Ein Roman wie ein Flug über die Insel
Zur SeeDie Fähre braucht etwa eine Stunde, um die Nordseeinsel zu erreichen. Saison für Saison strömen die Touristen auf die Insel. Die Familie Sander leben seit fast 300 Jahren hier und blickt auf eine lange ...
Die Fähre braucht etwa eine Stunde, um die Nordseeinsel zu erreichen. Saison für Saison strömen die Touristen auf die Insel. Die Familie Sander leben seit fast 300 Jahren hier und blickt auf eine lange Tradition von Seemännern zurück. Eine Tradition, mit der sie selbst eigentlich nichts mehr zu tun hat, außer sie den Touristen in einem nostalgisch verklärten Rückblick zu verkaufen. Hanne und Jens Sander – ein Paar, das mehr Trennung als Zusammensein erlebt hat. Zunächst fuhr er zur See, hat später das Leben auf dem Meer aufgegeben, um sich dem Vogelschutz zu widmen und einsiedlerisch in einer Hütte abzuschotten. Hanne hat sich arrangiert, sowohl mit der Ehe als auch mit den Touristen. Ihre Kinder mussten die Mutter in der Saison stets mit den Gästen teilen, die in den Fremdenzimmern im Haus untergebracht waren.
Sohn Ryckmer ist wie sein Vater zur See gegangen. Sein Kapitänspatent hat er verloren und darf jetzt nicht mal mehr auf der Fähre arbeiten. Hat ständig gesoffen, um die Angst zu bezwingen vor dem größten aller Stürme, den er durch Flutstatistiken vorherzusagen versucht.
Tochter Eske verabscheut die Touristen und das Schauspiel, das sie erzwingen und man ihnen als Inselkultur auftischt. Sie versucht das Wesen der Insel auf ihre ganz eigene Weise zu bewahren und zu einem Teil von sich zu machen wie der Seemann, der sich den Anker auf die Schulter tätowiert. Der Jüngste, Henrik, war immer mit sich selbst im Reinen. Anders als sein älterer Bruder hat er sich nie in eine Schablone pressen lassen, sondern ist seiner eigenen Fasson gefolgt und wird als großer Künstler gehandelt, der einmalige Werke aus gesammeltem Treibgut erschafft.
Nostalgie ist etwas Schönes, denn man kann die Vergangenheit auf ihre guten Seiten reduzieren. Auch die Insulaner weinen einer verklärten Vergangenheit nach, die in ihrer damaligen Gegenwart kaum zu ertragen war, weil zu kalt, zu windig und zu karg.
Man will sich von den Touristen distanzieren, und verleugnet kollektiv, dass man sie eigentlich vor allem in einer wirtschaftlichen Hinsicht braucht. Das Theaterspiel der einstigen Folklore sind nicht mehr Kultur, sondern ein Gut, das sich gewinnbringender verkaufen lässt als der Ursprung, dem diese Scharade entwachsen ist.
Mein erstes Buch von Dörte Hansen hat mich sofort eingefangen mit der Art des Erzählens. Wie sie von dieser Insel erzählt und den Menschen dort, das hat sich angefühlt wie ein Drohnenflug mal hier- und mal dorthin, ins Haus von Abkömmlingen aus altem Inseladel, dann an den Strand, der in touristenarmen Zeiten die Einsamkeitsuchenden zu sich zieht, in die Inselkirche, wo der Pfarrer seinen Sermon spricht. „Zur See“ war ein großer Lesegenuss für mich!