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Veröffentlicht am 15.09.2016

Eintauchen ins Paris des 19. Jahrhunderts

Der Turm der Welt
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Paris im Oktober 1889: Die große, spektakuläre Weltausstellung nähert sich ihrem Ende, und immer mehr hochrangige Besucher strömen in die Stadt. Darunter befindet sich auch Friedrich von Straten als Teil ...

Paris im Oktober 1889: Die große, spektakuläre Weltausstellung nähert sich ihrem Ende, und immer mehr hochrangige Besucher strömen in die Stadt. Darunter befindet sich auch Friedrich von Straten als Teil der deutschen Delegation, der auf einen Auftrag im Rahmen seiner Tätigkeit für den Geheimdienst wartet, und der Constable Basil Fitz-Edwards, der den Sohn des britischen Thronfolgers begleitet. Doch dann werden zwei Ermittler des französischen Gemeindienstes tot aufgefunden – durchbohrt von den riesigen Zeigern der Uhr eines französischen Erfinders, die um fünf vor zwölf zum Stehen kam. Eine klare Drohung – ein weiterer Vorfall in der Öffentlichkeit könnte Paris ins Chaos stürzen und den instabilen Frieden in Europa gefährden. Wird es dem Deuxième Bureau gelingen, die Verantwortlichen rechtzeitig zu finden? Und welche weiteren Parteien schmieden ihre Pläne während dieser turbulenten Tage?

Gleich auf den ersten Seiten des Buches kam Spannung auf, denn zwei Tote werden in der Maschinenhalle der Ausstellung gefunden, die eine deutliche Nachricht an das Deuxième Bureau senden: Die Sicherheit der Weltausstellung und ihrer Abschlussfeierlichkeiten ist bedroht. Meine Neugier, was in der Stadt vor sich geht und ein weiterer Vorfall verhindert werden kann, war schnell geweckt.

Im Folgenden lernt man eine ganze Reihe an Charakteren kennen, die in das Geschehen eingreifen werden. Die Erzählung springt schnell zwischen den verschiedenen Perspektiven hin und her, sodass eine hohe Dynamik entstand. Die Charaktere im Fokus sind zudem höchst unterschiedlich, was für Abwechslung sorgte. Da gibt es zum Beispiel eine einflussreiche Vicomtesse und ihre Tochter, Ermittler aus Frankreich, Deutschland und England, ein Fotograf, eine Kurtisane und eine Hotelinhaberin. Zu Beginn musste ich etwas blättern, um die Charaktere sortieren zu können, doch schon bald hatte ich den Überblick und es kommt zu ersten interessanten Verbindungen zwischen den einzelnen Erzählsträngen.

Obwohl auf den 700 Seiten nur zwei Tage erzählt werden, verflogen die Seiten im Nu. Das historische Paris wurde vor meinem inneren Auge lebendig. Dem Autor ist es gelungen, mit seiner ausführlichen Recherche die Atmosphäre greifbar zu machen, ohne mich mit Details zu langweilen. Immer wieder gibt es mehr oder weniger angenehme Überraschungen, die mal Fragen aufwerfen und mal welche beantworten. Cliffhanger zwischen den einzelnen kurzen Kapiteln machten beständig Lust, weiterzulesen.

Meine Favoriten unter den Charakteren wechselten regelmäßig und ich verbrachte an der Seite eines jedes gern meine Lesezeit. Besonders gut gefallen hat mir zum Beispiel das Ermittlerduo des Deuxième Bureau. Die aus dem Ruhestand zurückgekehrte, kratzbürstige Legende Alain mit ihren eigenwilligen Ermittlungsmethoden und der junge, motivierte Pierre gaben ein unterhaltsames unfreiwilliges Duo ab. Auch mit der Kurtisane Madeleine fieberte ich mit, ihre Bekanntschaften werden ihr bald zum Verhängnis, sie wird zum Spielball eines Unbekannten und muss entscheiden, welches Wagnis das größere Übel ist.

