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Veröffentlicht am 18.05.2021

Wahnsinnig berührend

Die Telefonzelle am Ende der Welt
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Eines Tages erfährt Radiomoderatorin Yui von einem Zuhörer, dass es eine ganz besondere Telefonzelle am Hang des Kujirayama in Ôtsuchi, an der Küste Nordostjapans, gibt. Seit dem Tsunami im März 2011, ...

Eines Tages erfährt Radiomoderatorin Yui von einem Zuhörer, dass es eine ganz besondere Telefonzelle am Hang des Kujirayama in Ôtsuchi, an der Küste Nordostjapans, gibt. Seit dem Tsunami im März 2011, durch den auch Yui selbst schwere Verluste erlitt, reisen viele Trauernde hin, um den Stimmen der Vergangenheit zu lauschen. Und genau in diesem Moment, während ich verzweifelt überlege, welche Worte dem gerecht werden, was ich gelesen habe, kommen mir Tränen.

Yui ist mir sofort ans Herz gewachsen. Was ihr widerfahren ist, wünsche ich wirklich niemandem. Ihre tragische Geschichte hat mich so manche Emotion durchleben lassen, sodass Yui mir nach alldem wie eine gute Freundin vorkommt. Eine, die ich beschützen möchte und der ich alles erdenklich Gute dieser Welt wünsche. Denn das hat sie verdient.

Auch die andere Figur in diesem wundervollen Roman konnte sich in mein Herz schleichen: Takeshi. Ein Arzt, den Yui in Bell Gardia kennenlernt. Dem magischen Ort, der die Telefonzelle beherbergt. Dort treffen sie aufeinander und finden den Halt, den sie so lange und dringend gesucht haben.

Die Autorin hat einen wahnsinnig bildgewaltigen, fesselnden Stil, dass man ihren Worten nicht entkommt. Man wird sogartig hinfortgetrieben, von Welle zu Welle gespült, in die Unendlichkeit der Tiefe gezerrt und zurück an die Oberfläche geschubst, wo warme Sonnenstrahlen tröstend auf einen warten. Manchmal jedoch verliert sie sich in ihren Erzählungen und Beschreibungen, sodass diese besondere Anziehungskraft etwas nachlässt.

Und immer wieder habe ich mich gefragt, was ich tun würde, wenn solch ein Ort für mich erreichbar wäre. Würde ich mit jenen sprechen wollen, die mich verlassen mussten? Wäre ein "Ich vermisse dich" zu wenig der Worte? Und wie würde ich damit klarkommen, wenn ich aufgrund vieler anderer Trauernden nicht dazu käme, den Stimmen der Vergangenheit zu lauschen?

Persönliches Fazit: Selten habe ich so viel nach Beenden eines Buches über dieses nachgedacht wie es hier der Fall war. Es hat mich enorm berührt, mir Licht gegeben, wo Dunkelheit war, mich träumen und wünschen lassen und wird mich womöglich nie mehr loslassen. Eine poetische Geschichte über einen magischen Ort, den es tatsächlich gibt. Bitte lesen!

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Veröffentlicht am 10.05.2021

Fantasy-Highlight 2021

Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte
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Linus Baker ist ein Mann in den mittleren Jahren, arbeitet seit längster Zeit für die BBMM, die Behörde für die Betreuung magischer Minderjähriger. Die Behörde sorgt dafür, dass alle Kinder mit besonderen ...

Linus Baker ist ein Mann in den mittleren Jahren, arbeitet seit längster Zeit für die BBMM, die Behörde für die Betreuung magischer Minderjähriger. Die Behörde sorgt dafür, dass alle Kinder mit besonderen Fähigkeiten registriert und überwacht werden. Klingt natürlich erst einmal nicht schlecht, doch ist Kontrolle via System in Ordnung? Viele Mitarbeiter dieser Behörde sehen leider nicht den Menschen selbst hinter all dem magischen Gedöns. Das hat mir sehr gut an Linus gefallen. Er ist zwar systemtreu, handelt strikt nach den Vorgaben und Verordnungen, vergisst dabei jedoch nicht, dass es auch nur Kinder sind, die menschlich behandelt werden möchten. Er war mir direkt sympathisch und ich fand es großartig, dass der Charakter im Laufe des Buches wachsen durfte.

Auch die anderen Protagonisten habe ich sehr in mein Herz geschlossen, vor allem die Kinder, die in Mr. Parnassus' Heim leben. Hier hat mich besonders Talia überrascht. Sie ist aufgeschlossen, frech, aber auch liebenswürdig, sehr weise für ihr junges Alter. Der Autor hat wirklich eine wundervolle Welt geschaffen, mit ausgereiften und großartigen Figuren. Am liebsten würde ich jeden erwähnen, denn verdient hätten es alle.

