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Veröffentlicht am 29.03.2023

Irrungen durch Emotionen

Gespräche mit Freunden
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Sally Rooneys „Gespräche mit Freunden“ wird von der Protagonistin Frances, einer jungen Studentin in Dublin, wiedergegeben. Der ihr am nächsten stehende Mensch ist ihre Ex-Freundin Bobbi, mit der zusammen ...

Sally Rooneys „Gespräche mit Freunden“ wird von der Protagonistin Frances, einer jungen Studentin in Dublin, wiedergegeben. Der ihr am nächsten stehende Mensch ist ihre Ex-Freundin Bobbi, mit der zusammen sie als Poetry Combo von ihr geschriebene Gedichte auf der Bühne performt.
Bei einem dieser Auftritte lernen sie das ein Jahrzehnt ältere Paar Melissa und Nick kennen. Melissa ist Autorin, Nick ein gutaussehender Schauspieler, der seine größten Erfolge hinter sich zu haben scheint. Während Bobbi sich mit Melissa anfreundet, fühlt Frances sich zu Nick hingezogen. Während Bobbis Zuneigung für Melissa platonisch bleibt, entwickelt sich zwischen Nick und Frances eine Affäre.

Frances ist ein Mensch, dem nichts im Leben so wirklich wichtig oder erstrebenswert erscheint, sie hat keine Pläne für einen erstrebenswerten Beruf, sparsam Geld zu verdienen reicht ihr.
Ihrer ist ein nebulöser Charakter, der sich erst in der Interaktion mit anderen erst offenbart. In den Gesprächen, die dem Roman seinen Namen geben, ist Frances häufig passiv und betrachtet das Ganze eher von außen. Lediglich in gesellschaftspolitischen oder feministischen Diskussionen öffnet sie sich ein stückweit. Sie ist nicht sehr proaktiv, sondern lässt sich eher mitziehen und eröffnet ihre Gefühlswelt nur in Gedanken sich selbst. Ihre politischen und bisweilen feministischen Unterhaltungen bleiben stets theoretisch und führen nie zu Aktionen, gleiches gilt für Frances Gefühle. Für ihre Mitmenschen bleibt sie unnahbar und sogar kaltschnäuzig. Selbst ich als Leserin fühlte mich trotz dessen, das sich mir mehr eröffnet als den involvierten Charakteren, auf Distanz gehalten.
Mit ihren Emotionen kann sie größtenteils auch nicht wirklich umgehen wie man an den kleinen Gesten bemerkt, Wunden und Verletzungen, die sie sich selbst zufügt. In den Episoden mit Frances coabhängiger Mutter und ihrem alkoholsüchtigen Vater erahnt der Leser, worin diese Gefühlsunzulänglichkeit ihren Ursprung hat.

Ich muss sagen, dass mich das Buch nicht so wirklich erreicht hat. Der Klappentext las sich dynamischer als die Geschichte letztlich war. Die „Gespräche mit Freunden“ sind ganz interessant, ziehen sich allerdings manchmal in unnötige Längen und – damit muss man klarkommen – bleiben fazitlos.

Veröffentlicht am 29.03.2023

Eine Nacht in Tokio - austauschbar, aber lesenswert

Afterdark
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Eine Variation einer Nacht in Tokio, die im Lokal Denny's kurz vor Mitternacht beginnt. Wir begegnen der jungen Studentin Mari, die ihr Buch liest und von Takahashi, der Maris schöne Schwester Eri kennt, ...

Eine Variation einer Nacht in Tokio, die im Lokal Denny's kurz vor Mitternacht beginnt. Wir begegnen der jungen Studentin Mari, die ihr Buch liest und von Takahashi, der Maris schöne Schwester Eri kennt, angesprochen wird. Nach einer Unterhaltung mit Mari macht er sich mit seiner Posaune auf den Weg zu einer Bandprobe in der Nähe. Ein wenig erhält Mari im Hotel Besuch von der Besitzerin eines nahegelegenen Love Hotels und wird gebeten mitzukommen, wo sie sich bis in die Morgenstunden aufhält, um bei einem Problem zu helfen. Gleichzeitig kreuzen wir den Weg des Büroangestellten Shirokawa, der mit den Ereignissen im Love Hotel zusammenhängt.