Während aller Kapitel läuft beständig ein Countdown, der die Zeit bis zum Ende der Weltausstellung anzeigt. Was wird dann geschehen? Wird es eine heitere Abschlussfeier oder passiert etwas Schreckliches? Auch auf dem Weg dorthin gibt es immer wieder Highlights in Form von spektakulären sowie psychologischen Spannungsmomenten. Zum Schluss hin wurden schließlich die meisten der aufgeworfenen Fragen zu meiner Zufriedenheit beantwortet und ich erlebte den Abschluss als überaus passend.

„Der Turm der Welt“ lässt das historische Paris des 19. Jahrhunderts lebendig werden. An der Seite von verschiedensten Charakteren las ich mich durch Ermittlungen, Verstrickungen und Geheimnisse. Während die Brisanz der Situation stets gegenwärtig ist, ergab sich für mich nach und nach aus den zahlreichen Einzelsträngen ein großes Bild und immer mehr Puzzlestücke fielen an ihrem Platz. Mich hat die Geschichte bestens unterhalten, historisch interessierte Leser sollten sich diesen vielschichtigen Roman nicht entgehen lassen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Nach der Zerstörung Großbritanniens kämpft sich Ed durch das verwüstete Land

Am Ende aller Zeiten
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Edgar Hill ist fünfunddreißig und strengt sich im Leben nicht sonderlich an. Als Vater zweier Kinder überlässt er die meisten Familienaufgaben seiner Frau, hat im Laufe der Jahre deutlich an Gewicht zugelegt ...

Edgar Hill ist fünfunddreißig und strengt sich im Leben nicht sonderlich an. Als Vater zweier Kinder überlässt er die meisten Familienaufgaben seiner Frau, hat im Laufe der Jahre deutlich an Gewicht zugelegt und sitzt in seinem Job die Zeit ab. Die Warnung vor Asteroideneinschlägen hört er mitten in der Nacht in betrunkenem Zustand, kurz bevor er einschläft – und kann sich mit seiner Familie wenige Stunden später erst im allerletzten Moment in den schützenden Keller retten. Doch jetzt ist das Leben ein anderes, Großbritannien ist völlig zerstört, er und seine Familie kämpfen ums Überleben. Als Ed zur falschen Zeit am falschen Ort ist, wird er von seiner Familie getrennt. Wenn er sie jemals wiedersehen will, dann muss er in wenigen Wochen das verwüstete Land durchqueren, von Schottland bis Cornwall. Wird Ed über sich hinauswachsen und sein Ziel rechtzeitig erreichen?

Mit FISCHER Tor geht in diesem Sommer ein neuer Programmbereich der S. Fischer Verlage an den Start. Neugierig habe ich mich durch das erste Verlagsprogramm geblättert, und dabei ist mir gleich „Am Ende aller Zeiten“ ins Auge gefallen. Das Buch klang nach einem spannenden Endzeitroman, in welchem der Protagonist über sich hinauswachsen muss. Gespannt, ob ihm das gelingen wird, startete ich mit der Lektüre.

Der Ed, den ich zu Beginn des Buches kennenlernte, war alles andere als ein Vorzeigevater. Er gibt selbst zu, seiner Frau die meisten Aufgaben in der Familie zu überlassen, mit Verweis auf seinen Job, in dem er sich aber auch nicht sonderlich anstrengt. Sonderlich sympathisch wurde mir Ed also erst einmal nicht. Nach diesem kurzen Kennenlernen bricht auch schon die Hölle los, Asteroiden schlagen ein und verwüsten das ganze Land. Hier kam schnell Endzeitstimmung auf. Minuten vor dem Einschlag spielen sich dramatische Szenen ab, Menschen werden panisch und aggressiv. Diese Szenen waren erschreckend, und ich bangte mit, ob Ed und seine ganze Familie das Drama überleben werden.

Ich fand es gut, dass der Roman nicht allzu lang in der Phase unmittelbar nach den Einschlägen verweilt. Statt eines ausführlichen Countdowns der verbleibenden Nahrungs- und Wasserressourcen beschreibt der Autor die Zeit im Keller in hohem Tempo und bringt den Autor bald in eine ganz neue Umgebung. Hier lernt man auch weitere Überlebende kennen und schließlich kommt es zu der schon im Klappentext vorweggenommenen Trennung von Ed und seiner Familie.

