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Nilchen

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Veröffentlicht am 25.08.2024

Portrait eines jüdischen Clans mit russischen Wurzeln

Juli, August, September
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Ich erinnere mich noch gut an das Debüt von Olga Grjasnowa. Der Russe ist einer, der Birken liebt. Was ein toller Roman! Und seit dem bin ich der in der UdSSR (Baku, Aserbaidschan) geborenen für ihre auf ...

Ich erinnere mich noch gut an das Debüt von Olga Grjasnowa. Der Russe ist einer, der Birken liebt. Was ein toller Roman! Und seit dem bin ich der in der UdSSR (Baku, Aserbaidschan) geborenen für ihre auf Deutsch verfassten Romane sehr dankbar. Die deutsche Schriftstellerin mit russischen Wurzeln schafft es großartig sich ihrem kulturellem Erbe zu widmen und deckt auf was mache lieber im Dunkeln lassen.
Auch hier wieder eine spannende Suche. Juli, August, September. Drei Monate, drei Orte, drei Phasen der Erkenntnisse.
Wir lernen Lou kennen, eine jüdische Frau in Berlin ohne großen Hang zur eigenen Religion. Ihre eigene Tochter Rosa ist praktisch atheistisch aufgewachsen und doch ist das jüdische Sein so ein zentraler Bestandteil des eigenen Ichs. Im August landet sie auf Gran Canaria für den 80 Geburtstag ihrer Tante Maya. Alle kommen sie eingeflogen aus Israel und anderen Ecken um die Vergangenheit heraufzubeschwören und zu leiden. Es kommen auch so manche Lügen ans Licht.
Ein russischstämmiger jüdischer Clan, der im eigenen Saft schmorrt, nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander kann. Lou mag sich nun ein eigenes Bild machen von dem eigenen Bezug zum Jüdisch sein, zur eigenen Familie, zu sich selbst und reist im September nach Tel Aviv und begibt sich auf Spuren und auf Zukunftssuche.
Bissig, auf den Punkt, gelungen ist diese Prosa. Gern hab ich diesen Roman gelesen. Auch wenn es ein wiederkehrendes Sujet ist, die Spurensuche außen wie innen, es loht sich! Ein toller Roman, ich kann ich sehr empfehlen.

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Veröffentlicht am 25.08.2024

Wut eines Heimatlosen

Als wir Schwäne waren
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Der letzte Khani war härter in mitten Berlins, der neue Lebensmittelpunkt des Autors. Nun also Bochum und ein wenig abgeschwächt im Ton, aber weiterhin treffsicher und gelungen. Mit „Als wir Schwäne waren“ ...

Der letzte Khani war härter in mitten Berlins, der neue Lebensmittelpunkt des Autors. Nun also Bochum und ein wenig abgeschwächt im Ton, aber weiterhin treffsicher und gelungen. Mit „Als wir Schwäne waren“ taucht Khani in seine eigene Vergangenheit ab, ist der doch selbst dort groß geworden und kenn das beschriebene Milieu und wie es dort zuging sehr genau.
Er macht erneut und zurecht die Themen der Chancengleichheit auf, zeichnet Bilder des Abgehängt sein und wo das hinführen kann. Ein Buch das Wut in sich trägt und auch das Thema Heimat in sich trägt. Gut, dass hier jemand schreibt der sehr genau weiß wovon er schreibt. Keine Analyse und ein „Hineindenken“. Nein, er kennt das was er beschreibt. Fiktionl, aber sehr persönlich.
Der Roman wird aus der Ich-Perspektive von Reza erzählt, retroperspektiv will er dem eigenen Sohn mitgeben, dass es immer Wege gibt eine bessere Zukunft zu gestalten. Stakkato, slangmäßig wird hier in Erinnerungen gekramt und uns entgegengeschleudert. Ein eigener Tonfall, meist kurz, abgehakt. Passt.
Weil es so anders ist, macht dieser Roman besonders viel Freude zu lesen. Eine Bereicherung in der deutschen Literatur.

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Veröffentlicht am 01.08.2024

Tolles sprachgewandes Buch!

Die Rassistin
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“Sie ist ein guter Mensch mit einem schlechten Gewissen. Alles Unrecht der Welt lastet auf ihr, als wäre es ihre Schuld.” S 17
Was für ein famoses Buch! Ich habe es mächtig gerne gelesen und kann es allen ...

“Sie ist ein guter Mensch mit einem schlechten Gewissen. Alles Unrecht der Welt lastet auf ihr, als wäre es ihre Schuld.” S 17
Was für ein famoses Buch! Ich habe es mächtig gerne gelesen und kann es allen Sprachafinen und diskussionsliebenden Menschen an Herz legen. Allen, die echten Bedarf haben Argumente zu wälzen und die Absurdität der Extreme erkennen.
Im Mittelpunkt steht Frau Dr. Nora Rischer, Professorin für Soziallinguistik. Wir kreisen um sie mit ihren Gedanken und mit uns kreisen da viele Kopfstimmen der Rischler mit. Wir lesen auch Anmerkungen von Involvierten im Schreibprozesses. Ein Buch das in sich eine Metaeben ist und das nur in Rischlers Kopf.
„Es ist sehr schwierig, sicher zu sein, dass man etwas nicht tun wird. Etwas zu tun, ist viel leichter.“ (S. 199)

