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Veröffentlicht am 29.03.2023

Die Worte des Fuchses sollte jeder Mensch verstehen

Fuchs 8
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Fuchs 8 versteht menschisch. Beim abendlichen Vorlesen hat er den Sinn der Wörter erfasst und konnte sogar so nah an die Menschen herangehen, dass er die Buchstaben lesen konnte. Fuchs 8 dachte, dass alle ...

Fuchs 8 versteht menschisch. Beim abendlichen Vorlesen hat er den Sinn der Wörter erfasst und konnte sogar so nah an die Menschen herangehen, dass er die Buchstaben lesen konnte. Fuchs 8 dachte, dass alle Menschen so sein müssten wie die in dem Haus, in dem vorgelesen wurde.
Bis eines Tages im Wald von Fuchs 8 und seiner großen Fuchsbande Bulldozer, Menschen und Beton auftauchen, die den Wald planierten, um dort ein Einkaufszentrum zu bauen. Fortan wurde das Leben für die Füchse schlechter. Sie fanden nichts mehr zu fressen, der Fluss führte kein sauberes Wasser mehr, und mehr von ihnen wurden krank und starben. Fuchs 8 hatte die wilde Idee sich im Einkaufszentrum mal umzuschauen auf der Suche nach Nahrung, schließlich muss die Menschen dort ja irgendwas hinziehen, wenn der Parkplatz immer so voll ist. Fuchs 8 bricht mit seinem Kollegen Fuchs 7 also ins Einkaufszentrum auf, wo sie künstliche Steine, künstliche Felsen, aber zum Glück kein künstliches sondern richtiges Essen finden und seit langem mal wieder satt werden. Ein wenig orientierungslos kommen sie an einem anderen Ende des Einkaufszentrums heraus und verlieren sich, nachdem sie von bösen Menschen angegriffen wurden. Fuchs 8 versucht daraufhin seine Fuchsgruppe wiederzufinden, jedoch vergeblich. Dafür gelangt er in eine neue Gruppe und wird dort herzlich aufgenommen. Fuchs 8, der zwar ein nettes Fuchsmädchen gefunden hat und bald Nachwuchs erwartet, kommt aber über den Verlust seines Zuhauses nicht gänzlich hinweg. Da er aber kein Miesepeterpapa für seine Jungen sein möchte, überlegt er sich wie er seine Melancholie überwinden kann. Also schreibt er. Er schreibt an die Menschen und fragt, warum sie eigentlich so böse sind. Warum wir denn nicht alle friedlich nebeneinander existieren können.

Fuchs 8 schreibt dieses Buch, das ich also gerade gelesen habe, in einer Rechtschreibung an die Menschen, die an Erstklässlerversuche erinnert. Ein wirklich cleveres Stilmittel, das nicht nur die unbeholfene Sprache des Fuchses als Tier, welches die Menschensprache erlernt hat, darstellen soll, sondern durch die ungewohnte (falsche) Schreibweise der Wörter die ganze Aufmerksamkeit des Lesers einfordert. Es ist nur ein kurzes Buch, aber mehr braucht es auch gar nicht. Es ist wirklich toll und macht mich neugierig auf den Autor. Vielleicht erkunde ich mehr von ihm.

Veröffentlicht am 29.03.2023

Beengung wird in der Umarmung des Zusammenseins zu etwas Schönem

Augenblicke in Bernstein
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Yoko Okawa ist für mich Meisterin der Erzählung stiller Introvertiertheit. Fand ich "Der Herr der kleinen Vögel" durch die tiefe Bindung der beiden Brüder im Roman schon engumschlungen, so setzt "Augenblicke ...

Yoko Okawa ist für mich Meisterin der Erzählung stiller Introvertiertheit. Fand ich "Der Herr der kleinen Vögel" durch die tiefe Bindung der beiden Brüder im Roman schon engumschlungen, so setzt "Augenblicke in Bernstein" diesbezüglich ein neues Maß.

Nach dem Tod der jüngsten Schwester werden drei Geschwister von ihrer alleinerziehenden Mutter mit in die abgelegene Villa ihres geschiedenen Mannes genommen. Sie erhalten neue Namen; Opal, Bernstein und Achat. Aus Sicht des mittleren Kindes Bernstein wird die Geschichte geschildert. Die abergläubische Mutter, die einen Hund für den Tod ihres kleinen Mädchens verantwortlich macht, schärft den Kindern ein, die schützenden Mauern des Grundstückes nie zu verlassen, weil der böse Hund vor dem Tore schon warte. So wird das Aufwachsen der Kinder nur auf diesem abgesteckten Areal von Bernstein erzählt.

