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Veröffentlicht am 21.08.2023

Absolutes Highlight

Übertretung
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Belfast, 1975. Die 24-jährige Cushla ist Lehrerin, hilft im Pub der Familie aus und kümmert sich um ihre alkoholkranke Mutter. Zwar herrscht offiziell Waffenruhe, aber Anschläge, Gewaltausbrüche und Schikane ...

Belfast, 1975. Die 24-jährige Cushla ist Lehrerin, hilft im Pub der Familie aus und kümmert sich um ihre alkoholkranke Mutter. Zwar herrscht offiziell Waffenruhe, aber Anschläge, Gewaltausbrüche und Schikane sind dennoch an der Tagesordnung. In der Schule beginnt Cushla sich für Davy einzusetzen, der aus einer ärmeren Gegend kommt und „gemischte“ Eltern hat – also eine protestantische Mutter und einen katholischen Vater. Immer stärker gerät sie dabei mit dem strengen Schulleiter Father Slattery aneinander – und dann verliebt sie sich auch noch in einen verheirateten Anwalt..

„Übertretung“ ist der erste Roman der irischen Autorin Louise Kennedy und stand auf der Shortlist des Women‘s Prize for Fiction. Erzählt wird aus der Perspektive von Cushla in der dritten Person und der Vergangenheitsform. Als Leser*innen tauchen wir so tief in die Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonistin ein und begleiten sie durch einen Alltag, der von dem Versuch geprägt ist, sich als Katholikin – und damit in der Minderheit – unauffällig zu verhalten, sich aber gleichzeitig ihre Menschlichkeit und ihr Mitgefühl zu bewahren..

Geprägt ist der Roman von den Beziehungskonstellationen um Cushla herum. Ihre alkoholkranke Mutter unterstützt sie täglich mit strenger Liebe, träumt sich aber auch in ein anderes Leben. Ihrer Affäre Michael fühlt sie sich oft unterlegen, sei es aufgrund seines Wissens und seines Berufs oder, mal wieder, der Konfession wegen. Zudem will er, ganz klischeehaft, seine Frau nicht verlassen und hält Cushla auf Armeslänge. Um den kleinen Davy kümmert sie sich weit über das übliche Maß hinaus und bezieht auch seine Familie mit ein – was fatale Folgen für sie und andere haben wird..

„Übertretung“ ist ein unglaublicher Roman, der dem Nordirlandkonflikt ein Gesicht gibt: das Gesicht von Cushla Lavery. Und obwohl die Figuren allerhand Schreckliches durchmachen müssen, ist es doch ein Buch, welches Hoffnung gibt. Schön fand ich vor allem, dass wir noch einen kleinen Blick in die Zukunft werfen und sehen, was aus einem Teil der Figuren geworden ist. Und auch Cushlas Mutter beweist im Handlungsverlauf trotz allem ihre moralische Stärke.

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Veröffentlicht am 07.08.2023

Guter zweiter Band der Reihe

Mord auf der Insel Gokumon
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Japan, 1946. Privatdetektiv Kosuke Kindaichi kehrt gerade aus dem Krieg zurück. Nun soll er auf die Insel Gokumon reisen, um der Familie Kito mitzuteilen, dass der letzten verbliebene Erbe der Hauptlinie ...

Japan, 1946. Privatdetektiv Kosuke Kindaichi kehrt gerade aus dem Krieg zurück. Nun soll er auf die Insel Gokumon reisen, um der Familie Kito mitzuteilen, dass der letzten verbliebene Erbe der Hauptlinie – und sein Kriegskamerad – auf der Heimreise von der Front verstorben ist. Chimata bat Kosuke vor seinem Tod darum, weil er befürchtete, dass nach seinem Ableben seine drei Schwestern in Gefahr seien. Der Privatermittler hält natürlich sein Versprechen und mischt sich auf Gokumon unter die Dorfbewohner.

„Mord auf der Insel Gokumon“ ist der 2. Band der Reihe um Kosuke Kindaichi, der ins Deutsche übersetzt wurde. Im Original erschien das Werk schon im Jahr 1971, übertragen wurde es nun von Ursula Gräfe. Erzählt wird wie in einer Art Chronik, mit Anmerkungen zu Lage und Geschichte des Ortes, was allem einen sehr nüchternen, sachlichen Anstrich gibt. Dabei folgen wir zumeist Kindaichi bei seinen Ermittlungen, hin und wieder werden aber auch Situationen geschildert, die parallel ohne sein Wissen stattfinden.