Ed, der sich auch nach der Katastrophe nicht allzu intensiv um seine Familie gekümmert hat, dessen Beziehung zu seiner Frau ich als abgekühlt erlebte, muss sich nun fragen, was er eigentlich will. Endlich kommt er zu dem Schluss, der ihn mir gleich viel sympathischer machte: Dass ihm seine Familie wirklich sehr am Herzen liegt, auch wenn er es bislang nicht gezeigt hat. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits ein gutes Viertel des Buches gelesen und schon so einiges passiert, aber eigentlich geht es hier erst richtig los.

Was folgt, ist ein anstrengender Weg quer durch das verwüstete Großbritannien. Gemeinsam mit anderen Überlebenden macht sich Ed auf den Weg. Nicht nur die zerstörten Straßen sind eine Herausforderung, sondern auch Begegnungen mit anderen Überlebenden. Sind sie feindlich gesinnt oder friedfertig? Und wem kann man innerhalb der Gruppe vertrauen? Ed und seine Freunde agieren wiederholt recht naiv und begegnen einigen sehr speziellen Gestalten. Immer wieder kommt es zu dramatischen Szenen, in denen weitere Tote zu beklagen sind. Die Beschreibungen von Kämpfen und Verletzungen sind eher oberflächlich, sodass es nicht allzu brutal und eklig wurde.

Etwas vermisst habe ich in diesem Buch ein innovatives, hervorstechendes Element. Durch den Wettkampf mit der Zeit wird die Spannung immer weiter erhöht, doch ich hatte das Gefühl, dass ich die meisten von Eds Erlebnissen in ähnlicher Weise schon mal in anderen Endzeitromanen gelesen habe. Das Buch beinhaltet viele klassische Elemente, weshalb es meiner Meinung nach ein gutes Buch für den Einstieg ins Genre ist. Auch das Ende als Spannungshöhepunkt bedient sich einiger Klischees, für mich ist der Autor hier in Sachen Drama über das Ziel hinausgeschossen. Schließlich lässt das Ende bewusst einige Fragen offen, was meiner Meinung nach gut zur Geschichte passte und Raum für eigene Gedanken ließ.

In „Am Ende aller Zeiten“ erlebt der nicht sonderlich ambitionierte Ed die Verwüstung seiner Heimat. In der Zeit nach der Katastrophe muss er über sich hinauswachsen und kämpft sich quer durch das verwüstete Land. Trotz vieler klassischer, wenig innovativer Elemente fieberte ich mit, ob er sein Ziel erreichen wird. Besonders gut gefallen hat mir die charakterliche Wandlung, die Ed durchmacht. Sehr gern empfehle ich das Buch weiter, vor allem an Einsteiger in das Genre Endzeitroman.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Alt sein heißt nicht, dass man nichts mehr erleben darf

Eierlikörtage
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Würde man Freunde und Bekannte nach Eigenschaften von Hendrik Groen fragen, dann wäre die Antwort wohl, dass er stets höflich und hilfsbereit ist. Doch Hendrik, 83 Jahre alt und Bewohner eines Altenheims ...

Würde man Freunde und Bekannte nach Eigenschaften von Hendrik Groen fragen, dann wäre die Antwort wohl, dass er stets höflich und hilfsbereit ist. Doch Hendrik, 83 Jahre alt und Bewohner eines Altenheims in Amsterdam-Nord, hat davon allmählich genug. Er beschließt, ein Jahr lang Tagebuch zu schreiben, um sein braves Ich jeden Tag für einige Zeit hinter sich zu lassen und endlich mal einen unzensierten Blick auf sein Leben und seine Gedanken zu geben. Er erzählt von unmöglichen Macken anderer Heimbewohner, willkürlichen Regeln der Heimleitung und dem langsamen Verschleiß seines Körpers. Doch auch von tollen Freundschaften, kleinen Momenten der Freude und der wichtigen Erkenntnis: Alt sein heißt nicht, dass man nichts mehr erleben darf.

