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Veröffentlicht am 26.11.2025

Einstieg in die Welt des großen Dramatikers

Was ihr wollt - die Graphic Novel nach William Shakespeare
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Was passiert, wenn der Meister der Dramatik auf moderne Zeichenkunst trifft? Es entfaltet sich ein hochemotionales, zuckersüßes und doch kritisch zu beleuchtendes Liebeschaos, das selbst die härtesten ...

Was passiert, wenn der Meister der Dramatik auf moderne Zeichenkunst trifft? Es entfaltet sich ein hochemotionales, zuckersüßes und doch kritisch zu beleuchtendes Liebeschaos, das selbst die härtesten Herzen wieder zu Romantikern macht – oder zumindest laut auflachen lässt.

Nach einem katastrophalen Schiffbruch strandet die junge Viola, getrennt von ihrem Zwillingsbruder, in einer fremden Welt. Um nicht in Hilflosigkeit zu versinken, muss sie eine radikale Lüge leben: Sie wird zu Cesario, einem Mann, und tritt in die Dienste des schmachtenden Herzogs Orsino. Hier beginnt das Verhängnis: Orsino schickt "Cesario" aus, um für ihn bei der Gräfin Olivia zu werben. Doch während der Herzog seine Gefühle nur aus der Ferne nährt, entwickelt Viola ihrerseits verbotene Zuneigung zu ihrem Dienstherrn. Der wahre emotionale Sprengsatz zündet, als Olivia sich prompt in den charmanten Boten – also in die verkleidete Viola – verliebt! Ein Dreiecksgeflecht aus Täuschung und Sehnsucht, das auf sandigem Boden gebaut ist.

Die Geschichte ist leicht zugänglich und dank moderner Sprache sowie ausdrucksstarker, atmosphärischer Zeichnungen schnell konsumierbar. Die ausdrucksstarken und atmosphärischen Zeichnungen sind das Herzstück der Adaption. Sie bringen die Gefühle der Charaktere – von der verzweifelten Viola bis zum hoffnungslos verliebten Orsino – hervorragend zur Geltung und erwecken die Geschichte zum Leben.

Allerdings: Der Fokus liegt so stark auf der Romantik und dem rasanten Erzähltempo, dass die Geschichte zu gradlinig und zu kurz erscheint – mehr ein charmanter Lückenfüller als ein episches Werk.

Fazit: Für Romance-Fans ist diese herzerwärmende, kitschige Graphic Novel ein netter Zeitvertreib und ein perfekter Einstieg in die Welt des großen Dramatikers.

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Veröffentlicht am 25.11.2025

Fesselnder Thriller mit ungewöhnlicher Perspektive

Was die Toten sehen
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Mit "Was die Toten sehen“ setzt A.K. Turner ihre außergewöhnliche Thrillerreihe rund um die Pathologieassistentin Cassie Raven und Ex-Polizistin Phyllida Flyte gekonnt fort. Auch der vierte Band bleibt ...

Mit "Was die Toten sehen“ setzt A.K. Turner ihre außergewöhnliche Thrillerreihe rund um die Pathologieassistentin Cassie Raven und Ex-Polizistin Phyllida Flyte gekonnt fort. Auch der vierte Band bleibt der bisherigen Messlatte treu: Es wird spannend, emotional und ungewöhnlich perspektivisch.

Phyllida hat sich nach ihrer Polizeikarriere dem IOPC angeschlossen – einer Behörde, die sich mit Fehlverhalten innerhalb der Polizei befasst. Was zunächst nach einem sinnvollen Neuanfang klingt, entpuppt sich schnell als ernüchternd. Doch als sich der Tod des berühmten Musikstars Bronte ereignet, kreuzt sich ihr Weg erneut mit Cassies – und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Die besondere Stärke dieser Reihe liegt im Ermittlungsansatz: Cassie hat ein feines Gespür für Details, die anderen verborgen bleiben – nicht zuletzt, weil sie mit den Toten auf eine sehr eigene Art „kommuniziert“. Ihre Gabe wird von der Autorin eindrucksvoll, aber stets glaubwürdig dargestellt, ohne in Übernatürliches abzudriften.

