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Veröffentlicht am 27.09.2023

Die jüdischen Buddenbrooks?

Jenny | Der große Frauen- und Emanzipationsroman von Fanny Lewald | Reclams Klassikerinnen
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Jenny ist die Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie und steht kurz vor ihrem siebzehnten Geburtstag. Eigentlich soll sie mit ihrem Cousin Joseph verheiratet werden, doch ihr Herz gehört Gustav, ihrem ...

Jenny ist die Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie und steht kurz vor ihrem siebzehnten Geburtstag. Eigentlich soll sie mit ihrem Cousin Joseph verheiratet werden, doch ihr Herz gehört Gustav, ihrem Hauslehrer und - noch dazu - einem katholischen Pfarrer. Nur eine Konvertierung kann diese Verbindung also möglich machen. Auch Jennys älterer Bruder Eduard hat mit Vorurteilen und offen ausgelebtem Antisemitismus zu kämpfen, der seine Karriere ausbremst und ihn ebenfalls nicht als Ehemann einer Christin in Frage kommen lässt.

„Jenny“ erschien bereits im Jahr 1843 und wurde nun in der Reihe „Reclams Klassikerinnen“ mit einem Nachwort von Mirna Funk neu aufgelegt. Die Autorin, Fanny Lewald, war selbst eine jüdische Kaufmannstochter und setze sich aktiv für Frauenrechte ein. „Jenny“ ist ihr zweiter Roman und liest sich sehr modern und keinesfalls altbacken. Vermittelt werden die Ereignisse von einem allwissenden Erzähler, der den Überblick behält und schildert, was sich an unterschiedlichen Orten zwischen und in den Figuren selbst abspielt.

Von Beginn an wird der in der Bevölkerung weit verbreitete Antisemitismus von Fanny Lewald klar benannt und gezeigt. Vor allem Jennys Bruder Eduard, der Arzt ist, bekommt zu spüren, dass er zwar durchaus Dienst an der Gesellschaft leisten darf, wenn es aber um die Leitung einer Klinik oder die Ehe mit einer Christin geht, wird ihm beides verwehrt. Seine Identität als Jude kann und will er dafür aber nicht aufgeben. Jenny hingegen ist für ihre Verlobten Reinhard zwar zur Konvertierung bereit, tut sich aber mit dem neuen Glauben und der Abkehr von allem, womit sie aufgewachsen ist, schwer. Nach und nach spitzen sich die Ereignisse rund um die Familie zu und drohen zu eskalieren.

„Jenny“ wird als „die jüdischen Buddenbrooks“ vermarktet und das ist durchaus zutreffend. Meiner Meinung nach ist der Roman aber noch so viel mehr, denn er zeigt schonungslos eine Gesellschaft, in der Antisemitismus tief verwurzelt ist und in der gerade junge Frauen die Verliererinnen sind. Ein wunderbarer Roman, der nachdenklich macht und leider wieder nur allzu aktuell ist.

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Veröffentlicht am 27.09.2023

Ein Podcast über die Wahrheit?

Ich hätte da ein paar Fragen an Sie
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Als Bodie Kane noch am College war, wurde ihre Mitbewohnerin Thalia ermordet und der Täter nach einem Geständnis verhaftet. Heute, mehr als 20 Jahre später, hat sie zwei Kinder, lebt von ihrem Ehemann ...

Als Bodie Kane noch am College war, wurde ihre Mitbewohnerin Thalia ermordet und der Täter nach einem Geständnis verhaftet. Heute, mehr als 20 Jahre später, hat sie zwei Kinder, lebt von ihrem Ehemann getrennt und hostet einen True Crime-Podcast. Doch dann wird sie als Dozentin an ihr altes College eingeladen und eine ihrer Studentinnen will sich im Kurs unbedingt mit Thalias Mord beschäftigen. Denn sie ist überzeugt, dass der falsche Täter verurteilt wurde und so setzt sich eine ganze Lawine an Ermittlungen und Verdächtigungen in Bewegung.

„Ich hätte da ein paar Fragen an Sie“ ist der vierte Roman der US-Autorin Rebecca Makkai. Erzählt wird aus Bodies Perspektive in der Ich- und Vergangenheitsform. Besonders ist dabei, dass sie sich dabei an eine bestimmte Person wendet, nämlich Mr. Bloch, ihren damaligen Lieblingslehrer. Außerdem spielt die Protagonistin im Verlauf der Handlung die unterschiedlichsten Szenarien durch, wer Thalia getötet haben könnte und nähert sich so nach und nach der Wahrheit an.

