Cambridge, Oktober1958: Der Anglistikstudentin Eva Edelstein läuft ein Hund vor das Fahrrad, während sich der Jurastudent Jim Taylor in der Nähe aufhält. Der Roman erzählt drei Versionen, wie es weitergehen könnte: In Version eins fährt Eva beim Ausweichen über einen rostigen Nagel, hat einen Platten und Jim hilft ihr, die beiden verlieben sich. In Version zwei kann Eva problemlos ausweichen, sie fährt weiter ohne Jim kennen zu lernen. Version drei beginnt wie Version eins, doch die beiden trennen sich schnell wieder.
Bereits optisch kann der Roman punkten, das Motiv des Schutzumschlages ist liebevoll und in schönen Farben gestaltet (auch wenn es nicht ganz zum Inhalt des Romans passt), auch der Buchdeckel darunter ist hübsch bedruckt. Die drei Versionen sind farblich voneinander abgegrenzt, nicht nur dadurch, dass sie jeweils farblich mit „Erste Version“ usw. betitelt sind, jede Seite hat einen floralen Druck in der jeweiligen Farbe (rot – blau – grün). Ein Lesebändchen rundet den positiven Ersteindruck ab.
Auch die Erzählung hat mir sehr gut gefallen, schon die Idee ist sehr originell und die Autorin hat diese in meinen Augen gut umgesetzt. Obwohl sich die drei Versionen sehr unterschiedlich entwickeln, gibt es doch Gemeinsamkeiten, zeitliche Fixpunkte, wie Geburtstage oder Todesfälle, aber auch Menschen, die die beiden Protagonisten begleiten, Eltern, Geschwister, Freunde, die in jeder der drei Versionen auftauchen. Bei Eva und Jim gibt es bestimmte Charaktermerkmale, die erkennen lassen, dass es sich, trotz unterschiedlicher Entwicklungen, immer um die selben Menschen handelt. Andererseits gibt es auch prägnante Unterschiede, Menschen, die nur in jeweils einer Version auftauchen, wie Lebensgefährten oder Arbeitskollegen. Auch die Kinder unterscheiden sich in jeder Version, die Namen sind anders, das Alter, das Geschlecht, der Charakter. So wird es etwas einfacher gemacht, die Versionen unterscheiden und das jeweilige Geschehen zuordnen zu können.
Denn das Ganze erfordert schon ein aufmerksames Lesen. Die Versionen werden nacheinander im selben zeitlichen Kontext erzählt, in der Regel alle drei hintereinander für einen bestimmten Zeitabschnitt (z. B. „Juli 1961“). Ich habe den Lektürestart so gelegt, dass ich nicht zu oft unterbrechen musste und in Paketen gelesen, also alle Versionen eines Zeitabschnittes hintereinander weg – und ich hatte nur bei einer einzigen Szene kurzzeitig Probleme, diese zuzuordnen.
Wahrscheinlich hat jeder schon einmal darüber nachgedacht, was wäre, wenn das Eine oder Andere nicht passiert wäre, wenn man diesen oder jenen Menschen nicht getroffen, Dies oder Jenes nicht gesagt hätte. Für mich sind das faszinierende Überlegungen, wahrscheinlich hat das dazu beigetragen, dass mich der Roman so berührt hat. Vor allem gefällt mir gut, dass keine Version perfekt ist, jede hat Vor- und Nachteile für die Protagonisten, zeigt aber auch, dass das Leben in jeder Form lebenswert sein kann. Die Autorin hat es geschafft, keine losen Fäden zu hinterlassen, Sehr gut gefällt mir auch die Verknüpfungen der einzelnen Versionen durch die bereits erwähnten Fixpunkte. Und wer genau hinschaut, erkennt, dass die Versionen schon mit leicht unterschiedlichen Ausgangssituationen starten, z. B. hat Jim in Version 1 ein anderes Buch dabei als in Version 3.
Erzählt wird durchgehend im Präsens über mehrere Jahrzehnte. Ich fand es sehr spannend zu lesen, wie sich in den verschiedenen Versionen die Leben der Protagonisten, ihr Verhältnis zueinander und zu anderen Bezugspersonen entwickeln. Ich konnte mich gut in die beiden, vor allem aber in Eva, hineinversetzen und zwar in jeder Version, wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Für mich hat Laura Barnett ein erstklassiges Debüt geschrieben. Bei mir hat der Roman einen Nerv getroffen und mich emotional gepackt. Der Roman ist ein weiteres meiner Lesehighlights in diesem Jahr, ich empfehle ihn gerne weiter, jedoch sollte man bereit sein, geduldig und aufmerksam zu lesen, und sich auf alle drei Geschichten einzulassen. Ich bin gespannt auf weitere Romane der Autorin.