Zitat S. 12:
„Cassie hatte schon immer mit den Toten in ihrer Obhut geredet, als wären sie noch am Leben. Die Leichenhalle hatte sie stets als ein Schattenland betrachtet, in dem die kürzlich Verstorbenen zwischen Leben und Tod hingen."

Die Handlung rund um Brontes Tod ist spannend konstruiert, mit klugen Wendungen und vielschichtigen Figuren. Besonders gelungen ist, wie A.K. Turner auch das Privatleben ihrer beiden Hauptfiguren nicht ausspart und deren persönliche Entwicklung über die Bände hinweg sichtbar macht.

Zwar ist die Grundhandlung auch ohne Vorkenntnisse verständlich, doch für den vollen emotionalen Tiefgang empfiehlt sich, die Reihe chronologisch zu lesen.

Fazit: Ein fesselnder Thriller mit ungewöhnlicher Perspektive, komplexen Figuren und einer Ermittlerin, die den Toten eine Stimme gibt. "Was die Toten sehen" überzeugt durch Tiefgang, Spannung und Authentizität – eine Leseempfehlung für Fans kluger, emotionaler Thriller.

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Veröffentlicht am 25.11.2025

Erwarteter Grusel blieb aus

Das Hotel
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Das Hotel lebt – doch das wahre Grauen bleibt seltsam stumm

Es steht in den englischen Mooren wie eine offene Wunde in der Landschaft. Es atmet. Es wartet. Das Hotel ist kein bloßes Gebäude aus Stein ...

Das Hotel lebt – doch das wahre Grauen bleibt seltsam stumm

Es steht in den englischen Mooren wie eine offene Wunde in der Landschaft. Es atmet. Es wartet. Das Hotel ist kein bloßes Gebäude aus Stein und Glas; es ist ein uraltes Wesen, das schon da war, als es noch ein Bauernhof, ein See oder ein bloßer Fluch in der Erde war. Wer Zimmer 63 betritt oder durch die endlosen Korridore wandert, spürt schnell: Dieser Ort hat ein Gedächtnis, und er ist hungrig.

Daisy Johnson webt in dieser Anthologie ein hypnotisches, fast schon erdrückendes Netz aus 15 miteinander verknüpften Schicksalen. Es ist ein literarisches Mosaik, das den Leser in die Fens entführt – jenes Land der Geister und des weiten Himmels –, wo die Grenzen zwischen Leben und Tod verschwimmen. Die Sprache ist von einer bedrückenden Melancholie, lyrisch und komplex, sodass man fast gezwungen ist, das Buch in einem Zug zu verschlingen, um den roten Faden in diesem Labyrinth aus Zeit und Raum nicht zu verlieren.

Doch Vorsicht: Wer hier den klassischen Nervenkitzel sucht, läuft Gefahr, bitter enttäuscht zu werden.

So meisterhaft die düstere Atmosphäre auch konstruiert ist, so sehr lässt der versprochene Horror auf sich warten. Die Geschichten sind klug, sie sind ernst, aber sie sind nicht wirklich gruselig. Wer sich nach wohligen Schauern sehnt, wird hier eher auf eine graue Wand aus Schwermut treffen als auf echten Terror. Obwohl die Handlungen das Potenzial für Albträume hätten, bleibt der Puls beim Lesen unbefriedigend ruhig.

Zudem ist dieses Buch ein radikales feministisches Manifest – vielleicht zu radikal für manche Geschmäcker. Das Hotel scheint fast ausschließlich nach Frauen zu greifen. Wir begegnen Müttern, Töchtern, Suchenden. Männer werden, wenn überhaupt, zu reinen Statisten degradiert. Dieser Fokus schafft zwar eine interessante Mythologie der Weiblichkeit und Mutterschaft, führt aber auch zu einem Ungleichgewicht, das irritieren kann. Es fehlt der Gegenpol, der männliche Ausgleich in dieser hermetisch abgeriegelten Welt.

