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Veröffentlicht am 01.06.2017

Das in der Hand gebettete Baby. Tot. - Schauriger Thrill mit skurrilen Tätergedanken

Der Näher
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In der Umgebung von Köln verschwinden schwangere Frauen. Als die Leichen einer Frau und ihres Neugeborenen entdeckt werden, ist klar, dass es sich um eine vor Jahren vermisste, schwangere Frau handelt. ...

In der Umgebung von Köln verschwinden schwangere Frauen. Als die Leichen einer Frau und ihres Neugeborenen entdeckt werden, ist klar, dass es sich um eine vor Jahren vermisste, schwangere Frau handelt. Kurze Zeit später wird eine zunächst vermisste Frau in letzter Minute aufgefunden und gerettet und sie kann erste Hinweise auf den Täter geben.

Fallanalytiker Martin Abel vom Stuttgarter LKA übernimmt die Ermittlungen und muss sich in die abstrusen und zutiefst abscheulichen Gedanken des Täters hineinversetzten, denn der Täter tötet nicht nur, er pflanzt seinen Opfern auch noch etwas in den Körper.

Der Autor:

Rainer Löffler, geb. 1961 und im "Hauptberuf" technischer Kaufmann, begann mit dem Schreiben beim deutschen MAD-Magazin unter Herbert Feuerstein. Danach folgten einige erfolgreiche Science-Fiction-Romane für die Serien Atlan und Perry Rhodan. Gleich sein erster Thriller Blutsommer landete auf Platz 12 der Spiegel-Bestsellerliste. Der Näher ist sein dritter Thriller um den Fallanalytiker Martin Abel. Rainer Löffler lebt mit seiner Frau und drei Kindern in der Nähe von Stuttgart.

Reflektionen:

Der Näher ist der dritte Band aus Rainer Löfflers Thriller-Reihe um den Fallanalytiker Martin Abel.

Rainer Löffler schreibt in einem rasanten und dem Thema seiner Handlung entsprechend angemessenen durchdringenden, schaurigen Stil. Psychologisch intelligent und verlockend aufgebaut, schürt er eine düstere und grausige Grundstimmung, die sich immer mehr ins skurrile zuspitzt, umso mehr die Handlung vorangetrieben wird und umso mehr die Gedankengänge und Handlungen des Täters ins Licht gerückt werden.

Sprachlich und im Ausdruck strotzt Rainer Löfflers Stil von literarischem Können. Er versteht es das Tempo zügig anzuziehen und nimmt es dann zurück, wenn dringend eine Verschnaufpause für den Leser von Nöten ist, um das bestialisch inszenierte Gelesene wirken zu lassen. Der ein oder andere wird das Abscheuliche hoch spannend finden, die anderen, mit einer Gänsehaut befallenen, werden versuchen kopfschüttelnd das entstandene irre Kopfkino abschütteln wollen.

„Sei mein Vögelchen, dann wird es nicht so weh tun, wenn ich dich öffne.“ (Zitat)

Auch wer Thriller liebt, muss bei dem Näher damit rechnen an seine Grenzen des Ertragbaren zu stoßen, vor allem wenn man selbst Mutter oder Vater ist. Die Vorgehensweise des Täters, nicht aber sein Motiv, ist für mich persönlich zu überspitzt dargestellt, zu extrem und zu abgrundtief widerlich.

All das schmälert den wunderbaren Stil des Autors, den geschickten Plot, die spannenden Perspektivwechsel, das kompetent ermittelnde Ermittlerteam, allen voran Martin Abel als brillanter Fallanalytiker und die wirklich ansprechenden und interessant ausgearbeiteten Charaktere.



