Geniale Charaktere verfeinern eine interessante Handlung
TodesfristOft heißt es „eine Geschichte steht oder fällt mit ihren Figuren“ – doch selten hat es so sehr gepasst wie hier bei diesem Thriller. Andreas Gruber hat mit Sabine Nemez und Maarten S. Sneijder ein Ermittlerduo ...
Oft heißt es „eine Geschichte steht oder fällt mit ihren Figuren“ – doch selten hat es so sehr gepasst wie hier bei diesem Thriller. Andreas Gruber hat mit Sabine Nemez und Maarten S. Sneijder ein Ermittlerduo geschaffen, das es in sich hat. Diese mehr als gelungene Kombination aus der jungen Kriminaldauerdienst-Polizistin und dem verschrobenen BKA-Ermittler ist mehr als unterhaltsam, äußerst interessant und sorgt stellenweise sogar für den ein oder anderen Schmunzler und bringt so eine völlig neue Facette mit in den Thriller.
Sabine Nemez glänzt in erster Linie durch Bodenständigkeit und Authensität. Es fällt einem nicht weiter schwer, sie als sympathisch zu betrachten und mit ihr mitzufiebern. Sie ist durch und durch Polizistin und lebt für ihren Job. Doch verschafft uns der Autor auch einen tiefen Einblick in ihr Privatleben und zeigt somit auf, dass Polizisten eben doch nichts anderes sind als ganz gewöhnliche Menschen, die an ihre Grenzen stoßen können. Sabine Nemez ist zielstrebig, mutig, eine Kämpferin und trotz dieser gewöhnlichen Charaktereigenschaften sticht sie für mich aus der breiten Masse heraus – einfach weil sie ist, wie sie ist und mich komplett von sich überzeugte. Alleine ihre Handlungen und Gedankengänge sind zu 100% nachvollziehbar und glaubhaft; ganz zu schweigen von ihren Emotionen, die zur Gänze auf mich abfärbten.
Was aber das Highlight in Sachen Charaktergestaltung war, war der BKA-Ermittler Maarten S. Sneijder aus Rotterdam. Ich habe diesen Kerl von der ersten Sekunde an vergöttert. Weder ist es besonders attraktiv noch nennenswert charmant – aber er ist einzigartig. Nie zuvor bin ich einem so skurilen, seltsamen aber gleichzeitig so sympathischen, unterhaltsamen Mann begegnet. Hier gilt ganz klar: Sneijder kann man nicht beschreiben; man muss ihn erleben. Ich habe jede Sekunde mit ihm zutiefst genossen und mich am Ende so sehr an ihn gewöhnt, dass ich ihn inzwischen schon schmerzlich vermisse. Sein Sarkasmus war göttlich, seine Eigenheiten eine Attraktion und seine Entscheidungen manchmal echt fragwürdig – doch im Endeffekt überraschte er wieder mit ganz neuartigen Einfällen und trägt dabei sein Herz definitiv am rechten Fleck – auch wenn er das nie zeigen oder zugeben würde. Ein bahnbrechender Charakter, der dem Buch die Einzigartigkeit verleiht.
Selbst die Randfiguren erreichen den Leser auf einem ganz neuen Niveau. Die unwichtigste Zeugin scheint einem so ans Herz zu wachsen, dass man sie kaum mehr gehen lassen will. Der Kollege aus Wien ist auf einmal der Love-Interessed des Lesers und die Psychologin ist plötzlich die beste Freundin, die man nie hatte. Hier zeigt Andreas Gruber ganz klar auf: er weiß was er tut und hat in Sachen Charaktergestaltung ein mehr als feines Händchen bewiesen! Großartig und für mich eins von vielen Highlights des Buches.
Das zweite große Highlight ist schlicht der Sprecher. Achim Buch hat diesen Thriller auf geniale Art und Weise vertont und den Figuren noch einmal so viel Greifbarkeit eingehaucht. Mit seiner angenehmen Stimmfarbe erzählt er uns in unterschiedlichsten Akzenten die Dialoge und schaffte es, mich komplett und ohne Vorbehalte zu begeistern. Maarten S. Sneijder wäre niemals der gewesen, der er war, ohne den grandiosen niederländischen Akzent, den Achim Buch so unverkennbar drauf hat! Ganz großes Kino und alle erdenklichen Daumen nach oben.