Auf dem Cover blickt dem Leser ein älterer Mann entgegen, mit gepflegtem Haar und ordentlicher Kleidung. Für mich eine gelungene Skizzierung des Hendriks, den ich in Form seines Tagebuchs kennenlernen durfte. Vom 1. Januar bis 31. Dezember 2013 verweilt der Leser an seiner Seite und begleitet ihn durch beinahe jeden Tag. Hendrik lebt schon seit einiger Zeit in einem Altersheim und hat niemanden, der ihn regelmäßig besuchen kommen würde. Am liebsten verbringt er seine Zeit daher mit kleinen Spaziergängen oder gemeinsam mit seinen Freunden. Doch auch um Menschen, mit denen er nicht so gern Kontakt hat, kommt er bei den gemeinsamen Mahlzeiten im Heim einfach nicht herum und belauscht so manches skurriles Gespräch.

Von Beginn an gefiel mir der Tonfall, den Hendrik anschlägt: Von seinen täglichen Erlebnissen erzählt er mit einem Augenzwinkern und einer guten Portion Sarkasmus. Mit seinem Charme konnte er mich schnell begeistern und ich freute mich auf unterhaltsame Anekdoten. Hendrik weiß allerdings auch, wann ernste Worte angebracht sind oder er Gefühlen wie Wut oder Enttäuschung einfach mal freien Lauf lassen kann. Ein witziges Highlight gleich zu Beginn war sein unbedachtes Entsorgen ungenießbarer Kekse im Aquarium, das dank der absichtlichen Nachahmung durch seinen Freunds Evert rasch eine mittelgroße Krise im Heim auslöste. Auch Zwischenfälle bei den Mahlzeiten oder Hendriks Beobachtungen der Marotten einiger Bewohner konnten mir immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern.

Etwas Besonderes war dieses Buch für mich, weil es nicht nur Humor bietet, sondern einen recht unzensierten Einblick in den Alltag eines Mannes jenseits der 80. Hendrik denkt ziemlich pragmatisch, er spricht Themen wie Inkontinenz, schwindende Mobilität und Gedanken zum Thema Sterbehilfe auf den Seiten seines Tagebuchs offen an und brachte mich zum Nachdenken. Dazu muss gesagt werden, dass der niederländische Autor des Buches selbst ebenso wenig über 80 Jahre alt ist wie die deutsche „Online-Omi“ Renate Bergmann. Dennoch erlebte ich den Charakter des Hendrik Groen als authentisch; ich bin überzeugt davon, dass es in den Altersheimen da draußen viele Männer wie Hendrik gibt. Immer wieder schildert er auch Marotten, die ich schon selbst bei älteren Verwandten beobachtet habe, zum Beispiel die Todesanzeigen durchzusehen und dann lautstark zu verkünden, welche entfernten Bekannten man nun wieder überlebt hat.

Die absoluten Höhepunkte für mich waren die Gründung des Clubs Alanito – Alt, aber nicht tot – und seine Ausflüge, die reihum von einem der acht Mitglieder organisiert wurden. Hier erleben Hendrik und seine Freunde einige tolle Überraschungen, und ich las neugierig weiter, weil ich wissen wollte, wohin der nächste Ausflug sie führen wird. Im Kontrast dazu stehen einige gesundheitliche Rückschläge, die in diesem Alter nicht ausbleiben. Diese trüben die Stimmung vorübergehend, doch ich bewunderte Hendriks Grundhaltung, dass man jeden Tag genießen soll, solange man das kann. So wird die Reise durchs Jahr an Hendriks Seite zu einer Berg- und Talfahrt voller Humor und Freundschaft, aber auch rührenden Momenten, in denen ich Hendrik gern gedrückt und eine Tasse Tee mit ihm getrunken hätte.

