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Veröffentlicht am 15.09.2016

Für Peter geht es raus auf's Land

Fingerhut-Sommer
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Nach den verhängnisvollen Ereignissen am Skygarden Tower musste Constable und Zauberlehrling Peter Grant eine schier unendliche Folge an Befragungen über sich ergehen lassen. Ein neuer Fall lässt ihn London ...

Nach den verhängnisvollen Ereignissen am Skygarden Tower musste Constable und Zauberlehrling Peter Grant eine schier unendliche Folge an Befragungen über sich ergehen lassen. Ein neuer Fall lässt ihn London nun für eine Weile den Rücken kehren: In Nord-Herefordshire werden zwei Mädchen vermisst. Die ersten Indizien deuten darauf hin, dass sie sich am späten Abend aus ihren Betten geschlichen und kurz darauf ihre Handys verloren haben, die defekt aufgefunden wurden. Nightingale schickt Peter raus aufs Land, um zu prüfen, ob es sich um eine Entführung mit magischem Hintergrund handelt. Dort begegnet er ländlichen Vorurteilen, einem in die Jahre gekommen Zauberer und lernt wieder so manches über die große, gefährliche und verrückte Welt der Magie…

Nach dem spannenden und offenen Abschluss von „Der böse Ort“ habe ich auf das Erscheinen des inzwischen fünften Buches der Peter Grant-Reihe regelrecht hingefiebert. Wie wird es nun für Peter weitergehen? Auf den ersten Seiten erwartete mich hier leider eine kleine Enttäuschung, denn die Aufarbeitung der Ereignisse wird nur kurz und am Rande erwähnt. Dann wird Peter auf der Basis eines vagen Verdachts von Nightingale, dass das Verschwinden der beiden Mädchen irgendetwas mit Magie zu tun hat, gleich aufs Land geschickt.

Zu Beginn wirkt Peters Auftrag wie eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Peter, um ihn von seinen schmerzhaften, frischen Erinnerungen abzulenken. Dass Peter der Abstand von London gut tut merkt man spätestens, als er proaktiv anbietet, tiefer in den Fall einzusteigen und bei der Ermittlung mitzumischen. Was folgt, ist der erste Fall für Peter Grant, in dem der Leser London nicht wiedersehen soll.

Die Handlung mal raus aus der Großstadt und auf’s Land zu verlegen bringt sicherlich frischen Wind in die Reihe. In meinen Augen hatte das sowohl vor- als auch Nachteile.

Pro: Der Leser lernt viele neue Charaktere kennen, so mancher davon ein klischeehafter und dadurch unfreiwillig unterhaltsamer Landbewohner. Besonders gefallen hat mir Dominic, der im Dorf einfach jeden kennt, sehr locker drauf ist und so manche skurrile Bekanntschaft pflegt. Auch für Beverley hat Peter endlich ausgiebig Zeit, worüber ich mich richtig gefreut habe. Und auch die Kategorie „magische Wesen, von denen du bislang keine Ahnung hattest“ kriegt vor der neuen Kulisse ordentlich Zuwachs. Hier hat der Autor seiner Kreativität wieder freien Lauf gelassen und überzeugt mit bislang unbekannten Wesen und Ereignissen, die mich bestens unterhalten konnten.

Contra: Zum Vorgänger sagte ich noch, dass es durchaus eine Herausforderung ist, einen Überblick über die vielen Handlungsstränge zu behalten. Doch das habe ich in dieser Reihe inzwischen zu schätzen gelernt, sodass mir aufgrund der Abwesenheit der zahlreichen Nebenhandlungen jetzt etwas fehlte. Nightingale hält sich stark im Hintergrund, ebenso wie eine ganze Reihe der anderen liebgewonnenen Nebencharaktere. Besonders schade fand ich, dass die Ereignisse rund um den Gesichtslosen diesmal kaum erwähnt und nicht vorangetrieben wurden. Stattdessen kommen alle Freunde von Wald und Wiesen hier voll auf ihre Kosten – für meinen Geschmack stapft Peter allerdings ein bisschen zu häufig durch die Landschaft.