Der Schreibstil hat mir auch sehr gut gefallen. Ich habe kaum gemerkt, wie schnell ich von Seite zu Seite gesprungen bin. Das Buch lässt sich flüssig und leicht lesen. Neue Begriffe werden gut und ausführlich erklärt. Die Spannung ist von Anfang an da und folgt stringent einem roten Faden. Auch wenn anfangs nicht viel passiert, so wird der Leser dennoch motiviert, das Buch nicht fallen zu lassen. Man möchte einfach wissen, wie es weitergeht.

Persönliches Fazit: Ein rundum gelungenes Buch. Zwar weist es Gemeinsamkeiten mit bereits bekannten Filmen und Büchern auf, jedoch hat der Autor das Thema sehr gut umgesetzt und auch ausreichend Neues mit eingebracht. Für Fantasy-Fans ein absolutes Must Read, aber auch für Leser, die gern überrascht werden möchten. Ich empfehle das Buch von Herzen weiter.

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Veröffentlicht am 10.05.2021

Sehr interessanter Blick hinter die Kulissen

Die Queen
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Fast jedes Mädchen hat sich schon einmal gewünscht, Prinzessin zu sein. Queen Elizabeth lebt diesen Traum seit nunmehr 70 Jahren: als Königin des britischen Empire ist sie nicht nur die älteste, sondern ...

Fast jedes Mädchen hat sich schon einmal gewünscht, Prinzessin zu sein. Queen Elizabeth lebt diesen Traum seit nunmehr 70 Jahren: als Königin des britischen Empire ist sie nicht nur die älteste, sondern auch die Königin mit der längsten Amtszeit. Zum 95. Geburtstag der Queen erschien nun diese Biografie.

Sie erscheint stets unnahbar, dennoch ist sie auch nur ein Mensch. Der Leser begleitet die Königin durch die Kindheit und Jugend, erlebt Meilensteine wie ihre Krönung oder ihre Hochzeit. Garniert wird das Ganze mit Fotos, von denen ich persönlich gerne mehr gehabt hätte (wenn ich schon einen Blick hinter die Kulissen werfen darf, kann ich gar nicht genug bekommen).

Die Journalistin Paola Calvetti trägt mit ihrem unaufgeregten Schreibstil dazu bei, dass die Queen trotz der persönlichen Einblicke ihre Größe bewahrt. Gut, bei einem Buch dieser Länge dürfte klar sein, dass vieles nur angerissen wird und die Biografie auch nicht aufschließend ist.

Hier noch eine kleine Anekdote: Für die Krönung übte die Queen, indem sie einen Sack Kartoffeln auf dem Kopf balancierte. „Man kann nicht hinunterschauen, um die Rede zu lesen. Man muss die Rede hochhalten.“

Persönliches Fazit: Eine Empfehlung an alle LeserInnen, die schon immer etwas mehr über die berühmte Monarchin wissen wollten.

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Veröffentlicht am 01.05.2021

Düster, ausdrucksstark, schonungslos

Oink
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Könntet ihr auf FLEISCH verzichten?

Tatsächlich habe ich mich das schon öfter gefragt und mit dem Thema befasst, mir Videos zu Tierhaltung und Fleischkonsum angesehen, mit Veganern und Vegetariern gesprochen ...

Könntet ihr auf FLEISCH verzichten?

Tatsächlich habe ich mich das schon öfter gefragt und mit dem Thema befasst, mir Videos zu Tierhaltung und Fleischkonsum angesehen, mit Veganern und Vegetariern gesprochen und mich selbst mal reflektiert.

Meine Antwort lautet: nein! Dafür schmeckt es mir einfach zu gut. ABER ich habe meinen Blickwinkel geändert und nehme nicht mehr alles als selbstverständlich hin. Dadurch habe ich u.a. den Verzehr von Fleisch- und Wurstwaren ziemlich reduziert. Außerdem achte ich darauf, woher sie kommen, ob Bio und regional.

Als ich dann zufällig über OINK gestolpert bin und das Thema mich direkt ansprach, musste das Buch bei mir einziehen. Und eins kann ich vorweg sagen: heftig!

OINK ist ein Schweinemensch, eine künstliche Züchtung aus Mensch und Tier, der - wie viele andere seiner Art - als Sklave für die Menschen arbeiten muss. Er lebt in einem düsteren Schlachthaus, hat von der Welt der Menschen außerhalb der Fabriken, die ironischerweise Himmel genannt wird, noch nie etwas mitbekommen. Was er weiß, ist, dass man hier keine Fragen stellen darf. Schon als kleines Ferkel musste er die traumatische Erfahrung machen, was passiert, wenn man plötzlich anfängt zu denken. Denn OINK möchte wissen, warum er "normale" Schweine töten muss, wo er selbst doch zum Teil eines ist. Warum seine Herren diese armen Geschöpfe essen. Warum er für die Menschen schuften muss und nicht die Freuden von Himmel genießen darf. So wächst das verstörte Kind namens OINK, konfrontiert mit Ausbeutung, gesellschaftlicher Unterdrückung, Vereinsamung und moralischen Aspekten, zu einem intelligenten (Schweine-)Mann heran. Und eines Tages ist dieser nicht mehr dazu bereit, die Wahrheit zu ignorieren. Er will Antworten, Freiheit ... und Rache.

