht ohne Erklärung zufrieden zu geben. Das Buch thematisiert einfühlsam die Bedeutung von Familie und Freundschaft auf verschiedenen Ebenen und stimmte mich nachdenklich in Bezug auf die Frage, was es auslösen kann, Dinge zu verschweigen. Gedanklich wird mich die Geschichte sicherlich noch länger begleiten. Für mich ist sie ein Lesehighlight, das ich klar weiterempfehle.

Veröffentlicht am 08.04.2018

Drei willensstarke Frauen und ihre Geschichte

Der Zopf
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Smita, Giulia und Sarah sind Frauen aus drei ganz verschiedenen Welten. Smita ist eine Dalit, eine Unberührbare, die die Latrinen der anderen Dorfbewohner mit bloßen Händen leeren muss und sich für ihre ...

Smita, Giulia und Sarah sind Frauen aus drei ganz verschiedenen Welten. Smita ist eine Dalit, eine Unberührbare, die die Latrinen der anderen Dorfbewohner mit bloßen Händen leeren muss und sich für ihre Tochter eine andere Zukunft wünscht. Giulias Vater besitzt eine Perückenfabrik in Palermo und sie interessiert sich als einzige seiner Nachfahren für dieses in Italien aussterbende Handwerk. Und Sarah arbeitet als erfolgreiche Anwältin in Montreal und steht kurz davor, zur Teilhaberin ernannt zu werden. Für dieses große Ziel tut sie seit Jahren alles, um ihre Kollegen vergessen zu lassen, dass sie eine dreifache Mutter ist. Alle drei Frauen haben etwas, für das zu kämpfen sie bereit sind. Ein Zopf wird ihre Schicksale verbinden.

Das Cover fällt mit seinen goldenen Akzenten und dem Zopf, der gerade geflechtet wird, sofort ins Auge. Ich war neugierig, die drei Protagonistinnen und ihre Leben kennenzulernen. Der Prolog ist ein Gedicht, in dem eine Perückenmacherin zu Wort kommt, die durch ihr Handwerk nicht nur Haare, sondern auch Leben verwebt. Sie wird auch später noch einmal zu Wort kommen und so einen nachdenklich stimmenden Rahmen für die Geschichte bilden.

In kurzen Kapiteln blickt der Leser abwechselnd auf die Schicksale von Smita, Giulia und Sarah. Durch die schnellen Wechsel ist der Kontrast zwischen ihren Leben umso größer. Allen dreien wurde ein Platz in der Welt zugewiesen, doch sie sind nicht bereit, andere darüber bestimmen zu lassen, wie es für sie weitergeht. Für Smitas Leben als Kloputzerin findet die Autorin unverblümte Worte. Smita ist fest entschlossen, ihrer Tochter einen anderen Weg zu ebnen. Doch ihr Umfeld sieht das anders. Ihr Weg ist nicht nur hart, sondern lebensgefährlich, und ich bangte mit ihr, ob ihr Plan erfolgreich sein wird.

Giulia und Sarah führen in der westlichen Welt ein bedeutend angenehmeres Leben. Doch auch sie werden vor Herausforderungen gestellt. Als Giulias Vater verunglückt steht die Frage im Raum, wie es mit der Fabrik weitergehen kann. Bei ihrer Recherche verliebt sie sich in einen Mann, der ganz anders ist, als ihre Familie es erwarten würde. Bei Sarahs Leben auf der Überholspur wurde mir schon beim Lesen beinahe schwindelig. Ihr Tag ist minutiös durchgetaktet, um genug Zeit für die Familie zu haben, sich das auf der Arbeit aber nicht anmerken zu lassen. Doch dann stößt sie an ihre Grenzen und gemeinsam mit ihr stellte ich erschreckt fest, wie rücksichtslos ihr Umfeld wirklich ist.

Alle drei Handlungsstränge haben mich auf ihre Weise berührt: Smita, die aus dem absoluten Elend entfliehen will; Giulia, die für die Zukunft des Familienbetriebs kämpft und auf ihr Herz hört und Sarah, die ihre Familie und ihren Körper zurückstellt, um Karriere in einem Haifischbecken zu machen. Es sind starke Protagonistinnen, die mich mit ihrer Entschlossenheit beeindrucken konnten und gleichzeitig Verletzlichkeit zeigen. Das verbindende Element habe ich recht früh erahnt, es hält die Geschichte gemeinsam mit den Worten der Perückenmacherin zusammen und bildet einen gelungen Abschluss, der Hoffnung gibt, aber auch Raum für Überlegungen lässt, wie der weitere Weg der drei Frauen aussehen wird.

Laetitia Colombani findet in „Der Zopf“ genau die richtigen Worte für die miteinander verwobenen Leben von Smita, Guilia und Sarah. Die wechselnden Perspektiven nach kurzen Kapiteln machen die Unterschiede umso deutlicher und übten einen Sog aus, der mich die Geschichte beinahe in einem Rutsch lesen ließ. Unbedingt lesen!