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Veröffentlicht am 07.05.2021

Hier ist Geduld gefordert

Der Schneeleopard
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Der Schriftsteller, Geograph und Reisende (und ich füge noch hinzu: Philosoph) Sylvain Tesson hat vermutlich mit Der Schneeleopard ein großartiges Buch geschrieben, wenn man den Rezensionen in den unterschiedlichen ...

Der Schriftsteller, Geograph und Reisende (und ich füge noch hinzu: Philosoph) Sylvain Tesson hat vermutlich mit Der Schneeleopard ein großartiges Buch geschrieben, wenn man den Rezensionen in den unterschiedlichen Medien glauben darf. Ich persönlich kann es nur vermuten, denn über viele Seiten des gar nicht so umfangreichen Buches hatte ich das Gefühl, viel zu einfach gestrickt zu sein, um Tesson zu verstehen.

Der mit vielen Buchpreisen ausgezeichnete Tesson reist mit Tierfotograf Vincent Munier und einem kleinen Team ins Himalaya-Gebirge um dort Aufnahmen von einem der scheuesten und seltensten Tiere zu machen. Panthera uncia, so der lateinische Name der Großkatze, die sich nur den Geduldigen zeigt.
Tag für Tag liegen sie auf der Lauer, um tagelang nur Yaks, Füchse und Blauschafe vor die Linse zu bekommen. Nicht, dass es nicht auch kleine Sensationen wären in der kargen Landschaft immer wieder auf Lebendiges zu stoßen. Doch das wirklich erhebende Ereignis ist das Auftauchen des Herrschers über Kälte und Einsamkeit. Der Spoiler sei erlaubt: Die Geduld wird belohnt. Doch kann ich das Erhebende daran nicht in Gänze nachvollziehen. Denn erst nach der Hälfte des Buches geht Tesson auf die Einzigartigkeit dieser Spezies ein. Zuvor ergeht er sich in endlosem Philosophieren über Mensch, Natur und der Zerstörung der Natur. Und in Grübeleien über sich selber. Mich hat dies teilweise so gelangweilt, dass ich bereits kurz davor war aufzugeben. Doch ebenso wie das geduldige Warten und Nichtstun Tessons und Muniers letztendlich belohnt werden, muss man für die 187 Seiten des Buches ein ausdauernder Leser bleiben. Eine Belohnung gibt es am Ende dann doch, nämlich die Freude darüber, dass ER sich endlich blicken lässt.
Wie anfangs erwähnt: Vermutlich ist Der Schneeleopard ist ein wunderbares Buch. Und ich weiß das auch, nur habe ich es beim Lesen nicht gefühlt. Trotzdem gibt es 4 Sterne. Das Buch kann ja nichts dafür, dass ich nicht wirklich begeistert war.

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Veröffentlicht am 05.05.2021

Liebe, Heimat und Familie sind die Zutaten für diese Geschichte

Laudatio auf eine kaukasische Kuh
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Eine turbulente Komödie, so wäre vielleicht das Label, wenn Angelika Jodls Buch ein Film wäre. Während des Lesens musste ich manchmal an lustige Verwechslungskomödien denken, in denen der eifersüchtige ...

Eine turbulente Komödie, so wäre vielleicht das Label, wenn Angelika Jodls Buch ein Film wäre. Während des Lesens musste ich manchmal an lustige Verwechslungskomödien denken, in denen der eifersüchtige Liebhaber den Rivalen mit gezogener Pistole verfolgt und der wiederum von der Angebeteten verschmäht wird. Aber nein, soviel Unrecht möchte ich diesem Buch mit dem phantasievollen Cover nicht antun. Ich fühlte mich auf jeder Seite wunderbar unterhalten.
Für Medizinstudentin Olga rückt die Erfüllung ihres Traumes in erreichbare Nähe. Bald wird sie Ärztin sein und mit ihrem ebenfalls medizinstudierenden Verlobten Felix ein wunderbares Paar abgeben. Wenn nicht ihre Familie wäre. Die Evgenidous sind georgische Einwanderer mit griechischen Wurzeln. Und sie halten die georgische Kultur auch in der Wahlheimat München hoch. Olga sind sie peinlich. Sie grillen im Park, der Vater ist „Arbeiter“, und sie scheinen in uralten Traditionen stehen geblieben zu sein. Wie soll Olga nur den spröden norddeutschen Felix Van Saan ( es scheint, als wäre dieser Name für Olga das reizvollste an Felix) der Familie vorstellen?
Und dann kommt alles ganz anders. Der Lebenskünstler Jack erscheint auf der Bühne und ab sofort verliert Olga die Kontrolle über ihren Plan. Als dann Olgas Familie zum Verwandtenbesuch nach Georgien reist, beginnt die Geschichte so bunt zu werden wie die Kuh auf dem Buchcover.
Der georgische Teil, so nenne ich diese Kapitel des Buches, sind Angelika Jodl ganz besonders gut gelingen. Mich hat ein großes Interesse für dieses Land gepackt, welches mich vor lauter Vorurteilen nie wirklich interessiert hatte. Ein Fehler, wie sich beim Lesen herausgestellt hat.
In der Heimat zeigt sich die große Stärke von Olgas Familie. Gastfreundschaft, Improvisationstalent und die Fähigkeit, die Wirklichkeit ab und an so zu biegen, wie es passt, haben mich dieses wunderschöne Land zwischen Europa und Asien mit anderen Augen sehen lassen.
Heimat, Wurzeln, Familie und nicht zuletzt die Liebe mit einem wunderbaren Happy End sind die Zutaten für eine bunte Geschichte, die einfach nur schön geschrieben ist. Und es schadet ja nicht, wenn man auch gut unterhalten wird beim Bücherlesen.