Es könnte eine Nacht wie jede andere sein oder eine höchst einzigartige. Haruki Murakami hat 2004 eine Version geschrieben und viele Leser damit begeistert – so auch mich. Mit seinen abseitigen, stillen und skurrilen Charakteren konnte er mich erneut in den Genuss seiner Werke ziehen. Dabei entrollt „Afterdark“ keine pompöse Geschichte, keine sprachliche Ouvertüre, sondern lockt die Charaktere bei kleinen Gesten und Alltäglichkeiten zu beobachten.
So wie Mari an einer Stelle Takahashi fragt, ob eine von ihm erzählte Geschichte eine Moral hat, fragt man sich dies auch beim Lesen des Buches, das nach einem Jazz-Stück von Curtis Fuller benannt ist, in dem sich die Figuren befinden am Ende. Es hat keine erkennbare Moral, dafür einen eigenen Rhythmus. Dies ist ein Buch von Murakami, das man gelesen haben kann aber keineswegs muss, ich für meinen Teil bin den Figuren in dieser Nacht gerne gefolgt.

Veröffentlicht am 29.03.2023

Nur was für Schleckermäuler!

Kekse?! Die krümeligste Ausrede der Welt
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Samstag. Papa schleicht in die Küche und will sich Kekse holen. Die Keksdose ist aber alle! Er fragt den Sohn, ob er die Kekse aufgegessen hat, aber der meint, er war es nicht, weil er an das Regal gar ...

Samstag. Papa schleicht in die Küche und will sich Kekse holen. Die Keksdose ist aber alle! Er fragt den Sohn, ob er die Kekse aufgegessen hat, aber der meint, er war es nicht, weil er an das Regal gar nicht drankommt. Mama wars bestimmt, also ab zu Mama! Die hat sie aber auch nicht gegessen, war bestimmt die Oma, also zack, zu Oma! Die Oma kann das mit ihren schlechten Zähnen aber gar nicht kauen, sagt sie. Vielleicht die Schwester? Alle laufen zur Schwester, aber die behauptet, sie war es nicht, weil sie nur Schokolade isst. Es könnte der Opa gewesen sein, also alle ab zu Opa! Nee, der darf doch keinen Zucker, aber vielleicht hat der Hund die Kekse gegessen? Alle laufen zum Hund. Der mag doch nur Hundefutter und zeigt auf die Katze. Allemann (und -hund) tapern zur Katze. Die Katze bedeutet aber, dass sie viel sie nur Fisch mag und zeigt auf den Papagei. Alle rennen zum Papagei, aber der schüttelt nur sein Gefieder. Nun fragen sich alle, wer denn die Kekse gegessen hat? Alle schauen sich gegenseitig an.

Veröffentlicht am 29.03.2023

Der Anfang dümpelt so dahin, zum Ende hin wird es spannend

Corpus Delicti
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Mia Holl hat ihren Bruder an ein System namens die METHODE verloren. Ihr Bruder Moritz wurde eines Verbrechens überführt, das er nicht begangen hat. Mia glaubt an die Unschuld ihres Bruders, er hat die ...

Mia Holl hat ihren Bruder an ein System namens die METHODE verloren. Ihr Bruder Moritz wurde eines Verbrechens überführt, das er nicht begangen hat. Mia glaubt an die Unschuld ihres Bruders, er hat die Frau nicht vergewaltigt und getötet. Das belastende Material spricht gegen ihren Bruder, und in einer Gesellschaft, in der jeder von der Unfehlbarkeit der METHODE überzeugt ist, mutet es seltsam an, dass Moritz Holl - weiterhin seine Unschuld beteuernd - sich dem weiteren Zugriff des Systems mit einem Suizid entzogen hat.

Juli Zehs Roman spielt in einem System, in dem jeder die Pflicht zur Gesundheit hat und Krankheit systemgefährdend ist. Gesundheits- und Hygienevorschriften regeln das Leben der Menschen. Mias Trauer um den Verlust ihres Bruders wird als Depression gedeutet und darf nicht ihre Sache allein sein, sondern soll gerichtlich gesteuert werden. Mia möchte einfach nur für eine Weile in Ruhe gelassen werden, um den Schmerz zu verarbeiten. Sie bekommt den Pflichtverteidiger Rosenschneider zur Seite gestellt, der Mia zur Räson bringen soll in ihrem Irrglauben, ihre Trauer sei Privatsache und ihren Glauben an das System wiederherstellen soll. Schon bald mischt sich Kramer ein, eine Führungsperson der METHODE im Namen der Regierung. Rosenschneider gelingt eine bahnbrechende Erkenntnis in dem Fall Moritz Holl, und Mia werden methodenfeindliche Gedanken und Handlungen unterstellt und sie wird zu einer politischen Schachfigur, an der ein Exempel für die METHODE statuiert werden soll.

