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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.08.2023

Ein sehr interessanter japanischer Klassiker der Neuzeit!

Der Schlüssel
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Zwei langjährig verheiratete Eheleute liefern sich in diesem Buch einen Schlagabtausch aus Tagebucheinträgen. Der Ehemann führt seit Jahren schon Tagebuch und vermutet, dass seine Gattin es heimlich liest. ...

Zwei langjährig verheiratete Eheleute liefern sich in diesem Buch einen Schlagabtausch aus Tagebucheinträgen. Der Ehemann führt seit Jahren schon Tagebuch und vermutet, dass seine Gattin es heimlich liest. Seit dem Neujahrstag jedoch schreibt er seine geheimsten sexuellen Sehnsüchte in seinem Tagebuch nieder, erstmals lässt er den Schlüssel zu dem Tagebuch offen liegen als latente Aufforderung, dass die Frau seine Gedanken lesen solle. Nun fängt auch erstmals die Frau an Tagebuch zu schreiben, beteuert in ihren Abschriften allerdings, dass sie das Tagebuch entgegen der Vermutung ihres Mannes noch nie gelesen haben wolle, obgleich sie um die Gelegenheit weiß.
Die Eheleute beginnen ein Spiel umeinander, das auch Außenstehende in ihre Lustbarkeiten involviert und sie mehr von den moralischen Vorstellungen entfernt wie ein Mann und seine Frau zu sein haben.

Das war eine ungewöhnliche Leseerfahrung für mich, abwechselnd diese Tagebucheinträge zu lesen und dabei nicht zu wissen, ob die jeweiligen Eintragenden, der Mann oder die Frau, in ehrlicher Weise ihren Tagebüchern die persönlichsten Gedanken anvertrauen oder ob sie ein Spiel miteinander treiben, um sich gegenseitig aufzustacheln.
Die Perversion, über die man sich zum Erscheinen 1956 in diesem Werk von Jun'ichirō Tanizaki empört hat, haben heute definitiv ihre Brisanz verloren, und doch habe ich auch in der Jetzt-Zeit die Übergriffigkeit durchaus wahrgenommen und die Manipulation der Eheleute.
Ein überaus interessantes Stück japanischer Literatur!

Veröffentlicht am 06.08.2023

Mein Lesetipp ist dringend, denn diese Lektüre ist brennend aktuell!

Die Wut, die bleibt
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„Haben wir kein Salz“ Kein Fragezeichen, nicht mal ein Blick in ihre Richtung. Es ist diese eine Forderung zu viel. Mitten im Corona-Lockdown wirft sich Helene, Mutter dreier Kinder, vom Balkon. Es ist ...

„Haben wir kein Salz“ Kein Fragezeichen, nicht mal ein Blick in ihre Richtung. Es ist diese eine Forderung zu viel. Mitten im Corona-Lockdown wirft sich Helene, Mutter dreier Kinder, vom Balkon. Es ist diese eine Forderung zu viel, die sie das alles nicht mehr ertragen lässt.

Zurück bleiben Ehemann Johannes, Tochter Lola, die zwei kleinen Söhne und Helenes beste Freundin Sarah. Zurück bleibt neben der Ratlosigkeit aber vor allem auch Wut. Wut auf ein System und eine Gesellschaft, die von Frauen über die Grenzen der Belastbarkeit eines Menschen fordert, auflastet und auslaugt bis eine nicht mehr kann.

Alle Hinterbliebenen müssen in diesem Buch ihren Weg finden, nicht nur mit dem Schmerz des Verlusts einer Mutter und Freundin umzugehen, sondern auch wie sie künftig weiterleben wollen.

Mehr will ich euch zum Inhalt nicht verraten. Das Buch ist eine furiose Wucht, die ihr selbst entdecken sollt. Lest dieses Buch! Es macht was mit euch, rüttelt und schüttelt euch. Für mich war es bereits im ersten Jahresviertel eines meiner Lesehighlights 2022!

Veröffentlicht am 05.08.2023

Ein inspirierender Beziehungsroman mit Tiefgang

Meine fremde Freundin
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Mit einem geklauten Zelt, 62 Euro in der Tasche und einem Rucksack voller Erinnerungen macht sich Josephine auf einen planlosen Weg durchs Ruhrgebiet. Etwas hat ihre Welt durcheinandergeworfen, sie ist ...

Mit einem geklauten Zelt, 62 Euro in der Tasche und einem Rucksack voller Erinnerungen macht sich Josephine auf einen planlosen Weg durchs Ruhrgebiet. Etwas hat ihre Welt durcheinandergeworfen, sie ist nicht mehr fähig in geschlossenen Räumen zu sein. Rastlos wandert sich Josephine die Füße in den Turnschuhen wund, klingelt bei fremden Menschen, um sie zu fragen ob sie ihr Zelt in ihren Vorgärten aufschlagen kann.
Immer einen Fuß schwer vor den anderen setzend, ist sie in Gedanken die meiste Zeit bei Inken. Mit Inken ist Josephine schon seit Kindertagen befreundet. Schöne Zeiten und schwere Krisen verbinden die beiden Frauen. Doch dann ist etwas vorgefallen, das Inken und Josephine entzweit hat. Zwischen Mülheim, Duisburg und Krefeld versucht Josephine in Gedanken Inkens Innerstes zu ergründen, von dem Josephine immer geglaubt hat es zu kennen und Antworten auf die drängenden Fragen in ihrem Kopf zu finden.