Doch auch Andreas Gruber’s Schreibstil ist beeindruckend. Er schafft es, mit ganz kurzen, aber stimmigen Beschreibungen ein glasklares Bild der Figuren, Settings & Co. zu zaubern und sog mich mit seiner Art und Weise zu schreiben, restlos in seinen Bann.
Erzählt wird übrigens aus mehreren Sichten; bzw. ist das Buch in mehrere Erzählstränge unterteilt, die alle für sich sehr spannend und ausgeklügelt ausgearbeitet wurden. So lernen wir also dank der gewählten Gliederung nicht nur das Ermittlerteam besser kennen, sondern auch (zu Beginn noch) unscheinbar wirkende Randfiguren – die vielleicht ja später noch eine ganz andere Rolle einnehmen werden.
Der Grundgedanke hinter „Todesfrist“ war auch für mich nichts Neues; irgendwo irgendwann irgendwie hat man das Schema schon einmal gelesen; doch Andreas Gruber hat den Aufbau für mich doch sehr neuartig gestaltet. Während wir in den meisten Thrillern die Chance bekommen, mitzurätseln, wer letztlich der Täter ist, war es hier recht früh klar. Dafür kommen ganz andere Fragen auf, auf die man als Leser unbedingt sofort und auf der Stelle eine Antwort haben möchte. Und auch hier kann uns der Autor komplett aufs Glatteis führen und in etliche falsche Richtungen locken. Jedes Mal, wenn ich dachte, die Sache durchschaut zu haben, wendete sich die Geschichte und ich stand wieder komplett ratlos da. Das, und nur das, ist es, was einen guten Thriller für mich aufmacht. Ich möchte mitfiebern, miträtseln, ich möchte atemlos durch die Seiten preschen und ich möchte mich irren – am besten so oft wie möglich – und all das bietet Todesfrist!
Es ist von der ersten Sekunde an mitreißend, der Spannungsbogen fällt nur selten mal kurzzeitig ab und die Neugier des Lesers wird ordentlich angekurbelt.
Trotzdem glaube ich, dass mich die Idee bzw. die Handlung längst nicht so begeistert hätte, wenn ich nicht so eins mit den Figuren gewesen wäre. Es macht solch unbeschreiblichen Spaß, Nemez und Sneijder zu beobachten und zu begleiten und ist darüber hinaus unterhaltsam, sarkastisch und dazu sogar streckenweise richtig humorvoll und skuril. Kurz: man will einfach am Ball bleiben.
Keine Frage, die Auflösung war nicht wahnsinnig überraschend; aber das Finale war enorm gut in Szene gesetzt und sehr temporeich und actiongeladen abgehandelt. Es gab sogar nochmal eine kleine Wendung, mit der ich so nicht gerechnet hätte; aber alles in allem doch ein wenig vorhersehbar alles. Aber rund – absolut rund und alle offenen Fragen wurden zufriedenstellend beantwortet. Und die Lust auf Band 2 lässt sich nicht ignorieren.
FAZIT:
„Todesfrist“ von Andreas Gruber ist ein mehr als gelungener Auftakt der Nemez und Sneijder-Reihe und bietet alles, was das Thrillerfanherz begehrt: Spannung, Action, stellenweise Brutalität, interessante Ermittlungsarbeit und, ganz wichtig: die wohl großartigsten Figuren, die ich bisher in diesem Genre kennenlernen durfte. Wer sich gern in die Irre führen lässt, über verschrobene Protagonisten schmunzeln will und Bock auf verschiedene Erzählstränge hat – der wird Todesfrist lieben. Ich für meinen Teil möchte euch allen da draußen, ob nun Thrillerleser oder nicht, dieses Buch ans Herz legen. Es war ein wahres Erlebnis, das Ermittlerduo kennen zu lernen und zu begleiten und ich kann es kaum erwarten, Band 2 zu hören – denn in Anbetracht dessen, dass Achim Buch mein neuer Stern am Sprecher-Himmel ist, kommt lesen nicht in Frage. Riesige Empfehlung von meiner Seite – auch wenn die Handlung noch ein wenig Spielraum nach oben hat; das machen Nemez und Sneijder wieder wett.