„Die Frage ist nicht, wer ich bin, sondern wer du bist. Das ist der Punkt, um den sich für dich ab sofort alles dreht.“ (Zitat)

Der Näher kann ohne Probleme als stand alone gelesen werden. Die Persönlichkeit des sympathischen, dennoch eigenwilligen Fallanalytikers Martin Abel wird ausreichen intensiv vorgestellt. Neben allen interessant gezeichneten Charakteren, die jeweils eine mehr oder weniger ausführliche Legende besitzen, ist der Charakter des Täters sehr stark in Szene gesetzt. Nur langsam und Stück für Stück gewährt Rainer Löffler einen Blick in die Seele des Wahnsinnigen, den ein schicksalhaftes Leben bitter gezeichnet hat, dass durchaus bedauernde Emotionen beim Leser auslöst.

Fazit und Bewertung:

Der Näher ist insgesamt ein hoch spannender, fesselnder und gekonnt geplotteter Thriller, der mit einem außergewöhnlich, widerlich handelnden Täter, eine bizarre Geschichte formt. Etwas weniger davon, wäre ein genussvolles Mehr gewesen.

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 31.05.2017

Verachtenswerte Fremdenfeindlichkeit – Roman nach einer wahren Begebenheit

Anschlag von rechts
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Flüchtlinge aus Afghanistan, Somalia, Syrien, Pakistan und Simbabwe erreichen nach einer jeweils dramatischen Flucht Deutschland. Sie alle kommen in demselben Asylbewerberheim unter, auf das drei rechtsgesinnte ...

Flüchtlinge aus Afghanistan, Somalia, Syrien, Pakistan und Simbabwe erreichen nach einer jeweils dramatischen Flucht Deutschland. Sie alle kommen in demselben Asylbewerberheim unter, auf das drei rechtsgesinnte Jugendliche einen kaltblütigen Brandanschlag verüben.

Reiner Engelmann recherchiert die Hintergründe dieser schrecklichen Tat. Er analysiert die Beweggründe und er befragt die Opfer, die sich in Deutschland endlich sicher gefühlt hatten. Dabei wird deutlich: rechtes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit sind in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und viel zu lange unbeachtet geblieben. (Quelle: cbj Verlag)

Der Autor:

Reiner Engelmann wurde 1952 in Völkenroth geboren. Nach dem Studium der Sozialpädagogik war er im Schuldienst tätig, wo er sich besonders in den Bereichen der Leseförderung, der Gewaltprävention und der Kinder- und Menschenrechtsbildung starkmachte. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Anthologien zu gesellschaftlichen Brennpunktthemen und seit 1969 aktiv bei amnesty international. Bei cbj sind bereits erschienen: "Der Fotograf von Auschwitz" und "Wir haben das KZ überlebt".

Reflektionen:

Reiner Engelmann hat einen real verübten Anschlag auf ein Flüchtlingsheim zum Anlass genommen, um einen Jugendroman zu verfassen. Ab einem Alter von 13 Jahren, eignet er sich großartig dazu, Jugendlichen vielschichtig aufzuzeigen, warum es zu einer Flüchtlingswelle gekommen ist, die unser Land scheinbar überschwemmt. Er erläutert eben auch das Warum, womit sich viele nicht im Detail beschäftigen wollen. Einerseits weil kein echtes Interesse besteht, andererseits aus Faulheit oder um Emotionen nicht zuzulassen. Ganz nach dem Motto, Flüchtlinge nehmen sich ein Stück unseres Wohlhaben-Kuchens, provozieren sich Menschen gegenseitig dazu, ihre unkontrollierte Wut auf Alles und Jeden gegen die bedauernswerten Menschen zu richten, die sich in Gänze das Gefühl von Ruhe und Sicherheit für ihre Familien herbeisehnen.

Kurz und knapp, aber nicht weniger eindrucksvoll erzählt Reiner Engelmann die Geschichten von Flüchtlingen aus Afghanistan, Somalia, Syrien, Pakistan und Simbabwe, ohne die Emotionalität dieser Menschen in den Vordergrund zu rücken. Er beschreibt kurz und sachlich, warum sie fliehen mussten und wie sich ihre Flucht gestaltet hat. In diesem Roman finden alle Geflüchteten eine Unterkunft in dem gleichen Asylbewerberheim, auf das dann ein kaltblütiger Anschlag von rechtsgesinnten Jugendlichen ausgeführt wird und er erzählt, wie die Bewohner den Anschlag erleben.

