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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.07.2022

Sichtbar machen was sonst verborgen bleibt

Beifang
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Der Ruhepott ist eine besondere Gegend auf so viele verschiedene Arten, deren Bewohner werden aber selten intensiv porträtiert. Der Roman ‚Beifang‘ von Martin Simons nimmt uns mit und zeichnet mit seinem ...

Der Ruhepott ist eine besondere Gegend auf so viele verschiedene Arten, deren Bewohner werden aber selten intensiv porträtiert. Der Roman ‚Beifang‘ von Martin Simons nimmt uns mit und zeichnet mit seinem Roman ein Psychogram einer Gegend, die er besonders gut kennt. Ist er doch auch in Selm aufgewachsen und Beifang ist ein Stadtteil von Selm. Er weiß wovon der schreibt und tut dies in einer tollen Art.
Beifang - so der einfache Titel. Einfach nicht nur der Titel, sondern auch die Gegebenheiten die wir hier vorfinden. Der Protagonist Frank Zimmermann geht auf familiäre Spurensuche, denn er will mehr über seinen Großvater herausfinden, Winfried Zimmermann, als er das Haus verkauft in dem er aufwuchs. Winfried Zimmermann war nach dem Krieg ein einfacher Zechenhilfarbeiter. Er hatte 12 Kinder, darunter Franks Vater Otto. Doch das Verhältnis von Frank und seinem eigenen Vater Otto war immer von Schweigen geprägt. Diese Generation der 12 Kinder wächst in prekären Verhältnissen auf. Lieblos. Arm. Ohne Zuneigung und Aufmerksamkeit und ist nicht selten auch durch Gewalt geprägt.
In diesen familiären Schlamm wühlt sich nun Frank hinein und findet viel über seine eigene Familie heraus und auch über sich. Wie sehr ihn diese Vergangenheit im tiefsten prägte und sich nun im eigenen Umgang wiederfindet wie mit dem eigenen Sohn Vincent.
Martin Simons hat eine ohnmächtige Atmosphäre erschaffen, die auch die Nachwehen des Kriegs stark beleuchten, wie sich das durch so etliche Familien gezogen hat. Das Schweigen hier ein Mittel, um überhaupt das zu ertragen was war und gerne vergessen werden wollte.
Ich selbst kenne die Gegend gar nicht und fand dieses fiktive Portrait einer Arbeiterfamilie aus dem Ruhrgebiet sehr bereichernd.
Fazit: Es schaut dem kleinen Malocher in die Seele und zeigt und wo der Schuh drückte.

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Veröffentlicht am 22.07.2022

Feinste Wohnlagen!

NEW YORK - Wie es keiner kennt
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‚New York wie es keiner kennt‘ ist ein klassiches Coffetable book in einem handlichen Format. Dieses Buch ist gespickt mit allertollsten Fotos und präsentiert meine Lieblingsseite von Manhatten: eine lebens- ...

‚New York wie es keiner kennt‘ ist ein klassiches Coffetable book in einem handlichen Format. Dieses Buch ist gespickt mit allertollsten Fotos und präsentiert meine Lieblingsseite von Manhatten: eine lebens- und liebenswerte Stadt. Der einzige Teil außerhalb von Manhatten der hier auch zuletzt gezeigt wird ist: Brooklyn Heights.
Das alles was wir hier sehen an Lifestyle und Immobilien unbezahlbar teuer ist - that goes without saying! Aber die Straßen lassen sich trotzdem erkunden und einen bezaubern. Susan Kaufman hat ihre liebsten Ecken fotografiert und hier zusammengestellt. Geschmackvoll und schön inszeniert, natürlich kann sie es, denn sie ist einer der Zeitschriften-Publishing-Queens in New York.
Toll finde ich, dass jeder der Gegenden eine kleine Einleitung gewidmet ist und jedes Haus, dass wir sehen auch lokalisierbar ist, sprich mit Adresse. Wer also das Original sehen will - easy! Und es lohnt sich die Bildunterschriften zu lesen, denn auch hier hat Susan Kaufman einiges an Infos „versteckt“. Auch gibt es ab und an die Lieblingsorte der Autorin verzeichnet in einer stylischen Karte.
Besonders überrascht haben mich die vielen Fotos ohne Menschen, es wirkt wie ausgestorben. Waren das alles Bilder der Pandemiezeit? Das wusselige der Stadt wird hier außen vorgelassen und den schönen Häusern, die gemütlich die Straßenzüge zieren ein Denkmal gesetzt.
Ein Buch, dass sich gut verschenken lässt an alle NY lovers und die, die es werden wollen. Aber Achtung, kein Reiseführer und kein Buch das einem die Stadt holistisch näherbringt.
Fazit: New York kann auch entspannt sein!