Fazit: „Das Hotel“ ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ein sprachgewaltiger, atmosphärischer Roman voller Schwermut und dunkler Geheimnisse. Auf der anderen Seite eine Mogelpackung für Horror-Fans, denen hier statt Gänsehaut nur ein melancholisches Kammerspiel geboten wird. Ein Buch für Liebhaber düsterer Literatur, aber nicht für jene, die sich wirklich fürchten wollen.

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Veröffentlicht am 25.11.2025

Ein Wintertraum aus Worten und Magie

Das Schneeflockenmädchen
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Es gibt Bücher, die liest man nicht einfach nur; man hüllt sich in sie ein wie in eine warme Decke, während draußen der Sturm tobt. Mara Andecks Roman ist genau solch ein Zufluchtsort – ein modernes Wintermärchen, ...

Es gibt Bücher, die liest man nicht einfach nur; man hüllt sich in sie ein wie in eine warme Decke, während draußen der Sturm tobt. Mara Andecks Roman ist genau solch ein Zufluchtsort – ein modernes Wintermärchen, das nach Zimt, Zuckerwatte und längst vergangenen Zeiten duftet.

Wir schreiben das Jahr 1925, eine Epoche zwischen den Kriegen, in der die Menschen hungrig sind – nicht nur nach Brot, sondern nach Hoffnung. In dieser rauen, klirrend kalten Welt von Rothenburg ob der Tauber begegnen wir Marie. Sie ist eine Reisende, eine mittellose Wanderin, die mit ihrem Pferdewagen durch den tiefen Schnee zieht. Doch Marie trägt einen Schatz in sich, der wertvoller ist als Gold: Sie ist eine Hüterin der alten Erzählungen.

Wo immer sie auftaucht, geschieht das Unmögliche. Ihre Worte scheinen die Kälte zu vertreiben und legen sich wie Balsam auf die verletzten Seelen der Kinder und Bauersleute. Ist es bloße Fantasie? Oder wirkt hier tatsächlich eine uralte, heilende Magie, die wir in unserer modernen Welt längst vergessen haben? Diese Frage schwebt wie feiner Puderzucker über jeder Seite und verleiht der Geschichte eine mystische, fast schon spirituelle Spannung.

Und dann ist da Carl. Fasziniert von der geheimnisvollen Aura der Märchenerzählerin, lässt der junge Zuckerwatteverkäufer sein eigenes Leben hinter sich. Er folgt ihrer Spur durch die weiße Unendlichkeit der Winterlandschaft, getrieben von einer Neugier, die unaufhaltsam zu einer tiefen, rettungslosen Liebe wächst. Es ist eine zarte Verfolgungsjagd der Herzen, die mich völlig in ihren Bann gezogen hat.

Mara Andeck schreibt dabei nicht einfach Sätze, sie malt Bilder. Man hört förmlich das Knirschen des Schnees unter den Stiefeln, sieht das Flackern der Laternen auf den Weihnachtsmärkten und spürt die beißende Kälte, die nur durch die Wärme der Menschlichkeit gelindert wird. Ihr Stil ist federleicht und doch von einer tiefsinnigen Melancholie durchzogen, die perfekt zu dieser bildgewaltigen Kulisse passt.

Für mich, da ich mit den Geschichten der Brüder Grimm aufgewachsen bin, war dieses Buch eine Offenbarung. Es ist wie eine Tasse heiße Schokolade für die Seele – süß, wärmend, aber mit einer dunklen, kräftigen Note.

Fazit: „Das Schneeflockenmädchen“ ist ein atmosphärisches Juwel, das die Grenzen zwischen Realität und Märchen verschwimmen lässt. Wer sich nach Romantik, Nostalgie und dem Glauben an das Gute sehnt, wird hier sein Herz verlieren. Ein absolutes Muss für kalte Wintertage.

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Veröffentlicht am 25.11.2025

Süchtig machender Psycho-Horror

Into the Abyss
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Trauer ist nicht nur ein Gefühl – sie ist ein dunkler Sog, der dich in die Tiefe reißt. Während manche Menschen einen Weg finden, das Licht wiederzusehen, gibt es jene, die von der Dunkelheit verschlungen ...

