Irrungen und Wirrungen im ewigen Eis
Der RissPassend zum deutschen Winter und zum Namen des Autors ist der Handlungsort von Thilo Winters Thriller „Der Riss“ die Eiseskälte der Antarktis. 1959 unterzeichneten zunächst zwölf Nationen den Antarktisvertrag, ...
Passend zum deutschen Winter und zum Namen des Autors ist der Handlungsort von Thilo Winters Thriller „Der Riss“ die Eiseskälte der Antarktis. 1959 unterzeichneten zunächst zwölf Nationen den Antarktisvertrag, der eine friedliche und wissenschaftliche Nutzung des Südkontinents garantieren sollte. Seither befinden sich Forschungsstationen am Südpol, deren Besatzung unter anderem auch die Vulkanaktivitäten im antarktischen Gebiet untersucht. Wichtig ist diese Forschungsarbeit deshalb, weil das Eis, das auf die Vulkane drückt, durch die Erderwärmung schmilzt und somit auch ein Ausbruch in den Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken könnte. Würde das passieren, so könnte der Westantarktische Eisschild abschmelzen und zu einem Anstieg des Meeresspiegels führen, was wiederum Flutkatastrophen herbeiführen könnte. Man merkt folglich: es drängt. Bei der erstmaligen Untersuchung dieser Aktivitäten setzt Winters Roman an und nimmt den Lesenden mit an einen Ort, an dem man sich besser warm anziehen sollte, ha!
Als die Protagonistin und Vulkanologin Antonia Rauwolf auf die Forschungsstation gekommen ist, war ihr Bruder bereits zusammen mit dem Forscher Pietro Malatesta verschwunden. Antonia wird als Ersatzwissenschaftlerin eingesetzt. Natürlich steht dabei ihr Vorhaben, nach ihrem Bruder zu suchen, im Vordergrund. Selbstverständlich tut sie das auch, entgegen aller Widerstände, denn Antonia hat bereits eine Vermutung, an welchem Ort ihr Bruder sich im ewigen Eis gerettet haben könnte! Schon an dieser Stelle klaffen einige logische Risse und werden dem Titel gerecht. Wann hat Antonia erfahren, dass ihr Bruder verschwunden war und warum hat sie ihre Vermutungen nicht geäußert als im großen Stil nach ihm gesucht wurde? Die logischen Wunden vergrößern sich zwar nicht, jedoch wurden hier und da immer mal neue Schnitte gesetzt, die mich erst leise und dann lauter ein hysterisches „Hä?!“ ausstießen ließen. Manche Formulierungen ergeben erst nach dreimaligem Lesen Sinn:
„Wenn wir die Wunde oberhalb des Herzens positionieren, senkt die Schwerkraft den Blutverlust“ – Wunde oberhalb des Herzens positionieren heißt dann, dass wir die Wunde ausschneiden und dann auf die Stirn kleben. Natürlich ist irgendwann klar, was gemeint ist und vermutlich den meisten Menschen auch schon deutlich früher als mir, für mich jedoch sind das Stolpersteine im Lesefluss. Teilweise sind es auch Wende- und Knackpunkte, welche wichtig für den weiteren Handlungsverlauf sind und völlig missverständlich ausgedrückt wurden. Wenn es um räumliche Beschreibungen oder Objektbeschreibungen geht, hatte ich beim Lesen einiger Passagen entweder gar nichts im Kopf oder den Gedanken an ein Glas Wein, weil es sowieso egal ist. Es war an vielen Stellen nicht ganz leicht eine klare Vorstellung oder ein inneres Bild vom Bewegungsablauf und veränderter Positionen von Personen zu erhalten.
Man könnte jetzt behaupten, dass das gut und gerne mal passieren kann, wenn man die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches hat, auf der anderen Seite scheint es mich wohl einfach nicht zu 100% in den Bann gezogen zu haben.
Die Gesamtlogik der Erzählung ist dagegen auch für mich schlüssig und alles ergänzt sich gut, wenn es auch schon echt sehr dick aufgetragen ist. Denn schließlich bleibt es nicht bei Emilios bloßen Verschwinden, dahinter stecken nämlich auch noch eine Vorgeschichte und nebenbei noch ein paar Parallelthemen, die den Kreis dann schließen sollen. Manche der Nebenereignisse wirken stark überzogen, beinahe absurd, passen aber dennoch gut in’s Gesamtbild. Unter anderem werden interessante neue wissenschaftliche Entdeckungen gemacht, die rational gesehen super wichtig sind, affektiv haben sie mich so sehr fasziniert wie ein Stein von einem Ei fasziniert sein kann. Letztlich weiß man, dass die Basics recherchierbar und wahr sind und irgendwo findet man auch einen Artikel dazu in der FAZ oder so und alle NaturwissenschaftlerInnen recken kreischen die Hände in die Luft und sind total begeistert und ich denke mir ,okay, cool‘. Was man dem Roman allerdings lassen muss:
Die Sprache ist wirklich sehr lebhaft und komplexere wissenschaftliche Hintergründe werden auch gerne mal metaphorisch erklärt, was dem Verständnis sehr zuträglich ist. Über den Spannungsaufbau lässt sich auch grundsätzlich nicht meckern, wenn die Geschichte mich einfach mehr gecatcht hätte.
Der Roman ist definitiv lesenswert, da er super geschrieben und sehr gut recherchiert ist. Auch die Thematisierung des Klimawandels und die Kritik am menschlichen Eingreifen in die Natur werden hier und da miteingebracht, wodurch der Text auch als gesellschaftlich relevant gelten kann. Leider haben mich die logischen Brüche und meine Orientierungslosigkeit jedoch so entnervt, dass der Thriller mich leider nicht zu 100% abholen konnte.