In „Eierlikörtage. Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 ¼ Jahre“ gibt der Protagonist ein Jahr lang Einblicke in seinen Alltag in einem niederländischen Altersheim. Das ist sehr oft unterhaltsam und kurzweilig, brachte mich aber auch ins Nachdenken und vergisst nicht, dass Einsamkeit, Krankheit und Tod in diesem Alter immer wieder zum Thema werden. Mit seiner positiven Grundhaltung und der Bereitschaft, auch mit 83 noch beständig Neues ausprobieren zu wollen, hat sich Hendrik Groen meine Sympathien gesichert. Ich vergebe deshalb eine klare Leseempfehlung an alle Altersgruppen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Delphines Freundschaft zur mysteriösen, faszinierenden L.

Nach einer wahren Geschichte
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Nachdem Delphine mit einem Buch über das Leben ihrer Mutter große Erfolge gefeiert hat, wäre es für sie nun an der Zeit, mit der Arbeit an einem neuen Werk zu beginnen. Zwar hat sie schon eine erste grobe ...

Nachdem Delphine mit einem Buch über das Leben ihrer Mutter große Erfolge gefeiert hat, wäre es für sie nun an der Zeit, mit der Arbeit an einem neuen Werk zu beginnen. Zwar hat sie schon eine erste grobe Idee, möchte wieder zur Fiktion zurückkehren. Doch der unerwartete Erfolg ihres letzten Buches hat bei ihr zu Müdigkeit und Überforderung geführt. Zu genau diesem Zeitpunkt lernt sie die faszinierende L. auf einer Party kennen. Sie arbeitet als Ghostwriter und wirbt schon bald höchst aktiv um ihre Freundschaft. Delphine, die sich von ihr verstanden fühlt und viele Gemeinsamkeiten entdeckt, geht diese neue Freundschaft nur zu gerne ein. Erst merkt sie nicht, dass L. zunehmend Einfluss auf sie ausübt – und dann ist es schon bald zu spät…

Im Prolog des Buches lernt man die Protagonistin Delphine kennen, die dem Leser ein erstaunliches Geständnis macht: Sie hat kurze Zeit nach dem Erscheinen ihres letzten Romans für drei Jahre kein Wort mehr geschrieben, reagierte ihr Körper doch mit heftigem Unwillen, sobald sie es versuchte. Diesen Zustand bringt sie mit dem Kennenlernen von L. in Verbindung, die ihr zu der Zeit begegnete, als sie eigentlich die Arbeit an einem neuen Buch hätte beginnen sollen. Diese ersten drei Seiten machten mich neugierig: Wie ist es zur Schreibunfähigkeit der Protagonistin gekommen? Und was hat das mit L. zu tun?

Im Folgenden nimmt Delphine den Leser mit in die Vergangenheit und beschreibt relativ chronologisch die Ereignisse ab dem Tag, vor dem sie L. kennenlernte. Der Trubel rund im ihr jüngstes Buch, das auf dem Leben ihrer Mutter basiert, hat sie ausgelaugt. In diesem Zustand hat L. leichtes Spiel, sie schleicht sich im Nu in Delphines leben, wird zur Freundin, zur besten Freundin, schließlich zur einzigen Freundin. Aus den Worten der Erzählung lässt sich herauslesen, wie schwer es Delphine noch immer fällt, davon zu berichten. Hier und da hat sie Erinnerungslücken, wiederholt Beobachtungen, die ihr wichtig erscheinen oder stellt Mutmaßungen an, da sie sich in Bezug auf einige Dinge noch immer nicht sicher ist. Immer wieder greift sie auch bewusst vor oder erzählt eine weiter zurückliegende Erinnerung, um einer bestimmten Szene zusätzliche Bedeutung zu geben.

Die Art und Weise der Erzählung lässt umfassende psychologische Einblicke in die Verfassung der Protagonistin zu und man begleitet sie auf der unausweichlich scheinenden Abwärtsspirale. L. bleibt hingegen mysteriös, nie ganz durchschaubar. Sie sondiert die Lage, wägt ab, traut sich immer weiter in Delphines Leben und sorgt gleichzeitig dafür, dass ihre Beziehung ein Geheimnis bleibt. Nach und nach wird dem Leser klar, wie meisterhaft, umfassend und erschreckend L.s Manuipulation ist. Wie viel davon hat sie tatsächlich schon lange im Voraus überaus sorgfältig vorbereitet?