Die Verkleinerung ihres räumlichen Bewegungsfreiraums nehmen die Kinder ohne Missfallen hin. Sie begnügen sich mit dem, was ihnen zum Zeitvertreib auf dem Grundstück der Villa begegnet. Die Kleidung der Kinder verziert ihre Mutter mit kindlichen Applikationen; Mähne, Kaninchenpuschel oder Flügel wie eine Fee charakterisieren die Kinder.
Täglichen Unterricht erlebt jedes der Kinder für sich, indem sie sich mit selbst ausgesuchten Themen aus den Enzyklopädien ihres Vaters beschäftigen, der Verleger war und eine Auswahl verschiedener Lexika herausgebracht hat.
Die Wissensbücher sind mehr als reine Lerninstrumente. Für Bernstein werden sie zur Begegnung mit seiner kleinen Schwester, die er auf den Rändern der Seiten zu zeichnen beginnt. Die Begegnungen mit der verstorbenen Schwester werden für alle Familienmditglieder gewissermaßen real, und erst innerhalb der Mauern der Villa wieder möglich.
Für die Mutter, Opal und Achat ist die von Bernstein gezeichnete Schwester auf den Buchseiten nach wie vor das kleine Mädchen von früher. Im gewissen Maße altern auch die Geschwister nicht; ihre Kleidung wird ihnen im Laufe der Jahre zu klein, aber sie tragen sie weiterhin. Von der Mutter werden sie weiterhin behütet, obwohl sie täglich viel Zeit auf sich allein gestellt ist, wenn die Mutter arbeiten muss. Nur subtil erlebt der Leser wie die drei Edelsteinchen ihrer zugedachten Rolle als beschützenswerte Kinder entwachsen, wie beispielsweise als Opal ihr Krönchen, das sie zusätzlich zu ihren Flügelchen trägt, im Morast begräbt und fortan nicht mehr im Bett ihrer Brüder schläft, sondern in einem anderen Zimmer.
Die Welt jenseits ihrer Mauer lernen die Kinder nur durch das Studium der Enzyklopädien kennen, von sich aus haben sie keinen Ansporn die Villa zu verlassen. Doch die Außenwelt ist groß, als dass die Mauern ihr ewig standhalten könnten.

Wie hinterlässt einen ein Buch, in dem es so wenig Handlung, und doch so viele (innere) Begebenheiten gibt? Definitiv melancholisch. Die letzte Seite verlassend, fühle ich mich den Mauern, die ich nur lesend betreten habe, ein wenig entrissen. Es war eine wundervolle Leseerfahrung, die mich sehr nahe an meine erste Begegnung mit Ogawa geführt hat.
Ihr Schreibstil hat für mich einen Ausdruck, als ob man vorsichtig ein Küken anheben wolle ohne ihm weh zu tun. Ich schätze das Feine, das Unaufdringliche ihrer Schilderungen, die ohne große Abenteuer auskommen, um lesenswert zu sein.

Veröffentlicht am 29.03.2023

Ein famoses Bilderbuch für mein erwachsenes Herz!

Das Elfen-Bestimmungsbuch
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Das Elfen-Bestimmungsbuch mit zauberhaften Illustrationen von Benjamin Lacombe war schon lange Gegenstand meiner Sehnsucht. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit es mir endlich zu kaufen!

Ein Biologe wird ...

Das Elfen-Bestimmungsbuch mit zauberhaften Illustrationen von Benjamin Lacombe war schon lange Gegenstand meiner Sehnsucht. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit es mir endlich zu kaufen!

Ein Biologe wird im Auftrag Rasputins auf eine Mission entsandt Forschungen zu Heilpflanzen in einem legendenumwobenen Wald zu machen. Der Forscher, der für die Reise seine Frau und Tochter in Russland für einige Wochen zurückließ, trifft schon bald auf die kleinen Kreaturen des Waldes – nicht Pflanze, nicht Mensch, aber doch beidem ähnlich. Er tauft die neuentdeckten Lebewesen „Elfen“. Aus den Wochen werden fast zwei Jahre, die der Biologe sich in seinen Entdeckungen verliert.

Das Buch besteht nicht nur aus den Illustrationen der Elfen, sondern auch in hübsch aufgemachten Briefwechseln zwischen dem Forscher, seiner Frau und dem ungeduldigen Rasputin, dem es nach Ergebnissen giert.
Transparentpapiere verleihen dem Buch etwas Nebeliges, fast Mystisches; ausgestanzte Seiten mit filigranen Mustern geben dem Betrachter der Bilder den Eindruck sich mitten im Wald zu befinden und durch das Dickicht einen voyeuristischen Blick auf die scheuen Elfen zu erhaschen.
Wunderschön, und auch wenn es kostspieliger war als meine bisherigen Bilderbücher, so war es den Kauf auf jeden Fall wert!

Veröffentlicht am 29.03.2023

Starkes, wenn auch kurzes Debüt

Weißer Asphalt
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Schlägereien und Dealerei sind neben der Schule das tägliche Geschäft des jugendlichen Protagonisten in diesem Buch. Seinen Lebensunterhalt verdient er damit ein wenig Gras zu verticken. In einem recht ...