Josephines Suche war auch eine Suche für mich als Leserin. Man wird in Josephines Gedanken einer innigen und tiefen Freundschaft gezogen und fragt sich, was dieses Band zerstört haben könnte. Josephines ziellose Wanderung ist gespickt mit einigen wenigen Begegnungen, denen man das Coleur des Ruhrgebiets durchaus anmerkt. Sprunghaft wechseln die Szenarien aus Erinnerungen und Eingebungen, doch fand ich mich nie wirklich verloren in der Erzählung, sondern empfand es als einen inspirierenden Einblick in diese Freundschaft der Frauen. Wunderschön und nicht alltäglich war dieses Buch für mich.

Veröffentlicht am 05.08.2023

Ein Debüt, das einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt

Butter
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Rika arbeitet in einem Verlag, hat aber noch nie eine eigene Reportage veröffentlicht. Manoko Kajii ist bekannt dafür, Männer durch ihre Kochkünste an sich gebunden zu haben und sitzt als Serienmörderin ...

Rika arbeitet in einem Verlag, hat aber noch nie eine eigene Reportage veröffentlicht. Manoko Kajii ist bekannt dafür, Männer durch ihre Kochkünste an sich gebunden zu haben und sitzt als Serienmörderin im Gefängnis. Rika, die sich nie sonderlich fürs Kochen interessierte, bekommt überraschend Zugang zu Kajii und besucht diese im Gefängnis. Nun bekommt sie die Gelegenheit erstmals eine Reportage unter eigenem Namen veröffentlichen zu können. Die Unterhaltungen der beiden Frauen dreht sich nicht nur um Kajiis Beziehung zu ihren Opfern, sondern auch um Speisen und Genuss. Rika versucht sich neugierig an den Rezepten und Tipps der Serienmörderin, die oft mit qualitativ hochwertiger Butter beginnen. Erst als sie die Gerichte nachkocht und darüber sinniert, versteht Rika, was die Männer dazu veranlasst hat Kajii zu verfallen. Nun muss sie allerdings aufpassen der Serienmörderin nicht auch in die Falle zu gehen...

Asako Yuzuki lässt Leser:innen in ihrem Debüroman nicht nur das Wasser im Munde mit expliziten Beschreibungen über köstliche Speisen zusammenlaufen, sondern sie stellt auch unmögliche Erwartungen der japanischen Gesellschaft infrage, die vornehmlich Männer an Frauen richten, ohne die sie nicht “lebensfähig” wären. Dieser Roman ist ein bisschen feministisch und ganz schön lecker und hat mich mit seinen Speisenbeschreibungen positiv ein wenig an Hiromi Kawakamis “Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß” erinnert.

Veröffentlicht am 05.08.2023

Allmachtsansprüche und Antifeminismus aus den dreckigsten Ecken des Patriarchats ans Licht gezerrt

Die letzten Männer des Westens
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Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für eine unsägliche Qual es für Tobias Ginsburg, der sich für seine Recherche als „Anton“ unter Antifeministen und Verfechtern des Patriarchats gemischt hat, gewesen ...

Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für eine unsägliche Qual es für Tobias Ginsburg, der sich für seine Recherche als „Anton“ unter Antifeministen und Verfechtern des Patriarchats gemischt hat, gewesen sein muss. Eine Qual zwischen all diesen testosterongefüllten Dummbatzen zu sitzen und den monotonen Vorträgen aus Frauenhass, Fremdenfeindlichkeit, Ungerechtigkeit und rechtem Gedankengut zu lauschen.

Ginsburg ist Incels begegnet, hat sich mit misogynen Gangsta-Rappern, Maskulisten, Pick-up-Artists und selbsternannten germanischen Übermenschen zu Gesprächen getroffen. Leser:innen wird schnell klar: im Grunde wollen diese Männer Aufmerksamkeit und Anerkennung. Und die kriegen sie nur in ihrer Bubble dadurch, sich über andere Gruppen zu stellen, in diesem Fall Frauen und nicht-weiße Europäer. Dieses Buch ist eine Dokumentation der Neuentflammung des Frauenhasses, einem verdrehten Männlichkeitswahn und dem Verlangen nach einem stählernen Patriarchat. Gleichberechtigung Fehlanzeige. Die Männer, die in diesem Buch investigativ unter die Lupe genommen werden, wollen endlich mal wieder harte, raue und gnadenlose Kerle sein.

Eine Beschreibung in Ginsburgs Buch hat mich besonders betroffen gemacht, «Kai hat nicht die Stärke, traurig zu sein. Nicht die Größe, Schwäche zu zeigen. Nicht die Kraft, seinen Fanatismus zu erkennen. So schwach und klein und kraftlos ist er, dass er eher einen Bürgerkrieg beginnen und das Land niederbrennen würde, als einfach mal zu weinen.», denn mir persönlich ist es schleierhaft wie man ein Leben bevorzugen wollte, das einem bestimmte Verhaltensmuster aufdrängt wie man als Mensch und Mann zu sein hat, als einem die Wahl zu lassen wie man aus der ganzen Vielfalt des Menschseins sein möchte.

Ginsburgs Buch ist lesenswert, es ist aber auch verdammt schwer zu ertragen.