Die Doppeldeutigkeit des Titels gefällt mir. Zum könnte es darauf hindeutet, dass sich zwischen den Buchdeckeln eine Erzählung basierend auf wahren Ereignissen verbirgt. Es könnte aber auch darauf anspielen, dass Delphine sich fragt, wie es für sie nach der Veröffentlichung ihres auf Tatsachen basierenden Buches weitergeht. Die Autorin spielt gelungen mit Realität und Fiktion, stellt die Trennung klar zur Frage. Wie viel Fiktion darf in einer wahren Geschichte stecken und umgekehrt? Was will das Publikum lieber lesen? Und schreibt ein Autor für sich selbst oder das Publikum? Diese Fragen laden zum Nachdenken ein. Gleichzeitig fühlte ich mich aber nicht dazu aufgefordert, beim Lesen dieser Autofiktion den Versuch zu unternehmen, wahre von fiktiven Aussagen zu trennen, sondern ließ den Roman als Ganzes auf mich wirken.

Das Tempo des Buches ist ruhig und die Erzählerin nimmt sich die Zeit, L.s schrittweises Eindringen in ihr Leben ausführlich zu beschreiben. Im Rückblick war dies nötig, um Delphines psychologische Entwicklung in ihrer Gänze zu verstehen. Für mich wurde das Buch noch etwas interessanter, als L. immer aktiver beginnt, in Delphines Leben einzudringen. Zum Ende hin wird schließlich noch einmal alles, was man zu wissen glaubte, in Frage gestellt. Ich habe eine solche Wendung erwartet, für mich schließt diese das Buch genau richtig ab.

In „Nach einer wahren Geschichte“ berichtet Delphine von ihrer Bekanntschaft zur mysteriösen, faszinierenden L. ihr zum Verhängnis wird. Schleichend nimmt L. immer stärker Einfluss auf Delphines Entscheidungen, was auf den ersten Blick lieb gemeint scheint stürzt sie schließlich in eine tiefe Krise. Mir hat dieser psychologische Roman, der verdeckte Manipulation und die Frage nach der Grenze zwischen Fiktion und Realität in den Mittelpunkt stellt, sehr gut gefallen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wird Mare ihre Pläne trotz Verfolgung umsetzen können?

Gläsernes Schwert (Die Farben des Blutes 2)
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Nach ihrer Flucht aus der Knochenarena wird Mare von König Maven gejagt, dem Mann, der ihr Vertrauen auf grausame Weise missbraucht hat. Begleitet wird sie von Cal, Farley, Kilorn und ihrem totgeglaubten ...

Nach ihrer Flucht aus der Knochenarena wird Mare von König Maven gejagt, dem Mann, der ihr Vertrauen auf grausame Weise missbraucht hat. Begleitet wird sie von Cal, Farley, Kilorn und ihrem totgeglaubten Bruder Shade. Durch Mavens Verrat ist das alte Versteck der scharlachroten Garde unbrauchbar geworden, doch mit Müh und Not können die Verbündeten sich in einen anderen Stützpunkt der Rebellen retten. Der dort befehlende Oberst ist von Mare und Cal allerdings nicht besonders angetan und verweigert seine Unterstützung, Mare beim Auffinden der Neublüter zu helfen. Kann Mare trotzdem ihre Pläne verwirklichen?

Das Buch ist von der ersten Seite an rasant und katapultiert den Leser mitten hinein in eine Verfolgungsjagd auf Leben und Tod. Da ich den ersten Teil vor einem guten Jahr gelesen habe, musste ich meine Kenntnisse noch einmal kurz auffrischen, wie es überhaupt zu dieser Jagd kam, doch im Nu war alles wieder da und ich stürzte mich voller Vorfreude in die Handlung. Die Action kommt wirklich nicht zu kurz und nach dem ersten großen Kampf war ich froh, kurz Luft zu holen und gemeinsam mit der Protagonistin die Lage zu sondieren.