Wenn ihr den Krieg
beenden wollt,
sendet Bücher statt Waffen.
Sendet Stifte statt Panzer.
Sendet Lehrer statt Soldaten! (Zitat: Malala Yousafzai)

In diesem Roman wird deutlich nüchtern geschildert, dass dieses gegenseitige, rechte hochpushen in der Gesellschaft, oft dort stattfindet, wo naive Persönlichkeiten und noch ungefestigte Jugendliche aufeinandertreffen. In dieser Geschichte sind die Auslöser Alkohol, Arbeitslosigkeit, grundsätzliche Perspektivlosigkeit und ein Mangel an Geltungsbedürfnis, sodass manche unüberlegt einfach nur im Strom der Gewalt mitschwimmen.

Reiner Engelmann belegt mit Zahlen, Daten und Fakten warum auch unsere Politik und die Handlungsweisen der Menschen für den Flüchtlingsstrom mitverantwortlich sind. Im dritten Teil des Romans, geht Reiner Engelmann auch darauf fundiert und gewissenhaft recherchiert ein.

Das Buch wird abgerundet durch ein Glossar, dass rechte und nationalsozialistische Zeichen aufzeigt und ihre Strafbarkeit erläutert. Auch rechtsorientierte Kleidermarken und Musikbands werden aufgeführt, die das rechtsradikale Gedankengut dieser kranken Seelen in der Gesellschaft unterstreichen sollen.

Reiner Engelmann schreibt in einer einfachen, sachlichen Sprache, die jeder Jugendliche ab 13 Jahren flüssig lesen und erfassen kann. Die Zielgruppe dieses Romans würde ich fast auf Jugendliche begrenzen wollen, da die Handlung für Erwachsene kaum Raum für die erforderliche Tiefe und Intensivität des Themas zulässt, sodass man als Leser gefesselt von der Story wäre. Betrachtet man diesen Roman eher faktisch, kann man den Sog der leider authentischen Geschehnisse in hohem Tempo in sich aufnehmen.

Gelungen sind die Charakterzeichnungen der drei schuldigen Jugendlichen. Ihre jeweiligen, bedauernswerten Existenzen, die unter anderem auch durch Desinteresse des Elternhauses geprägt sind, und ihre labilen Persönlichkeiten, sind glaubhaft dargestellt. Sie lassen den Leser auch schockiert zurück, denn sie sind auch Opfer unserer Gesellschaft.

Fazit und Bewertung:

Gut recherchiert und nüchtern erzählt eignet er sich jedoch hervorragend für die Zielgruppe Jugendliche ab 13 Jahren. Dieser Roman sollte in Schulen zur Pflichtlektüre werden, damit rechtsgerichtetes Gedankengut sich weniger schnell in den Köpfen festigen kann und die vielschichtige Betrachtung einen richtig orientierten Blick auf die aktuelle Situation zulässt.

Mir persönlich erschien die Handlung für einen Roman nicht intensiv und tief genug und dadurch erscheint sie mir unvollständig.

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 30.05.2017

Obsession – Anspruchsvoller, gut durchdachter Thriller mit außergewöhnlichen Charakteren

Ein dunkler Trieb
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Björn Liebermanns Lebensgefährtin macht einen Karrieresprung und erhält einen neuen Job in Berlin. Wehmütig, weil er seine geliebte Hündin nicht mitnehmen kann, zieht Liebermann nach und lässt sich nach ...

