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Veröffentlicht am 11.05.2022

Sehr skurril

Die dunklen Geheimnisse von Heap House
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Die Mitglieder der Iremonger-Familie haben alle eine skurrile Gemeinsamkeit: Bei der Geburt wird ihnen ein Objekt zugewiesen, das sie ihr Leben lang bei sich tragen sollen. Der 15-jährige Clod Iremonger ...

Die Mitglieder der Iremonger-Familie haben alle eine skurrile Gemeinsamkeit: Bei der Geburt wird ihnen ein Objekt zugewiesen, das sie ihr Leben lang bei sich tragen sollen. Der 15-jährige Clod Iremonger hat jedoch noch eine weitere Besonderheit an sich, denn er kann die Stimmen dieser Objekte hören. Als Clod auf das Waisenmädchen Lucy trifft, die für seine Familie als Dienstmädchen arbeitet, stellt er zum ersten Mal die Welt um sich herum in Frage.

„Die dunklen Geheimnisse von Heap House“ ist der erste Band der Iremonger-Trilogie des britischen Schriftstellers Edward Carey und erschien im Original bereits im Jahr 2013. Die Handlung wird abwechselnd aus der Sicht der beiden Hauptfiguren Clod und Lucy in der Ich-Perspektive erzählt, wobei auch kurze Zwischenkapitel anderer Charaktere eingeschoben werden. Entsprechend der Herkunft der beiden Protagonisten passt sich auch die Sprache an. Während Clod, der aus einer einflussreichen Familie stammt, etwas wortgewandter ist, macht Lucy dies mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit und einem starken Gerechtigkeitssinn wieder wett.

Die Grundidee, auf der die Welt der Iremongers basiert, ist sehr interessant. Das Herrenhaus Heap House befindet sich zwischen riesigen Müllbergen und die einzige Verbindung hinein und hinaus ist eine Zugstrecke nach London, die jedoch weder die Familie, noch das Personal benutzen darf. Ich hätte gerne noch mehr darüber erfahren, wie all das eigentlich entstanden ist, doch erst nach knapp 200 Seiten gibt es hierzu die ersten Hinweise. Das Geheimnis um die Geburtsobjekte und somit der weitere Verlauf der Geschichte sind hingegen schon nach den ersten Kapiteln zu erahnen.

„Die dunklen Geheimnisse von Heap House“ ist trotz kleinerer Schwächen in der Umsetzung ein recht ansprechender Trilogiestart, der vor allem durch seine Skurrilität und die sympathischen Hauptfiguren besticht. Am Ende des Buches wartet jedoch ein großer Cliffhanger auf uns Leser/-innen, der viele Fragen unbeantwortet lässt. Ich glaube, hier muss ich dann doch zum englischen Original greifen, denn ich möchte wissen, wie es mit Clod und Lucy weitergeht.

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Veröffentlicht am 09.05.2022

Frauenwörter

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
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Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts. Harry Nicoll arbeitet als Lexikograph an der Erstellung des „Oxford English Dictionary“ mit. Da er nach dem Tod seiner Frau Tochter Esme allein großziehen muss, fühlt ...

Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts. Harry Nicoll arbeitet als Lexikograph an der Erstellung des „Oxford English Dictionary“ mit. Da er nach dem Tod seiner Frau Tochter Esme allein großziehen muss, fühlt auch sie sich bald im Skriptorium, dem Arbeitsplatz ihres Vaters, zuhause. Nach und nach beginnt sie sich für das Sammeln von Wörtern zu interessieren, doch nicht jeder empfindet das für eine junge Frau als angebracht. So forscht Esme im Alleingang weiter und muss feststellen, dass eine Nicht-Aufnahme eines Begriffs in das Wörterbuch durchaus mehr bedeutet, als sie bisher geglaubt hat.

In ihrem Debütroman „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ erzählt Pip Williams – basierend auf historischen Fakten und Dokumenten - die Entstehungsgeschichte des berühmten Lexikons. Der Fokus liegt dabei jedoch auf einem ganz bestimmten Blickwinkel: dem der Frauen, die an dieser Meisterleistung beteiligt waren. Stellvertretend verfolgen wir dabei das Leben von Protagonistin Esme zwischen 1887 und 1915, die auch als Ich-Erzählerin fungiert; nur auf den letzten 20 Seiten wechselt die Perspektive. Was anderswo geschieht, wird geschickt durch Briefe vermittelt.

Neben dem offensichtlichen Thema der Sprache, geht es hier vor allem um die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Sie leisteten einen großen Anteil der Arbeit am Wörterbuch, wurden aber kaum oder gar nicht entlohnt. Nach Beginn des ersten Weltkrieges nahm dieser Anteil nur noch zu, obwohl selbst dann noch Männer dem Engagement entgegenstanden. Parallel zur Entstehung des Wörterbuchs verläuft die Erstarkung der Frauenbewegung, die schließlich 1928 zur Einführung des Wahlrechts für Frauen führte.