Schlägereien und Dealerei sind neben der Schule das tägliche Geschäft des jugendlichen Protagonisten in diesem Buch. Seinen Lebensunterhalt verdient er damit ein wenig Gras zu verticken. In einem recht früh im Buch beschriebenen Straßenkampf tritt die zusammengewürfelte Truppe aus Bosniern, Jugoslawen, Türken gegen die Russen vom Stadtrand an. Die Schilderung dieses Aufeinandertreffens ist kurz und brutal und spiegelt den dynamischen Erzählstil des Buches wieder. Die Sprache, derer sich Tobias Wilhelm in seinem Debüt bedient, ist authentisch – man fühlt sich in die Welt dieses Jugendlichen direkt hineinversetzt.

Bis er die Gelegenheit bekommt Koks zu verkaufen, ist dies seine Routine. Seine Freizeit verbringt der Jugendliche, seit er aus dem Jugendknast auf Bewährung entlassen wurde, meistens mit seinen Freunden Fabio, Sascha und Ariano. Im Laufe der kurzen Geschichte kommen aber noch mehr Randfiguren dazu, die man aufgrund ihrer prägenden Geschichten oder Charaktereigenschaften allerdings gut auseinanderhalten kann.

Als er mit Dana zusammenkommt, die sich ein besseres Leben wünscht und bald ihr Studium aufnimmt, lässt er sich von ihr mitziehen und möchte sein Leben umkrempeln. Dann packt ihn jedoch seine Vergangenheit wieder, als ihm die Sporttasche voller Kokain geklaut wird und er sich beim Täter rächt.


Das Buch hätte meines Erachtens noch wesentlich mehr Potential gehabt. Es ist ein Verhängnis, dass es so fesselnd beschrieben ist und gleichzeitig nur so kurz. Das Ende kam ziemlich plötzlich. Der Autor hat aber ein Debüt hingelegt, das Interesse weckt seine kommenden Werke im Auge zu behalten!

Veröffentlicht am 29.03.2023

Eine Familiengeschichte mit einer Konfrontation der Wahrnehmungen

Stummes Echo
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„Stummes Echo“ ist die Geschichte von Susan Hill über eine Familie in England. Auf dem Hof namens The Beacon wohnen die Eltern Bertha und John mit ihrem vier Kindern May, Colin, Berenice und Frank.
Einen ...

„Stummes Echo“ ist die Geschichte von Susan Hill über eine Familie in England. Auf dem Hof namens The Beacon wohnen die Eltern Bertha und John mit ihrem vier Kindern May, Colin, Berenice und Frank.
Einen jeden begleitet man durch die knapp 170 Seiten des Buches. Man erfährt, warum die kluge May ihr vielversprechendes Studium in London nicht weitergeführt und stattdessen zurück zum Beacon gekommen ist, wie Colin seine Liebe fand, die er später heiratete, wie es Berenice dringlicher als alle anderen vom Hof gezogen hat und wie aus dem stillen Beobachter Frank nach seinem Auszug nach London eine Karriere als Journalist beschieden war. Zwischen Frank unds einen Geschwistern hat immer eine Kluft bestanden, und so hielten sie zu ihm und er zu ihnen keinen Kontakt. In Berührung kommen die drei mit Frank erst wieder, als sie in der Zeitung davon lesen, dass er ein Buch geschrieben hat, in dem er eine traumatische Kindheit schildert, die sie so nicht erlebt haben.

Tja, nun bin ich sehr schnell durch das Buch gerauscht, aber das fiel auch nicht schwer: Die Charaktere sind so geschrieben, dass ich ihrem Werdegang folgen wollte. Nachdem Franks Buch über die fragwürdige Kindheit ein großer Erfolg geworden ist, der auch im verschlafenen Ort der Geschwister nicht ignoriert werden konnte, und diese von den Bewohnern verurteilt werden, wollte ich unbedingt wissen wie es weitergeht. Dann allerdings war das Buch auch schon zuende, ziemlich aprupt.
Bei einer letzten Zusammenkunft der vier Geschwister hatte ich das Gefühlt, scheint Frank die Gelegenheit zu bekommen sich mit dem Ort seiner Kindheit auszusöhnen. Die letzten Zeilen wirkten wie eine Sprungschanze, von der meine Ideen ohne autorische Unterstützung weiterflogen und ich ins Nachdenken kam. Die Wahrheit ist in diesem Buch etwas, das der eine nicht ganz glauben und der andere nicht ganz anzweifeln kann, so dass eine Schnittmenge des Zweifels entsteht.


Ich habe mich auf jeden Fall gut unterhalten gefühlt, ganz gleich welches Resümee man aus der Geschichte ziehen möchte!