Nach einem Schicksalschlag flüchtet sich die Lehrerin Léna nach Indien, sie muss Abstand gewinnen. Im Laufe ihres Aufenthaltes in einem kleinen Dorf wird sie auf ein Mädchen aufmerksam, das täglich mit seinem Drachen am Strand auftaucht. Eines Tages rettet das Mädchen Léna das Leben und sie lernen sich näher kennen. Bald ist Léna klar, das Mädchen sollte eine Schulausbildung bekommen. Léna stürzt sich in die Planung für eine Schule in dem kleinen Dorf, das auf die Beine zu stellen ist aber gar nicht so einfach, nicht nur mit den Behörden muss Léna kämpfen.
In Indien waren die Leser:innen der Autorin schon einmal, in „Der Zopf“ lernten wir eine Mutter kennen, die für ihre kleine Tochter Lalita mehr wollte als das Leben einer Dalit, einer Unberührbaren, und sich mit ihr auf den Weg machte, um Lalita eine Schulbildung zu ermöglichen. Lalita treffen wir hier nun wieder, sie ist das Mädchen mit dem Drachen. In „Der Zopf“ hatte mich ihr Schicksal und das ihrer Mutter tief berührt. Laetitia Colombani nimmt die Kritik an Indiens Gesellschaft(ssystem) erneut auf. Dazu führt sie hier Preeti ein, eine junge Frau, die für Indiens Frauen und Mädchen kämpft, vor allem für die, die der Kaste der Dalit angehören. Sie leitet eine Einheit der Roten Brigade.
Die Rote Brigade ist keine Erfindung der Autorin, sie gibt es wirklich. Ins Leben gerufen von Usha Vishwakarma, soll sie Mädchen und jungen Frauen Selbstbewusstsein bringen und sie lehren, sich selbst zu verteidigen, in einem Land, in dem es immer wieder Massenvergewaltigungen gibt, und nicht nur Dalit-Mädchen und -Frauen als weniger wert gelten und oft nicht geschützt werden, eine Notwendigkeit. Diesen Missstand zu benennen, ist ein wichtiger Ansatz des Romans.
Leider, muss ich sagen, ist die Hintergrundgeschichte nur zum Teil tauglich dafür, den Léna ist oft zu sehr in ihrem eigenen Elend gefangen, und tendiert dazu, schnell aufzugeben. Preeti ist da ein ganz anderer Typ, allerdings oft zu impulsiv. Ein sehr ansprechender Charakter ist Kumar, ein junger Lehrer, der ebenfalls in Traditionen verstrickt ist.
Für das Projekt Schule ist viel Geld nötig, das vielleicht tatsächlich von außen kommen musste. Eine andere Protagonistin hätte der Geschichte aber besser getan, eine, der man näher gekommen wäre. Ich frage mich auch, warum lange nicht eindeutig erzählt wird, was genau Léna nach Indien getrieben hat. Das ist unnötig und wirkt auf mich sehr aufgesetzt, zumal damit keinerlei Spannung erzeugt wird.
Gegen Ende wird der Roman für mich etwas zu rührselig und regelrecht kitschig, und auch hier etwas zu aufgesetzt. Schade, am Ende fühlte ich mich fast eher genervt als berührt. Leider gibt es kein Nachwort, ich hätte gerne mehr über Intention, Recherche usw. der Autorin gelesen. Dafür gibt es innerhalb des Romans einige indische Begriffe, die in Fußnoten erklärt werden, was das Ganze authentischer macht.
Eine sehr wichtige Thematik wird hier teilweise zu aufgesetzt und kitschig abgehandelt, so dass es mich letztlich weniger berührt hat, als erwartet. Besonders das Thema Rote Brigade war für mich neu, so dass ich doch noch etwas mitnehmen konnte. Während die Protagonistin mich nicht berühren konnte, haben das weitere Charaktere geschafft. Schön war auch das Wiedersehen mit Lalita. Dennoch unterm Strich bleiben für mich „nur“ gute 3 Sterne.