Spannend, entsetzlich und wahnsinnig
Der HeimwegDas Heimwegtelefon bringt dich sicher nach Hause. Freiwillige Helfer telefonieren so lange mit den Anrufenden, bis diese vor der eigenen Haustür stehen. Dieses Angebot nimmt auch Klara wahr, die sich bedroht ...
Das Heimwegtelefon bringt dich sicher nach Hause. Freiwillige Helfer telefonieren so lange mit den Anrufenden, bis diese vor der eigenen Haustür stehen. Dieses Angebot nimmt auch Klara wahr, die sich bedroht und verfolgt fühlt.
Jules ist einer dieser freiwilligen Helfer und hat Klara am Abend des 29. November am Telefon, einen Tag vor ihrem Sterbetag. Denn ihr Verfolger hat dieses Datum für sie festgelegt, und nur unter einer ganz bestimmten Bedingung kann sie ihren Tod noch abwenden.
Sebastian Fitzek thematisiert in seinem neuen Psychothriller gleich zwei gesellschaftlich wichtige Punkte: zum einen die häusliche Gewalt gegen Frauen und zum anderen das Heimwegtelefon als Angebot für Menschen, die nachts Angst haben, allein unterwegs zu sein. Beides ist unheimlich wichtig, und ich habe mich sehr gefreut, dass Fitzek als bekannter Autor diese Themen anspricht, auf sie aufmerksam macht und verarbeitet.
Der Autor betont in fast jedem seiner Bücher, dass er über das schreibt, was ihm selbst Angst macht. Trotzdem ist alles frei erfunden und beruht nicht auf Tatsachen. Ich bin sehr froh darüber, denn Fitzek beschreibt die tiefsten menschlichen Abgründe. Ich bin trotzdem überzeugt davon, dass die Umstände, die der Geschichte zugrunde liegen, tatsächlich so existieren. Mehr als einmal musste ich meine Augen zusammenkneifen und mich mit aller Macht davon abhalten, das Buch zuzuknallen und aus dem Fenster zu werfen. Was Fitzek beschreibt, ist verstörend, und genau deshalb ist er so gut. Seine Worte verursachen Gänsehaut, Unwohlsein und Entsetzen, also alles, was ein guter Psychothriller braucht.
Aber worum geht es denn nun? Klara ist Opfer von häuslicher Gewalt und wird von ihrem Ehemann geschlagen, vergewaltigt und gedemütigt. Die Details dazu sind wirklich mehr als erschreckend. Sie befindet sich in einem Teufelskreis und hat mit ihrem Leben schon abgeschlossen. Jules versucht händeringend, Klara von ihrem Vorhaben abzubringen. Auf verschiedenen Wegen versucht er, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und sie dazu zu zwingen, einen Sinn in ihrem Leben zu entdecken. Ich fand wirklich interessant, wie er dabei vorgeht, auf der einen Seite einfühlsam, auf der anderen Seite drängend. Dadurch wurde ihr Gespräch auch nie langweilig.
Es war beeindruckend, dass der Hauptstrang des Buches nur an einem einzigen Abend spielt. Die Nebenschauplätze beziehen sich dann auf Rückblenden aus Klaras und Jules' Leben. Dabei lernen wir die beiden und ihre Lebensumstände näher kennen. Ich muss ehrlich sagen, dass mir von Anfang an klar war, welche Rolle Jules hat, so weit kenne ich Sebastian Fitzek nun schon und bin sehr stolz, dass ich mich dieses Mal nicht habe aufs Glatteis führen lassen. Zwischendurch war ich kurz verunsichert, da mir die Einbindung von Jules' Vaters nicht ganz klar war, aber im Grunde hatte ich tatsächlich recht und war daher nicht so überrascht von der Auflösung, wie ich sonst immer bin. Das heißt aber nicht, dass das Buch nicht gut war. Es war wahnsinnig gut, aber dieses Mal für mich persönlich vorhersehbar.
Soweit ich mich erinnern kann, ist dies das erste Buch, das ich gelesen habe, in dem das Aussehen der Charaktere nicht beschrieben wird. Wir haben keine Ahnung, wie Klara und Jules aussehen. Im Grunde sind wir also genauso blind wie die Figuren selbst, denn sie kennen nur die Stimme des anderen. Das fand ich sehr faszinierend, denn wir brauchen das Aussehen der Figuren gar nicht. Wir stellen uns ihre Stimme vor und wie sie am Telefon wirken. Fitzek findet trotzdem Beschreibungen, zum Beispiel für Amelie oder Caesar, die aber niemals das Aussehen beschreiben, sondern immer nur einen Eindruck oder ein bestimmtes Merkmal hervorheben.
Wie gesagt war die Auflösung für mich im Großen und Ganzen klar, aber es war trotzdem spannend, die Details zu erfahren. Was sind die Motive des Kalender-Killers? Wie kam die Verbindung zwischen Klara und Jules zustande? Welchen Einfluss hatten jeweils ihre Eltern?
Insgesamt habe ich "Der Heimweg" sehr genossen. Einmal angefangen konnte ich aus dem Sog nicht entkommen. Sebastian Fitzek schreibt unglaublich spannend und entsetzlich. Ich mochte die Figuren und ich mochte die Story und die kleinen Details, die sich zum Gesamtbild zusammensetzten. 1 Stern Abzug, weil ich die Auflösung vorhersehen konnte.