Es steht außer Frage, dass Pip Williams mit ihrem Roman ein außergewöhnliches und wichtiges Debüt gelungen ist. Besonders spannend war es für mich, die Arbeit am „Oxford English Dictionary“ und den Kampf der Suffragetten durch Esmes Perspektive zu erleben. Leider kamen dann noch viele weitere Handlungssegmente und damit Themen hinzu: der Erste Weltkrieg, Liebe, Mutterschaft, Klassenunterschiede usw. Hier hätte ich mir einen deutlicheren Fokus gewünscht und auch mit den Entscheidungen, die die Autorin für ihre Figur trifft, war ich nicht immer einverstanden, vor allem was den Schluss betrifft. Dennoch hat mich der Roman sehr berührt und der Mai beginnt so definitiv mit einem Highlight.

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Veröffentlicht am 27.04.2022

Mehr als ein bloßer Sommerroman

Der Papierpalast
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Wie schon in den Jahren zuvor, verbringt Elle ihren Sommer mit Mann und Kindern im Ferienhaus der Familie, dem „Papierpalast“. Nach einem geselligen Abend mit einem befreundeten Ehepaar ändert sich jedoch ...

Wie schon in den Jahren zuvor, verbringt Elle ihren Sommer mit Mann und Kindern im Ferienhaus der Familie, dem „Papierpalast“. Nach einem geselligen Abend mit einem befreundeten Ehepaar ändert sich jedoch alles, denn Elle schläft mit Jonas, den sie seit ihrer Kindheit kennt und mit dem sie viele schöne, aber auch schmerzhafte Erinnerungen teilt. Nun muss sie sich entscheiden, zwischen Ehemann Peter, ihrem Fels in der Brandung und Jonas, der ihr schon ewig so viel bedeutet.

„Der Papierpalast“ ist der erste Roman von Miranda Cowley Heller, die bisher eher für ihre Mitarbeit an diversen Serien bekannt war. Das merkt man ihrer Handlung auch an, denn diese würde sich ganz wunderbar für ein solches Format eignen. Aber der Reihe nach: Der Roman wird in unterschiedlichen Zeitlinien erzählt. Ausgehend von dem verhängnisvollen Abend erzählt die Autorin einerseits aus der Kindheit und Jugend der Protagonistin Elle, zeichnet aber auch nach, was in den Wochen zuvor geschah und wie sich die heikle Situation am Ende auflöst. Zunächst liegt der Fokus ganz klar auf Elle, danach werden Peter und Jonas näher betrachtet. Die Ich-Perspektive und Gegenwartsform lassen das Geschehen dabei sehr unmittelbar und plastisch erscheinen.

Es ist auffallend, dass in diesem Buch Naturbeschreibungen und vor allem das Wasser eine große Rolle spielen. Doch was sich zunächst wie ein netter Sommerroman mit einer kleinen Dreiecksgeschichte anhört, entwickelt sich schon nach kurzer Zeit – und sehr überraschend – zu wirklich schwerer Kost. „Der Papierpalast“ ist vor allem ein Roman über Familienkonstellationen und zeigt dabei schonungslos, wie Eltern gegenüber ihren Kindern versagen. Ohne konkreter auf die Themen eingehen zu wollen: vieles ist zutiefst erschütternd, erklärt aber auch, wie die Figuren dorthin gekommen kamen, wo sie heute sind.

Heute erst wurde verkündet, dass der Roman es leider nicht auf die Shortlist des „Women‘s Prize“ geschafft hat. Schade, denn auch wenn die Handlung sicherlich nicht angenehm zu lesen war, wird das Buch noch lange in mir nachklingen.

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Veröffentlicht am 25.04.2022

Identitätssuche

Das Leben eines Anderen
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Vor acht Jahren vertrat der Anwalt Akira Kido eine Klientin bei ihrer Scheidung. Nun wendet Rie Takemoto sich erneut an ihn – mit einer delikaten Angelegenheit: Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns Daisuke ...

Vor acht Jahren vertrat der Anwalt Akira Kido eine Klientin bei ihrer Scheidung. Nun wendet Rie Takemoto sich erneut an ihn – mit einer delikaten Angelegenheit: Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns Daisuke Taniguchi stellte sich heraus, dass dieser mit ihr unter einem falschen Namen zusammengelebt hatte. Doch wer war er wirklich? Und was hat ihn veranlasst, seine Frau und Kinder zu belügen? Die Suche nach der Wahrheit führt Kido in tiefe Abgründe; sowohl die fremder Menschen, als auch seine eigenen.