Nach einem kreativ-verrückten Finale weist das Buch ein für die Reihe untypischerweise in sich abgeschlossenes Ende auf, was ich sehr gut fand. Ich hoffe, dass in Band 6 die bändeübergreifende Handlung wieder stärker vorangebracht wird. Ein neuer, magisch-abgedrehter Fall darf natürlich auch nicht fehlen. Das ist bei dieser Reihe ja die Hauptsache.

In „Fingerhut-Sommer“ geht es für Peter Grant raus aus London und auf’s Land. Hier beteiligt er sich an den Ermittlungen rund um zwei vermisste Mädchen, bei deren Verschwinden eine magische Ursache nicht auszuschließen ist. Ich fand es erfrischend, Peter in einem ganz neuen Umfeld ermitteln zu sehen, aber sehr schade, dass so mancher Handlungsstrang dafür auf Eis gelegt wurde. Der Autor bleibt seinem kreativen Stil treu, sodass ich im Hinblick auf abstrusen Sch*** wieder voll auf meine Kosten kam. Für Peter in der Pampa gibt es daher von mir vier Sterne.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein ganz besonderer, überraschend tiefgründiger Endzeitroman

Das Licht der letzten Tage
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Eine Theatervorführung von König Lear in Toronto: Das ist der schicksalhafte Angelpunkt des Buches. An jenem Abend stirbt Arthur Leander, der den Lear spielte, mitten auf der Bühne. Er hinterlässt drei ...

Eine Theatervorführung von König Lear in Toronto: Das ist der schicksalhafte Angelpunkt des Buches. An jenem Abend stirbt Arthur Leander, der den Lear spielte, mitten auf der Bühne. Er hinterlässt drei Ex-Frauen und einen Sohn. Jeevan, Sanitäter und Ex-Paparazzi, stürmt aus dem Publikum auf die Bühne, kann aber nicht mehr helfen. Die achtjährige Kinderschauspielerin Kirsten muss alles beobachten. Kurz nach diesem Ereignis soll nichts mehr sein wie es war, denn eine Krankheit löscht den Großteil der Weltbevölkerung aus.

Im Jahr 20 nach dem Untergang der Zivilisation ist Kirsten Teil der Fahrenden Symphonie, die von Ortschaft zu Ortschaft zieht und den Überlebenden Shakespeare vorspielt. Ein Aufeinandertreffen mit einem Mann, der nur als Prophet bekannt ist, bringt ihre Gruppe in Bedrängnis. Immer mehr Puzzlestücke in der Vergangenheit und Gegenwart schlagen eine Brücke vom Tod Arthur Leanders bis hin zu Kirstens aktueller Situation…

Als ich das Buch zum ersten Mal in die Hand nahm, wusste ich nicht genau, was mich erwartet, nur, dass es sich um einen Endzeitroman handelt. Auf den ersten Seiten gibt es mit dem Tod des Schauspielers Arthur Leander einen traurigen Zwischenfall, doch die Welt scheint noch in Ordnung zu sein. Die Andeutungen häufigen sich aber bald, dass das nicht so bleiben wird. Ich wurde immer neugieriger darauf, was denn passieren wird, und so wurde der Sog des Buches mit jeder Seite stärker.

Nachdem klar ist, dass das Leben auf der Erde nicht mehr weiter gehen wird wie bislang macht das Buch nach 40 Seiten einen Zeitsprung von zwanzig Jahren. Sofort drängte sich mir die Frage auf, was in der Zwischenzeit geschehen ist und wer es auf welchem Wege geschafft hat, zu überleben. Ich musste mich aber noch ein wenig gedulden, bis diese Fragen nach und nach beantwortet wurden.

Zunächst lernte ich Kirsten, die Fahrende Symphonie und den unheimlichen Propheten kennen. Dieser Erzählstrang ist die chronologisch erzählte Konstante des Buches. Von diesem aus springt die Erzählung immer wieder in die Vergangenheit, zu verschiedenen Menschen, Orten und Zeiten vor und nach dem Untergang der Zivilisation. Auf den ersten Blick mögen diese Sprünge chaotisch wirken und es ist kein Zusammenhang zwischen einigen Erzählsträngen zu erkennen. Doch genau hier liegt die große Kunst des Romans: Mit jeder Seite gelangt wieder ein Puzzlestück an seinen Platz, sodass man allmählich ein großes Ganzes erkennen kann.

