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Nilchen

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Veröffentlicht am 09.02.2024

Wenn Lebensträume durch die Weltpolitik platzen

Wo die Geister tanzen
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Flucht, Trauma, Überleben. Zugleich aber auch Leben, Hoffnung und Weitblick für Familie.
Joana Osman ist eine spannende Frau mit interessanten Wurzeln. Ihr Vater kam zum Studieren nach Deutschland und ...

Flucht, Trauma, Überleben. Zugleich aber auch Leben, Hoffnung und Weitblick für Familie.
Joana Osman ist eine spannende Frau mit interessanten Wurzeln. Ihr Vater kam zum Studieren nach Deutschland und lernte ihre deutsche Mutter kennen, aufgewachsen ist sie in Bayern. Immer interessiert am qualitativen und positiven Austausch und Friedensunterstützerin. Mitbegründerin von ‚The Peace Factory‘. Nun ist in 2023 ihr zweiter Roman erschienen „Wo die Geister tanzen“.
Aktueller könnte ein Roman nicht sein, beleuchtet er doch als palästinensische Stimme die Historie des Nahostkonflikts auf persönlicher Ebene. Denn sie schreibt autofiktional über die Geschichte ihrer Großeltern, die 1948 Jaffa verlassen mussten. Vorher ein schönes Leben als Kinobetreiber, war das (sehr unterschiedlich alte) Paar glücklich in Jaffa. Das Gebiet wurde britisches Mandatsgebiet und nun waren 70.000 palästinensische Araber auf der Flucht. Sabiha und Ahmed Osman flohen in den Libanon und dann in die Türkei. Sie bekamen 7 Söhne miteinander, die in prekären Umständen zeitweilig lebten. Alles verloren und immer wieder aufrappeln. Alltäglich und doch dramatisch.
Eine harte Lebensgeschichte, die nur so strotzt vor Dramatik und hier hat Joana Osman aus meiner Sicht viel Gutes getan, indem sie dem Roman ein wenig Leichtigkeit, saloppe Sprache und Alltägliches im Absurden verpasst hat. Das schattiert und hilft beim Verdauen. Wie auch wir alle im Leben schreckliches kennen, aber es nicht immer nur eine einzige Schattierung des Lebens ist, die uns begleitet.
Toll geschrieben, hat Joana Osman hier gutes tolles Buch geschrieben, dass nicht nur ihre spannende Familienhistorie fiktional aufarbeitet. Auch hat sie uns mit einer palästinensischen Stimme beglückt und das Spektrum der Geschichten um einen weiteren Mosaikstein bereichert.

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Veröffentlicht am 09.02.2024

Dem White Trash der USA Gehör schenken

Demon Copperhead
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Wow! Gleich zwei Preise hat Barbara Kingsolver mit diesem Roman abgeräumt! Den Pulitzer Prize und den Women’s Prize for Fiction. Das sind schon mal zwei Auszeichnungen, die meine Erwartungshaltung sehr ...

Wow! Gleich zwei Preise hat Barbara Kingsolver mit diesem Roman abgeräumt! Den Pulitzer Prize und den Women’s Prize for Fiction. Das sind schon mal zwei Auszeichnungen, die meine Erwartungshaltung sehr hochgehängt haben. Und sie hat mich überzeugt. Was macht das Buch so gut, um mal gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Das Innenleben darzustellen wie es bei einem Heranwachsenden aussieht, der auf so vielen Ebene eine suboptimale Startposition bekommen hat. Barbara Kingsolver schafft es sehr differenziert hier unsere Wahrnehmung für Randfiguren unserer Gesellschaft zu beleuchten und denen eine Stimme zu geben. Natürlich ist der Roman auch voll von Obszönitäten und es gibt Textstellen, die fernab meiner eigenen Lebensrealität sind. Aber genau darum geht es aus meiner Sicht, dass was die Welt alles bereit hält zu reflektieren und anzuerkennen!
Es geht um den titelgebenden Junge, Damien, den alle nur Demon (Teufel) nenne. Schon hier eine unfassbare Tiefe, die sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht. White Trash mit roten Haaren, Copperhead. Er selbst Sohn einer drogensüchtigen Teenie-Mutter, Vater schon bei der Geburt nicht mehr unter den Lebenden wächst in einem Trailerpark in Virginia auf. Als die Mutter auch stirbt, gibt es nur noch den uninteressierten Stiefvater.
Wir begleiten Demon auf seinem Lebens- und Leidensweg und mit diesem erzählt Barbara Kingsolver noch die großen strukturellen Problemfelder der USA in diesem Milieu. Diese hat mit struktureller Armut zu tun und hängt mit der Opioid-Epidemie zusammen, was natürlich auch dann Auswirkungen zeigt bei Pflegefamilien und dem ganzen Thema Kinderschutz.
Als ich die letzte Seite gelesen hatte, wunderte ich mich ein wenig, dass die schiere dicke des Kloppers mich nicht mental erschlagen hat. Mit Nichten, ich fand es hatte den richtigen Umfang und das sag ich nicht oft zu solch Seitengewaltige Werke! Immerhin über 800 Seiten!
Der große Vergleich zu Dickens Roman David Copperfield, finde ich ganz persönlich etwas schwierig, aber das mag auch an mir liegen. Ich finde, dass Demon Copperhead diese Parallele nicht braucht, auch wenn beide Romane im Kern einen jungen Mann im Fokus haben, der am Rande seiner Familie und der Gesellschaft lebt.
Ich hoffe nun, dass andere Bücher von Barbara Kingsolver wieder aufgelegt werden in Deutschland, wie die „Giftbibel“, auch wenn sie thematisch sehr anders sind.