OINK ist definitiv kein Kinderbuch, das sollte jedem klar sein. Vielmehr bekommt man hier - neben einer düsteren, rauen und sozial- wie gesellschaftskritischen Story - beeindruckende, ausdrucksstarke Illustrationen serviert, die stellenweise nur so vor Gewalt und Brutalität strotzen und bis ins kleinste Detail durchdacht sind. Ich könnte mich stundenlang mit der Graphic Novel beschäftigen und es würde mir vermutlich immer wieder ein neues Detail auffallen.

Einsamkeit, Trostlosigkeit, Schmutz und Schmerz. Wenn ihr wissen möchtet, wie viel Leid den Schweinemenschen in Schlachthaus 628 widerfährt, lest unbedingt dieses Buch! Meiner Meinung nach ist es die passende Lektüre, um sich mit den o.g. Themen auseinanderzusetzen. Nichts für zarte Gemüter!

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Veröffentlicht am 29.04.2021

Ein sehr rätselhafter Thriller

Die Stieftochter
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Stiefmutter Becca liegt im Koma, nachdem sie, direkt am ersten Tag ihrer Entlassung, in ihrem Haus niedergeschlagen wurde. Ihrer Stieftochter Tess, die sich schon seit Jahren aus dem Familiendrama der ...

Stiefmutter Becca liegt im Koma, nachdem sie, direkt am ersten Tag ihrer Entlassung, in ihrem Haus niedergeschlagen wurde. Ihrer Stieftochter Tess, die sich schon seit Jahren aus dem Familiendrama der Gretzkys zurückgezogen hat, hat Becca eine Vollmacht ausgestellt, sie in allen Belangen zu vertreten, sollte sie dazu nicht in der Lage sein. Auch beruflich wird Tess, aus deren Sicht in erster Linie erzählt wird, die Pistole auf die Brust gesetzt: Sie soll dieses "Problem" in ihrer Familiengeschichte ausräumen, das ihre Karriere bei einer geheimen Institution behindert. Widerwillig beginnt sie, an der Oberfläche zu kratzen, bis sie auf erste Ungereimtheiten stößt und sie selbst die Neugier packt.

Anfangs ist es etwas schwierig, die vielen Namen und Familienverhältnisse zuzuordnen. Es wird dann aber relativ schnell deutlich, dass in der Familie niemand etwas für "die Stiefmutter" Becca übrig hat, die eine 11-jährige Haft für den Mord an ihrem Mann Alexander Gretzky abgesessen hat. Im ganzen Dorf als Mörderin verschrien, überrascht der Angriff auf sie wenig. Doch mit dem Graben nach Informationen, kommen immer mehr Ungereimtheiten ans Tageslicht, und Tess fängt an, an dem Tathergang von vor 11 Jahren zu zweifeln.

Zitat Pos. 1218:
»Bist du tatsächlich das Monster, das wir alle in dir sehen? Oder bist du das Gegenteil? Bist du das Opfer in dieser mysteriösen Geschichte?«

Ildy Bach schafft damit eine geheimnisvolle Atmosphäre, in der man die vielen Lügen und Intrigen, die hinter diesem Mord an ihrem Vater stehen, ahnt, und hält damit die Spannung konstant hoch. In einer weiteren Perspektive geht es um einen jungen Rumänen. Ein Zusammenhang mit der ursprünglichen Story war mir bis zum Ende nicht klar, sorgte aber zusätzlich für aufregende Unterhaltung und konnte auch emotional berühren.

Tess kommt der Wahrheit um den Mord an ihrem Vater dann recht nahe und es wird gefährlicher für sie, als sie ahnt. Und endlich verbinden sich auch die verschiedenen Perspektiven.

Zitat Pos. 4239:
Vor ein paar Tagen war noch alles in bester Ordnung, dachte sie bitter. Und dann zieht irgendein bescheuerter Anwalt irgendeine bescheuerte Vollmacht aus dem Ärmel, und plötzlich gerät alles aus den Fugen!

Das Ende ist insgesamt logisch, doch nahmen mir die weiteren Perspektiven im Nachhinein zu viel Raum, für ihre tatsächliche Bedeutung in der Hauptgeschichte, ein.

Persönliches Fazit: Ein sehr rätselhafter Thriller, der mich durchweg gut unterhalten konnte. Einzig das Ende selbst konnte meine Erwartungen nicht gänzlich erfüllen. Trotzdem lohnt sich dieses Buch für alle, die gerne eine spannende und inhaltlich verzwickte Lektüre lesen möchten.

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