Die Charaktere des Buches wurden nicht mit dem Ziel entworfen, sie besonders sympathisch oder unsympathisch wirken zu lassen. Sie haben allesamt ihre Schattenseiten, doch während der Untergang der Zivilisation in einigen viel Schlechtes hervorgebracht hat, sind viele in diesen schwierigen Zeiten um Menschlichkeit und Courage bemüht. Auch in der Welt vor der Katastrophe hat die Autorin interessante Charaktere geschaffen, welche ich nicht sofort durchschaute und die mich mit ungeahnten Facetten überraschen konnten.

Dieses Buch ist alles andere als ein klassischer Endzeitroman. Die Autorin versteht es, die Atmosphäre greifbar zu machen und den Leser die Mischung aus Hoffnung und Kampfgeist sowie Zweifel und Wut fühlen zu lassen, welche sich durch die gesamte Geschichte zieht. Dabei driftet sie jedoch nie gänzlich ins Dramatische ab, sondern es schwingt immer ein wenig Optimismus mit. Das machte das Buch für mich zu einer rundum gelungenen Sache.

„Das Licht der letzten Tage“ ist ein überraschend tiefgründiger Endzeitroman. Die Katastrophe selbst steht dabei gar nicht im Vordergrund, stattdessen wird eine Brücke vom Davor zum Danach geschlagen und immer mehr Zusammenhänge kommen ans Licht. In ruhigen Tönen nimmt Emily St. John Mandel den Leser mit auf eine Reise, während der man die Charaktere mit jeder Seite besser zu kennen meint und doch wieder von ihnen überrascht wird. Ich empfehle das Buch daher sehr gern weiter.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Blick hinter die Kulissen der Salpêtrière

Runa
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Paris, 1884: Jori ist aus der Schweiz nach Paris an die Salpêtrière gekommen, um vom berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot zu lernen und seine Doktorarbeit zu schreiben. Davon erhofft er sich, seine ...

Paris, 1884: Jori ist aus der Schweiz nach Paris an die Salpêtrière gekommen, um vom berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot zu lernen und seine Doktorarbeit zu schreiben. Davon erhofft er sich, seine psychisch erkrankte Jugendliebe Pauline zu retten. Wie jede Woche besucht Jori Charcots gut gefüllte Hypnosevorstellungen, als eine junge Patientin nicht auf Charcots Hypnoseversuche reagiert. Als Charcot laut überlegt, an ihr die neueste Theorie eines Dr. Burckhardt auszuprobieren, die krankhaften Stellen aus dem Hirn zu schneiden, meldet sich Jori für diesen gewagten Versuch. Bald werden Wetten auf sein Gelingen abgeschlossen, und er gerät zunehmend unter Druck: Hat die Idee Aussicht auf Erfolg? Wer wird ihn unterstützen? Und welches Geheimnis verbirgt das junge, apathische Mädchen namens Runa? Gleichzeitig tauchen überall in der Stadt kryptische Nachrichten auf. Stehen sie in einem Zusammenhang mit den Ereignissen an der Salpêtrière?

Als ich zum ersten Mal den Klappentext von „Runa“ gelesen habe, löste dieser bei mir Faszination aus. Ich interessiere mich sehr Medizingeschichte und die Anfänge der Behandlung psychisch Kranker, gleichzeitig wurde mir eine mysteriöse Geschichte voller Spannung versprochen. Hierzu passen auch die dunklen Farben des Covers und das auf dem Kopf stehende Mädchen. Die Bedeutung der Tropfen erschließt sich hingegen erst während des Lesens.

Nach einem rätselhaften Prolog aus der Ich-Perspektive eines unbekannten Erzählers lernt der Leser auf den ersten Seiten den Protagonisten Jori und seine Arbeit kennen. Er begegnet ihm zum ersten Mal, als er eine „Irre“ abholt, die von ihrem Vater mehrere Monate lang in einen Verschlag gesperrt wurde. Hier und auch wenig später in der Salpêtrière begreift man, wie gering die Aussichten auf Heilung zu jener Zeit sind. Zwar versteht der Neurologe Charcot es, die Patientinnen der Menge wie Puppen vorzuführen und ihnen seinen Willen aufzuzwingen, doch von einer nachhaltigen Heilung psychischer Erkrankungen ist man noch weit entfernt.