Dieser Fall beschäftigt sich konkret mit der Familie Kito, deren Haupt- und Seitenzweig miteinander verfeindet sind. Der Tod des Erben Chimata bringt das sowieso schon instabile Gefüge noch mehr ins Wanken und dann erschüttern auch noch mehrere Mordfälle die Insel. Das Setting an einem abgeschlossenen Ort mit begrenzten Verdächtigen erinnert ein wenig an Agatha Christies Romane (z.B. „Und dann gab‘s keines mehr“), während der Ermittler in der Tradition Sherlock Holmes‘ steht. Der eigentliche Fall ist durchaus spannend und mysteriös, weil hier zum schon erwähnten Schauplatz noch seltsame verdächtige Figuren, ein Familienstreit und eine Nebenhandlung mit Piraten hinzukommen.

Was auch bereits schon an Band 1 auffiel, ist die sehr sachliche Erzählweise. Es wird eigentlich nur geschildert, was nacheinander passiert, aber auf die Emotionen der Charaktere wird kaum eingegangen. Dadurch bleiben sie für uns flach und gerade auch die Frauen sind sehr klischeehaft, entweder als albern oder als berechnend, geschildert – was sicherlich auch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein mag.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

Queere Liebesgeschichte mit Schwächen

Girls like girls – Sag mir nicht, wie ich mich fühle
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Die 17-jährige Coley hat ihre Mutter verloren und muss nun bei ihrem Vater leben, der die Familie vor Jahren verlassen hat. An ihrem ersten Tag in der neuen Stadt begegnet sie Sonya und ist sofort wie ...

Die 17-jährige Coley hat ihre Mutter verloren und muss nun bei ihrem Vater leben, der die Familie vor Jahren verlassen hat. An ihrem ersten Tag in der neuen Stadt begegnet sie Sonya und ist sofort wie elektrisiert. Auch diese fühlt sich von Coley angezogen, doch 1. hat sie einen Freund – oder zumindest eine On-/Off-Beziehung – und 2. steht sie gar nicht auf Frauen, oder etwa doch? Für die beiden beginnt ein Sommer voller Emotionen, aber auch komplizierter Entscheidungen.

„Girls like Girls“ ist der erste Roman der Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Hayley Kiyoko und basiert auf ihrer gleichnamigen Single. Erzählt wird aus Coleys Perspektive in der Ich- und Gegenwartsform, was uns unmittelbar an ihrer Innensicht teilhaben lässt. Sonyas Blickwinkel erfahren wir hingegen aus ihrem Online-Tagebuch, also in bearbeiteter, literarisierter Form. Das bildet einen interessanten Kontrast zwischen Coleys entwaffnender Ehrlichkeit und Sonyas verzweifeltem Versuch, sich an einem Leben festzuhalten, das sie nicht einmal besonders mag.

Mit Coley und Sonya treffen Welten aufeinander. Sonyas Familie ist reich, die von Coleys musste sich immer irgendwie durchschlagen. Sonya hat zwei Väter, einen leiblichen und einen Stiefvater, während Coley lange Zeit auf ihren verzichten musste. Die jeweiligen Mütter spielen eine große Rolle im Leben der beiden und beeinflussen es massiv. Und auch wenn Coley es zuhause nicht immer einfach hatte, vermisst sie ihre Mutter in jeder Sekunde und lässt die Bemühungen ihres Vaters an sich abprallen.

Im Fokus steht aber die Liebesgeschichte, an der ich leider Kritik äußern muss. Zum einem wird nicht deutlich, woher die plötzliche Anziehung zwischen beiden kommt. Sonya bewundert vielleicht Coleys Haltung und ihre starke Meinung zu den unterschiedlichsten Themen; was sie jedoch umgekehrt an Sonya findet, ist unklar oder rein äußerlicher Natur. Zudem sind die beiden über ein Drittel des Buches getrennt und ihre Charaktere bleiben farblos. So wird am Anfang zwar erwähnt, dass Coley das Gefühl hat, nicht asiatisch, aber auch nicht weiß genug zu sein, danach wird das Thema ihrer Identität aber nicht mehr aufgegriffen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen, an denen der Roman Potenzial verschenkt – schade!

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Veröffentlicht am 02.08.2023

Emotional und überraschend

Die Erinnerungsfotografen
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Hirasaka ist Erinnerungsfotograf. Sein Atelier befindet sich an der Grenze zwischen Leben und Tod und es ist seine Aufgabe, den Menschen, die dort ankommen, beim Übergang zu helfen. Für jeden Tag ihres ...

Hirasaka ist Erinnerungsfotograf. Sein Atelier befindet sich an der Grenze zwischen Leben und Tod und es ist seine Aufgabe, den Menschen, die dort ankommen, beim Übergang zu helfen. Für jeden Tag ihres Lebens existiert genau ein Foto und aus dieser Masse sollen sie für jedes Lebensjahr eines auswählen, das in die große Drehlaterne eingesetzt wird – so dass sie sich am Ende noch einmal das Kaleidoskop ihres Leben ansehen können. Nur Hirasaka selbst hat keine Ahnung, wer er war, bevor er in das Fotostudio kam und hofft jeden Tag darauf, dass ihn einer der Ankommenden erkennt.