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Veröffentlicht am 06.02.2024

Epochale Beleuchtung Chinas

Die Gebärmutter
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Es beginnt schon sehr plastisch mit der nüchternen Beschreibung einer Kastration eines Hahnes, weil er so schneller fett wird. Und das setzt den Tenor des Buches, denn hier wird wahnsinnig gut ein gesellschaftliches ...

Es beginnt schon sehr plastisch mit der nüchternen Beschreibung einer Kastration eines Hahnes, weil er so schneller fett wird. Und das setzt den Tenor des Buches, denn hier wird wahnsinnig gut ein gesellschaftliches Setup besprochen. China und seine Art die Gesellschaft in einen passenden Rahmen zu pressen und auf eine notwenige Größe zu reduzieren. China das nichts vom Individualismus hält und seinem Volk die Gemeinschaft als höchstes Gut anpreist.
Im Mittelpunkt die gebärfähigen Frauen, die durch und mit ihren Kindern in eine frustrierende und harte Lage kamen. Wenig Wissen um den weiblichen Körper, die moralische Härte anderer Frauen, die vor allem verurteilen und sich gegenseitig keine Stütze sind.
All das verpackt Sheng Keyi in eine Familiengeschichte, die vorrangig von den 70er Jahren bis in die 2010er Jahre spielt. Die Zeit der 1-Kind—Politik. Sheng Keyi schlägt einen weiten Bogen in diesem Familienepos, der das Ausmaß sehr gut einfängt. Zum Glück gibt es vorne im Buch einen Stammbaum, der hilft den Überblick zu behalten. Die erste Frau in dieser Geschichte ist Qi Nianci, um die Jahrhundertwende geboren. Das Leid abgebundener Füße und ein extrem traditionelles Leben haben ihr nicht viel Freude bereitet und sie zu einer harten Frau werden lassen. Sie hatte eine Tochter: Chu Anyun. Diese wiederum gebar ganze 5 Töchter und einen Sohn. Und das ist der Mittelpunkt der Geschichte, diese fünf Frauenleben. Alles sehr facettenreich und interessant aufgefächert in den chinesischen Moralvorstellungen und Gegebenheiten der damaligen Zeit reflektiert.
Mich wundert es nicht, dass Sheng Keyis Bücher in China zum Teil verboten sind. Kratzt es doch an dem Image des Global Players und legt Wunden offen. Ich habe diesen umfangreichen Roman sehr gerne gelesen und kann ihn allen empfehlen, die sich gerne mit dem gigantischen Land in Asien befassen. Aus dem Chinesischen übersetzt von Frank Meinshausen.

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Veröffentlicht am 04.02.2024

Im historischen Norden von Schweden abtauchen

Mein Herz ist eine Krähe
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Dieses Buch mit knapp 450 Seiten ist ein tiefer Blick in das historische naturnahe Leben im Norden von Schweden. Es ist ein Roman, der alle begeistert, die gerne das Raue der Natur erlesen und sich ein ...