Immer wieder musste ich schaudern, während die Autorin Einblicke in das Leben der Patientinnen der Salpêtrière gibt. Hier wurde ich als Leserin Zeugin von so manchem fragwürdigen, teils grausamen und teils herzlosen Vorgehen. Aus heutiger Sicht wirken die Versuche jener Zeit geradezu niederschmetternd. Joris Beschluss, Runa einen Teil des Hirns wegzuschneiden, ist schließlich die Spitze des Grauens. Gleichzeitig wurde mir Jori als Mensch so nahe gebracht, dass ich seine Motivation nachvollziehen konnte. Er erhofft sich schließlich, dass ihm damit ein großer medizinischer Durchbruch und die Heilung des kleinen Mädchens gelingt.

Während Jori zweifelt, hofft und versucht, Zugang zu Runa zu finden, erzählt ein zweiter Handlungsstrang von dem selbsternannten Verbrecher und Ex-Polizisten Lequoc. Aus reiner Neugier möchte er die Umstände eines Mordes klären und kommt damit auf die Spur mysteriöser Nachrichten. An Lequocs Seite lernt man das alltägliche Pariser Leben zu jener Zeit besser kennen. Er ist ein ungewöhnlicher und geheimnisvoller Charakter, bei dem ich nie das Gefühl hatte, ihn wirklich durchschaut zu haben. Die Verbindungen dieses Handlungsstrangs zu dem von Jori wurden schließlich mit jedem Buchabschnitt klarer.

Die Geschichte enthält viele interessante Schilderungen über den Stand der Medizin, die Zustände in der Salpêtrière und das Leben in Paris im Jahr 1884. Man spürt, dass die Autorin ausführlich recherchiert hat, um trotz fiktiver Geschichte möglichst nah an der Realität zu bleiben. In dieser Hinsicht hat mich das Buch begeistern können, auch wenn viele Schilderungen noch schauriger waren, als ich erwartet hätte. Das Buch ist ganz sicher keine leichte Kost! Etwas schade fand ich es, dass die Handlung nur langsam voranschreitet. Es werden viele Seiten mit den Überlegungen, Abwägungen und Erinnerungen der Charaktere gefüllt. Diese lernt man dadurch noch besser kennen, drosselte aber das Tempo. Erst im letzten Buchabschnitt fährt die Autorin schwere Spannungsgeschütze auf, die für dramatische Szenen und einen starken Showdown sorgten.

„Runa“ erzählt die fiktive Geschichte eines ambitionierten Medizinstudenten, der sich als erster an einem psychochirurgischen Eingriff versuchen will. Durch seine Augen blickt man hinter die Kulissen der Salpêtrière blickt und entdeckt lauter fragwürdige, aus heutiger Sicht schaurige Methoden und stets auf den eigenen Vorteil bedachte Ärzte. Gleichzeitig folgt ein Ex-Polizist der Spur mysteriöser Zeiten quer durch Paris. Vera Buck hat spannende Fakten der Medizingeschichte mit einer Handlung verknüpft, die man in der Kategorie Mysterythriller einordnen könnte. Ihr interessiert euch für die Anfänge der Psychochirurgie und seid in Stimmung für ein düsteres Buch? Dann ist „Runa“ definitiv das Richtige für euch!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Dieser Auftakt der Familiensaga hat mich begeistern können!

Spiel der Zeit
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Bristol in den 1920er Jahren: Der junge Harry lebt in bescheidenen Verhältnissen. Er verbringt seine Zeit lieber bei den Hafendocks, wo er seinem Onkel bei der Arbeit zuschaut, als in der Schule lesen ...

Bristol in den 1920er Jahren: Der junge Harry lebt in bescheidenen Verhältnissen. Er verbringt seine Zeit lieber bei den Hafendocks, wo er seinem Onkel bei der Arbeit zuschaut, als in der Schule lesen und schreiben zu lernen. Schließlich plant er sowieso, die Schule frühzeitig zu verlassen, um selbst am Hafen zu arbeiten. Doch dann kommt alles anders: Man wird auf seine außergewöhnliche Singstimme aufmerksam und fördert ihn, bis er als Chorstipendiat auf eine höchst angesehene Schule gehen darf. Dort muss er sich behaupten, findet bald aber auch echte Freunde. Doch so manche Geheimnisse warten darauf, gelüftet zu werden. Was verschweigen Harrys Mutter, sein Mentor Old Jack und der Vater seines besten Freundes? Und welche Entscheidungen wird Harry in Anbetracht des aufziehenden Krieges treffen?