Was sich anstrengend anhört, macht Spaß zu lesen, ist getränkt von schwarzem Humor (da gebe ich dem Klappentext recht) und ist einfach herrlich zu lesen.
Wir lesende tauchen in Frau Rischlers Kopf ab. Sie bekommt eine Email, da es an ihrem Institut einen rassistischen Vorfall gegeben haben soll. Sogleich erinnert sich die stets nach Perfektion strebende und regelkonforme Professorin an eine Situation, die in ihrem Seminar passierte und passen könnte. So und nun Kopfkino an! Entlang dieses Vorwurfs entspinnt sich vieles, auch andere Themen rund um die akademische Bubble und dem Leben in diskussionswürdigen Zeiten der Angemessenheit.
Mir hat die Art wie Jana Scheerer schreibt absolut gut gefallen. Diese verschiedensten Ebenen zu verbinden, die Diskussionen und argumentativen Auseinandersetzungen, sehr gelungen. Und als Nicht-Geisteswissenschaflerin, ich oute mich, ich kann rechnen… fand ich es sehr erfrischend so viel fachliches Knowhow der Linguistik im Roman zu entdecken. Die Autorin nutzt das Spektrum ihres germanischen Fachvokabulars ausführlich und treffend, wie interlingualen Interferenzen oder Phoneminventar oder diskursive Konstruktion von Entschuldigungen.
„Prototypensemantik. Dahinter steckt die Idee, dass jeder Begriff im Zentrum einen sehr typischen Vertreter hat und an den Rändern Exemplare, die als weniger typisch gelten.“ (S 155)

Alle die Sprache lieben, sollten diesen Roman lesen!

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Veröffentlicht am 30.07.2024

Absolut gelungenes Portrait im Zeitgesehen einsortiert

Die sieben Leben des Stefan Heym (Graphic Novel)
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„Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu lernen“ (Stefan Heym;1989)
Ich muss gleich mit der Tür ins Haus fallen: Vor dieser grandiosen ...

„Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu lernen“ (Stefan Heym;1989)
Ich muss gleich mit der Tür ins Haus fallen: Vor dieser grandiosen Graphic Novel konnte ich mit dem Namen Stefan Heym nichts anfangen. Ich kannte diesen Schriftsteller nicht. Asche auf mein Haupt. Liegt es daran, dass ich nicht in der DDR aufgewachsen bin? Warum ist dieser Mann in den alten Bundesländern so wenig bekannt? Umso besser, dass Gerald Richter und Marian Kretschmer das nun geändert haben mit ihrer sehr umfangreichen und tollen Graphic Novel!
Dieses Buch hat es in sich, auf 300 Seiten wird nicht nur das durch Brüche geprägte Leben des in Chemnitz geborenen Schriftstellers Stefan Heym illustriert. Auch die geschichtlichen Ereignisse, die zu diesen Umbrüchen führten, werden erklärt. Erster Weltkrieg, Hitlers Terrorregime, die McCarthy Ära, der Kalte Krieg und vieles mehr. Daher macht es das Buch umfangreich, aber eben auch für junge Leser spannend, denn alles wird historisch eingeordnet und erklärt. Daher ist diese Graphic Novel eine gute Sache für Jugendliche!
Stefan Heym war deutscher Jude und dadurch im 20. Jahrhundert stets getrieben sein Leben neu zu gestalten in absolut verzweifelten Momenten. Es gibt 9 Kapitel in denen sein Leben von der Geburt bis zum Tod erzählt wird. Wahnsinnig spannend wo es ihn überall hin verschlagen hat. Und er hat immer sein Demokratiebewusstsein gelebt und sich stark gemacht.
Bei all seiner Härte, die Stefan Heym erleben musste, gibt er uns allen Hoffnung. Wer sich einbringt, wer aufsteht und seine Werte und die Demokratie lebt und schätzt, ist Teil einer sinnstiftenden Gemeinschaft, die für alle lebenswert sein kann.
Eine wunderbarte Art einen Schriftsteller zu portraitieren, eine herausragende Persönlichkeit zu ehren und die Demokratie zu schätzen!

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Veröffentlicht am 29.07.2024

Weggeträumt

Safari durch die wilde Stadt
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Wer kennt das nicht mit kleinen Kindern zu Hause. Es soll geschlafen werden, aber das Kind ist putzmunter! Vorlesen als Ritual ist da schon super hilfreich und wenn es dann noch ein Bilderbuch ist welches ...

Wer kennt das nicht mit kleinen Kindern zu Hause. Es soll geschlafen werden, aber das Kind ist putzmunter! Vorlesen als Ritual ist da schon super hilfreich und wenn es dann noch ein Bilderbuch ist welches hilft die Adrenalinkurve herunterzuschrauben, hat schon mal die halbe Miete.
Hier in „Safari durch die wilde Stadt“ von Thomas Docherty ist das so. Ein kleiner Junge ist im Schlafanzug und schaut sich noch ein paar Bücher an. Er träumt sich davon mit den wilden Tieren, ist unterwegs in der Stadt und entdeckt immer mehr Tiere, bis immer weniger Stadt und immer mehr Wildnis die Überhand nimmt.

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