Björn Liebermanns Lebensgefährtin macht einen Karrieresprung und erhält einen neuen Job in Berlin. Wehmütig, weil er seine geliebte Hündin nicht mitnehmen kann, zieht Liebermann nach und lässt sich nach Berlin versetzten. Widererwartend und entgegen aller Absprachen wird er in Berlin angekommen bei der Mordkommission eingesetzt, obwohl er genau dorthin niemals wollte. Als Krankheitsvertretung gibt man ihm direkt den erst besten Fall. Eine Frau wurde auf sadistische Weise ermordet. Recht schnell definiert Liebermann die Tat als Serienverbrechen. Müde wird er zunächst auf Grund seiner fehlenden Kompetenzen belächelt, aber schon bald darauf muss das Ermittlerteam erkennen, dass Liebermanns Schlussfolgerungen auf einen wahren Alptraum hindeuten.

Der Autor:

L.U. Ulder, Jahrgang 1958, wurde im Ambergau geboren und wohnt mit Familie und Hund im südöstlichen Niedersachsen. Das Faible für Kriminalliteratur ist beruflich bedingt, im Hauptberuf wird der Autor mit eben solchem Verhalten konfrontiert. L.U. Ulder ist ein Pseudonym. Der Autor ist Mitglied im Syndikat.

Reflektionen:

L. U. Ulder ist mit Ein dunkler Trieb ein vielschichtiger, fesselnder Thriller gelungen. In einer wunderbar klaren und ausdrucksstarken Sprache, klingen Sätze und Kapitel literarisch anspruchsvoll und ohne jeden Slang wohl formuliert. Unverblümt und schnörkellos, trifft der direkte Ausdruck stets den Kern der Fakten, während das Ermittlerteam kompetent und authentisch inszeniert ermittelt.

Für zart besaitete Leser ist Ein dunkler Trieb nicht der richtige Stoff. Wenn auch nur maßvoll und punktuell sadistische Verbrechen oder Beschreibungen snuffartiger Videos die Handlung einnehmen, wird dem Leser auch noch gnadenlos ein Touch Nekrophilie zugemutet. Trotzdem handelt es sich nicht um einen Thriller, der abartig viel Blut verströmen lässt oder ständig an der Ekelgrenze entlang kratzt.

Anspruchsvoll verpackt, sehr gut durchdacht und geschickt geplottet spielt L. U. Ulder intelligent mit den Perspektiven. Allein die wechselnden Erzählstränge und Kapitel sorgen dafür, dass die atemraubende Spannung mit reichlich Spannungshöhepunkten veredelt wird und so entwickeln sie diesen Thriller zu einem wahren, anspruchsvollen Pageturner.

L. U. Ulder lässt zahlreiche Figuren agieren, deren außergewöhnlichen Persönlichkeiten jeweils mit besonders interessanten Charakterzeichnungen aufwarten. Teilweise schicksalsträchtig, teils mit emotionalen Legenden, vereinen sie die Handlung und die kompetente Ermittlerarbeit zu einem harmonischen, abgerundeten Ganzen, das niemals vorhersehbar, stets aber glaubhaft dargestellt ist. Hin und wieder kann man Längen empfinden, aber man kann sie auch als gekonnte platzierte Verschnaufpausen hinnehmen.

Die Täterperspektive ist ein Geschenk, denn die spannend erzählte Präsenz von Handlungen und Denkweisen, erlaubt noch einmal einen gesonderten Blickwinkel auf das Geschehen der verstörenden und kaltblütigen Verbrechen. Der Täter sucht seine Opfer auf bizarre Weise aus, er lauert ihnen auf und er ist äußerst intelligent. Diese Intelligenz ist auch Macht und diese unterstreicht die düstere und oftmals schockierende Grundstimmung. Mehrfach krabbelt während des Lesens ein kalter Schauer den Rücken hoch und doch kann man diesen Thriller kaum aus der Hand legen.