Auf der Suche nach einer spannenden Familiengeschichte voller Geheimnisse ist mir „Spiel der Zeit“ von Jeffrey Archer aufgefallen. Der Klappentext versprach Momente des Glücks und der Dramatik. Voller Neugier startete ich deshalb in den ersten Teil der Clifton-Saga, die einmal sechs Bände umfassen soll.

Gleich auf den allerersten Seiten wird der Leser in ein großes Geheimnis eingeweiht, von dem die wenigsten Charaktere etwas ahnen. Danach lernt man Harry Clifton kennen, welcher der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist. Dieser beginnt, in der Ich-Perspektive auf seine Kindheit zurückzublicken, wodurch ich mich ihm gleich nahe fühlte. Nach einem Kapitel wechselt die Perspektive allerdings hin zu einem allwissenden Erzähler, der über Harrys weiteren Weg berichtet.

Von Beginn an positiv aufgefallen ist mir das hohe Tempo, in dem der Autor die Geschichte erzählt. Er berichtet das Wichtigste, ohne sich in Details zu verlieren. Gleichzeitig lässt er den Leser aber auch tiefer in einzelne Momente hineintauchen, um ihm die Emotionen der Charaktere nahezubringen.

Nach 120 Seiten wusste ich daher, was Harry während einer Zeitspanne von 13 Jahren erlebt hatte. Umso irritierter war ich, dass auf den nächsten 100 Seiten fast die gleiche Zeitspanne mit dem Fokus auf Harrys Mutter erzählt wird, und danach noch zweimal mit dem Fokus auf weiteren Personen. Ich fragte mich, ob das klappt, ohne dass ich mich durch Dopplungen langweile.

Nach der Lektüre kann ich sagen: Ja, absolut! Denn genau hier liegt der Clou der Geschichte. Die Charaktere erzählen immer wenige Seiten aus ihrer Sicht, bevor der allwissende Erzähler wieder zu Wort kommt. Entscheidende Geheimnisse und Ereignisse verrät dieser aber immer nur dann, wenn die entsprechende Person im Fokus steht. Mit jeder Perspektive erfuhr ich daher wieder sehr viel Neues, während Bekanntes mit wenigen Sätzen erwähnt wurde, um die neuen Informationen zeitlich einordnen zu können. Diese Erzähltechnik hat mich begeistern können, und sehr gerne habe ich die verschiedenen Abschnitte gelesen, in denen neben Harry insgesamt fünf andere Personen in den Mittelpunkt rücken dürfen.

Die Geschichte hat meine Erwartungen erfüllt, indem sie genau das bot, was ich mir von dieser Familiengeschichte erhofft hatte. Die Charaktere erleben Höhenflüge und Tiefschläge. Mal scheint endlich alles genau so abzulaufen wie erhofft, bevor ein Rückschlag eingesteckt werden muss. Auch wenn einige dieser Rückschläge weitreichende Auswirkungen haben, wird die Geschichte nie allzu dramatisch und emotional, denn aufgrund des hohen Tempos brechen auch sehr schnell wieder bessere Zeiten an. Die etwas über 500 Seiten flogen und so vorbei und ich freue mich schon jetzt sehr darauf, im November in „Das Vermächtnis des Vaters“ weiterzulesen!

„Spiel der Zeit“ ist der überzeugende Auftakt der Clifton-Saga, die sechs Bände umfassen soll. Besonders gelungen fand ich, dass Zeitspannen aus der Sicht verschiedener Personen erzählt werden und ich so nach und nach in verschiedene Geheimnisse eingeweiht wurde. Wenn ihr Familiengeschichten voller Höhen und Tiefen mögt, dann solltet ihr unbedingt zu „Spiel der Zeit“ greifen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine süße Liebesgeschichte unter komplizierten Bedingungen

Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt
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Seit ihrer Geburt leidet Madeline an der angeborenen Immunschwäche SCID, was einfach gesagt bedeutet, dass sie allergisch auf die Welt ist. Deshalb hat sie seit ihrer frühen Kindheit das Haus nicht mehr ...