Ich muss sagen, dass ich mich die meiste Zeit eher unbeteiligt durch das Buch gelesen habe. Erst zum Ende hin, als Rosenschneider eine Wendung herbeizuführen in der Lage ist, wurde mein Interesse richtig geweckt, und die letzten Seiten haben mich sinnierend zurückgelassen.
Es wirkt fern und fremd, dass Gesundheit eine Pflicht und ein Standard ist in einer Welt wie unserer jetzigen, die so weit von diesem eigentlich wünschenswerten Ziel entfernt ist, das von Juli Zeh in diesem Buch so ins Gegenteil verdreht ist. Es regt zum Grübeln darüber an, was staatliche Systeme an Privatsachen noch alles zum Gegenstand öffentlichen Interesses machen könnten.

Veröffentlicht am 29.03.2023

Alle mal lesen, das schadet niemandem!

Untenrum frei
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Interessiert stand ich neulich in der Buchhandlung und hatte beide Bücher von Margarete Stokowski, „Untenrum frei“ in der einen Hand, „Die letzten Tage des Patriarchats“ in der anderen Hand. Verlassen ...

Interessiert stand ich neulich in der Buchhandlung und hatte beide Bücher von Margarete Stokowski, „Untenrum frei“ in der einen Hand, „Die letzten Tage des Patriarchats“ in der anderen Hand. Verlassen hab ich die Buchhandlung mit Ersterem und wünschte mir, ich hätte gleich beide mitgenommen!


Stokowski vertritt einen neuen Feminismus, der für Gleichberechtigung beider Geschlechter ist und somit den Mann keineswegs außen vor lässt. Sie gibt dem Feminismus ein neues Gesicht abseits der „frigiden männerhassenden Hexen“, als die Feministinnen oft empfunden werden. Auch in ihrem Werk wird klar, was längst alle wissen (sollten), dass Frauen eben häufig noch immer benachteiligt werden.

In den ersten Kapiteln ihres Buches gibt Margarete Stokowski einen Rückblick in ihr eigenes Leben. Dass nicht einfach, Bumms!, der Feminismus kam wie ein unerwartetes Klingeln an der Tür, sondern der sich auch bei ihr mit vielen Situationen und später mal über diese nachzudenken aufgebaut hat. Margarete Stokowski hat Sozialwissenschaften und Philosophie studiert. Physik oder Mathematik hätte sie auch gut gekonnt, auf einen unentspannten Wettstreit, in dem immer auch ihr Geschlecht eine Rolle gespielt hätte, hatte sie aufgrund von Erfahrungen aus der Schule aber keinen Bock. Sie sensibilisiert mit Themen wie unzureichendem Aufklärungsunterricht, Sex, männlichem/weiblichen Auftreten, Gewalterfahrungen und geschlechtlichen Ungerechtigkeiten die Leserschaft ihres Buches für all die kleinen und großen Ungerechtigkeiten, über die wir uns selbst manchmal nicht klar sind, weil wir sie nicht reflektieren – wir merken zwar, dass etwas zwickt ohne ganz erfassen zu können warum uns das so stört. Manche Vergleiche in diesem Buch haben mich zum Losprusten gebracht, weil sie so witzig und sarkastisch dargestellt sind, mehr sogar noch haben mich zum Grübeln und Resümieren gebracht.

Schade, dass ich erst Mitte Dreißig werden musste, bis ich in den Genuss dieser Lektüre gekommen bin! Ich wünsche mir, dass viele junge Frauen dieses Buch lesen. Nicht, um männerstrafende Furien zu werden, sondern um bereits früh mehr Einblick/Ansicht und dadurch Möglichkeiten zu haben. Ich wünsche mir aber auch, dass viele Männer dieses Buch lesen, um auch ein paar neue Eindrücke der Welt um sich herum bekommen.