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Veröffentlicht am 21.07.2022

Andre Sprachen, andere Schreibstile

Dämmerstunde
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„Im Lauf der Zeit sorgt menschliche Schwäche dafür, dass man nur einen Bruchteil von seinen ursprünglichen Idealen aufrecht erhält – den Rest passt man eben an, sofern man ihn nicht vollkommen über Bord ...

„Im Lauf der Zeit sorgt menschliche Schwäche dafür, dass man nur einen Bruchteil von seinen ursprünglichen Idealen aufrecht erhält – den Rest passt man eben an, sofern man ihn nicht vollkommen über Bord wirft. Aber selbst das wenige, dass man eigentlich aufrechterhalten wollte, landet letztendlich oft in einer Rumpelkammer der bloßen Erinnerung – das übliche Schicksal von Altenkrempe, für den man schon die längste Zeit keine Verwendung mehr hatte.“ (S. 14)
Dieses Buch ergründet anhand einer fiktionalen Biografie wie der Zufall des Geburtsortes die eigene Zukunft bestimmt. Bak Minu hat es geschafft aus einem Vorort von Seoul sich durch harte Arbeit und Glück hochzuarbeiten und ist angesehener Architekt mit eigener Baufirma. Der Roman erzählt, nicht geradlinig, wie dieser Werdegang verlaufen ist. Reflektierend aus der Sicht von Bak Minu. Hinzu kommt eine zweite Erzählebene, die uns mitnimmt in das traurige Leben der Uhi in der Gegenwart, eine junge Frau, die Regisseurin werden will und nachts zum Überleben in einem 24h-Shop arbeiten muss. Sie haust in einem Souterrain-Zimmer. "Aber keine Bange. Letzten Endes geht's auch mir ums Überleben." (S.87)
Natürlich haben die beiden Erzählstränge miteinander zu tun und natürlich ist es keine leichte Lektüre die hier vorliegt. Aber bereichernd. Der Text ist stoisch und sehr monoton erzählt und doch hat er eine gewisse Kraft und dringt mit seiner Botschaft immer wieder durch. Der Erzählstil ist nüchtern, aber doch mit Anklang zur Poesie. Auch hat mich positiv gestimmt, dass so viele koreanische Elemente enthalten sind, wenn da von Sojus, Gwangju und vielen anderen Begriffen die Rede ist. In der Tat hätte der deutschen Ausgabe ein Glossar gutgetan.
Bezeichnet ist die bauliche Veränderung die um und in Seoul vor sich ging in den letzten Jahrzehnten. Hier wird eindringlich beschrieben wie der Slum verlassen wurde, wie die Städte immer weiter ausfransen, wie der Platz und Raum für die stetig wachsende Bevölkerung nicht nachkam. Auch die wenig menschenfreundliche Art mit Mitarbeitern umzugehen ist ein Kernelement dieses Romans. Leben wurde und wird wenig Wertschätzung entgegengebracht.
Hwang Sok-Yong hat 2015 diesen Roman im Original vorgelegt, nun ist er von Andreas Schirmer ins Deutsche übertragen worden. Dämmerstunde ist ein eigenständiges Werk vom Autor, auch wenn der Klappentext hier irreführend sein kann. Und, wenn das Buch nun gelesen werden sollte, ganz dringend das Nachwort lesen, wenn nicht sogar vorab! Das setzten die Geschichte auch noch einmal in ein anderes Licht.
Fazit: Wer gerne mal sehr koreanisch lesen möchte, ist hier bestens bedient.

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Veröffentlicht am 12.07.2022

Wenn der Kopf dann doch Emotionen zulässt

Boy meets Girl
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In Zeiten wie diesen darf ein Roman auch mal leichter sein, nicht die geopolitischen Themen verhandeln und mich in die Krise stürzen. Vor allem bei hohen Temperaturen lese ich gerne mal was über die Liebe. ...