Was die Verurteilung von Thalias Mörder so problematisch macht, ist die Tatsache, dass damals eigentlich immer nur in eine Richtung ermittelt wurde: die des Schwarzen Sportlehrers Omar Evans. Sein Geständnis, scheinbar erzwungen, nahm er nach einigen Tagen zurück, doch es war schon zu spät. Das alles hat Bodie bisher eigentlich nur wenig interessiert, aber als sie gemeinsam mit ihren Student*innen recherchiert, wird sie immer tiefer in den Fall hineingezogen. Doch haben ihre Ermittlungen überhaupt einen Nutzen oder reißen sie nur alte Wunden wieder auf?

Bodie Kane ist eine ungemein unsympathische Hauptfigur. Sie und Thalia waren nie wirklich Freundinnen und wären da nicht gewisse Schuldgefühle, die sie in sich trägt, hätte sie den Fall wohl gar nicht wieder aufgenommen. Zudem präsentiert sie sich oft moralisch überlegen – was jedoch entlarvt wird, als ihr eigener (Noch-)Ehemann in einen Skandal verwickelt wird. Grundsätzlich eine gute Geschichte mit wichtigen Ansätzen (Rassismus, Vorverurteilung, Kritik am True Crime-Format), aber im Ganzen etwas zu lang und konstruiert.

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Veröffentlicht am 11.09.2023

Solider Krimi mit modernen Elementen

Mord im Christmas Express
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Es ist der Abend vor Weihnachten und die pensionierte Polizeibeamtin Roz ist auf dem Weg zu ihrer Tochter, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes steht. Sie hat den Nachtzug gebucht, der von London ...

Es ist der Abend vor Weihnachten und die pensionierte Polizeibeamtin Roz ist auf dem Weg zu ihrer Tochter, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes steht. Sie hat den Nachtzug gebucht, der von London durch die schottischen Highlands nach Fort William fährt. An Bord sind die unterschiedlichsten Fahrgäste: eine Familie mit Kindern, eine Gruppe Student*innen, Mutter und Sohn, einige Einzelpersonen, ein Influencerpärchen und ein blinder Passagier. Doch dann bleibt der Zug unterwegs im Schnee liegen und ein Mord geschieht.

„Mord im Christmas Express“ ist der erste, ins Deutsche übersetzte Roman der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Alexandra Benedict. Erzählt wird hauptsächlich aus der Perspektive der Protagonistin (und unfreiwilligen Ermittlerin) Roz in der dritten Person und der Vergangenheitsform; diese wechselt aber auch zu Influencerin Meg und einer weiteren unbekannten Person unter den Reisenden. Die Sprache ist klar und modern, was sich auch in den behandelten Themen widerspiegelt.

Das Buch wird als moderne Version eines Agatha Christie-Romans beschrieben und das kann man durchaus so stehen lassen - wenn auch die Konstruktion des Falls weniger raffiniert ist. Die Autorin präsentiert uns ein klassisches Locked-In-Rätsel, denn das Opfer wurde bei geschlossener Tür im eigenen Abteil getötet, kurz bevor es etwas Wichtiges öffentlich machen konnte. Im Verlauf der Ermittlungen muss Roz außerdem feststellen, dass einige der Anwesenden Geheimnisse und Verbindungen untereinander haben – und am Ende trägt sie auch in guter Poirot-Manier die Auflösung vor.

Thematisch gesehen hätte „Mord im Christmas Express“ durchaus eine Triggerwarnung nötig, denn hier liegt keinesfalls ein Cozy Krimi vor. Roz selbst kämpft seit vielen Jahren mit einer traumatische Erfahrung, die sie von Tochter Heather entfremdet hat und auch einige der Reisenden tragen die unterschiedlichsten „Päckchen“ mit sich herum. Andererseits verleihen gerade diese Hintergrundinformationen und kleinen Nebenstränge der Handlung eine gewisse Tiefe, aber natürlich auch Schwere. Ein solider Krimi mit modernen Elementen.

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Veröffentlicht am 06.09.2023

Unplausible Handlung

Paradise Garden
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Billie ist 14, als sie und ihre alleinerziehende Mutter Marika etwas Geld gewinnen. Davon wollen sie eine kleine Reise unternehmen, so dass Billie zum ersten Mal das Meer sehen kann. Doch alles kommt anders ...

Billie ist 14, als sie und ihre alleinerziehende Mutter Marika etwas Geld gewinnen. Davon wollen sie eine kleine Reise unternehmen, so dass Billie zum ersten Mal das Meer sehen kann. Doch alles kommt anders als Billies ungarische Großmutter krank wird, der Trip ins Wasser fällt und sie auf tragische Weise ihre Mutter verliert. So macht Billie sich allein auf die Suche nach ihrem Vater.