Fazit und Bewertung:

Ein dunkler Trieb ist ein Ermittler-Thriller, der mit einem sehr sorgfältig durchdachten und intelligenten Plot besticht. Außergewöhnliche Charaktere runden die anspruchsvolle Handlung ab, die von sadistisch, skurrilen Verbrechen durchwoben ist.

Veröffentlicht am 29.05.2017

Unbändiger Hass oder das Zischen der Schlange – Hoch spannender, intelligenter Krimi mit taffen Ermittlern

Nachtfahrt ins Grauen
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In einem Wald bei Minden entdecken junge Leute einen auf grausamste Weise entstellten menschlichen Körper, der mit grauem Klebeband an einem Baum gefesselt ist. Männlein oder Weiblein, kann nur der kluge ...

In einem Wald bei Minden entdecken junge Leute einen auf grausamste Weise entstellten menschlichen Körper, der mit grauem Klebeband an einem Baum gefesselt ist. Männlein oder Weiblein, kann nur der kluge Rechtsmediziner später bei der Obduktion definieren, der sich beim Anblick der Leiche sicher ist, dass ein Auto mehrfach vor den wehrlosen Körper gerast ist.

Es handelt sich um die junge Anwältin Pia Baumgartner.

Kommissarin Marlene Borchert ist schnell klar, dass die Mindener Polizei Unterstützung von der Bielefelder Mordkommission benötigt. Zügig wird unter der Führung Benno Erdmanns eine Sonderkommission gebildet. Das Marlene und Benno einmal ein Paar waren, beeinträchtigt die Ermittlungen nicht, aber menschlich nähern sich die beiden nur sehr schwerfällig aufeinander zu.

Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, während die Sonderkommission kompetent ermittelt, doch bald darauf geschieht ein weiterer, brutaler Mord. Als Marlene scharfsinnige Schlussfolgerungen zieht und Benno nicht erreichen kann, droht ihre Vergangenheit sie aufs schärfste herauszufordern und dabei gerät sie in höchste Lebensgefahr.

Die Autorin:

Meike Messal wurde 1975 in Minden geboren. Nach dem Abitur lebte sie für einige Zeit in Israel und Südafrika und studierte in Hamburg Germanistik, Anglistik und Amerikanistik. Mittlerweile wohnt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in ihrer Heimat und unterrichtet an einem Mindener Gymnasium. Nachtfahrt ins Grauen ist ihr erster Kriminalroman. (Polibris Verlag)

Reflektionen:

Meike Messals Regional-Krimi wurde mir als ein anspruchsvoller und gut durchdachter Kriminalroman empfohlen und genau so habe ich ihn empfunden.

Kriminalhauptkommissarin Marlene Borchert und ihr Team sind schockiert, als sie die auf bestialischste Weise zugerichtete Leiche erblicken und deutlich Vorsatz erkennen. Schnell ist klar, dass die Bielefelder Mordkommission zur Unterstützung angefordert werden muss, da die Mindener Polizei nicht über eine Mordkommission verfügt.

Als Marlenes ehemaliger Freund Benno Erdmann den Tatort betritt, starten umgehend kompetente Ermittlungen, doch zwischenmenschlich steht etwas zwischen ihnen. Benno hat es nie überwunden und verstanden, dass Marlene ihn seinerzeit zurückwies und lange Zeit bleibt der Leser im Unklaren darüber, welche partnerschaftlichen Probleme Marlene und Benno hinter sich ließen. Erst nach und nach, nachdem man die Figur der Marlene näher kennenlernt, kann nachvollzogen werden, warum sie einerseits mit Zurückhaltung, aber auch mit bewussten Verletzungen gegenüber Benno reagiert.

Meike Messal hat nicht nur einen spannenden, temporeichen Kriminalroman abseits vieler Klischees entwickelt, sondern auch eine zarte, gefühlvolle Liebesgeschichte maßvoll inszeniert, die dem Kriminalroman ein besonders harmonisches Flair und eine angenehme Tiefe verleiht.