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Veröffentlicht am 20.03.2021

Düstere Geheimnisse

Die Verlorenen
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Die britische Autorin Stacey Halls führt die Leser:innen in ihrem Buch "Die Verlorenen" in das quirlige, von gesellschaftlichen Gegensätzen geprägte London in der Mitte des 18. Jahrhunderts. England ...

Die britische Autorin Stacey Halls führt die Leser:innen in ihrem Buch "Die Verlorenen" in das quirlige, von gesellschaftlichen Gegensätzen geprägte London in der Mitte des 18. Jahrhunderts. England verfügte zu dem Zeitpunkt über zahllose Kolonien auf der ganzen Welt, und die industrielle Revolution stand mit der Erfindung der Dampfmaschine kurz bevor. In diesem Setting ist die alptraumhafte Geschichte um die junge Krabbenverkäuferin Bess Bright angesiedelt.

Bess, in ärmlichen Verhältnissen mit ihrem Vater lebend, hat endlich genügend Geld zusammengespart um ihre Tochter Clara aus dem Waisenhaus The Foundling zurückzuholen, in dem sie das Neugeborene sechs Jahre zuvor schweren Herzens abgeben musste. Doch für Bess beginnt nun eine verzweifelte Suche, denn die kleine Clara wurde bereits einen Tag nach der Aufnahme von einer Frau abgeholt, die sich als ihre Mutter ausgab. Um jeden Preis möchte Bess nun wissen, was ihrer Tochter zugestoßen sein könnte.

Stacey Halls greift zu einem Trick, der große Spannung aufbaut: Nach dem ersten Drittel des Buches findet eine Perspektivenwechsel statt, und man liest von der wohlhabenden Alexandra und ihrer kleinen Tochter Charlotte. Schnell ist klar, dass es sich hier um Clara handelt. Allerdings kommen die Umstände, die dazu geführt haben, dass Clara nun bei Alexandra lebt, recht spät im Buch ans Licht. Dadurch wird man "bei der Stange" gehalten, denn mit einigen Längen des Buches hatte ich durchaus zu kämpfen.

Insgesamt wird eine gute Geschichte erzählt, bei der mir aber der versprochene "authentische historische Hintergrund" gefehlt hat. Es gibt zwar viele Beschreibungen der Lebensverhältnisse, Häuser und Straßenzüge, aber den Zeitgeist der damaligen Epoche konnte ich leider nicht nachfühlen. Eine neue Hilary Mantel - so die Ankündigung auf dem Cover - ist Stacey Halls für mich leider nicht.

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Veröffentlicht am 04.03.2021

Schönes Cover - wirrer Inhalt

Die Bücherfrauen
1

Auf dieses Buch hatte ich mich wirklich gefreut: Das wunderschöne Cover und auch der Klappentext haben mir "eine inspirierende Geschichte über Frauen aus heutigen und vergangenen Zeiten" versprochen. Um ...

Auf dieses Buch hatte ich mich wirklich gefreut: Das wunderschöne Cover und auch der Klappentext haben mir "eine inspirierende Geschichte über Frauen aus heutigen und vergangenen Zeiten" versprochen. Um so größer war dann die Enttäuschung während des Lesens.

In der kleinen Stadt New Hope in Kansas/USA treffen die sehr unterschiedlich im Leben stehenden Frauen Angelina, Tracy und Gayle aufeinander.

Angelina kennt New Hope aus ihrer Kindheit, da ihre Großmutter hier auf einer Farm lebte. Nun kommt sie in das ländliche Kansas um sich dem Thema ihrer Dissertation zu widmen. Diese hat die Gründung der Carnegie-Bibliotheken zu Beginn des letzten Jahrhunderts zum Thema und soll nach zehn Jahren Bearbeitungszeit nun endlich fertiggestellt werden.