Für Mare sieht es nach den jüngsten Ereignissen wirklich nicht gut aus. Mehrfach ist sie knapp dem Tod entronnen und darf sich nun gemeinsam mit Cal den Titel des Staatsfeindes Nr. 1 teilen, weshalb sie in Verborgenen agieren muss. Dennoch will sie unbedingt die anderen Neublüter, also Rote mit silbernen Fähigkeiten wie sie selbst, vor Maven retten. Bald formiert sich ein Team aus Verbündeten, das sich gemeinsam auf die Mission begibt. Die Zusammensetzung dieses Teams hat mir sehr gut gefallen. Den besonnenen Kilorn mag ich sehr, und Shade lockerte immer wieder die Atmosphäre auf. Auch Farleys sarkastische Art und Cals pragmatisches Vorgehen machten die Handlung interessant.

Mit Mare selbst erlebte ich in diesem Buch meine Hochs und Tiefs. Auf der einen Seite ist sie tough, lässt sich nicht unterkriegen und will ihre Pläne um jeden Preis umsetzen. Doch dann gibt es immer wieder Phasen, in denen sie sich selbst bemitleidet. Wieder und wieder betont sie, dass sie jetzt nicht mehr die Diebin aus den Stilts ist und auch nicht mehr die adelige Mareena, aber sie nie wieder wirklich frei sein kann, weil jeder sie als Blitzewerferin kennt. Dennoch hatte ich Respekt vor Mare, denn schließlich rappelt sie sich immer wieder auf und setzt auch unmöglich Erscheinendes um.

Die magische Welt der Reihe hat mir erneut sehr gut gefallen und es war interessant, weitere Neublüter mit bislang unbekannten Fähigkeiten kennenzulernen. Diese durften ihr Können auch gleich einsetzen, denn es wird heftig gekämpft in diesem Band. Immer wieder müssen sich Mare und ihre Freunde ihren Feinden entgegenstellen, dabei wird wenig geredet und viel verletzt und getötet. Als Actionliebhaberin kam ich hier voll auf meine Kosten. Trotzdem ich mir dazwischen etwas mehr positive Emotionen und Liebe gewünscht. So schläft Mare mehrfach neben einem Mann, betont dann aber, dass sie dabei viel zu müde für irgendetwas ist, und auch die Gefühle der beiden zueinander kommen nie explizit zur Sprache. Negative Gefühle wie Marens Wut auf Maven und ihre Trauer um die Gefallenen sind hingegen stets präsent, sodass die Atmosphäre insgesamt düster ist.

Die Reihe soll einmal vier Bände umfassen, und so hat die Autorin in diesem Band genug Zeit, sich einer großen Thematik zu widmen, ohne eine erneute 180-Grad-Wendung der Ereignisse vorzunehmen. Mir hat diese Phase von Mares Geschichte viel Spaß gemacht, auch wenn die Handlung hier und da noch etwas straffer hätte sein können. Zum Ende hin bietet die Autorin ein mitreißendes Finale, bei dem noch einmal alle Register gezogen werden und ich das Buch vor lauter Spannung nicht mehr aus der Hand legen wollte. Ein gemeiner Cliffhanger macht schließlich klar, dass Mares Kampf nun in eine neue Phase übergeht, auf deren Erzählung wir aber leider noch etwas warten müssen – in den USA ist Band 3 für 2017 angekündigt.

„Gläsernes Schwert“ ist eine actiongeladene Fortsetzung, in der Mare für die Rettung der Neublüter und ein Erstarken der Rebellion kämpft. Dank unterhaltsamer Verbündeter, mit denen sie unterwegs ist, wird die düstere Atmosphäre immer wieder kurzzeitig aufgehellt und die Seiten verflogen im Nu. Ein bisschen weniger Selbstmitleid auf Mares Seite und eine etwas straffere Erzählung wären das i-Tüpfelchen gewesen. Insgesamt hat mir diese Fortsetzung viel Spaß gemacht und ich freue mich schon riesig auf den nächsten Teil der Reihe!