Das Besondere an diesem Kriminalroman ist auch die Darstellung des Täters, an dessen Gedanken und Handlungen man teilhaben kann, die weit in dessen Vergangenheit zurückgehen und tatsächlich empathische Reaktionen und Betroffenheit auslösen. Das authentische Motiv des Täters entwickelt sich langsam bis zur dramatischen Sichtbarkeit und es schockiert emotional.

Seine kleinen Finger waren Schmutzverkrustet. Sie hatten die Gitter des Laufstalls fest umklammert. Mit leerem Blick stierte er auf die weiße Wand. Seine Energien waren verbraucht, er hatte sich heiser geschrien und war vor lauter Erschöpfung eingeschlafen. Weil er fror, war er wieder aufgewacht. Er hatte versucht, unter den verschmutzten Windeln, die überall im Laufstall lagen, etwas Wärme zu finden. Doch sie waren nass, und er hatte nur noch gezittert. (Zitat)

Der Einstieg in die Geschichte gelingt mühelos. Sofort befindet man sich inmitten des Geschehens und lässt sich gern fesseln. Nur schwer kann man diesen Krimi aus den Händen legen, denn viele Details warten darauf entdeckt zu werden. Bald erkennt man, dass jede erwähnte Kleinigkeit zuverlässig erneut aufgegriffen und auch aufgelöst wird, sodass man sich einem angenehmen Lesegenuss hingeben kann.

Meike Messal schreibt in einer besonders klaren und gradlinigen Sprache. Schnörkellos, aber pointiert manchmal sogar poetisch. Wer nun glaubt die Autorin nehme sich zurück, wenn die bestialischen Verbrechen geschildert werden, der täuscht sich. Direkt und unverblümt bringt Meike Messal die angewandte Gewalt auf den Punkt ohne aber das Gefühl zu vermitteln, man hielte ein bluttriefendes Buch in Händen. Bis auf entstellte Leichen, geht es recht unblutig zu, denn der Schwerpunkt des Kriminalromans entwickelt sich eher durch einen geschickten psychologischen Aufbau und das hervorholen abtrünniger Vergangenheiten gleich mehrerer Figuren.

Die Charaktere sind sehr ausführlich gezeichnet, ohne dass sie die Geschichte überladen würden. Das Kennenlernen der Figuren erfolgt während sich die Handlung entwickelt. Im Besonderen, sticht die Persönlichkeit der Kommissarin Marlene hervor. Sie ist taff, sympathisch und fachlich stark. Sie schreit all ihren Frust aus sich heraus, indem sie mit ihrem Motorrad durch das Mindener Umland rast. Tief in ihr verborgen liegt eine zähe, verletzliche Vergangenheit, die immer wieder durch schreckliche Alpträume aufblitzt. Marlene tritt energisch gegen diese an und versucht sich der Kompetenz des Klarträumens (bewusstes Träumen).

Deine Kindheit ist vorbei, und du wirst sie nicht mehr ändern. Deine Vergangenheit gehört zu dir, doch es hilft nicht, in ihr zu leben. Das Jetzt und Hier ist das, was wirklich zählt. Jeden Tag liegen neue vierundzwanzig Stunden vor dir. Die du ausfüllen kannst. Mit Rückblicken, Zweifeln, Trauer und Wut. Oder aber du kannst Ja sagen zu dem Leben, das an deine Türe klopft. Niemand kann dir versprechen, dass es nicht neue schwere Päckchen vorbeibringt. Aber wenn du die nicht annimmst, dann öffnest du auch nicht die mit den Glücksmomenten. Die mit Freude, die mit Lachen, mit Kraft. Und genau solche sind es doch, die das Leben ausmachen. Zitat)

Sehr gut gefallen hat mir die Charakterzeichnung des Täters, die erst langsam zu einem ganzen Bild heranwächst, denn diese ist differenziert, da sie die Entwicklung des Täters und seines Motivs realitätsnah darstellt.