Traci reist aus New York nach Kansas und darf auf Einladung des Kulturzentrums der ehemaligen Carnegie-Bibliothek von New Hope dort als Gastkünstlerin tätig sein. Nicht nur das: Traci flieht aus New York vor ihrem Vermieter und auch sonst scheinen große Probleme ihrer Vergangenheit nicht bewältigt zu sein.

Die letzte im Trio der "Bücherfrauen" ist Gayle, die, durch einen Tornado ihres Hauses und des ganzen Besitzes beraubt, zaghaft Anschluss in der Gemeinschaft in New Hope sucht.

Drei Frauen, drei Schicksale, die nicht unspannend sind. Nur leider schafft es die Autorin Romalyn Tilghman erst im letzten Drittel des Buches hier etwas Verbindendes herzustellen. Zwar ist der Bezugspunkt für die Frauen das Kulturzentrum, das wiederum aus einer früheren Bibliothek hervorgegangen ist, doch die Liebe zu Büchern kann ich bei den Dreien auf den ersten Blick nicht erkennen. Würde nicht Angelina eine wissenschaftliche Ausarbeitung zur Gründung der Carnegie-Bibliotheken schreiben, hätte ich erst mal keinen Berührungspunkt zu Büchern gefunden.

"Ein warmherziger Roman über den Wert der Gemeinschaft": So wird dieses Buch beworben. Dem kann ich tatsächlich zustimmen. Nach und nach entsteht wirklich eine Gemeinschaft, die sich den Erhalt des Zentrums zum Ziel gesetzt hat. Allerdings geht es dann mehr um Handarbeiten und Buffets als um Bücher. Am Ende des Buches gibt es nach vielen Verwicklungen und Nebenhandlungen ein echt amerikanisches Happy End, welches für meinen Geschmack doch etwas zu unvermittelt kommt.

Viele lose Enden, Charaktere, die konturlos bleiben und schlecht übersetzte Passagen haben mir die Lesefreude an "Die Bücherfrauen" etwas verdorben. Die guten Beschreibungen des ländlichen Kansas und ihrer Bewohner allerdings waren kurzweilig, konnten aber die Enttäuschung über viele andere "liegengelassene" Themen nicht aufwiegen.

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Veröffentlicht am 02.02.2021

Zu Herzen gehend

Sprich mit mir
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Mein Lesejahr hat mit dem neuen Buch von T.C. Boyle ganz fantastisch begonnen. Zugegebenermaßen ist "Sprich mit mir" mein erster Roman von Boyle und ich bin restlos begeistert.

Der zweijährige Schimpanse ...

Mein Lesejahr hat mit dem neuen Buch von T.C. Boyle ganz fantastisch begonnen. Zugegebenermaßen ist "Sprich mit mir" mein erster Roman von Boyle und ich bin restlos begeistert.

Der zweijährige Schimpanse Sam lebt in einer Art WG mit Guy, Josh und anderen Betreuern. Umsorgt wie ein Kind ist er Teil einer Gemeinschaft, mit der er lernt, spielt, Fernsehabende verbirgt und feiert. Was Sam allerdings nicht weiß: Er ist ein Forschungsobjekt und dient letztlich nur den wissenschaftlichen Ambitionen seiner Mitbewohner. Guy ist Professor und erforscht in wieweit Schimpansen in der Lage sind, Sprache zu erwerben. Mit Sam hat er bereits einige Berühmtheit erlangt, da er mit ihm in einer Fernsehshow auftrat. Sam hat die Gebärdensprache erlernt und ist in der Lage zum Teil komplexe Sachverhalte zu kommunizieren.
Sam benötigt eine neue Betreuung, und somit kommt die schüchterne Studentin Aimee mit ins Team. Sie baut eine tiefe Beziehung zu dem Schimpansen auf. Am Ende ist sie diejenige, der Sam restlos vertraut.
Mit Aimee kommt sehr viel Gefühl und letztlich auch Dramatik in die Geschichte. Als Sam zu Tierversuchszwecken seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wird, setzt Aimee alles daran ihrem Freund ein Leben im Käfig zu ersparen.
Mich hat die Geschichte von Sam sehr nachdenklich zurückgelassen. Zwar sind die Innenansichten Sams, die Boyle geschickt dadurch beschreibt, dass einzelne Kapitel aus Sams Sicht geschrieben sind, fiktiv, aber es braucht nicht viel Fantasie um sich das Leid eines Tieres in Käfighaltung vorzustellen. Woher auch immer Menschen das Recht nehmen, Experimente mit Tieren durchzuführen, T.C. Boyle stellt dies doch sehr in Frage.
Ein Buch, dass spannend, lustig und traurig zugleich ist.

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