Dieses Buch mit knapp 450 Seiten ist ein tiefer Blick in das historische naturnahe Leben im Norden von Schweden. Es ist ein Roman, der alle begeistert, die gerne das Raue der Natur erlesen und sich ein Leben im Einklang der Jahreszeit und der Abhängigkeit von den Erträgen der Ernten vorstellen möchten.
Aber nicht nur das karge Leben der Bauersleute, die Armut und der Hunger spielen hier eine Rolle. Auch die Liebe in zweierlei Hinsicht ist hier der Mittelpunkt. Zwei Frauen lernen wir näher kennen, die eine auf der Flucht aus Trondheim – 1897 – Unni mir ihrem Sohn Roar. Sie kommen nach Hälsinglands und beginnen von neuem. Die andere 80 Jahre danach Kara, ihr Schwiegervater: Roar. Die beiden Frauen haben sich zwar nie im Leben getroffen, aber verbindet sie so viel über die gemeinsame Familiengeschichte und leidvolle Schicksalsschläge. Hart und einschneidend sind die Erfahrungen.
Spannend hat die schwedische Autorin Lina Nordquist diesen Roman komponiert in einer Gegend, die sie gut kennt, da sie dort aufgewachsen ist. Lina Nordquist ist eine vielfältige Frau, sitzt sie doch momentan im schwedischen Parlament, außerdem ist sie Professorin und Diabetesforscherin. Eine Frau, die ein Auge für Details und psychologisches Feingefühl zu haben scheint. Ihre Prosa in diesem Debütroman kommt prall und zugleich nüchtern daher. Überzeugend gut. Kein Wunder, dass dieser Roman im Jahr 2022 in Schweden zum Besten gekürt wurde. Im Original „Dit du gar, följer jag“ heißt wörtlich übersetzt: Wo du hin gehst, folg ich dir.
Ein Roman, der die Widrigkeiten des Lebens im Gestern und Heute fiktiv dokumentiert und zugleich einen mit Fassungslosigkeit über himmelschreiende Ungerechtigkeit zurücklässt. Zugleich aber die immerwährende Hoffnung im Nacken zu sitzen hat, denn im Grunde bedeutet Hoffnung das Leben. Ist diese weg, bleibt nur ein Ende.
Ich freue mich bereits auf neuen Stoff der Autorin, bin gespannt, was sie als nächste Thema beackert. Toll zu lesen durch die Übersetzung von Stefan Pluschkat.

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Veröffentlicht am 04.02.2024

Emotionen treiben die eigene Produktivität

Feel-Good Productivity
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Ali Abdaal ist eine spannende Person, er ist von Hause aus Arzt und Psychologe und startete während seines Studiums einen YouTube-Kanal. Hoch interessant! Klickt euch mal rein, wenn ihr den noch nicht ...

Ali Abdaal ist eine spannende Person, er ist von Hause aus Arzt und Psychologe und startete während seines Studiums einen YouTube-Kanal. Hoch interessant! Klickt euch mal rein, wenn ihr den noch nicht kennt. Aber noch besser, lest sein Buch.
Denn in „Feel Good Productivity – Produktiv sein ohne Stress und mehr vom Leben haben, räumt er mit Mythen der Hustle Culture auf und was uns wirklich zu guten Leistungen treibt. Und wie der Titel schon verrät, der Schlüssel sind die eigenen Emotionen. Wer keine Lust hat und eine innere Blockade hat eine Tätigkeit anzugehen, wird sie nie mit einer guten Produktivität erledigen können. Es ist eine Einstellungssache und entsprechend wichtig wie die Gefühle zu einer Aufgabe stehen, die zu erledigen ist.
„Erfolg führt nicht zu Zufriedenheit. Zufriedenheit bringt Erfolg – in allen Bereichen des Lebens.“
Mir ging die simple Wahrheit durch den Kopf, dass die Berufswahl auf etwas fallen sollte, was einem Spaß macht und das eigene Interesse weckt. Genau das ist es doch! Wer ein Umfeld oder einen Job, ein Studium, ein Fach – you name it – „durchziehen“ will, weil es von außen als sinnvoll erachtet wird, kann nie sein volles Potenzial ausschöpfen bzw. hat eine hohe Belastung ergo weniger Produktivität.
Ali Abdaal schreibt kurzweilig und erklärt sehr gut und zeigt was Produktivität für ihn bedeutet und das nicht nur auf die Arbeitswelt anzuwenden. Auch das Privatleben kennt die gleichen Hürden, bloß, dass die meisten sich bei Produktivität auf die Arbeitswelt beschränken.
Seine Definition von Produktivität bezieht sich auf drei Größen: (a) absichtlich, (b) effektiv und (c) angenehm. Um mehr zu erfahren, lest es selbst. Mich hat es bereichert und noch mal den Blickwinkel erweitert.
Gut übersetzt von Annika Tschöpe.

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