Auf Elena Fischers Debüt „Paradise Garden“ bin ich durch die Longlist des Deutschen Buchpreises gestoßen. Es war das erste Buch von der Liste, das mich sofort angesprochen hat. Die Handlung wird aus Billies Sicht in der Ich- und Vergangenheitsform erzählt. Mit solchen Perspektiven habe ich oft Schwierigkeiten, weil Kinder und Teenager wie Erwachsene sprechen bzw. schreiben. Auch hier ist das nicht anders. Billie will zwar Schriftstellerin werden, aber dennoch klangen einige Gedanken und Aussagen von ihr nicht unbedingt authentisch.

Im Zentrum des Romans steht die Beziehung zwischen Billie und ihrer Mutter. Die ist als Teenager aus Ungarn fortgegangen und hat sich in Deutschland ein neues, freies Leben aufgebaut. Diese Freiheit bedeutet jedoch auch, dass Mutter und Tochter jeden Cent umdrehen und auf vieles verzichten müssen. Das fällt Billie umso deutlicher auf, da die Familie ihrer besten Freundin Lea reich ist. Ihren Vater hat sie nie gekannt, die Mutter weigert sich standhaft, seine Identität zu verraten. Nach deren Tod muss Billie außerdem feststellen, dass Marika ihr in vielen Dingen nicht die Wahrheit gesagt hat.

Mit „Paradise Garden“ habe ich zwei große Probleme: 1. Die Handlung ist völlig unplausibel. Hier unternimmt eine 14-Jährige eine wochenlange Flucht in einem Auto und niemand wundert sich, dass da eine Minderjährige unbegleitet am Steuer sitzt. (Von anderen zahlreichen glücklichen Zufällen und Begegnungen nicht zu sprechen.) 2. Die Beziehung zur Mutter wird geradezu verklärt. Ja, sie hat Billie allein großgezogen, dennoch hat sie das Mädchen mit ihrem übergroßen Drang, sich bloß an niemanden zu binden, im Prinzip in die Armut gebracht und ihr die Chance auf einen Vater genommen.

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Veröffentlicht am 24.08.2023

Fehlende Informationen

Entweder / Oder
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1996. Es ist Selins zweites Jahr in Harvard und nichts läuft so, wie sie es sich vorstellt. Im letzten Sommer hat sie gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Iwan an einem Auslandsprogramm teilgenommen und sich ...

1996. Es ist Selins zweites Jahr in Harvard und nichts läuft so, wie sie es sich vorstellt. Im letzten Sommer hat sie gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Iwan an einem Auslandsprogramm teilgenommen und sich dabei in ihn verliebt. Doch etwas ist zwischen den beiden vorgefallen und nun hat Selin Liebeskummer. Trotzdem versucht sie, ihr Studium zu bewältigen und nebenbei den passenden Kandidaten für ihr erstes Mal zu finden.

Erst einmal hätte ich mir wirklich eine Information dazu gewünscht, dass es sich bei Elif Batumans „Entweder / Oder“ um einen 2. Band handelt. Denn so habe ich die ganze Zeit darauf gewartet, zu erfahren, was zwischen Selin und Iwan vorgefallen ist. Tja, dazu kam es nicht, denn das steht wohl alles in Band 1 namens „Die Idiotin“. Erzählt wird übrigens aus der Sicht von Protagonistin Selin in der ersten Person und der Vergangenheitsform, über ein ganzes akademischer Jahr hinweg.

Was erzählt sie denn aber nun? Alles und nichts. Selin geht in ihre Kurse und diskutiert über Literatur. Sie trifft ihre Kommilitonen. Sie schreibt Mails an Iwan. Sie denkt über Sex nach und über ihr Leben als Ganzes. Das alles hatte für mich eher den Charmes eines Berichts – und der Humor ging, ehrlich gesagt, auch an mir vorbei. Vielleicht lag es daran, dass ich von Beginn an zu Selin keinen Bezug herstellen konnte und sie mir fremd blieb.

Iwan schreibt irgendwann in einer E-Mail sinngemäß: „Selin, kannst Du nicht mal irgendwas normal machen?“ Und auch wenn ich eigentlich kein Mensch bin, der mit solchen Kategorien um sich wirft, stellte sich mir diese Frage auch. Selin bewegt sich in einer akademischen Umgebung, sie lernt Russisch und beschäftigt sich mit Literatur (deren Handlung sie übrigens auch gerne spoilert). Auf der anderen Seite ist sie vollkommen welt- und lebensfremd, manchmal wie ein kleines Kind. Interessant wird es erst ab der Hälfte des Buches, wenn ihre Depressionen angesprochen und Selin auf eine Reise in die Türkei geht. Da hatte mich das Buch aber schon verloren.

Daher von mir leider nur 2 Sterne, 3 würde ich wohl vergeben, wenn ich die Handlung von Band 1 gekannt hätte.

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