Seit ihrer Geburt leidet Madeline an der angeborenen Immunschwäche SCID, was einfach gesagt bedeutet, dass sie allergisch auf die Welt ist. Deshalb hat sie seit ihrer frühen Kindheit das Haus nicht mehr verlassen, welches sie durch eine Luftschleuse und Luftfilter vor der Außenwelt schützt. Regelmäßigen Kontakt hat sie nur zu ihrer Mutter und ihrer Krankenschwester Carla. Doch dann ziehen nebenan neue Nachbarn ein. Madeline ist sofort fasziniert von Olly. Aus Gestikulieren am Fenster wird schnell ein regelmäßiges Chatten. Allmählich beginnt Madeline, sich nach mehr zu sehnen, als sie haben kann…

Das Buch wurde mir als neues Lieblingsbuch für Töchter und Mütter schmackhaft gemacht, weshalb ich nicht lange gezögert habe, mich zwischen die Seiten zu begeben. Madeline lernt man an ihrem 18. Geburtstag kennen, der mehr oder weniger genauso abläuft wie all die Geburtstage zuvor, die sie allein mit ihrer Mutter gefeiert hat, denn in Madelines Leben gibt es nicht viel Abwechslung.

Von Beginn an gefallen hat mir die kreative Schreibweise des Buches. Kurze Kapitel, in denen Madeline von ihrem Alltag erzählt werden durchbrochen von noch kürzeren Kapiteln, die zum Beispiel aus Notizen, Mails, Zeichnungen, selbstgeschriebenen Definitionen oder einer Gedankenspirale bestehen. Maddie versteht, in ihrem monotonen Alltag auf eine besondere Weise zu erzählen, die mich fesseln konnte.

Nach Jahren, in denen sie das Haus nicht verlassen durfte, hat sich Madeline mit ihrer Situation arrangiert. Immer wieder erwähnt sie, wie schade sie es findet, dass sie all das verpasst, was normale Achtzehnjährige tun. Man merkt, wie sehr sie sich nach all diesen normalen Dingen sehnt, doch sie sucht nicht aktiv nach Möglichkeiten, das zu ändern. Wer im Internet einmal ein bisschen nach SCID sucht, sieht, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt – von Therapien bis hin zu Raumanzügen – doch damit setzt sie sich nicht auseinander, was ich nicht ganz nachvollziehen konnte.

Mit dem Einzug der neuen Familie nebenan kommt Bewegung in die Geschichte. Im Nu hat sich Madeline digital mit Olly angefreundet und sehnt sich nach seiner Nähe. Endlich beginnt sie, nachzudenken, wie sie handeln kann. Zu welcher Entscheidung wird sie gelangen? Madeline und Olly haben mir zusammen sehr gut gefallen, im Umgang miteinander waren die beiden richtig süß. Ich hoffte und litt mit ihnen und war bald gänzlich in der Geschichte versunken, deren Verlauf mich berühren konnte.

Dann aber kam das Ende, und an diesem habe ich noch immer zu knabbern. Es passiert etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe, was an sich ja erst mal etwas Gutes ist. Doch die Reaktion der verschiedenen Charaktere auf die Ereignisse haben mir ganz und gar nicht gefallen. Für mich wollen diese letzten Seiten einfach nicht zum Rest des Buches passen und waren für mich nicht logisch. Das hat mir das Lesevergnügen leider im Nachhinein verdorben, was ich sehr schade finde.

„Du neben mir“ erzählt die Geschichte der achtzehnjährigen Madeline, die aufgrund einer seltenen Krankheit das Haus seit ihrem ersten Lebensjahr nicht mehr verlassen hat. Trotz dieser Umstände hält das Buch eine süße Liebesgeschichte unter komplizierten Bedingungen bereit. Auch wenn ich Madelines Verhalten nicht ganz nachvollziehen konnte, hat mich der Handlungsverlauf gefesselt, bevor ich von den letzten Seiten arg enttäuscht wurde. Unterm Strich vergebe ich für die Geschichte daher drei Sterne.