Intelligente Perspektivwechsel lassen nervenaufreibende Cliffhanger entstehen, die hauptverantwortlich für zahlreiche Spannungshöhepunkte sind, die die gleichbleibend spannende Grundstimmung noch einmal mehr hervorheben. Niemals reißt der rote Faden ab und wenn man glaubt, ja, jetzt wird dieser Krimi hervorsehbar, dann belehrt Meike Messal den Leser durch gekonnte Wendungen und Überraschungen eines Besseren.

Im Herbst 2017 wird ein Nachfolger erscheinen.

Fazit und Bewertung:

Nachtfahrt ins Grauen ist ein gut durchdachter, hoch spannender Kriminalroman. Er besticht durch eine vielschichtige Handlung und intensive Charakterzeichnungen. Die Geschichte ist in sich harmonisch, obwohl er schockierende Einblicke in abtrünnige Seelen offenlegt.

Geheimtipp.
Absolute Leseempfehlung.

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 28.05.2017

Die Verlockung des Vergessens – Intelligent spielende Perspektiven

Into the Water - Traue keinem. Auch nicht dir selbst.
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Als Nel Abbott tot im Fluss aufgefunden wird, kehr Jules nach Beckford zurück, um sich um ihre Nichte zu kümmern. Nie wieder wollte sie zurück an diesen Ort, in das Haus ihrer Familie, das am Ufer des ...

Als Nel Abbott tot im Fluss aufgefunden wird, kehr Jules nach Beckford zurück, um sich um ihre Nichte zu kümmern. Nie wieder wollte sie zurück an diesen Ort, in das Haus ihrer Familie, das am Ufer des dunklen Flusses liegt, in der Nähe des Drowning Pools, der furchtbare Erinnerungen heraufbeschwört. Nele sei gesprungen, heißt es, doch Jules ist gewiss, dass Nele niemals in das geliebte Wasser gesprungen wäre.

Die Autorin:

Paula Hawkins wuchs in Simbabwe auf. 1989 zog sie nach London, wo sie bis heute lebt. Sie arbeitete fünfzehn Jahre lang als Journalistin, bevor sie mit dem Schreiben von Romanen begann. Ihr erster Spannungsroman Girl on the Train wurde zu einem internationalen Phänomen. Der Roman wurde in über 40 Sprachen übersetzt, eroberte weltweit die Bestsellerlisten und wurde 2016 mit Emily Blunt in der Hauptrolle verfilmt. (Quelle: Blanvalet Verlag)

Reflektionen:

Nach Girl on the Train ist Into the Water der neue Spannungsroman von Paula Hawkins. Der als solcher im Genre Roman publiziert ist.

Girl on the Train hatte mich seinerzeit nicht vollkommen überzeugt, doch ich war mir sicher, dass ein zweiter Roman von Paula Hawkins literarisch sicher ausgereifter und noch intensiver sein würde. Dementsprechend waren meine Erwartungen an diesen Roman sehr hoch.

Nach wenigen Seiten schlägt der Wiedererkennungswert Paula Hawkins Stils gnadenlos zu. Absolut im gleichen Stil und Ausdruck, beginnt sie die Geschichte der beiden Schwestern Nel und Jules Abbott zu erzählen.

Julia, ich bin’s. Du musst mich zurückrufen. Bitte Julia. Es ist wichtig. Du musst mich so bald wie möglich anrufen, in Ordnung? Ich ... äh ... Es ist wichtig. Okay. Ciao. (Zitat)

Nel, die tot im Fluss aufgefunden wird, liebte den Fluss ohnegleichen. Tagtäglich, bei Wind und Wetter, schwamm sie in seinen Fluten. Fast mystisch fühlte sie sich zu ihm hingezogen und sie beabsichtigte, seine geheimnisvolle Geschichte aufzuschreiben. Doch diese Geschichte erzählt auch von den toten Frauen und Mädchen, die sich in seine Fluten stürzten. Nels Recherchen brachten fast den ganzen Ort gegen sie auf, doch davon ließ sie sich nicht beirren. Bis ins 16. Jahrhundert reichten ihre Nachforschungen zurück, die mystische, brutale Rituale offenlegten.