In Zeiten wie diesen darf ein Roman auch mal leichter sein, nicht die geopolitischen Themen verhandeln und mich in die Krise stürzen. Vor allem bei hohen Temperaturen lese ich gerne mal was über die Liebe. Ja, das darf auch mal sein und diesmal viel mir ein besonders netter Roman in die Hände: „Boy meets girl“ von Julia Holbe. Na ja, fallen ist der falsche Begriff, denn ich habe die sehr sympathische Autorin auf einer Lesung im Frankfurter Literaturhaus bei „beziehungsweisen“ erleben dürfen und wollte umgehen dieses Buch lesen!
Es hört sich so simpel an, aber wenn es an die Gefühle, das Älter werden und die „letzte Chance“ geht doch noch mal Schwung in die Bude zu bekommen, dann kommt doch eine kleine Wehmut ans Licht und man fühlt mit Nora mit. Wer ist Nora und wie kommen sie in diese Situation? Nora findet einen Schlüpfer einer anderen Frau im Wäschebeutel ihres Mannes Paul…und klar, die Ehe, die bis dato als glücklich von ihr empfunden wurde, wird in Frage gestellt. Das Leben plättscherte so vor sich hin, die erwachsene Tochter ist aus dem Haus und Nora war oft mit dem Fokus bei der Arbeit. Die – Ironie pur – als Paartherapeutin erfolgreich ist und auch Bücher übers Thema schreibt. Nora macht aus, dass sie reflektiert ist. Sie ist eine Perfektionistin, eine Frau, die ihr Leben unter Kontrolle hat und stets vernünftig agiert und reagiert.
Boy meets girl – ein Titel aus der Filmbranche geliehen war das erste was Julia Holbe hatte noch bevor der Text zu leben begann! Sie schreibt leicht und verständlich, ich konnte mich wahnsinnig gut in Nora einfühlen, obwohl ich diesen fortgeschrittenen Lebensabschnitt (noch) nicht erreicht habe. Nora hat die 50 Jahre knapp überschritten und muss sich nun ehrlich die Frage stellen: Was kommt noch? Passiert noch was? Bringt es ihrem Leben etwas immer alles unter Kontrolle zu haben? Und in diese turbulente Situation hinein trifft sie einen jüngeren Mann und das auch noch im Supermarkt. Dann gibt es noch ihre Jugendliebe Jan aus früheren Zeiten, auch wenn Nora das zunächst anders sich selbst gegenüber darstellt. Hört sich alles MEGA chessy an, ist aber super gut geschrieben und sehr sehr gut lesbar. Denn die inneren Zwänge kippen bei Nora und das Leben nimmt seinen Lauf!
Fazit: Liebe, aber in literarisch anspruchsvoll – liest sich leicht weg und macht Spaß! Wie ein Film im Kopf, wenn die Seiten fliegen.

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Veröffentlicht am 11.07.2022

Urbanes Gesellschaftsreflektion

Der Biss
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Früher war alles mal anders…. Und nun ist die Welt mehr als komplex und viele werden leider abgehängt. Florian Scheibe gibt uns mit seinem Roman „Der Biss“ ein literarisches Hilfsmittel an die Hand uns ...

Früher war alles mal anders…. Und nun ist die Welt mehr als komplex und viele werden leider abgehängt. Florian Scheibe gibt uns mit seinem Roman „Der Biss“ ein literarisches Hilfsmittel an die Hand uns diesem gesellschaftlichen Wandel einmal fiktional zu nähern.
Es geht im Grunde genommen um einen Vorfall auf dem Spielplatz. Da ist zum einen die Familie die nach neusten Idealen und Vorstellungen lebt. Vegan, nur Bio, David ist Hausmann mit all der Care-Arbeit für den Sohn Jonas, Sybil macht Karriere und ist Nachhaltigkeitsbotschafterin. Natürlich haben die beiden eine tolle Wohnung in hipper Berliner Lage. Jonas, der Sohn ist schwierig und da liegt auch der Pfeffer im Korn.
David ist mit Jonas auf dem Spielplatz und da geschieht es : „Der Biss“. Ein anderes Kind beißt Jonas und David rastet förmlich aus. Der Vater des anderen Kindes ist völlig perplex und versteht die Situation nicht, weil seine Deutschkenntnisse sehr limitiert sind. Petre und seine Frau Aurica kommen aus Rumänien und erhoffen sich ein besseres Leben in Deutschland. Sie ist Krankenschwester, deren Berufsausbildung nicht anerkannt wird und er ist Koch und auf der Suche nach Arbeit.
Der Roman stellt diese diametral gegenüberliegenden Lebenssituationen sehr gut dar und beleuchtet die Gegebenheiten. Hier prallen zwei Welten mit voller Wucht auf einander und die Geschichte spiegelt uns hier so viele Themen die mit Zuwanderung, Gentrifizierung, Diskriminierung, Bubble-Leben, Privilegiertes Leben, Zukunftsvisionen vs Ängste. Ein spannendes gesellschaftliches Portrait unserer urbanen Zeit.
Es gab einige unnötigen Stellen, die den Roman nicht bereichert haben. Das hätte Florian Scheibe sich sparen können. Aus meiner Sicht fast kontraproduktiv zum Kern des Romans. Aber davon mal abgesehen eine gute Lektüre.

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