„Das Leben eines Anderen“ ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman des japanischen Schriftstellers Keiichirō Hirano und wird auf interessante Art und Weise erzählt. In der Vorrede schildert der Autor, wie er seinen Protagonisten kennenlernte und dieser ihm die Erlaubnis erteilte, über ihn und seinen Fall zu schreiben. Diese Szene taucht später im Roman so ähnlich noch einmal auf, als Kido auf die Nebenfigur Misuzu trifft – beide Male stellt er sich unter falscher Identität vor, so dass die Vorrede dem ganzen Roman einen Anschein von Authentizität verleiht.

Wer sich von dem Buch eine Kriminalhandlung im klassischen Sinne erwartet, der wird vermutlich enttäuscht, denn während es vordergründig zwar um Daisuke Taneguchi und die Suche nach seiner wahren Herkunft und seinem richtigen Namen geht, so steht auf den zweiten Blick ein ganz anderes Thema im Fokus, nämlich das der Identität und somit auch die Frage, was dieses Wort eigentlich für unser Leben bedeutet.

Der erste Teil wird nach und nach – und durchaus zufriedenstellend – aufgelöst. Der Autor erzählt, wie Rie und Daisuke sich kennenlernten, zeichnet Kidos Nachforschungen nach und präsentiert am Ende das Ergebnis, mit dem Ehefrau und Kinder erst einmal leben müssen. Der zweite Teil gestaltet sich da schon komplizierter, denn im Verlauf des Geschehens erfahren wir, dass in Kidos Leben und vor allem in seiner Ehe auch nicht alles nach Plan läuft. Umso größer ist für ihn die Versuchung, sich selbst eine neue Identität zu schaffen. Vom Schluss des Romans hätte ich mir mehr Konsequenz gewünscht, so blendet er leider recht leise aus.

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Veröffentlicht am 18.04.2022

Layout yeah, Handlung meh

Monster auf der Couch
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Was haben Dr. Jekyll, Carmilla, Viktor Frankenstein und Dorian Gray gemeinsam? Sie alle sind literarische Figuren und sitzen auf der Couch der Psychologin J. Die ist nun spurlos verschwunden und in ihrer ...

Was haben Dr. Jekyll, Carmilla, Viktor Frankenstein und Dorian Gray gemeinsam? Sie alle sind literarische Figuren und sitzen auf der Couch der Psychologin J. Die ist nun spurlos verschwunden und in ihrer Praxis bleiben Akten über ihre vier berühmten Patienten zurück: Gesprächsprotokolle, Analysen, Zeichnungen, Briefe – und Spuren von Blut. Was ist geschehen?

In „Monster auf der Couch“ gehen Jenny Jägerfeld und Mats Strandberg der Frage nach, was berühmte Charaktere der Literatur erzählen würden, befänden sie sich in Therapie. Diese grundsätzlich spannende Idee wird nicht in klassischer Romanform präsentiert, sondern setzt sich aus den Akten der Psychologin zusammen. So entsteht ein Buch mit interessantem Layout, handschriftlichen Anmerkungen und schönen Zeichnungen.

Leider kann jedoch der Inhalt nicht einhalten, was das Äußere verspricht. Die psychologischen Analysen wirken amateurhaft (und das bei einer Autorin vom Fach) und plump, alles wird entweder auf verdrängte Emotionen oder ein Trauma in der Kindheit bezogen. Während Dr. Jekyll zu einem verklemmten Jammerlappen mit Identitätsstörung verkommt, wird Dorian Gray als völliger Psychopath dargestellt. Und natürlich fühlen sich beinahe alle Patient/-innen zu unserer Psychologin hingezogen. (Und dann zieht unsere Protagonistin noch über die Psychologin Jenny Jägerfeld vom Leder – albern!)

Große Schwierigkeiten hatte ich auch mit der Logik der Handlung: J. behandelt große Figuren der Literaturgeschichte, scheint sie und ihren Hintergrund aber nicht zu kennen; gleiches gilt jedoch nicht für ihre Mentorin P., welche sie regelmäßig um Rat bittet. Hier wird, meines Erachtens, eine große Chance verschenkt, die Romanfiguren in Bezug zu ihrer Zeit, ihrer Darstellung und ihren Schöpfer/-innen zu setzen und zudem ist es mehr als unrealistisch, dass eine Psychologin in der heutigen Zeit wirklich keine von ihnen kennen soll.

Das Ende liefert, auch wenn man eigene Schlüsse ziehen kann, leider nicht die gewünschten Antworten auf offene Fragen. Was „Monster auf der Couch“ jedoch gelingt: Ich möchte alle Vorlagenwerke unbedingt (noch einmal) lesen!

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