Manche meinen, die Frauen hätten dem Wasser etwas von ihrem Wesen überlassen, andere behaupten, der Fluss selbst hätte sich etwas von ihrer Macht bewahrt, denn seither zieht dieser Ort die Glücklosen, die Verzweifelten, die Verzagten, die Verlorenen an. Sie alle kommen hierher, um mit ihren Schwestern zu schwimmen. (Zitat)

Als Nel, die Spirituellem nicht abgeneigt war, stirbt, kehrt Jules ins Haus der Familie zurück. Sie ist sich gewiss, dass Nel auf Grund ihrer Verbundenheit zum Fluss niemals gesprungen wäre. In Zwiesprache mit Nel durchlebt sie so alte Erinnerungen, leidet unter großen Ängsten, Schmerz, einem schlechten Gewissen und sie muss sich der Missgunst und Wut Nels Tochter Lena stellen.

Paula Hawkins hat ihren Roman psychologisch geschickt aufgebaut, sodass ein gewisser Sog zunächst das Tempo des Lesens bestimmt. Anfangs treibt die Neugierde durch die Seiten, denn der Einstieg ist mehr als rätselhaft und scheint zunächst undurchschaubar. Als Leser benötigt man viel Fantasie und langanhaltendes Interesse, sowie die Bereitschaft unermüdlich Zusammenhänge erkunden zu wollen, um letztendlich spekulierend einen roten Faden greifen zu können. Persönliche Interpretationen von Sätzen, Absätzen und Kapiteln sind gefragt, bis man feststellt, dass sich die Autorin in zu vielen nichtig wichtigen Nebenschauplätzen verliert. Müßig und schwerfällig wird das Lesen, wenn man erkennt, Perspektive für Perspektive, erneut in weiten, nebensächlichen Ausschweifungen festzuhängen.

Eine wenn auch gelungene, mystisch, rätselhafte und düstere Grundstimmung reicht nicht aus, um zu fesseln, wenn eine ordentliche Portion literarischen Pfeffers fehlt. Spannungshöhepunkte fehlen fast gänzlich, obwohl sie als Pfeiler des Spannungsromans unabdingbare Elemente wären.

Paula Hawkins zeichnet ihre Charaktere hinreichend intensiv, vielschichtig und gut. Sie erlaubt dadurch einen sehr tiefen Blick in die Seelen der einzelnen Persönlichkeiten und eröffnet dadurch das Verständnis nachvollziehbarer Motivationen von Handlungen und Denkweisen. Aber diese ausgeprägt ausführliche Zeichnung macht nicht wett, dass uninteressantes, rückblickend, ellenlang beleuchtet wird.

Sehr gut hingegen ist Paula Hawkins intelligentes Spiel der Perspektiven. Großartig in Szene gesetzt wirken die wechselnden Perspektiven enorm. Die Figuren erhalten Präsenz und mit dem Perspektivwechsel läuft die Geschichte weiter. Die Story wird nicht abwechselnd aus Sicht einer Figur erzählt, sondern sie wird von der nächsten Figur/Perspektive vorangetrieben.

Die Grundidee von Into the Water ist interessant, aber die Umsetzung ist alles andere als überzeugend.

Fazit und Bewertung:

Into the Water ist ein intelligentes Spiel der Perspektiven, dass den geschickten psychologischen Aufbau unterstreicht. Wer bereit ist unermüdlich Zusammenhänge erkunden zu wollen, zu spekulieren und stetig zu interpretieren, der könnte mit diesem Roman einen Lesegenuss empfinden, wenn er über Längen hinwegsieht und das Verlieren in Nebenschauplätzen akzeptiert.

©nisnis-buecherliebe