Trauer ist nicht nur ein Gefühl – sie ist ein dunkler Sog, der dich in die Tiefe reißt. Während manche Menschen einen Weg finden, das Licht wiederzusehen, gibt es jene, die von der Dunkelheit verschlungen werden. Was aber passiert, wenn ausgerechnet eine Expertin der menschlichen Seele – eine erfolgreiche New Yorker Psychiaterin – den Kampf gegen ihre eigenen Dämonen verliert?

Ihr Leben liegt in Scherben, das Bild der starken Ärztin ist nur noch eine bröckelnde Fassade. Es bricht einem beim Lesen fast das Herz, und gleichzeitig jagt es einem Angst ein, dabei zuzusehen, wie sie versucht, den Verlust ihres Mannes zu verarbeiten – eines Mannes, den sie liebte, obwohl ihre Ehe zuletzt mehr Kampf als Harmonie war. Meredith ist keine Protagonistin, die es dem Leser leicht macht. Sie ist sperrig, verschlossen und tief verletzt. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, hinter ihre dicken Mauern zu blicken, doch genau das entpuppte sich als genialer Schachzug der Autorin: Wir lernen Merediths Inneres nur Schicht für Schicht kennen, genau in dem Tempo, in dem sie selbst die Kontrolle verliert. Ihre Therapie? Wirkungslos. Statt Heilung findet sie Obsession.

Und dann ist da Gabriel Wright. Er ist das leuchtende, unbeschwerte Gegenstück zu Merediths düsterer Welt – und genau das macht ihn für sie so unerträglich und faszinierend zugleich. Gabriel blieb für mich fast das gesamte Buch über ein einziges großes Fragezeichen. Ich konnte ihn nicht greifen, nicht einordnen, und das hat mich wahnsinnig gemacht (im positivsten Sinne!). Vi Keeland hat ihn meisterhaft konstruiert: Er wirkt so harmonisch, doch man spürt ständig, dass unter der Oberfläche etwas brodelt. Die Auflösung um seinen Charakter hat mich eiskalt erwischt – damit hätte ich im Leben nicht gerechnet.

Ich kenne und schätze Vi Keelands Schreibstil bereits aus ihren anderen Werken, doch was sie hier abliefert, spielt in einer ganz eigenen Liga. Dieser Ausflug ins Thriller-Genre ist keine bloße Abwechslung, es ist eine Machtdemonstration. Sie wiegt den Leser in Sicherheit, nur um im nächsten Absatz den Boden unter den Füßen wegzureißen. Mehr als einmal dachte ich, ich hätte den Plot durchschaut, hatte meine Theorien parat – nur damit die Autorin sie mit einem einzigen Satz pulverisiert. Sie erzeugt eine Spannung, die nicht nur greifbar, sondern fast schon körperlich spürbar ist. Die Seiten flogen nur so dahin, getrieben von einer toxischen Mischung aus Neugier und Angst vor dem, was als Nächstes kommt.

Die Geschichte gleicht einer Achterbahnfahrt ins Verderben. Was als moralisches Dilemma in einer Arztpraxis beginnt, eskaliert zu einem Szenario voller Wahnvorstellungen und Gefahr. Und als ich dachte, der Höhepunkt sei erreicht, setzte Keeland noch einen drauf. Das Ende ließ mich buchstäblich mit offenem Mund zurück. Mein einziger Gedanke war: „Bitte WAS?!“ Es ist eines dieser Bücher, das man zuklappt, aber nicht vergessen kann. Es hallt nach, es zwingt zum Nachdenken und lässt einen die menschliche Psyche mit anderen Augen sehen.

Fazit: Ein Meisterwerk des psychologischen Horrors. Wer glaubt, er wisse, worauf er sich einlässt, irrt gewaltig. Vi Keeland hat einen Pageturner geschaffen, der süchtig macht. Ich brauche dringend mehr von dieser dunklen Seite der Autorin!

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