„Die Erinnerungsfotografen“ ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman der japanischen Schriftstellerin Sanaka Hiiragi. Die Handlung wird in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt und bleibt zumeist bei Hirasaka, dem Protagonisten, und seinen jeweiligen Gästen im Studio. Nur ganz am Ende kommt Bote Yama zu Wort, der die Lebensfotos anliefert. Der Schreibstil ist emotional und mitreißend - es gelingt der Autorin, die seltsame Situation aller Beteiligten einzufangen. Vor allem Hirasaka überzeugt durch seine sanfte, geduldige Art.

Zunächst ist unklar, wie die drei ausgewählten Menschen im Fotoatelier miteinander verbunden sind. Hirasaka begleitet zunächst eine alte Frau, die früher Kindergärtnerin war, dann einen Yakuza, der mit einem Reparaturgeschäft Geld wäscht und schließlich ein kleines Mädchen. Vor allem dieser letzte Fall berührt und schockiert im Kontrast zu den ersten beiden, bei denen der Tod nicht unvermeidlich schien. Bis hierhin lesen wir also im Prinzip drei separate Kurzgeschichten – gut geschrieben, aber nichts völlig Neues.

Dann jedoch greift die Autorin tief in die Trickkiste und lässt Yama die losen Fäden zusammenführen. Szenen aus jeder der drei Geschichten ergeben auf einmal einen neuen Sinn und eigentlich müsste man das Buch noch einmal vor vorne beginnen, um keinen noch so kleinen Hinweis zu verpassen. Was hier offenbart wird, ist niederschmetternd und herzerwärmend zu gleich und erhebt „Die Erinnerungsfotografen“ von einer netten Kurzgeschichtensammlung zum kleinen Meisterwerk.

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Veröffentlicht am 26.07.2023

Drei Frauenschicksale

Die Unbändigen
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Drei Frauen, drei miteinander verknüpfte Schicksale. 1619 ist die Heilerin Altha angeklagt, mit Hexenkräften den Mann ihrer Freundin Grace getötet zu haben. Violet, in 1942, versucht verzweifelt, mehr ...

Drei Frauen, drei miteinander verknüpfte Schicksale. 1619 ist die Heilerin Altha angeklagt, mit Hexenkräften den Mann ihrer Freundin Grace getötet zu haben. Violet, in 1942, versucht verzweifelt, mehr über ihre verstorbene Mutter herauszufinden. Dann beschließt ihr Vater plötzlich, dass sie Cousin Frederick heiraten soll. Und in der Gegenwart des Jahres 2019 ist die schwangere Kate vor ihrem gewalttätigen Ehemann auf der Flucht und versteckt sich in Weyward Cottage – wo vor ihr auch Altha und Violet gelebt haben.

„Die Unbändigen“ ist der erste Roman der in Australien geborenen Autorin Emilia Hart, die inzwischen in Großbritannien lebt. Erzählt wird wechselnd aus der Perspektive der drei Frauen, wobei Althas und Violets Kapitel in der Vergangenheit und Kates im Präsens erzählt werden, was gut passt, weil wir von ihrer Zeitlinie aus zurückblicken. Der Erzählstil Emilia Harts ist dabei sehr poetisch und eindringlich, das Schicksal der Frauen berührt von der ersten Seite an.

Schnell stellt sich heraus, dass die Protagonistinnen einem Familienzweig entstammen, den Weywards – benannt übrigens nach den Hexenschwestern aus Shakespeares „Macbeth“. Sie alle haben den Ruf, wunderliche Außenseiterinnen zu sein. Altha ist, wie ihre Mutter, eine Heilerin, was in ihrem Jahrhundert natürlich gewisse Verdächtigungen und Gefahren mit sich bringt. Violet hingegen sieht sich eher gesellschaftlichen Zwängen gegenüber und muss damit zurechtkommen, dass sie als Frau für ihren Vater nichts wert ist. Kate wird von ihrem brutalen Ehemann künstlich in der Außenseiterrolle gehalten; er isoliert sie von allen und hat so die volle Kontrolle über sie.

Gemeinsam haben alle drei Frauen eine seltsame Affinität zu Tieren, vor allem zu Insekten und Vögeln, was im Verlauf von allen Handlungssträngen eine große Rolle spielen wird. Überhaupt ist es unglaublich geschickt, wie die Autorin die Schicksale der Frauen miteinander verwebt und nach und nach große, bedeutsame Zusammenhänge aufdeckt. Jede der Geschichten macht auf ihre Weise Mut, dass sich durch Solidarität und dem Einstehen für sich selbst tatsächlich etwas verändern kann.

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